Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.11.2016, Az. AK 56/16

3. Strafsenat | REWIS RS 2016, 2613

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:101116BAK55.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS

AK 55/16
AK 56/16
vom
10. November 2016
in dem Strafverfahren
gegen

1.

2.

wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer ausländischen terroristischen

Vereinigung

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2
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Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] sowie der Angeschuldigten und ihrer Verteidiger am 10. November 2016 gemäß §§
121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat [X.].
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesge-richtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem [X.] übertragen.

Gründe:
I.
Der Angeschuldigte T.

wurde am 18.
April 2016 festge-nommen und befindet sich seit dem 19. April 2016 aufgrund zunächst des Haftbefehls des [X.] von diesem Tage sowie sodann des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.] vom 31. Mai 2016 in Untersuchungshaft. Der Angeschuldigte R.

wurde am 20.
April 2016 festgenommen und befindet sich seit dem 21. April 2016 aufgrund zunächst des Haftbefehls des [X.] von diesem Tage sowie sodann des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.] vom 31. Mai 2016 in Untersuchungshaft.

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Gegenstand der Haftbefehle vom 31. Mai 2016 ist jeweils der Vorwurf, die Angeschuldigten hätten sich in den Jahren 2013 und 2014 in [X.] und anderen Orten [X.] als Mitglied an der "[X.]" ("[X.]", im Folgenden kurz: Ahrar
al-Sham) und damit einer außereuropäischen terroristischen Vereinigung betei-ligt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§
211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen (strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr.
1, §
129b
Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB).
Der [X.] hat gegen die Angeschuldigten unter dem 2.
November 2016 Anklage zum [X.] erhoben.

II.
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen
vor.
1. Die Angeschuldigten sind der ihnen in den Haftbefehlen des Ermitt-lungsrichters des [X.] vorgeworfenen Taten dringend verdäch-tig.
a) Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen auszugehen:
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aa) Die Vereinigung [X.]
(1) Die [X.] ist aus den im Jahr 2011 gegründeten "Kata'ib [X.]" ("Brigaden der [X.]") hervorgegangen, die sich Ende des Jahres 2012 dem Bündnis "[X.]"
("[X.]") anschloss. Nach der damaligen Verlautbarung war Ziel der [X.]; mit militärischen und
zivilen Mitteln sollte eine [X.] Gesellschaft entstehen, die gemäß den Regeln der Sharia regiert werden sollte. Nicht-Muslime wurden indes nicht als Feinde bezeichnet, in der militärischen Auseinandersetzung sollten Zivilisten geschont werden.
Ende Januar 2013 schlossen sich die "Kata'ib [X.]" mit drei anderen Gruppierungen zur [X.] zusammen. In dem dazu veröffent-lichten Video mit dem Titel "Gründungserklärung der Harakat [X.]
al-Islamiya" wurde nunmehr eine streng [X.] Ausrichtung der [X.] betont. Ende November 2013 löste sich die "[X.]" auf und gab zugleich die Gründung eines neuen, umfassenderen [X.] mit dem Namen "[X.]" bekannt, als dessen Ziele der Sturz des [X.] und die Gründung eines "rechtgeleiteten [X.]n Staates" unter der Geltung der Sharia in ihrer radikal-islamistischen Ausrichtung benannt [X.]. Die [X.] wurde in der Erklärung als Gründungsmitglied bezeich-net; sie ist als eigenständige Vereinigung innerhalb des [X.] gleichwohl bestehen geblieben.
(2) Ziel der [X.] ist nach wie vor in erster Linie der Sturz des [X.]. Im Gegensatz zu früheren Verlautbarungen, in denen von [X.] gegenüber Andersdenkenden und -gläubigen die Rede war, wird [X.] eine salafistische Ausrichtung der Organisation betont, die den Schutz 7
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des Islam und die Errichtung einer Gesellschaftsordnung unter dem [X.] als weitere Ziele definiert. [X.] mit den teilweise engen Bindungen der [X.] zu etwa der [X.] und zum Teil auch dem [X.] sind die Ziele der [X.] von denen dieser jihadistisch ausgerichteten Gruppierungen nicht klar abzugrenzen: So akzep-tiert die [X.] die derzeitigen Grenzen des [X.] nicht und beabsichtigt dementsprechend, den [X.]n Staat, dessen Errichtung sie anstrebt, über die Grenzen des heutigen [X.] hinaus auszudehnen. Eine politische Lösung des Konflikts lehnt die Organisation ab, der bewaffnete Kampf wird als einzige Möglichkeit angesehen. Das politische System des zu schaffenden Staates soll auf der Basis der Sharia autoritär geprägt sein, Säku-larismus und Demokratie sieht die [X.] als Übel an, die in ihrem Staat keinen Platz hätten. Dem allgemeinen Ziel der [X.], einen transnati-onalen [X.]n Staat zu schaffen, stimmt die Vereinigung zu, wenn sie auch die Auffassung vertritt, dass bei der Erreichung dieses Ziels Realismus und Geduld von Nöten seien.
(3) Im Lauf des Jahres 2013 wurde die [X.] mit 10.000 bis 20.000 Kämpfern zur stärksten Gruppierung innerhalb des [X.].
Sie setzt im Kampf gegen das Assad-Regime in erster Linie militärische Mittel und Einsatztaktiken ein. [X.] lehnt sie zwar ab, arbeitete aber bei Operationen mit der [X.] zusammen, deren Kämpfer dabei Selbstmordanschläge begingen. Bereits seit dem [X.] war sie bzw. ihre Vorgängerorganisation -
häufig in enger Zusammenarbeit mit Gruppierungen der späteren [X.] -
an fast allen wichtigen Operationen der syri-schen Aufständischen beteiligt, insbesondere an der Offensive in der [X.]
[X.] im Juli 2012, der Einnahme der Provinzhauptstadt [X.] im März 2013, in Zusammenarbeit mit der [X.], dem "[X.] im 11
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Irak und [X.]" und anderen jihadistischen Gruppierungen ab dem 4. August 2013 an der Offensive gegen alawitische Dörfer im Gebirge in der Provinz
Latakia, bei der zahlreiche Zivilisten ermordet wurden, sowie im Februar 2014 an dem Angriff auf das Zentralgefängnis von [X.], an dem wiederum auch die [X.] und weitere jihadistische Vereinigungen teilnahmen. Seit März 2015 besteht ein dauerhaftes militärisches Zweckbündnis mit der Jabhat
al-Nusra.

(4) An der Spitze der Organisation stand bis September 2014 als politi-scher Führer [X.], der im Juni 2013 in einem Interview mit dem Nachrichtensender [X.] an die Öffentlichkeit trat und sich ausführlich zur [X.] und ihren Zielen äußerte. Nachdem [X.] mit anderen [X.] am 9. September 2014 getötet worden war, setzte der [X.] der Organisation bereits am Tag nach seinem Tod mit [X.] (Kampfname: [X.]) einen Nachfolger für ihn ein und mit [X.] den Nachfolger für den ebenfalls getöteten bisheri-gen [X.]verantwortlichen [X.]. Seit September 2015 führt Abu Yahia
al-Hamawi (alias [X.]) die [X.]. Die zentrale Führung der [X.] besteht aus einem [X.] sowie Büros für [X.], Religi-on, Finanzen, humanitäre Aktivitäten und Öffentlichkeitsarbeit. Die Organisation verfügt nach eigenen Angaben über ein eigenes Medienbüro, das die diversen Videoveröffentlichungen erstellt; Verlautbarungen sowie Bekenner-
und Propa-gandavideos werden sowohl über [X.] Netzwerke, als auch
über die eigene Internetpräsenz verbreitet. Als weitere Führungsebene fungieren die Anführer in den einzelnen [X.]. Die Mitglieder der Vereinigung stammen überwiegend aus [X.], in einigen Fällen auch aus anderen Ländern. Die Kampfeinheiten sind überwiegend mit erbeuteten ehemaligen Beständen der [X.] bewaffnet. Die Organisation verfügt über koordinierende [X.]
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fehlsstrukturen; die Anweisungen und Planungen der höheren Ebenen werden durch die nachgeordneten Teile umgesetzt.
bb) Die Angeschuldigten, syrische Staatsangehörige, schlossen sich der [X.] an und nahmen in Kenntnis der Ziele und Methoden der [X.] als deren Mitglieder seit August 2013 bis Ende April 2014 in [X.] und an anderen Orten in [X.] für die Gruppierung in deren Kampfeinheit "Brigade der Siegesflaggen" an Kampfhandlungen gegen die regulären [X.] [X.] und andere oppositionelle Gruppierungen teil. Der Angeschuldigte
T.

begleitete zudem Truppentransporte, verteilte im Auftrag der [X.], leistete Wachdienste und versorgte Verwundete sowie Kranke aus den Reihen der Kämpfer der Vereinigung.
b) Der dringende Tatverdacht folgt, soweit er die Vereinigung [X.] betrifft, aus öffentlich zugänglichen Quellen und den vorliegenden Struk-turerkenntnissen zu dieser Organisation. Hinsichtlich der Einzelheiten wird [X.] genommen insbesondere auf die Behördenerklärung des [X.] vom 23. Januar 2014 ([X.] "Struktur der [X.]", [X.]. 5 ff.), den Auswertebericht des [X.] vom November 2015 ([X.] "Struk-tur der [X.]", [X.]. 10 ff.), den Vermerk des [X.] vom 19. September 2014 ([X.] "Struktur der [X.]", [X.]. 61 f.), die Gutachten des Sachverständigen Dr. S.

vom 19. Februar 2015 ([X.] "Struktur der [X.]", [X.]. 78 ff.) sowie 11. Dezember 2014 ([X.] "Struktur der Ahrar
al-Sham", [X.]. 301 ff., 327) sowie das Gutachten des [X.] ([X.] "Struktur der [X.]", [X.]. 108 ff., 136
f.).
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Der Verdacht betreffend die Tathandlungen der Angeschuldigten
ergibt sich vornehmlich aus den bei den Angeschuldigten
sichergestellten Lichtbildern und der Aussage des Zeugen H.

. Hinsichtlich der diesbezüglichen Einzel-heiten wird auf die Ausführungen in den Haftbefehlen vom 31. Mai 2016 Bezug genommen.
2. Es besteht nach alledem der dringende Tatverdacht, dass sich die Angeschuldigten
wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen
Vereinigung im Ausland nach §
129a Abs.
1 Nr.
1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB strafbar gemacht haben.
a) Die Gruppierung [X.] stellt sich nach den vorliegenden Er-kenntnissen dar als auf gewisse Dauer angelegter, freiwilliger organisatorischer Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich als einheitli-cher Verband fühlen und mithin als Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB (st. Rspr.; etwa [X.], Urteil vom 3.
Dezember 2009 -
3 [X.], [X.]St 54, 216, 221 mwN). Ihre Zwecke und ihre Tätigkeit sind darauf gerichtet, Mord und Totschlag (§§ 211, 212 StGB) zu begehen, wobei die Opfer nicht nur Soldaten des von ihr bekämpften [X.] sind, sondern -
wie etwa die [X.] zeigen -
auch Zivilisten zu ihren Zielen gehören.
b) Die Angeschuldigten
haben sich durch die Teilnahme an militärischen Aktionen dieser Vereinigung als Mitglieder an ihr beteiligt.
c) [X.] Strafrecht ist anwendbar (vgl. im Einzelnen [X.], Be-schluss
vom 6. Oktober 2016 -
AK 52/16, juris Rn. 33 ff.).
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d) Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB erforderliche Ermächti-gung zur strafrechtlichen Verfolgung von Mitgliedern oder Unterstützern der [X.], die sich in der [X.] aufhalten, hat das [X.] am 25. Juli 2014 er-teilt.
3. Es besteht bei beiden Angeschuldigten
der Haftgrund der Fluchtgefahr
(§ 112 Abs. 2 Nr.
2 StPO). Sie haben im Falle ihrer Verurteilung jeweils emp-findliche, einen hohen [X.] begründende Strafen zu erwarten. Dies gilt auch, soweit für den Angeschuldigten
R.

Jugendstrafrecht anwendbar sein sollte. Der [X.] wird nicht durch fluchthindernde Gründe von Gewicht kompensiert. Beide Angeschuldigten
haben insbesondere in [X.] keine tragfähigen Bindungen und verfügen nach wie vor über Kontakte zur Ahrar
al-Sham. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die zutreffenden [X.] in den Haftbefehlen vom 31. Mai 2016 sowie der Antragsschrift des [X.]s vom 12. Oktober 2016 verwiesen. Überdies ist der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) gegeben.
Die die Haftgründe belegenden Umstände wiegen so schwer, dass [X.] einschneidende Maßnahmen nach § 116 Abs. 1 StPO die Erwartung nicht zu begründen vermögen, der Zweck der Untersuchungshaft könne auch ohne ihren Vollzug erreicht werden. Eine Aussetzung des Vollzugs der Haftbefehle kommt deshalb nicht in Betracht.
4. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Der besondere Umfang der Ermittlungen und ihre besondere Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug
der Untersuchungshaft. Nach Erlass der Haftbefehle waren insbesondere die gesicherten Datenträger 20
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sowie die sichergestellten Mobilfunkgeräte auszuwerten, die jeweils zahlreiche Dateien enthielten. Hinzu kamen aufwändige Maßnahmen zur Ermittlung des Alters des Angeschuldigten
R.

sowie zur Auswertung eines auf einem si-chergestellten Datenträger gespeicherten [X.], das die Hinrichtung eines mutmaßlichen Anhängers der [X.] Regierung durch Enthaupten zeigt. Bezüglich der Einzelheiten nimmt der Senat Bezug auf die Ausführungen in der Antragsschrift des [X.]s vom 12. Oktober 2016.
5. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu dem
gegen die Angeschuldigten
in den
Haftbefehlen vom 31. Mai 2016 erhobenen Tatvorwurf nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Becker [X.] Hoch

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Meta

AK 56/16

10.11.2016

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.11.2016, Az. AK 56/16 (REWIS RS 2016, 2613)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 2613

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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