Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 07.02.2011, Az. 4 B 48/10

4. Senat | REWIS RS 2011, 9739

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Revisibilität von wissenschaftlichen Erfahrungssätzen; Zweifel an der Unparteilichkeit eines Gutachters


Gründe

1

Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte [X.]eschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.

2

1. Das [X.]eschwerdevorbringen ergibt nicht, dass die Revision wegen grundsätzlicher [X.]edeutung der Rechtssache zuzulassen wäre.

3

Die [X.]eschwerde wirft die Frage auf:

[X.]esteht im Rahmen der Prüfung der FFH-Verträglichkeit eines Projekts eine Vermutung dafür, dass ein durch das beantragte Vorhaben verursachtes Risiko einer erhöhten Sterblichkeit von Tieren, die dem Schutzziel eines Natura-2000-Gebietes unterfallen, eine Verschlechterung des Erhaltungszustandes darstellt und damit als erhebliche [X.]eeinträchtigung im Sinne des § 34 Abs. 2 [X.]NatSchG anzusehen ist?

Umgekehrt formuliert:

Hat der Vorhabenträger im Rahmen der Prüfung nach § 34 Abs. 2 [X.]NatSchG nachzuweisen, dass sich das Risiko einer erhöhten Sterblichkeit nur bei einigen wenigen Einzelexemplaren der von dem Schutzzweck des FFH-Gebiets erfassten Tierarten realisiert?

4

Soweit diese Fragen verallgemeinerungsfähig sind und sich nicht - ungeachtet der allgemein gehaltenen Formulierung - als Kritik an der Rechtsanwendung im Einzelfall erweisen, fehlt es an der Darlegung des behaupteten [X.]. Die [X.]eschwerde zeigt nicht auf, dass es im vorliegenden Fall einer Weiterentwicklung der vom Oberverwaltungsgericht herangezogenen Rechtsprechung des [X.] bedürfte.

5

Das Oberverwaltungsgericht hat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des [X.] den Rechtssatz zugrunde gelegt, dass für den Gang und das Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung der Sache nach eine [X.]eweisregel des Inhalts gilt, dass die [X.]ehörde ein Vorhaben ohne Rückgriff auf Art. 6 Abs. 4 [X.] nur dann zulassen darf, wenn sie zuvor Gewissheit darüber erlangt hat, dass dieses sich nicht nachteilig auf das Gebiet als solches auswirkt. Die zu fordernde Gewissheit liege nur dann vor, wenn aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel daran bestehe, dass solche Auswirkungen nicht auftreten werden ([X.]). Der Gegenbeweis misslinge zum einen, wenn die Risikoanalyse, -prognose und -bewertung nicht den besten Stand der Wissenschaft berücksichtige, zum anderen aber auch dann, wenn die einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse derzeit objektiv nicht ausreichten, jeden vernünftigen Zweifel auszuschließen, dass erhebliche [X.]eeinträchtigungen vermieden werden ([X.]). Es hat - wenn auch im Zusammenhang mit Ausführungen zur Wirksamkeit von Schutz- und/oder Kompensationsmaßnahmen - ebenfalls in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des [X.] dargelegt, dass es Sache des [X.] sei, diesen Nachweis zu erbringen ([X.] f.). Dass sich über diese Grundsätze hinaus klärungsbedürftige Rechtsfragen stellen könnten, zeigt die [X.]eschwerde nicht auf.

6

Soweit die [X.]eschwerde moniert, in der Praxis sei der [X.]eweis, dass möglicherweise eintretende Todesfälle bei geschützten Tierarten nicht deren günstigen Erhaltungszustand berührten, sondern sich im Ergebnis auf Einzelfälle beschränkten, so gut wie nie zu führen, missversteht sie - wie auch der von ihr verwendete [X.]egriff "Vermutung" es nahelegt - möglicherweise das Oberverwaltungsgericht. Das Oberverwaltungsgericht hat ausführlich dargelegt, dass die Kläger die vom Sachverständigen nachvollziehbar begründete [X.]esorgnis einer erhöhten Wintermortalität nicht mit gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen entgegengetreten seien und eine [X.]eeinträchtigung des [X.]" in seiner Funktion als Schlaf- und Nahrungshabitat der arktischen Gänse nach dem derzeitigen Forschungsstand mithin nicht mit der erforderlichen Gewissheit ausgeschlossen werden könne ([X.]). Es stützt sich dabei nicht etwa auf eine "Vermutung", sondern wendet den Rechtssatz, dass der Gegenbeweis misslingt, wenn die einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse derzeit objektiv nicht ausreichten, jeden vernünftigen Zweifel auszuschließen auf den Einzelfall an. Ob ein Projekt zu einer erheblichen [X.]eeinträchtigung eines FFH- oder Vogelschutzgebietes führen kann, erfordert zum einen eine Einzelfallbeurteilung, die zum anderen wesentlich von naturschutzfachlichen Feststellungen und [X.]ewertungen abhängt (Urteile vom 12. März 2008 - [X.] 3.06 - [X.]VerwGE 130, 299 Rn. 68 und vom 17. Januar 2007 - [X.] 20.05 - [X.]VerwGE 128, 1 Rn. 43). Wenn ein [X.] in diesem Zusammenhang bei seiner [X.]egründung fachwissenschaftliche Erfahrungssätze heranzieht, stellt es nicht zugleich Rechtsgrundsätze auf, die einer revisionsgerichtlichen Klärung zugänglich gemacht werden könnten. Im Übrigen wäre die Frage wohl kaum in verallgemeinerungsfähiger Weise für sämtliche Tierarten, Gebiete und Erhaltungsziele zu beantworten.

7

2. Auch die Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe das rechtliche Gehör verletzt, greift nicht durch. Das Oberverwaltungsgericht hat in der mündlichen Verhandlung den Sachverständigen [X.] vernommen, der in seinem mündlichen Gutachten sich seine bereits zuvor abgegebene fachliche Stellungnahme zu Eigen gemacht und diese ergänzend erläutert hat ([X.] f.). Im Hinblick darauf hat das Oberverwaltungsgericht den hilfsweise gestellten [X.]eweisantrag, zu bestimmten Fragen (Sitzungsniederschrift S. 5 f.) ein Sachverständigengutachten einzuholen, abgelehnt und dies im Urteil näher begründet ([X.] f.). Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] verletzt ein Gericht seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer sich nicht aufdrängenden [X.]eweiserhebung absieht, die ein [X.]eteiligter lediglich hilfsweise ([X.]eschluss vom 10. Juni 1999 - [X.]VerwG 9 [X.] 81.99 - [X.] 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 302) beantragt hat. Die ordnungsgemäße Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht, die die [X.]eschwerde der Sache nach mit ihrer Gehörsrüge geltend macht, setzt voraus, dass unter Auseinandersetzung mit dem Prozessgeschehen und der [X.]egründung der vorinstanzlichen Entscheidung schlüssig aufgezeigt wird, dass sich dem Gericht auch ohne unbedingten [X.]eweisantrag auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung eine weitere Sachverhaltsermittlung hätte aufdrängen müssen. Daran fehlt es hier. Das [X.] darf grundsätzlich nach seinem tatrichterlichen Ermessen entscheiden, ob es zusätzliche Sachverständigengutachten einholt (stRspr; vgl. [X.]eschluss vom 13. März 1992 - [X.]VerwG 4 [X.] 39.92 - NVwZ 1993, 268). Ein Verfahrensmangel liegt nur dann vor, wenn sich die Einholung eines weiteren Gutachtens wegen fehlender Eignung der vorliegenden Gutachten hätte aufdrängen müssen. Gutachten und fachtechnische Stellungnahmen sind nur dann ungeeignet, wenn sie grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweisen, wenn sie von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters besteht. Diese Maßstäbe hat das Oberverwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt ([X.] f.). Die Entscheidungen, auf die sich die [X.]eschwerde bezieht (Urteil vom 16. März 1984 - [X.]VerwG 4 C 52.80 - NJW 1984, 2962 = [X.] 303 § 418 ZPO Nr. 3 und [X.]eschluss vom 22. September 1992 - [X.]VerwG 7 [X.] 40.92 - NVwZ 1993, 377 = [X.] 11 Art. 33 Abs. 5 GG Nr. 71), betreffen demgegenüber die Ablehnung der Vernehmung von Zeugen; insoweit gelten andere Maßstäbe. Soweit die [X.]eschwerde zur [X.]egründung (S. 10 f. der [X.]eschwerdebegründung) vorträgt, das Gericht habe die Aussagen des Sachverständigen [X.] unrichtig gewürdigt, äußert sie lediglich Kritik an der tatrichterlichen [X.]eweiswürdigung und Überzeugungsbildung; dies kann nicht als Verfahrensfehler gerügt werden.

8

3. Auch der weitere Einwand der Kläger, ein Gericht sei gehalten, ein weiteres Gutachten einzuholen, wenn Zweifel an der Unparteilichkeit des Gutachters bestehen, verhilft der [X.]eschwerde nicht zum Erfolg.

9

Derartige Zweifel sind nicht schon dann begründet, wenn der Gutachter als [X.]ediensteter demselben Rechtsträger wie die am Rechtsstreit beteiligte [X.]ehörde angehört. Vielmehr ist es grundsätzlich unbedenklich, wenn sich die nach dem [X.]undesimmissionsschutzgesetz für das Genehmigungsverfahren zuständige [X.]ehörde für die Frage nach den Auswirkungen eines Vorhabens - hier auf die Natur - der Sachkunde der maßgeblichen Fachbehörden bedient. Die Abgabe derartiger Stellungnahmen im Verwaltungsverfahren führt nicht zum Ausschluss oder der [X.]efangenheit der [X.]ediensteten, die die Stellungnahmen abgegeben haben ([X.]eschluss vom 30. Dezember 1997 - [X.]VerwG 11 [X.] 3.97 - [X.] 451.171 § 6 AtG Nr. 1 S. 5 f. m.w.N.; vgl. auch Urteil vom 9. Juni 2010 - [X.] 20.08 - [X.] 2010, 870 Rn. 151). Ein Ablehnungsgrund besteht nur dann, wenn in der vernommenen Amtsperson individuelle Umstände vorliegen, die bei einem außerhalb der [X.]ehörde stehenden Sachverständigen Anlass zur Ablehnung wegen [X.]esorgnis der [X.]efangenheit geben würden. Derartige Gründe haben die Kläger jedoch weder im Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht noch mit der Nichtzulassungsbeschwerde vorgetragen. Anträge nach § 98 VwGO i.V.m. § 406 Abs. 2 Satz 1 oder 2 ZPO sind nicht gestellt worden.

Von einer weiteren [X.]egründung sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab, da sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.

Meta

4 B 48/10

07.02.2011

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 27. Juli 2010, Az: 8 A 4062/04, Urteil

BImSchG, Art 6 Abs 4 EWGRL 43/92

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 07.02.2011, Az. 4 B 48/10 (REWIS RS 2011, 9739)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 9739

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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3 K 1329/16.MZ

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