Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.01.2021, Az. IX ZR 33/19

9. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 9539

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Gegenstand

Insolvenzanfechtung: Gläubigerbenachteiligungsvorsatz bei inkongruenter Deckung


Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des [X.] vom 17. Oktober 2018 wird zugelassen.

Auf die Revision der Beklagten wird das vorbezeichnete Urteil aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert des Revisionsverfahrens wird auf 300.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom 12. April 2013 am 16. September 2013 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] (nachfolgend: Schuldnerin). Am 21. Juli 2010 schlossen die Schuldnerin und die [X.] (nachfolgend: B.       ) einen Vertrag, mit dem sich die Schuldnerin gegen Zahlung eines Festpreises von 1.165.090 € netto zur Lieferung, Montage und Inbetriebnahme einer Biosgasanlage verpflichtete. Am selben Tag schloss die Schuldnerin mit der [X.], die im damaligen [X.]punkt noch als U.                              GmbH & Co. KG firmierte, eine Vereinbarung über die Ausführung der gesamten Bauarbeiten im Zusammenhang mit der Biogasanlage mit einem veranschlagten Wert von 738.280 € netto. In Ziffer 3 der Vereinbarung trafen die Schuldnerin und die Beklagte folgende Regelung:

2

"[Zur] Absicherung der Leistung der Fa. [X.] wird mit heutigem Datum ein verlängerter Eigentumsvorbehalt vereinbart, sodass sichergestellt ist, dass die [X.] die von ihr erbrachten Leistungen auch voll bezahlt erhält."

3

In einem gesonderten Schriftstück vom 21. Juli 2010 vereinbarten die Schuldnerin und die Beklagte zugunsten der [X.] für die zu erbringenden Leistungen an der Biogasanlage einen einfachen, erweiterten und verlängerten Eigentumsvorbehalt bis zur vollständigen Zahlung sämtlicher im Rahmen des Auftrags entstehender Rechnungen oder Forderungen.

4

In einer schriftlichen Erklärung datierend auf den 5. September 2011 trat die Schuldnerin "alle derzeitigen und zukünftigen [X.]" aus dem [X.]vom 21. Juli 2010 an die Beklagte ab. Die Abtretung erfolgte still; eine Offenlegung der Abtretung durch die Beklagte sollte erst dann möglich sein, wenn sich die wirtschaftliche Lage der Schuldnerin verschlechtere.

5

Die Beklagte verklagte in der Folgezeit aus abgetretenem Recht der Schuldnerin die B.       vor dem [X.] auf Zahlung von [X.] in Höhe von 384.426,59 €. Das [X.] verurteilte die B.       zur Zahlung von 319.702,31 € nebst Zinsen und zur Zahlung weiterer 48.885,84 € nach Stellung einer Gewährleistungsbürgschaft in selber Höhe. Gegen diese Entscheidung wurde Berufung eingelegt.

6

Der Kläger hat die Abtretung der Forderungen der Schuldnerin gegen die B.      an die Beklagte angefochten. Das [X.], das durch die Vernehmung der Zeugen [X.]und [X.]  Beweis erhoben hat, hat die im Hauptantrag auf Umschreibung des Titels aus dem Urteil im Rechtsstreit gegen die B.       gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung des [X.] hat das [X.] - ohne erneute Beweisaufnahme - der in der Berufungsinstanz im Hauptantrag auf die Rückabtretung der durch die Schuldnerin abgetretenen Forderung auf Zahlung von Werklohn gerichteten Klage stattgegeben. Die Revision hat es nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Beschwerde. Nach Zulassung der Revision will sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgen.

II.

7

Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil das angegriffene Urteil den Anspruch der [X.] auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Das Urteil ist gemäß § 544 Abs. 9 ZPO aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

8

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die am 5. September 2011 vorgenommene Abtretung der [X.] gegen die B.         an die Beklagte stelle eine nach Art. 103j Abs. 1 EG[X.], § 133 Abs. 1 [X.] aF anfechtbare Rechtshandlung der Schuldnerin dar. Die Schuldnerin habe die Abtretung mit dem Vorsatz veranlasst, die übrigen Gläubiger zu benachteiligen. Aufgrund der Abtretung habe die Beklagte eine inkongruente Deckung erlangt. Die Gewährung einer inkongruenten Deckung stelle regelmäßig ein starkes Beweisanzeichen sowohl für die Benachteiligungsabsicht des Schuldners als auch für die Kenntnis des Gläubigers von dieser Absicht dar. Die der [X.] durch die Schuldnerin gewährte Sicherung in Form der Abtretung sei ihr nicht bereits in dem am 21. Juli 2010 geschlossenen Subunternehmervertrag eingeräumt worden. Nur in diesem Fall hätte ihr vom [X.]punkt der Begründung des Schuldverhältnisses an ein Anspruch auf Besicherung zugestanden mit der Folge, dass sie durch die nachträglich vereinbarte Besicherung ihres [X.] eine kongruente Deckung erlangt hätte. Nach dem Ergebnis der vor dem [X.] durchgeführten Beweisaufnahme und des sonstigen Inhalts der mündlichen Verhandlung stehe jedoch fest, dass der [X.] erst nachträglich mit der am 5. September 2011 geschlossenen Abtretungsvereinbarung eine Besicherung eingeräumt worden sei.

9

Für den Abschluss des [X.] am 5. September 2011 spreche bereits der Wortlaut der Urkunde selbst. Wäre bereits im [X.]punkt des Abschlusses des [X.] am 21. Juli 2010 Einigkeit über die Abtretung der Ansprüche der Schuldnerin auf Werklohnzahlung gegen die B.        an die Beklagte erzielt worden, hätte es nahegelegen, dass die Vertragsparteien in der Abtretungserklärung auf eine solche zwischen ihnen bereits getroffene Vereinbarung Bezug nehmen. Zudem hätte es nahegelegen, dass die Vertragsparteien in der Abtretungserklärung den Umfang der der [X.] gegen die Schuldnerin aus dem Subunternehmervertrag zustehenden Forderungen ausgewiesen hätten und Ansprüche der Schuldnerin gegen die B.       auch nur in diesem Umfang an die Beklagte abgetreten worden wären. Die zwischen der Schuldnerin und der [X.] vereinbarte Abtretung gehe jedoch über den mit der Vereinbarung des verlängerten Eigentumsvorbehalts verfolgten [X.] hinaus, indem die Schuldnerin ihre [X.] gegen die B.        in voller Höhe an die Beklagte abgetreten habe.

Neben der Gewährung einer inkongruenten Deckung gegenüber der [X.] spreche auch der Wortlaut der Abtretungsvereinbarung für den im [X.]punkt ihres Abschlusses bestehenden Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin. Die Abtretung habe nur bei einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation der Schuldnerin offengelegt werden sollen. [X.] Ziel der Vereinbarung sei gewesen, den Werklohn, den die Schuldnerin von der B.       habe beanspruchen können, im Fall des Eintritts einer wirtschaftlichen Krise der Schuldnerin nicht ihrem haftenden Vermögen zuzuführen, sondern stattdessen der [X.] einen unmittelbaren Zugriff auf die [X.] zu ermöglichen. Der [X.] habe durch die Abtretung gegenüber den übrigen Gläubigern der Schuldnerin ein Vorteil verschafft werden sollen, denn sie wäre im Fall des Eintritts der wirtschaftlichen Krise der Schuldnerin nicht darauf angewiesen gewesen, ihre Forderung gegen die Schuldnerin oder im Fall der Insolvenzeröffnung zur Insolvenztabelle geltend zu machen.

Von dem in der Person der Schuldnerin bestehenden Benachteiligungsvorsatz habe die Beklagte Kenntnis gehabt, nachdem die Geschäftsführerin ihrer Komplementärin zugleich als Geschäftsführerin der Schuldnerin bestellt gewesen sei. Die Abtretung habe schließlich zu einer Benachteiligung der Gläubiger geführt, weil hierdurch die [X.] verkürzt worden sei.

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Das Berufungsgericht hat die erstinstanzlich vernommenen Zeugen [X.]und [X.]nicht erneut vernommen, obwohl es deren Aussagen anders gewürdigt hat als das [X.]. Dies verletzt den Anspruch der [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG.

a) [X.] das Berufungsgericht Zweifel an der Richtigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachenfeststellungen, die sich auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Würdigungen ergeben können, so sind nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO erneute Feststellungen geboten. Im Zuge dieser erneuten Tatsachenfeststellung muss das Berufungsgericht einen in erster Instanz vernommenen Zeugen gemäß § 398 Abs. 1 ZPO grundsätzlich nochmals vernehmen, wenn es seiner Aussage eine andere Tragweite oder ein anderes Gewicht als das erstinstanzliche Gericht beimessen möchte (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 16. Oktober 1997 - [X.], NJW 1998, 385, 386; Beschluss vom 5. April 2006 - [X.], [X.], 946; vom 11. Juni 2015 - [X.], NJW-RR 2016, 175 Rn. 9).

b) Diesen Maßstäben wird das Berufungsurteil nicht gerecht.

aa) Das [X.] ist auf der Grundlage der Aussagen der Zeugen [X.]und [X.]  zu der Überzeugung gelangt, die Vertragsparteien seien sich bereits bei Abschluss des [X.] am 21. Juli 2010 darüber einig gewesen, dass die der Schuldnerin aus dem [X.]      zustehenden Forderungen an die Beklagte abgetreten werden. Die am 5. September 2011 schriftlich niedergelegte Abtretungsvereinbarung habe lediglich die bereits bei Vertragsschluss am 21. Juli 2010 getroffene Abtretungsvereinbarung bestätigt. In diesem Sinne sei auch die Vereinbarung des verlängerten Eigentumsvorbehalts in Ziffer 3 des [X.] zu verstehen. Von wesentlicher und entscheidender Bedeutung sei nach den Bekundungen der Zeugen gewesen, dass die Beklagte hinsichtlich ihrer Bauleistungen und der daraus resultierenden Forderungen abgesichert werde, wobei unerheblich gewesen sei, ob dies im Wege eines Eigentumsvorbehalts oder durch Abtretung erfolgen sollte. Die der Schuldnerin aus dem [X.] zustehenden Beträge sollten unter Abkürzung des [X.] direkt an die Beklagte geleistet werden können. Aus dem Wortlaut der schriftlichen Abtretungserklärung, der ihre Offenlegung erst dann vorsehe, wenn sich die wirtschaftliche Lage der Schuldnerin verschlechtere, ergäben sich keine Anhaltspunkte für den Vorsatz zur Benachteiligung von Gläubigern.

bb) Das Berufungsgericht meint, für den Abschluss des [X.] am 5. September 2011 spreche bereits der Wortlaut der auf den 5. September 2011 datierten Vertragsurkunde. Aus den Aussagen der vom [X.] vernommenen Zeugen [X.] und [X.]     könne demgegenüber nicht geschlossen werden, dass die Schuldnerin und die Beklagte bereits vor dem 5. September 2011 eine Abtretung der [X.] der Schuldnerin vereinbart hätten.

cc) Damit hat das Berufungsgericht den Aussagen der Zeugen [X.]und [X.] ein anderes Gewicht und einen anderen Inhalt als das [X.] beigemessen. Es führt zwar ausdrücklich aus, dass es keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der vernommenen Zeugen und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen habe. Allerdings lassen seine Ausführungen erkennen, dass es den Aussagen der Zeugen ein anderes Gewicht beimisst als das [X.]. Während das [X.] seine Überzeugung von der Vornahme der Abtretungsvereinbarung bereits am 21. Juli 2010 auf die Aussagen der Zeugen [X.]und [X.]stützt und dem Wortlaut der schriftlichen Abtretungserklärung und dem darin angegebenen Datum keine entscheidende Bedeutung bemisst, stellt das Berufungsgericht umgekehrt maßgeblich auf den Wortlaut der schriftlichen Abtretungsvereinbarung vom 5. September 2011 ab und sieht deren Inhalt nicht durch die Aussagen der Zeugen erschüttert. Bei einer solchen Sachlage ist eine Wiederholung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme geboten.

3. Das angefochtene Urteil beruht auf der dargestellten Verletzung des rechtlichen Gehörs. Dies ist bereits dann der Fall, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht bei [X.] Vorgehen anders entschieden hätte ([X.], Beschluss vom 12. September 2019 - [X.], Z[X.] 2019, 2313 Rn. 11 mwN).

Die Voraussetzungen der hier allein in Betracht kommenden Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 [X.] aF liegen vor, wenn der Schuldner eine Rechtshandlung mit dem Vorsatz vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen, und der andere Teil zur [X.] der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Dies erfordert eine Gesamtwürdigung aller maßgeblicher Umstände des Einzelfalls, wobei die in der Rechtsprechung des [X.] entwickelten Beweisanzeichen zu berücksichtigen sind ([X.], Urteil vom 7. Mai 2020 - [X.], Z[X.] 2020, 1306 Rn. 7). Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass die Gewährung einer inkongruenten Deckung in der Regel ein starkes Beweisanzeichen für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners ist, wenn Anlass bestand, an der Zahlungsfähigkeit des Schuldners zu zweifeln ([X.], Urteil vom 17. September 2020 - [X.], [X.], 2135 Rn. 23 mwN).

Wenn sich bei einer Wiederholung der Beweisaufnahme das vom [X.] gefundene Beweisergebnis bestätigt, wonach zwischen der Schuldnerin und der [X.] bereits bei Abschluss des [X.] am 21. Juli 2010 eine Abtretung der Forderungen auf Zahlung des [X.] vereinbart wurde, sind die Voraussetzungen für das Indiz einer Inkongruenz nicht gegeben (vgl. [X.], Urteil vom 18. November 2004 - [X.], [X.], 769, 770 f). Es lässt sich nicht ausschließen, dass das Berufungsgericht in diesem Fall die Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 1 [X.] aF verneint hätte.

Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird neben den Aussagen der erneut zu vernehmenden Zeugen auch den Umstand zu würdigen haben, dass nach den am 21. Juli 2010 getroffenen schriftlichen Vereinbarungen ein verlängerter Eigentumsvorbehalt gelten sollte, der regelmäßig eine Forderungsabtretung beinhaltet.

Grupp     

        

Möhring     

        

Schoppmeyer

        

Selbmann     

        

Harms     

        

Meta

IX ZR 33/19

14.01.2021

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 17. Oktober 2018, Az: 5 U 86/18

§ 133 Abs 1 InsO vom 05.10.1994

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.01.2021, Az. IX ZR 33/19 (REWIS RS 2021, 9539)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 9539

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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