Bundessozialgericht, Beschluss vom 16.11.2023, Az. B 5 R 115/23 B

5. Senat | REWIS RS 2023, 9011

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Gegenstand

(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - trotz vorheriger Anhörung zu einer Beschlussfassung nach § 153 Abs 4 SGG Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil)


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 20. Juni 2023 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Der Kläger, ein früherer Rechtsanwalt, begehrt in der Sache eine höhere Regelaltersrente sowie einen höheren Zuschuss zur privaten Krankenversicherung. Das hierzu geführte Berufungsverfahren gegen das klageabweisende Urteil des [X.] ([X.] R 253/20) ist noch beim [X.] unter dem Aktenzeichen L 1 R 2/22 anhängig. Zusätzlich zu der von ihm eingelegten Berufung gegen das [X.] vom [X.] hat der Kläger einen Antrag auf Urteilsergänzung nach § 140 [X.]G gestellt. Diesen Antrag hat das [X.] mit Urteil vom [X.] abgelehnt ([X.] R 152/22). Die auch hiergegen vom Kläger erhobene Berufung hat das [X.] mit Urteil vom 20.6.2023 ([X.]) zurückgewiesen. [X.] ist beim [X.] zudem noch eine "außerordentliche Beschwerde" gegen die Ablehnung eines Antrags auf Berichtigung des Tatbestands des [X.]s vom [X.] durch Beschluss des [X.] vom 18.3.2022.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 20.6.2023 (in Sachen Urteilsergänzung) hat der Kläger beim B[X.] Beschwerde eingelegt. Er rügt Verfahrensfehler, die zugleich Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwürfen.

3

II. 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen. Der Kläger hat weder Verfahrensmängel noch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G erforderlichen Weise bezeichnet. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 [X.]G zu verwerfen.

4

a) Das Rechtsmittel ist nicht schon deshalb unzulässig, weil der Prozessbevollmächtigte des [X.] sowohl die Beschwerdeschrift als auch die Beschwerdebegründung dem Gericht durch Briefpost übermittelt hat. Zwar ist diese Art der Einreichung von Schriftsätzen, Anträgen und Erklärungen durch Rechtsanwälte seit dem 1.1.2022 in der Regel nicht mehr formgerecht (vgl § 65d Satz 1 [X.]G sowie zu Ausnahmen bei vorübergehender Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung Satz 3 und 4 aaO). Dasselbe gilt für eine Übermittlung per Telefax. Der Prozessbevollmächtigte hat aber die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründung tatsächlich formgerecht auch über das besondere elektronische Anwaltspostfach übermittelt (vgl § 65a Abs 4 Satz 1 [X.] [X.]G). Dass beide Schriftsätze hinsichtlich des Übermittlungsweges mittlerweile nicht mehr zutreffende Textbausteine verwenden, ist insoweit unschädlich.

5

b) Die Beschwerde des [X.] ist unzulässig, weil Verfahrensmängel nicht hinreichend bezeichnet sind.

6

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G), so müssen zur Bezeichnung des [X.] (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G) zunächst die Umstände, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll, substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des [X.] ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht, sofern nicht ein absoluter Revisionsgrund geltend gemacht wird. Gemäß § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 [X.]G kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G und auf eine Verletzung des § 103 [X.]G nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Das Vorbringen des [X.] entspricht diesen Anforderungen nicht.

7

aa) Der Kläger rügt zunächst, das [X.] habe verfahrensfehlerhaft durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, obwohl ihm zuvor mit [X.] vom [X.] mitgeteilt worden sei, der Senat wolle im Fall der Nichtrücknahme des Rechtsmittels die Berufung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 [X.]G zurückweisen. Die im [X.]-Urteil wiedergegebene Rechtsauffassung, es sei dem Senat nicht verwehrt, trotz vorheriger Anhörung zu einer Beschlussfassung nach § 153 Abs 4 [X.]G aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil zu entscheiden, könne nicht zutreffen. Wenn der Senat sich hinsichtlich der Sach- und Rechtslage durch die Berufsrichter bereits einstimmig eine Meinung gebildet habe, wäre es "völlig widersinnig", aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil zu entscheiden, da die in der mündlichen Verhandlung mitwirkenden ehrenamtlichen Richter die Berufsrichter nicht überstimmen könnten. Es sei evident, dass die Entscheidung des [X.] auf diesem Verfahrensfehler beruhen könne. Zudem bewirke diese Verletzung des § 153 Abs 4 [X.]G eine unvorschriftsmäßige Besetzung des Berufungsgerichts, womit ein absoluter Revisionsgrund vorliege.

8

Mit diesen Ausführungen ist ein Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, nicht schlüssig dargetan. Der Kläger verkennt die Funktion der mündlichen Verhandlung als vom Gesetz regelhaft vorgegebener Form der Entscheidungsfindung (vgl § 124 Abs 1 [X.]G) und "Kernstück" des sozialgerichtlichen Verfahrens (stRspr; vgl zB B[X.] Beschluss vom 26.5.2023 - B 5 R 190/22 B - juris Rd[X.] 12 mwN). Weshalb es "widersinnig" sein soll, die mündliche Verhandlung zum Austausch von Argumenten zu nutzen, um gegebenenfalls Berufsrichter und [X.] von der eigenen Sichtweise zu überzeugen, erschließt sich nicht. Ein Verfahrensmangel kann allenfalls vorliegen, wenn das Gericht zu Unrecht von der Möglichkeit einer vereinfachten Beschlussfassung ohne mündliche Verhandlung Gebrauch macht. Hingegen liegt von vornherein kein Verfahrensfehler vor, wenn das [X.] nach Anhörung der Beteiligten (vgl Schriftsätze des [X.] vom 13.3.2023 und vom [X.]) das ursprüngliche Vorhaben einer Beschlussfassung nach § 153 Abs 4 [X.]G aufgibt und zum Regelfall der Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung zurückkehrt. In einem solchen Fall kann von einer "Verletzung des § 153 Abs. 4 [X.]G" keine Rede sein. Dass das Berufungsgericht in der mündlichen Verhandlung am 20.6.2023 nicht den Vorschriften entsprechend besetzt gewesen ist, lässt sich dem Vortrag des [X.] nicht entnehmen.

9

Im Übrigen wäre nach dem Vortrag des [X.] (ein "lediglich um zwei [X.]" erweiterter [X.]-Senat könne auch nach mündlicher Verhandlung zu keiner anderen Entscheidung kommen) ohnehin ausgeschlossen, dass die angefochtene Entscheidung anders ausgefallen wäre, wenn das [X.] - wie der Kläger nunmehr mit seiner Beschwerde fordert - durch Beschluss nach § 153 Abs 4 [X.]G entschieden hätte.

bb) Als weiteren Verfahrensmangel macht der Kläger geltend, das [X.] hätte "in der Sache grundsätzlich nicht … entscheiden dürfen", solange über den aus seiner Sicht vorrangigen Antrag auf [X.] hinsichtlich desselben [X.]s noch nicht rechtskräftig entschieden worden sei. Die Beschwerdebegründung erschöpft sich insoweit in einem einzigen Satz und enthält schon keine Angabe, welche Verfahrensvorschrift durch die Vorgehensweise des [X.] verletzt worden sein soll. Ein Verfahrensmangel ist auch sonst nicht schlüssig dargetan. Da das [X.] den Streitfall im gleichen Umfang wie das [X.] prüft und auch neu vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel berücksichtigen muss (vgl § 157 [X.]G), ist ohne nähere Darstellung nicht erkennbar, inwiefern die Entscheidung des [X.] in der Sache von den Feststellungen im Tatbestand des [X.]s abhängig sein könnte.

c) Auch soweit die Beschwerdebegründung abschließend Rechtsfragen formuliert, die im Zusammenhang mit den zuvor gerügten Verfahrensfehlern klärungsbedürftig seien, sind die Anforderungen an eine Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht erfüllt (vgl dazu zB B[X.] Beschluss vom [X.] - B 5 R 70/23 B - juris Rd[X.] 8 mwN).

Der Kläger führt folgende Fragen an:

        

1.    

"Ist nach einstimmiger Willensbildung des Senats und nach Erlass einer Anhörungsverfügung mit Mitteilung der beabsichtigten Verfahrensweise gemäß § 153 Abs. 4 [X.]G noch eine Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil im sozialgerichtlichen Berufungsverfahren zulässig?"

        

2.    

"Ist im sozialgerichtlichen Verfahren eine Entscheidung nach § 140 [X.]G auf Urteilsergänzung möglich, solange gleichzeitig ein Verfahren auf [X.] gemäß § 139 [X.]G betreffend das gleiche Urteil nicht rechtskräftig abgeschlossen ist oder muss bei dieser Verfahrensgestaltung zunächst zwingend vorgreiflich der rechtskräftige Abschluss des Verfahrens über den Antrag auf [X.] abgewartet werden?"

Ausführungen dazu, inwiefern im Lichte bereits vorhandener Rechtsprechung zu den angeführten Verfahrensvorschriften noch weiterer höchstrichterlicher Klärungsbedarf besteht, finden sich in der Beschwerdebegründung nicht. Die Angabe, es sei das Urteil des [X.] "dahingehend nachzuprüfen, inwieweit sich für die hier aufgeworfenen Rechtsfragen ausreichende Anhaltspunkte ergeben", reicht zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit nicht aus.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]G).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 iVm einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 und 4 [X.]G.

        

Düring

Körner

Hahn   

Meta

B 5 R 115/23 B

16.11.2023

Bundessozialgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend Sozialgericht für das Saarland, 27. Juni 2022, Az: S 49 R 152/22, Urteil

§ 124 Abs 1 SGG, § 153 Abs 4 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 16.11.2023, Az. B 5 R 115/23 B (REWIS RS 2023, 9011)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9011

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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