Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.02.2014, Az. III B 108/13

3. Senat | REWIS RS 2014, 8157

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Gegenstand

Überraschungsentscheidung; Beweisantrag und nachfolgender Verzicht auf  mündliche Verhandlung


Leitsatz

1. NV: Das Finanzgericht erlässt keine Überraschungsentscheidung, wenn der Beklagte einen Abhilfevorschlag des Gerichtes unter Hinweis auf die fehlende Nachweiserbringung durch den Kläger zurückweist und das Gericht unter Würdigung dieses Vorbringens von seiner im Hinweis vertretenen vorläufigen Einschätzung abrückt.

2. NV: Beantragt ein Beteiligter eine Zeugeneinvernahme, ist in dem in einem späteren Schriftsatz erfolgten Verzicht auf mündliche Verhandlung auch ein Verzicht auf die zuvor beantragte Beweiserhebung zu sehen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist der Vater eines im August 1999 geborenen [X.] ([X.]).

2

Mit nicht streitgegenständlichem Bescheid vom 9. Oktober 2008 hob die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) die zugunsten des [X.] erfolgte Kindergeldfestsetzung ab Januar 2007 mit der Begründung auf, der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass [X.] seinem Haushalt angehört habe. Den dagegen gerichteten Einspruch wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 8. April 2009 als unbegründet zurück. Die Entscheidung wurde öffentlich zugestellt.

3

Am 23. März 2011 beantragte der Kläger unter Hinweis darauf, dass [X.] "vorübergehend wegen laufender Betreuung" im Haushalt seiner, des [X.], [X.]chwester lebe, erneut Kindergeld. Die Familienkasse lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 19. April 2011 mit der Begründung ab, [X.] lebe nicht im Haushalt des [X.]. Der Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 30. August 2011).

4

Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen gerichtete Klage ab. Hinsichtlich des Kindergeldes für die Monate November 2008 bis Mai 2009 stehe dem Begehren die Bestandskraft der vorangehenden, den Zeitraum bis Mai 2009 regelnden Einspruchsentscheidung vom 8. April 2009 entgegen. Für die Monate Juni 2009 bis Juli 2010 seien die Eltern des [X.] vorrangig kindergeldberechtigt, da [X.] in deren Haushalt gelebt, der Kläger indessen keinen gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern geführt habe. Für die Monate August 2010 bis August 2011 habe [X.] bei der [X.]chwester des [X.] gelebt, während der Kläger nicht nachgewiesen habe, dass er eine Unterhaltsrente für [X.] gezahlt habe. Für den Zeitraum ab [X.]eptember 2011 sei die Klage bereits unzulässig, da die angegriffenen Bescheide diesen Zeitraum nicht geregelt hätten.

5

Mit seiner auf das Kindergeld für den Zeitraum Juni 2009 bis August 2011 beschränkten Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Entscheidungsgründe

6

II. Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet und deshalb durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 [X.]atz 1 [X.]O). [X.]ofern Zulassungsgründe überhaupt in einer den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 [X.]atz 3 [X.]O genügenden Form geltend gemacht wurden, liegen sie jedenfalls nicht vor.

7

1. [X.]oweit der Kläger geltend macht, das [X.] habe in Bezug auf den für den Zeitraum Juni 2009 bis Juli 2010 geltend gemachten Kindergeldanspruch eine Überraschungsentscheidung erlassen und dadurch den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 [X.]O und § 76 Abs. 2 [X.]O), liegt der behauptete Verfahrensmangel nicht vor.

8

a) Eine Überraschungsentscheidung kann gegeben sein, wenn das [X.] sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger [X.] selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste (z.B. Beschluss des [X.] --BFH-- vom 13. Juli 2012 I[X.]3/12, [X.], 1635). Einer umfassenden Erörterung der für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte bedarf es dabei nicht ([X.] vom 25. Mai 2000 VI B 100/00, [X.], 1235). Auch obliegt dem [X.] keine allgemeine Hinweispflicht in dem [X.]inne, dass es seine mögliche Beurteilung andeuten müsste ([X.]enatsbeschluss vom 17. Oktober 2012 III B 68/12, [X.], 362).

9

b) Im [X.]treitfall hat das [X.] zwar --worauf der Kläger zu Recht hinweist-- im [X.]chreiben vom 15. Februar 2013 die Familienkasse darauf hingewiesen, dass die Ausführungen des Klägerbevollmächtigten in den [X.]chreiben vom 3. Dezember 2011 (richtig 3. Dezember 2012) und 3. Januar 2013 dem Gericht nachvollziehbar und glaubwürdig zu sein schienen und daher angeregt werde, der Klage entweder abzuhelfen oder erneut [X.]tellung zu nehmen.

Zu Unrecht führt der Kläger jedoch aus, er habe aufgrund dieses Hinweises und der hierauf erfolgten Antwort der Familienkasse davon ausgehen können, dass der Klage stattgegeben werde, weshalb er sich auch mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt habe. Tatsächlich hat die Familienkasse mit [X.]chreiben vom 25. März 2013 eine Abhilfe abgelehnt und dies hinsichtlich des Zeitraums Juni 2009 bis Juli 2010 damit begründet, dass Nachweise für einen behaupteten gemeinsamen Haushalt mit den Eltern des [X.] fehlten, in den [X.] aufgenommen gewesen sein soll. Zudem monierte die Familienkasse das Fehlen der erforderlichen Berechtigtenbestimmung zwischen den Eltern des [X.] und dem Kläger. Unter Berücksichtigung dieses Prozessverlaufs musste ein gewissenhafter und kundiger [X.] damit rechnen, dass das [X.] seine in dem [X.] vom 15. Februar 2013 gegebene vorläufige Einschätzung --unter Beachtung der sich aus § 96 Abs. 1 [X.]atz 1 [X.]O ergebenden Pflicht zur Ausschöpfung des Gesamtergebnisses des [X.] erneut überprüfen wird. Dass der sach- und fachkundig vertretene Kläger eine erneute Überprüfung durch das [X.] tatsächlich auch erwartet hat, beweist bereits der Umstand, dass er die ihm vom [X.] eingeräumte Möglichkeit zur [X.]tellungnahme genutzt und mit [X.]chreiben vom 11. April 2013 auf das Bestreiten der Familienkasse reagiert hat. Hierin nahm er auf eine bereits eingereichte Berechtigtenbestimmung Bezug und legte zum Nachweis des gemeinschaftlichen Haushalts mit seinen Eltern eine eidesstattliche Versicherung seiner Eltern vom 10. April 2013 vor.

2. Die Revision ist auch nicht wegen des von dem Kläger behaupteten [X.] einer Verletzung der sich aus § 76 Abs. 1 [X.]atz 1 [X.]O ergebenden [X.]achaufklärungspflicht des [X.] zuzulassen.

a) [X.]oweit der Kläger geltend macht, das [X.] hätte ihm im Hinblick auf die im [X.]chreiben vom 15. Februar 2013 abgegebene vorläufige Beweiswürdigung einen erneuten Hinweis geben müssen, übersieht er, dass er nach dem Bestreiten der Familienkasse mit der Möglichkeit rechnen musste, das [X.] werde sich der [X.]achverhaltswürdigung der Familienkasse anschließen. Zudem ist das [X.] generell nicht verpflichtet, seine vorläufige Beweiswürdigung bzw. das Ergebnis einer Gesamtwürdigung zahlreicher Einzelumstände offen zu legen (z.B. [X.] vom 10. [X.]eptember 2003 [X.]132/02, [X.], 495, m.w.N.).

b) [X.]oweit der Kläger geltend macht, das [X.] habe den von ihm mit [X.]chreiben vom 3. Dezember 2012 gestellten Beweisantrag auf Zeugeneinvernahme seiner Eltern und seiner [X.]chwester zu Unrecht übergangen, kann er mit diesem Einwand schon deshalb nicht durchdringen, weil er mit [X.]chriftsatz vom 11. April 2013 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet hat (§ 90 Abs. 2 [X.]O). Damit hat er zugleich den Verzicht auf die in dem früheren [X.]chriftsatz beantragten Zeugeneinvernahmen erklärt (vgl. [X.]enatsbeschluss vom 29. Juni 2010 III B 168/09, [X.], 1847; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]pitaler, § 96 [X.]O Rz 237).

c) Kein Zulassungsgrund ergibt sich auch aus dem Vortrag des [X.], das [X.] habe im Hinblick auf den streitigen Zeitraum August 2010 bis August 2011 seine Hinweispflicht verletzt, weil es dem Kläger nicht mitgeteilt habe, dass es die mit [X.]chriftsatz vom 17. Mai 2013 eingereichten Unterlagen für nicht ausreichend erachte, um eine Übernahme der Kosten der Ganztagsschule des [X.] für den [X.]treitzeitraum nachzuweisen.

Das [X.] traf keine Pflicht zu einem weiteren Hinweis an den Kläger. Die Familienkasse wies mit [X.]chreiben vom 25. März 2013 darauf hin, dass für den Zeitraum August 2010 bis November 2011 Nachweise über Unterhaltszahlungen des [X.] für [X.] fehlen. Das [X.] forderte daraufhin den Kläger mit [X.]chreiben vom 4. April 2013 auf, geeignete Nachweise vorzulegen. Mit [X.]chreiben vom 11. April 2013 erklärte der Kläger, er habe nie behauptet, Unterhaltszahlungen für den fraglichen Zeitraum erbracht zu haben. Vielmehr habe er Naturalunterhalt erbracht. Mit [X.]chreiben vom 17. April 2013 forderte das [X.] den Kläger auf, zumindest die mit [X.]chreiben vom 3. Dezember 2012 behauptete Kostenübernahme für die Ganztagsschule für August 2010 bis Dezember 2011 nachzuweisen. Der Kläger reichte daraufhin Nachweise über Zahlungen aus den Jahren 2012 und 2013 ein. Vor diesem Hintergrund musste der durch einen rechtskundigen Bevollmächtigten vertretene Kläger bei gewissenhafter Beachtung der vom [X.] bereits erteilten Hinweise ohne weiteres damit rechnen, dass nicht den [X.]treitzeitraum betreffende Unterlagen vom [X.] als ungenügende Nachweise bewertet werden. Dies gilt umso mehr als aus dem Beschwerdevorbringen des [X.] nicht hervorgeht, warum er die nun behaupteten besseren Beweise auf die entsprechende Anforderung des [X.] nicht sofort vorgelegt bzw. angeboten hat.

Meta

III B 108/13

05.02.2014

Bundesfinanzhof 3. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 15. Juli 2013, Az: 5 K 2177/11, Urteil

§ 76 Abs 1 S 1 FGO, § 76 Abs 2 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.02.2014, Az. III B 108/13 (REWIS RS 2014, 8157)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 8157

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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