Bundesfinanzhof, Beschluss vom 29.06.2010, Az. III B 168/09

3. Senat | REWIS RS 2010, 5354

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Gegenstand

Beweisantrag und Verzicht auf mündliche Verhandlung - ordnungsgemäßer Beweisantritt


Leitsatz

1. NV: Im Verzicht auf mündliche Verhandlung ist der Verzicht auf eine zuvor beantragte Beweiserhebung zu sehen.

2. NV: Die beantragte Vernehmung "instruierter Mitarbeiter der Personalabteilung" ist kein ordnungsgemäßer Beweisantritt.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erhielt Kindergeld für ihre [X.]ochter ([X.]). Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) hob mit [X.] vom 4. April 2008 die Festsetzung für die Monate November 2005 bis August 2006, Dezember 2006 bis Februar 2007 und April 2007 bis Juli 2007 auf und forderte einen Betrag von insgesamt 2.618 € zurück, da [X.] in diesen Zeiträumen nicht als Bewerberin für einen Ausbildungsplatz gemeldet gewesen sei und die Klägerin auch keine Unterlagen vorgelegt habe, aus denen eine ernsthafte Ausbildungsstellensuche ersichtlich sei. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Im anschließenden Verfahren vor dem Finanzgericht ([X.]) bot die Klägerin im Schriftsatz vom 19. Juni 2009 das "Zeugnis eines instruierten Mitarbeiters der Personalabteilung des jeweiligen Betriebes" an. Mit Erklärung vom 9. September 2009 verzichtete sie auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Das [X.] wies die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, [X.] sei in den streitigen Zeiträumen nicht bei der Berufsberatung gemeldet gewesen. Ausreichende Nachweise für eigene Bemühungen um einen Ausbildungsplatz habe die Klägerin nicht vorgelegt.

2

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin geltend, das [X.] sei seiner Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nicht nachgekommen, da es die angebotenen Beweise nicht erhoben habe. Außerdem habe es das rechtliche Gehör verletzt. Sie, die Klägerin, habe vorgetragen, bei welchen Ausbildungsbetrieben sich [X.] beworben habe, auch habe sie Kopien von Bewerbungsschreiben und Absagen vorgelegt. Weiterhin habe sie die Zeugeneinvernahme von Mitarbeitern der Personalabteilung der jeweiligen Betriebe angeboten. Das Gericht hätte darüber hinaus [X.] als Zeugin vernehmen können. Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts wäre geboten und notwendig gewesen. Das angefochtene Urteil sei eine Überraschungsentscheidung. Sie, die Klägerin, habe dem Gericht mitgeteilt, dass weitere schriftliche Nachweise zu den Bewerbungsbemühungen nicht mehr vorhanden seien. Außerdem habe sie um einen richterlichen Hinweis für den Fall gebeten, dass das Gericht weiteren Sach- und [X.] als notwendig erachten sollte. Ungeachtet dessen habe das [X.] ein klageabweisendes Urteil gefällt. Mit einer solchen Verfahrensbeendigung sei nicht zu rechnen gewesen.

Entscheidungsgründe

3

II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird durch Beschluss zurückgewiesen (§ 116 Abs. 5 [X.]atz 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Die von der Klägerin geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O) liegen nicht vor.

4

1. [X.] (§ 76 Abs. 1 [X.]O) führt nicht zum Erfolg.

5

a) Die Klägerin ist der Ansicht, das [X.] hätte von Amts wegen T als Zeugin vernehmen müssen. Dieses Vorbringen rechtfertigt jedoch nicht die Zulassung der Revision. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, weshalb sich dem [X.] --auch ohne entsprechenden [X.] eine Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen (s. Beschluss des [X.] --BFH-- vom 22. Oktober 2008 [X.]/07, [X.], 186).

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b) [X.]oweit die Klägerin geltend macht, das [X.] habe zu Unrecht Mitarbeiter von Firmen, bei denen sich [X.] beworben habe, nicht als Zeugen vernommen, kann sie mit diesem Einwand schon deshalb nicht gehört werden, weil sie im [X.]chriftsatz vom 9. [X.]eptember 2009 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet hat (§ 90 Abs. 2 [X.]O). Damit hat sie zugleich den Verzicht auf die zuvor beantragte Zeugeneinvernahme erklärt ([X.] vom 5. Oktober 2000 [X.]/00, [X.] 2001, 330; vom 2. August 2006 VII [X.] 56/05 (PKH), [X.] 2006, 2116, und vom 26. Oktober 2006 [X.], [X.] 2007, 725).

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c) Unabhängig hiervon brauchte das [X.] dem Beweisangebot nicht nachzugehen, da die Klägerin den Beweis nicht ordnungsgemäß angetreten hatte. Nach § 82 [X.]O i.V.m. § 373 der Zivilprozessordnung (ZPO) wird der Zeugenbeweis durch die Benennung der Zeugen und die Bezeichnung der Tatsachen, über welche die Vernehmung der Zeugen stattfinden soll, angetreten. Die Klägerin hat jedoch nur pauschal "instruierte Mitarbeiter der Personalabteilung des jeweiligen Betriebes" benannt.

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2. Das [X.] hat auch keine Überraschungsentscheidung getroffen und nicht den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 [X.]O).

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a) Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das [X.] sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger [X.] selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassung nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen musste (ständige Rechtsprechung, z.B. [X.] vom 17. März 2008 [X.], [X.] 2008, 1180). Die Klägerin sieht eine Gehörsverletzung darin, dass das [X.] sein Urteil gefällt habe, ohne zuvor den [X.] nachgegangen zu sein. Ein fachkundig vertretener [X.] kann jedoch nicht davon überrascht sein, dass ein Gericht einen Zeugenbeweis, der nicht den Vorgaben des § 373 ZPO entspricht, nicht erhebt.

b) [X.]oweit die Klägerin sinngemäß beanstandet, das [X.] habe gegen die Pflicht zur Erteilung eines Hinweises nach § 76 Abs. 2 [X.]O verstoßen, ist diese Rüge ebenfalls unbegründet. Ein richterlicher Hinweis nach § 76 Abs. 2 [X.]O soll zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens, zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und zur Vermeidung von Überraschungsentscheidungen [X.]chutz und Hilfestellung für die Beteiligten geben, ohne dass deren Eigenverantwortlichkeit eingeschränkt wird. Bei Beteiligten, die --wie die [X.] im finanzgerichtlichen Verfahren durch einen fach- und sachkundigen Prozessbevollmächtigten vertreten sind, stellt das Unterlassen eines richterlichen Hinweises in der Regel keine Verletzung der Pflicht aus § 76 Abs. 2 [X.]O dar (z.B. [X.] vom 19. Januar 2010 [X.]/08, [X.] 2010, 918).

Meta

III B 168/09

29.06.2010

Bundesfinanzhof 3. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern, 10. September 2009, Az: 3 K 23/09, Urteil

§ 76 Abs 1 FGO, § 76 Abs 2 FGO, § 90 Abs 2 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, Art 103 Abs 1 GG, § 373 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 29.06.2010, Az. III B 168/09 (REWIS RS 2010, 5354)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5354

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