Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.06.2014, Az. 5 AZR 283/12

5. Senat | REWIS RS 2014, 4613

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Gegenstand

Leistungsklage - Zulässigkeit bei behaupteter Masseforderung - Vergütungsanspruch nach Insolvenzgeldantrag - Anspruchsübergang - Grenzgänger - Doppelbesteuerungsabkommen mit Frankreich


Leitsatz

Der durch den Antrag auf Insolvenzgeld bewirkte gesetzliche Anspruchsübergang erfasst - begrenzt auf die Höhe der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze - den Bruttolohnanspruch des Arbeitnehmers.

Tenor

1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 1. Februar 2012 - 2 [X.]/11 - aufgehoben.

2. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 18. März 2011 - 3 [X.]/10 - wird zurückgewiesen.

3. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob die als Grenzgängerin in [X.] nicht einkommensteuerpflichtige Klägerin nach Inanspruchnahme von Insolvenzgeld noch Zahlung restlichen Nettolohns in Höhe der fiktiv ermittelten Abzüge für Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag beanspruchen kann.

2

Die 1972 geborene Klägerin war vom 15. Juni 2006 bis zum 30. November 2009 bei der [X.] (im Folgenden: Schuldnerin) beschäftigt und erzielte zuletzt einen Monatsverdienst von 3.100,00 Euro brutto, zuzüglich vermögenswirksamer Leistungen von 22,83 Euro brutto. Das [X.] bestellte den [X.]eklagten mit [X.]eschluss vom 21. September 2009 (- 112 IN 55/09 -) zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin und legte der Schuldnerin ein allgemeines Verfügungsverbot auf. Mit [X.]eschluss vom 1. Dezember 2009 (- 112 IN 55/09 -) wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der [X.]eklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.

3

Die Klägerin ist [X.] Staatsangehörige und hat ihren Wohnsitz in [X.] im Grenzgebiet zu [X.]. Ihr war nach dem „Abkommen zwischen der [X.]undesrepublik [X.] und der [X.] zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und Grundsteuern vom 21. Juli 1959“ (im Folgenden: D[X.]A [X.]) der Grenzgängerstatus zuerkannt.

4

Die Klägerin erbrachte in den Monaten September bis November 2009 ihre Arbeitsleistung. Die Vergütung hierfür wurde in Höhe des zu erwartenden [X.] von der [X.] (im Folgenden: [X.]-[X.]ank) vorfinanziert, mit der die Klägerin mit Zustimmung der [X.]undesagentur und des [X.]eklagten [X.] abgeschlossen hatte. Darin trat die Klägerin ihre Ansprüche auf das vom [X.]eklagten für diese Monate abgerechnete Nettoarbeitsentgelt und auf das von ihr beantragte Insolvenzgeld Zug um Zug gegen Zahlungen der [X.]-[X.]ank in Höhe der abgerechneten Nettobeträge an diese ab. In den vom [X.]eklagten für September bis November 2009 erstellten Gehaltsabrechnungen, die der Ermittlung des Insolvenzgeldanspruchs der Klägerin zu Grunde lagen, sind unter der Rubrik „gesetzliche Abzüge“ als fiktive Lohnsteuer und als fiktiver Solidaritätszuschlag insgesamt 1.830,66 Euro ausgewiesen. Mit der am 24. März 2010 eingereichten Klage verlangt die Klägerin Zahlung dieser in den Abrechnungen ausgewiesenen Steuern. Sie hat geltend gemacht, ihre Vergütungsansprüche seien lediglich in Höhe des gezahlten [X.] auf die [X.]undesagentur übergegangen. Andernfalls werde sie schlechter gestellt als ihre in [X.] wohnenden Arbeitskollegen, weil sie vor der Insolvenz ihr Nettogehalt ohne einen Steuerabzug ausgezahlt bekommen und als Grenzgängerin ihre Nettoeinkünfte in [X.] zu versteuern habe. Faktisch führe ein Anspruchsübergang unter Einschluss der fiktiv ermittelten [X.]eträge zu einer Doppelbesteuerung und verstoße gegen das Doppelbesteuerungsabkommen mit [X.].

5

Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,

        

den [X.]eklagten zu verurteilen, an die Klägerin 1.830,66 Euro netto nebst Zinsen in gestaffelter Höhe zu zahlen.

6

Der [X.]eklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, die Klägerin sei nicht aktivlegitimiert. Die Vergütungsansprüche seien mit dem Antrag auf Insolvenzgeld insgesamt auf die [X.]undesagentur übergegangen.

7

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat auf die [X.]erufung der Klägerin der Klage stattgegeben. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision begehrt der [X.]eklagte weiterhin die vollständige Klageabweisung.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Beklagten ist begründet. Das angegriffene Urteil ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Das [X.] hat der Berufung der Klägerin gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht stattgegeben. Die Klage ist unbegründet.

9

A. Die Klage ist zulässig.

I. Die Klägerin ist prozessführungsbefugt, weil sie mit der Klage ein behauptetes eigenes Recht im eigenen Namen geltend macht (vgl. [X.]/Vollkommer ZPO 30. Aufl. Vor § 50 Rn. 18; [X.]/[X.] ZPO 11. Aufl. § 51 Rn. 15 f.). Ob die eingeklagte Forderung der Klägerin zusteht oder infolge eines gesetzlichen [X.]s der [X.], ist eine Frage der Aktivlegitimation, die erst im Rahmen der Prüfung der Begründetheit der Klage zu beantworten ist (vgl. [X.]/[X.] ZPO 11. Aufl. § 51 Rn. 18).

II. Der Zulässigkeit der Leistungsklage steht, soweit sie den Zeitraum 1. bis 20. September 2009 betrifft, nicht entgegen, dass es sich bei den erhobenen Ansprüchen allenfalls um Insolvenzforderungen iSv. §§ 38, 108 Abs. 3 [X.] und nicht, wie vom [X.] angenommen, um Masseforderungen iSv. § 55 Abs. 2 Satz 2 [X.] handeln könnte.

1. Nach § 55 Abs. 2 Satz 2 [X.] sind [X.]en Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der vorläufige Insolvenzverwalter für das von ihm verwaltete Vermögen die Gegenleistung in Anspruch genommen hat. § 55 Abs. 2 Satz 2 [X.] bezieht sich allein auf eine Leistung an den sog. „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis iSv. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 iVm. § 22 Abs. 1 Satz 1 [X.] ([X.] 12. September 2013 - 6 [X.] - Rn. 42). Der Beklagte wurde erst am 21. September 2009 mit Beschluss vom selben Tag zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis über das Vermögen der Schuldnerin bestellt. Bei der Vergütung „für“ den davor liegenden Zeitraum handelt es sich, auch wenn sie erst nach dem 20. September 2009 fällig wurde, um eine Insolvenzforderung iSv. §§ 38, 108 Abs. 3 [X.] ([X.] 21. Februar 2013 - 6 [X.] - Rn. 28 f.; 12. September 2013 - 6 [X.] - Rn. 36).

2. Die Leistungsklage ist dennoch insgesamt zulässig. Die Klägerin behauptet, die eingeklagten Forderungen stünden ihr als [X.]en zu. Beruft sich der Arbeitnehmer auf eine vorweg zu berichtigende [X.] iSv. §§ 5355 [X.], ist die Klage nicht unzulässig, sondern unbegründet, wenn es sich tatsächlich um eine Insolvenzforderung iSv. §§ 38, 108 Abs. 3 [X.] handelt ([X.] 21. Februar 2013 - 6 [X.] - Rn. 17 f.; 12. September 2013 - 6 [X.] - Rn. 17), die unter den in §§ 179, 180 [X.] geregelten Voraussetzungen mit einer Feststellungsklage zu verfolgen wäre.

B. Die Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch nach § 611 Abs. 1 BGB iVm. § 55 Abs. 2 Satz 2 [X.]. Sie ist nicht aktivlegitimiert. Ihr Vergütungsanspruch ist gemäß § 187 [X.] auf die [X.] für Arbeit übergegangen.

I. Die fehlende Aktivlegitimation der Klägerin ergibt sich nicht bereits aus den mit der [X.] geschlossenen Forderungskaufverträgen. Die geltend gemachten Forderungen werden, wovon das [X.] zutreffend ausgegangen ist, hiervon nicht erfasst.

II. Die streitgegenständlichen Ansprüche sind jedoch mit Stellung des Antrags auf Insolvenzgeld gemäß § 187 Satz 1 [X.] auf die [X.] übergegangen. Der gesetzliche [X.] nach § 187 [X.] in der hier anzuwendenden, ab 12. Dezember 2006 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) erfasst - begrenzt auf die Höhe der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (§ 341 Abs. 4 [X.]) - den [X.]. Der [X.] ist nicht auf den Nettolohnanspruch oder auf den Betrag des an den Arbeitnehmer zu zahlenden [X.] beschränkt.

1. Der [X.] ist bereits in der Entscheidung vom 11. Februar 1998 (- 5 [X.] -, vgl. dort unter 4. der Gründe) zu § 141m Abs. 1 [X.] von einem durch den Antrag auf [X.] (heute Insolvenzgeld) bewirkten Übergang der Bruttolohnforderung ausgegangen und hat hieran in der Entscheidung vom 22. August 2012 (- 5 [X.] -, vgl. dort unter Rn. 11) zu der vorliegend anzuwendenden Regelung des § 187 [X.] festgehalten. Der [X.] des [X.] hat sich der Rechtsprechung des [X.]s angeschlossen, allerdings die Behandlung von Grenzgängern offengelassen (BSG 20. Juni 2001 - B 11 AL 97/00 R - Rn. 23 ff., 32).

2. Im Schrifttum wird zT von einem auf das [X.] beschränkten [X.] ausgegangen (MüKo[X.]/Hefermehl § 55 [X.] Rn. 234, 237; [X.]/Peters-Lange [X.] Stand Juni 2014 §169 Rn. 8, § 167 Rn. 12 ff.; [X.] in [X.]/[X.]-De Caluwe/Coseriu [X.] 5. Aufl. § 169 Rn. 9). Andere Stimmen haben sich der Auffassung des [X.]s und des BSG angeschlossen ([X.]/[X.] 3. Aufl. § 169 [X.] Rn. 2; Zwanziger Kommentar zum Arbeitsrecht der Insolvenzordnung 4. Aufl. § 108 Rn. 141).

Der [X.]e [X.] des [X.] hat in der Entscheidung vom 20. Juni 2002 (- 8 [X.] - zu II 1 der Gründe) beiläufig bemerkt, der [X.] sei auf das [X.] beschränkt, weil die [X.] nur in dieser Höhe Insolvenzgeld zahle, ohne eine abweichende Auffassung zu erwähnen.

3. Der [X.] hält an seiner bisherigen Rechtsprechung - auch für Grenzgänger - fest.

a) Bereits der Wortlaut von § 187 [X.] spricht für einen Übergang des Bruttolohnanspruchs. Während der [X.] nach § 115 Abs. 1 [X.] X auf die „Höhe der erbrachten Sozialleistungen“ beschränkt ist, gehen nach § 187 Satz 1 [X.] die Ansprüche auf Arbeitsentgelt, „die einen Anspruch auf Insolvenzgeld begründen“, auf die [X.] über. [X.] ist jedoch nach § 185 Abs. 1 [X.] in der durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 ([X.], S. 2848) geänderten, am 1. Januar 2004 in [X.] getretenen Fassung das auf die monatliche Beitragsbemessungsgrenze (§ 341 Abs. 4 [X.]) begrenzte Bruttoarbeitsentgelt. Bezugspunkt des gesetzlichen [X.]s ist damit - anders als nach § 115 [X.] X - das Bruttoarbeitsentgelt.

Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass der durch Art. II § 2 Nr. 12 des [X.] ([X.]) vom 4. November 1982 ([X.] 1450) in § 141m Abs. 1 [X.] eingefügte Passus „abweichend von § 115 des [X.]“ in dem durch das [X.] vom 24. März 1997 eingeführten § 187 [X.] nicht mehr enthalten ist. § 187 Satz 1 [X.] wurde durch die vorgenommene Streichung gegenüber der Vorgängerregelung des § 141m [X.] lediglich terminologisch angepasst, ohne dass mit dieser, wovon auch im Schrifttum überwiegend ausgegangen wird (vgl. [X.]/Peters-Lange [X.] Stand Juni 2014 §169 Rn. 8 f.; [X.] in [X.]/[X.]-De Caluwe/Coseriu [X.] 5. Aufl. § 169 Rn. 3), eine Änderung des [X.] verbunden gewesen wäre.

b) Für einen Übergang der Bruttolohnforderung auf die [X.] sprechen darüber hinaus Sinn und Zweck der §§ 183 ff. [X.] aF.

Das Insolvenzgeld dient nach seiner Zielsetzung der Absicherung des Arbeitsentgelts des Arbeitnehmers bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers und stellt materiell eine eigenständige Sozialversicherung dar ([X.] 8. Dezember 2010 - 5 [X.] - Rn. 19, [X.]E 136, 263). Insolvenzgeld ist kein Arbeitslohn. Es wird nicht für die Erbringung einer Arbeitsleistung, sondern wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers gezahlt (BFH 1. März 2012 - VI R 4/11 - Rn. 17, [X.] 237, 59). Ginge man von einem auf das [X.] begrenzten [X.] aus, hätte dies, verglichen mit der Situation außerhalb der Insolvenz, regelmäßig eine Besserstellung des Arbeitnehmers zur Folge: Er erhielte Insolvenzgeld, das nach § 3 Nr. 2 EStG nicht zu versteuern ist und lediglich dem Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG unterliegt (vgl. BFH 1. März 2012 - VI R 4/11 - Rn. 9, aaO). Zudem behielte er einen Anspruch auf den auf den Bruttolohn entfallenden Steueranteil. Hierin läge ein Verstoß gegen den allgemeinen Grundsatz der Schadensversicherung, das versicherte Interesse auf die Kompensation des Einkommensverlusts zu beschränken (BSG 20. Juni 2001 - B 11 AL 97/00 R - Rn. 33).

c) Der in § 187 [X.] aF geregelte, auf die monatliche Beitragsbemessungsgrenze (§ 341 Abs. 4 [X.]) begrenzte Übergang des Bruttolohnanspruchs verstößt - auch im Hinblick auf die Besonderheiten der Besteuerung von Grenzgängern - nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

aa) Der [X.] nach § 187 Satz 1 [X.] betrifft in seinen Rechtsfolgen alle Arbeitnehmer gleichermaßen. Erst die Regelungen in § 185 Abs. 1 und Abs. 2 [X.] zur Berechnung der Höhe des [X.] können aufgrund von Unterschieden der individuellen steuerlichen Situation zu Nachteilen für einzelne Arbeitnehmer führen, indem das zu zahlende Insolvenzgeld - wie bei der Klägerin als Grenzgängerin - das bisher erzielte Nettoeinkommen nicht in voller Höhe absichert.

bb) Unabhängig davon ist die typisierende Regelung des gesetzlichen Übergangs des Bruttolohnanspruchs nach § 187 [X.] zulässig, auch wenn sie für einzelne Arbeitnehmer aufgrund ihrer steuerrechtlichen Situation zu wirtschaftlichen Nachteilen führt.

(1) Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln. Er ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie einleuchtender Grund für die vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt ([X.] 2. Februar 2009 - 1 [X.] - Rn. 20, 21; 29. September 2010 - 1 BvR 1789/10 - Rn. 27 mwN).

Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche Merkmale beim Vergleich von Lebenssachverhalten er als maßgebend ansieht, um sie im Recht gleich oder verschieden zu behandeln. Art. 3 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn der Gesetzgeber es versäumt hat, Ungleichheiten der zu ordnenden Lebenssachverhalte zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsdenken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen ([X.] 3. April 2001 - 1 BvR 1629/94 - zu [X.] der Gründe, [X.]E 103, 242). Der Gesetzgeber darf sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und typisieren. Er ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen ([X.] 29. Juni 2011 - 7 [X.] - Rn. 26 mwN, [X.]E 138, 223). Innerhalb dieser Grenzen ist der Gesetzgeber in seiner Entscheidung frei.

(2) Diesen Gestaltungsspielraum hat der Gesetzgeber in § 187 Satz 1 [X.] nicht überschritten.

Die Bestimmung orientiert sich am Regelfall der im Inland steuerpflichtigen Arbeitnehmer, ohne in steuerlicher Hinsicht nach der individuellen Situation des einzelnen Arbeitnehmers, die vom Regelfall abweichen kann, zu differenzieren. Es handelt sich bei diesen Unterschieden nicht um Ungleichheiten der zu ordnenden Lebenssachverhalte, die so bedeutsam wären, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsdenken orientierten Betrachtungsweise hätten beachtet werden müssen. Zu berücksichtigen ist, dass Insolvenzgeld nicht als Gegenleistung für erbrachte Arbeit, sondern als Leistung der Sozialversicherung wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers gewährt wird. Bei der Gestaltung [X.] Sicherungssysteme steht dem Gesetzgeber ein großer Gestaltungsspielraum zu ([X.] 3. April 2001 - 1 BvR 1629/94 - zu [X.] und [X.]II 3 der Gründe, [X.]E 103, 242). Es ist deshalb hinzunehmen, wenn auch den Arbeitnehmern, deren [X.] aufgrund der in § 185 [X.] aF festgelegten [X.] nicht voll abgesichert ist, bei der Inanspruchnahme von Insolvenzgeld - infolge des gesetzlichen [X.]s - ein Zugriff auf die steuerliche Bruttorestlohnforderung nicht möglich ist. Bei Grenzgängern iSd. [X.] [X.] werden zudem hieraus resultierende Nachteile begrenzt, indem Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung, wie vorliegend das Insolvenzgeld, nach Art. 14 Abs. 2 Nr. 1 iVm. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] [X.] ausschließlich im Quellenstaat zu versteuern sind und Insolvenzgeld - wie die als Äquivalent hierfür nach § 188 [X.] von Dritten geleisteten Zahlungen auch - nach § 3 Nr. 2 EStG im Inland nicht zu versteuern ist und lediglich dem Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG unterliegt (vgl. BFH 1. März 2012 - VI R 4/11 - Rn. 9, 11, [X.] 237, 59). Die Klägerin lässt dies außer [X.], wenn sie behauptet, der Übergang der Bruttolohnforderung verstoße faktisch gegen das Verbot der Doppelbesteuerung nach dem [X.] [X.].

d) § 187 Satz 1 [X.] verstößt auch nicht gegen Art. 45 AEUV iVm. Art. 3 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 2 Verordnung ([X.]) Nr. 1612/68.

aa) Nach Art. 45 Abs. 2 AEUV ist jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen verboten. Das Diskriminierungsverbot gilt gleichermaßen für Akte der staatlichen Behörden, wie für alle die abhängige Erwerbstätigkeit kollektiv regelnden Tarifverträge und Verträge zwischen Privatpersonen. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] verbietet der sowohl in Art. 45 AEUV als auch in Art. 7 der Verordnung ([X.]) Nr. 1612/68 niedergelegte Gleichbehandlungsgrundsatz nicht nur offene Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen ([X.] 28. Juni 2012 - [X.]/11 - [[X.]] Rn. 39, 41 mwN).

Das Diskriminierungsverbot verlangt nicht nur, dass gleiche Sachverhalte nicht ungleich behandelt werden, sondern auch, dass ungleiche Sachverhalte nicht gleichbehandelt werden ([X.] 16. September 2004 - [X.]/02 - [[X.]] Rn. 22, Slg. 2004, [X.]). Eine Vorschrift des nationalen Rechts oder eine vertragliche Bestimmung ist, sofern sie nicht objektiv gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck steht, als mittelbar diskriminierend anzusehen, wenn sie sich ihrem Wesen nach eher auf [X.] als auf inländische Arbeitnehmer auswirken kann und folglich die Gefahr besteht, dass sie [X.] besonders benachteiligt ([X.] 28. Juni 2012 - [X.]/11 - [[X.]] Rn. 23). Um eine Maßnahme als mittelbar diskriminierend qualifizieren zu können, muss sie nicht bewirken, dass alle Inländer begünstigt werden oder dass unter Ausschluss der Inländer nur die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten benachteiligt werden (vgl. [X.] 14. Juni 2012 -  [X.]/09  - Rn. 38; 28. Juni 2012 - [X.]/11 - [[X.]] Rn. 41).

bb) Der [X.] nach § 187 Satz 1 [X.] betrifft in seinen Rechtsfolgen alle Arbeitnehmer - unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit - gleichermaßen. Erst die Regelungen in § 185 Abs. 1 und Abs. 2 [X.] zur Berechnung der Höhe des [X.] können zu Nachteilen für einzelne Arbeitnehmer führen. Jedoch braucht der [X.] nicht zu entscheiden, ob Art. 45 AEUV und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung ([X.]) Nr. 1612/68 einer nationalen gesetzlichen Bestimmung wie § 185 Abs. 2 Nr. 2 [X.] entgegenstehen, nach der der Betrag des als Sozialleistung gezahlten [X.] so berechnet wird, dass die geschuldete Lohnsteuer bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage des [X.] fiktiv abgezogen wird, während nach dem [X.] [X.] Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen von Arbeitnehmern, die nicht im Beschäftigungsstaat ansässig sind, nur in dem Mitgliedstaat besteuert werden, in dem sie ansässig sind (vgl. zur Berücksichtigung eines fiktiven [X.] bei der Berechnung eines vom Arbeitgeber gezahlten Aufstockungsbetrags bei Altersteilzeit [X.] 28. Juni 2012 - [X.]/11 - [[X.]] Rn. 54; vgl. zur Berücksichtigung bei der Bemessung einer vom Beschäftigungsstaat gezahlten Überbrückungsbeihilfe [X.] 16. September 2004 - [X.]/02 - [[X.]] Rn. 37, Slg. 2004, [X.] und nachgehend [X.] 10. März 2005 - 6 [X.] - zu 2 b der Gründe, [X.]E 114, 60).

Ebenso kann, bejahte man die erste Frage, offenbleiben, ob ein Verstoß gegen Art. 45 AEUV und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung ([X.]) Nr. 1612/68 auch dann festzustellen wäre, wenn die Berechnung, wie im Fall der Klägerin, einen in [X.] beschäftigten, in [X.] ansässigen und als Grenzgänger iSd. [X.] [X.] nur dort steuerpflichtigen [X.] und nicht, wie in den zitierten Entscheidungen, einen [X.] Staatsangehörigen beträfe.

Die genannten Fragen sind nicht für die hier entscheidungserhebliche Beurteilung der Reichweite des [X.]s nach § 187 Satz 1 [X.] von Bedeutung, sondern waren bei der Bemessung der Höhe des der Klägerin zustehenden [X.] zu beantworten. Diese rechtlich zu beurteilen, ist letztlich den Sozialgerichten vorbehalten. Ein Vorabentscheidungsersuchen durch die Gerichte für Arbeitssachen an den [X.] nach Art. 267 AEUV liegt deshalb außerhalb ihrer Zuständigkeit.

III. Einer Vorlage an den Großen [X.] des [X.] gemäß § 45 ArbGG bedarf es nicht. Der [X.]e [X.] des [X.] ist mit seiner beiläufigen Bemerkung in der Entscheidung vom 20. Juni 2002 (- 8 [X.] - zu II 1 der Gründe) nicht entscheidungserheblich von der Rechtsprechung des [X.]s abgewichen, denn die im Fall des [X.]en [X.]s klagende [X.] begehrte lediglich Zahlungen in Höhe des geleisteten [X.]. Der [X.]e [X.] konnte deshalb von einer Anfrage beim Fünften [X.] des [X.] und dem Elften [X.] des [X.] bzw. einer Vorlage an den Großen [X.] des [X.] oder den Gemeinsamen [X.] der obersten Gerichtshöfe des Bundes absehen.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

        

    Müller-Glöge    

        

    Biebl    

        

    Weber     

        

        

        

    Kremser     

        

   [X.]    

                 

Meta

5 AZR 283/12

25.06.2014

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Saarbrücken, 18. März 2011, Az: 3 Ca 378/10, Urteil

Art 45 AEUV, Art 3 Abs 1 EWGV 1612/68, Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68, Art 3 Abs 1 GG, Art 14 Abs 1 S 1 DBA FRA, Art 14 Abs 2 Nr 1 DBA FRA, § 21 Abs 2 Nr 2 Alt 1 InsO, § 22 Abs 1 S 1 InsO, § 38 InsO, § 53 InsO, § 55 Abs 2 S 2 InsO, § 108 Abs 3 InsO, § 179 InsO, § 180 InsO, § 187 SGB 3, § 185 Abs 1 SGB 3, § 185 Abs 2 Nr 2 SGB 3, § 341 Abs 4 SGB 3, § 115 Abs 1 SGB 10

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.06.2014, Az. 5 AZR 283/12 (REWIS RS 2014, 4613)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4613

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