Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.08.2013, Az. I ZB 76/10

1. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 3466

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Zwangsvollstreckung: Rechtsschutzbedürfnis für Zwangsmittel wegen Nichterbringung einer Auskunft bei unbekanntem Aufenthalt des Schuldners - Zwangsmittelfestsetzung


Leitsatz

Zwangsmittelfestsetzung

Dem Antrag auf Festsetzung von Zwangsmitteln gemäß § 888 Abs. 1 ZPO wegen Nichterbringung einer Auskunft fehlt nicht deshalb das Rechtsschutzbedürfnis, weil der Schuldner unbekannten Aufenthalts ist und ihm deshalb sämtliche im Erkenntnisverfahren und im Vollstreckungsverfahren zuzustellenden Schriftsätze und gerichtliche Entscheidungen durch öffentliche Bekanntmachung im Sinne von § 185 Abs. 1 ZPO zugestellt worden sind.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin wird der Beschluss des 26. Zivilsenats des [X.] vom 8. März 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

[X.]: 1.000 €

Gründe

1

I. Die Schuldnerin war Miteigentümerin eines in [X.] belegenen Grundstücks, das aufgrund eines Restitutionsbescheids des Landesamts zur Regelung offener Vermögensfragen der Gläubigerin übertragen wurde. Die Gläubigerin nahm die Schuldnerin vor dem [X.] im Wege der Stufenklage auf Auskunftserteilung über die im Zeitraum vom 1. Juli 1994 bis zum 2. Mai 2003 im Hinblick auf das Restitutionsgrundstück erzielten Einnahmen und entstandenen Forderungen sowie auf Zahlung des sich nach Auskunftserteilung ergebenden Betrags in Anspruch.

2

Die Schuldnerin hatte ihren letzten bekannten Aufenthalt in [X.], US-Bundesstaat [X.]. Nachdem der Versuch des [X.] fehlgeschlagen war, die Klage und die im Verfahren vor dem [X.] ergangenen richterlichen Verfügungen im Wege der förmlichen Auslandszustellung gemäß Art. 2 des [X.] über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15. November 1965 (nachfolgend [X.]) zuzustellen, ordnete das [X.] mit Beschluss vom 2. Oktober 2007 die öffentliche Zustellung sowie zusätzlich gemäß § 187 ZPO die Benachrichtigung in der [X.] unter "Amtliche Bekanntmachungen" an. Es erging sodann am 11. Dezember 2007 gegen die Schuldnerin ein Teil-Versäumnisurteil im schriftlichen Verfahren, mit dem die Schuldnerin zur Auskunftserteilung verurteilt wurde. Das Urteil wurde ebenfalls öffentlich zugestellt.

3

Die Gläubigerin hat beantragt, gegen die Schuldnerin wegen Nichterbringung der Auskunft ein Zwangsgeld, ersatzweise Zwangshaft festzusetzen. Dieser Antrag ist vom [X.] zurückgewiesen worden. Die gegen die Zurückweisung gerichtete sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren Antrag auf Festsetzung von Zwangsmitteln weiter.

4

II. Das Beschwerdegericht hat angenommen, der Gläubigerin fehle das Rechtsschutzbedürfnis für die begehrte Anordnung von [X.]. Sowohl die Klage als auch das Versäumnisurteil des [X.] seien der Schuldnerin, die unbekannten Aufenthalts sei und offenbar in [X.] gelebt habe oder noch lebe, öffentlich zugestellt worden. Die Gläubigerin mache insoweit auch nicht geltend, dass ihr der Aufenthalt der Schuldnerin inzwischen bekannt sei. Wenn aber eine Vollstreckung des Zwangsgeldes im Hinblick auf eine bereits anfänglich nicht vorhandene Kenntnis vom Aufenthaltsort des Schuldners höchst unwahrscheinlich oder wohl unmöglich sei, sei es eine leere, lediglich Kosten verursachende [X.], gegenüber dem Schuldner ein Zwangsgeld nach § 888 ZPO zu verhängen.

5

III. [X.] hat Erfolg.

6

1. Die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO) und auch sonst zulässig (§ 575 ZPO). Insbesondere ist das Zustellerfordernis gemäß § 575 Abs. 4 Satz 2 ZPO erfüllt. Die [X.] vom 30. April 2010 sowie die Rechtsbeschwerdebegründung vom 19. Juli 2010 sind der Schuldnerin durch öffentliche Bekanntmachung gemäß § 185 f. ZPO zugestellt worden, nachdem ihr Aufenthaltsort nicht ermittelt werden konnte.

7

2. Entgegen der Annahme des [X.] fehlt es auch nicht am Rechtsschutzbedürfnis.

8

a) Allerdings ist der Antrag auf Zwangsmittelfestsetzung nur bei bestehendem Rechtsschutzbedürfnis zulässig ([X.] in [X.].ZPO, 4. Aufl., § 888 Rn. 19). Nach allgemeinen Grundsätzen fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn eine Klage oder ein Antrag objektiv schlechthin sinnlos ist, wenn also der Kläger oder Antragsteller unter keinen Umständen mit seinem prozessualen Begehren irgendeinen schutzwürdigen Vorteil erlangen kann ([X.], Urteil vom 28. März 1996 - [X.], NJW 1996, 2035, 2037; [X.] in [X.].ZPO aaO Vor §§ 253 ff. Rn. 11, jeweils mwN).

9

b) So liegt es im Streitfall jedoch nicht.

Für die Beurteilung des [X.] spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob zum Zeitpunkt des Erlasses der gerichtlichen Entscheidung greifbare Möglichkeiten zur Vollstreckung eines Titels erkennbar sind. So trägt im Erkenntnisverfahren regelmäßig bereits die Aussicht, dass der obsiegende Kläger einen Titel erhält, der seine etwaigen Ansprüche für die nächsten 30 Jahre vor der Verjährung bewahrt (§ 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB), die Annahme des [X.]. Denn es lässt sich nicht durchweg ausschließen, dass der Kläger in dieser Zeit Gelegenheit findet, den Titel gegen den Beklagten zu vollstrecken ([X.], NJW 1996, 2035, 2037 mwN).

Entsprechendes gilt im Hinblick auf die Anordnung von Zwangsmitteln nach § 888 Abs. 1 ZPO. Eine Zwangsmittelanordnung nach § 888 ZPO ist ein eigener Vollstreckungstitel im Sinne von § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, aus dem die Beitreibung des Zwangsgeldes und die Vollstreckung der ([X.] betrieben werden kann ([X.], Beschluss vom 3. Juli 2008 - [X.], [X.], 2919 Rn. 8 mwN).

Die Anordnung von Zwangsmitteln gemäß § 888 Abs. 1 ZPO ist auch dann nicht objektiv sinnlos, wenn der Schuldner - wie im Streitfall - unbekannten Aufenthalts ist und ihm im Erkenntnisverfahren die zuzustellenden Schriftsätze, die vollstreckbare gerichtliche Entscheidung sowie die Schriftsätze und Entscheidungen im Vollstreckungsverfahren durch öffentliche Bekanntmachung im Sinne von § 185 Abs. 1 ZPO zugestellt wurden. Zwar hat das Zwangsgeld den Zweck, den auf die Nichterfüllung gerichteten Willen des Schuldners zu beugen ([X.] in [X.]/Gaul/[X.]/[X.], Zwangsvollstreckungsrecht, 12. Aufl., § 71 Rn. 2). Eine Einflussnahme auf die Willensbildung durch die Anordnung von Zwangsmitteln nach § 888 ZPO ist aber auch im Hinblick auf einen Schuldner nicht auszuschließen, der während des Erkenntnisverfahrens und des Verfahrens auf Festsetzung von Zwangsmitteln unbekannten Aufenthalts war. Es ist nicht unmöglich, dass der Schuldner durch die Benachrichtigung gemäß § 186 Abs. 1 ZPO oder anderweitig tatsächlich Kenntnis von der titulierten Verpflichtung erhalten hat oder erhalten wird. Ferner spricht für die Annahme eines [X.] auch der Normzweck des [X.]. Damit hat der Gesetzgeber im Spannungsfeld zwischen dem Justizgewährungsanspruch desjenigen, in dessen Interesse zugestellt wird, und dem Anspruch des Zustellungsadressaten auf Gewährung rechtlichen Gehörs dem Gedanken des effizienten Rechtsschutzes den Vorrang eingeräumt (vgl. Musielak/Wittschier, ZPO, 10. Aufl., § 185 Rn. 1). Die durch die Benachrichtigung gemäß § 186 Abs. 1 ZPO eröffnete Möglichkeit der Kenntnisnahme ist der tatsächlichen Kenntnisnahme im rechtlichen Ergebnis gleichgestellt. Diese gesetzgeberische Grundentscheidung ist auch bei der Anwendung des § 888 Abs. 1 ZPO zu beachten.

IV. Danach ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.

[X.]                        Pokrant                        Büscher

                      Koch                          Löffler

Meta

I ZB 76/10

14.08.2013

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend KG Berlin, 8. März 2010, Az: 26 W 44/09

§ 185 Abs 1 ZPO, § 575 Abs 4 S 2 ZPO, § 888 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.08.2013, Az. I ZB 76/10 (REWIS RS 2013, 3466)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3466

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

I ZB 76/10 (Bundesgerichtshof)


I ZB 109/17 (Bundesgerichtshof)

Verurteilung des Erben zur Auskunftserteilung über den Bestand des Nachlasses durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses: …


I ZB 68/08 (Bundesgerichtshof)


I ZB 57/10 (Bundesgerichtshof)

Zwangsvollstreckung zur Erwirkung einer unvertretbaren Handlung: Abgabe einer unzureichend bestimmten Willenserklärung


2 W 9/20 (Oberlandesgericht Düsseldorf)


Referenzen
Wird zitiert von

I ZB 76/10

11 Ta 252/13

I ZB 69/21

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.