Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 08.12.2010, Az. 5 AZR 111/10

5. Senat | REWIS RS 2010, 658

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Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Teilurteil des [X.] vom 17. November 2009 - 7 [X.]/09 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 23. April 2009 - 5 Ca 3260/08 - abgeändert, soweit die Beklagte verurteilt wurde, an die Klägerin [X.] Euro nebst Zinsen zu zahlen. Insoweit wird die Klage abgewiesen.

3. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die klagende [X.] nimmt die Beklagte als [X.]auptunternehmerin wegen der Leistung von Insolvenzgeld aus übergegangenem Recht nach § 1a [X.] in der vom 1. Januar 1999 bis zum 1. März 2006 bzw. 1. April 2006 bis zum 30. Juni 2007 geltenden Fassung (im Folgenden: [X.] aF) in Anspruch.

2

Die Beklagte ist ein Bauunternehmen und führte das Bauvorhaben „[X.]“ durch. Sie betraute die [X.]IB (im Folgenden: [X.]IB) mit der Ausführung von Beton- und Stahlbetonarbeiten. Über das Vermögen der [X.]IB wurde mit Beschluss des [X.] vom 16. Mai 2006 das Insolvenzverfahren eröffnet.

3

Die Klägerin gewährte 26 Arbeitnehmern der [X.]IB Insolvenzgeld und meldete am 26. Juni 2006 übergegangene Ansprüche auf Arbeitsentgelt i[X.]v. insgesamt 155.072,21 Euro zur Tabelle an. Mit Schreiben vom 2. Oktober 2008 machte sie gegenüber der Beklagten einen Anspruch nach § 1a [X.] aF i[X.]v. 40.866,92 Euro geltend.

4

Mit ihrer am 5. November 2008 eingereichten Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die 26 Arbeitnehmer der [X.]IB, denen sie Insolvenzgeld gewährte, seien im Insolvenzgeldzeitraum auf dem genannten Bauvorhaben beschäftigt gewesen. Die Ansprüche der Arbeitnehmer gegen die Beklagte aus § 1a [X.] aF seien nach § 187 [X.] auf sie übergegangen.

5

Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 40.422,14 Euro nebst Zinsen in [X.]öhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

6

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die [X.]aftung nach § 1a [X.] aF gehe nicht auf die [X.] über. Das ergebe sich aus dem Schutzzweck der Vorschrift und aus ihren Grundrechten. Zudem hat sie sich auf den Verfall der Ansprüche berufen.

7

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das [X.] hat die Berufung der Beklagten durch Teilurteil hinsichtlich eines Betrags von [X.] Euro nebst Zinsen zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

8

I. Die Revision ist zulässig.

9

Der Revisionsantrag (§ 551 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) ist hinreichend bestimmt. Die Beklagte begehrt die Aufhebung des Berufungsurteils und die Abweisung der Klage, soweit das [X.] in seinem Teilurteil die Berufung der Beklagten gegen das der Klage stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts hinsichtlich einer Verurteilung zur Zahlung von [X.] Euro nebst Zinsen zurückgewiesen hat. Bei diesem Betrag handelt es sich um einen bestimmbaren Teil der Klageforderung, nämlich jeweils die Hälfte der den [X.] an die 26 Arbeitnehmer der [X.] zugrunde liegenden Einzelansprüche dieser Arbeitnehmer auf ihren monatlichen Mindestlohn im jeweiligen Insolvenzgeldzeitraum, die die Beklagte in der Berufungsverhandlung „unstreitig“ gestellt hatte.

II. Die Revision der Beklagten ist begründet. Das [X.] hat die Berufung der Beklagten zu Unrecht zurückgewiesen.

1. Der Anspruch eines Arbeitnehmers des [X.] gegen den Hauptunternehmer nach § 1a [X.] aF - sein Bestehen auch in der Insolvenz des [X.] zugunsten der Klägerin unterstellt - geht weder unmittelbar nach § 187 Satz 1 SGB [X.] noch iVm. §§ 412, 401 Abs. 1 BGB auf die Klägerin über.

a) Gemäß § 187 Satz 1 SGB [X.] gehen mit dem Antrag auf Insolvenzgeld auf die [X.] über die Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die einen Anspruch auf Insolvenzgeld begründen. Das ist der (Mindest-)Lohnanspruch des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber (vgl. § 183 Abs. 1 SGB [X.]; [X.] in [X.]. § 183 Rn. 61), nicht aber die Haftung nach § 1a [X.] aF. Letztere begründet keinen Anspruch auf Insolvenzgeld. Soweit die Entscheidungen des Senats vom 12. Januar 2005 (- 5 [X.] - zu [X.] 2 b bb (1) und [X.] 2 c [X.] (4) der Gründe, [X.], 149 und - 5 [X.] - zu V 2 [X.] (1) und V 2 c [X.] (4) der Gründe, [X.] [X.] § 1a Nr. 7) dahingehend verstanden werden könnten, der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Hauptunternehmer aus § 1a [X.] aF gehe nach § 187 Satz 1 SGB [X.] auf die [X.] über, hält der Senat daran nicht fest.

b) Der Übergang der Haftung nach § 1a [X.] aF vollzieht sich auch nicht aufgrund von §§ 412, 401 Abs. 1 BGB. Nach § 412 BGB findet auf die Übertragung einer Forderung kraft Gesetzes ua. die Vorschrift des § 401 Abs. 1 BGB entsprechende Anwendung. Danach gehen mit der abgetretenen Forderung die Hypotheken, Schiffshypotheken oder Pfandrechte, die für sie bestehen, sowie die Rechte aus einer für sie bestellten Bürgschaft auf den neuen Gläubiger über.

Die Haftung nach § 1a [X.] aF ist keine iSd. § 401 Abs. 1 BGB bestellte Bürgschaft, sondern eine gesetzlich angeordnete Bürgenhaftung (vgl. [X.] 2. August 2006 - 10 [X.] - Rn. 14, [X.]E 119, 170; [X.] in Thüsing [X.] § 14 Rn. 3). Es ist zwar allgemein anerkannt, dass die Aufzählung in § 401 Abs. 1 BGB nicht abschließend ist und die analoge Anwendung der Vorschrift auf nicht ausdrücklich genannte Nebenrechte im Gesetzgebungsverfahren als selbstverständlich vorausgesetzt wurde. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift erfasst sie auch andere unselbständige Sicherungsrechte sowie Hilfsrechte, die zur Durchsetzung der Forderung erforderlich sind ([X.] Dezember 2006 - [X.]/04 - ZInsO 2007, 94; 19. März 1998 - [X.] - [X.], 179; ähnlich [X.] 23. Januar 1990 - 3 [X.] - zu [X.] 2 b der Gründe, [X.]E 64, 62). Die Haftung nach § 1a [X.] aF ist aber im Verhältnis zum Mindestlohnanspruch des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber nicht als ein solches Nebenrecht anzusehen (aA, jedoch ohne Begründung, [X.]/Lakies [X.] 2. Aufl. [X.]. 2 zu § 5 [X.] Rn. 14; [X.]/[X.]/Hold [X.] 2. Aufl. § 1a Rn. 25; [X.] [X.] § 14 Rn. 23; Voelzke in [X.]/Noftz SGB [X.] Stand Dezember 2010 § 187 Rn. 27). Zur Durchsetzung des Mindestlohnanspruchs des Arbeitnehmers ist der Übergang der gesetzlich angeordneten Bürgenhaftung nicht erforderlich, denn mit dem Insolvenzgeld ist dem Arbeitnehmer in diesem Umfange die Erfüllung seines Anspruchs gewiss.

Zudem ergibt sich dieses Ergebnis aus den Normzwecken des § 1a [X.] aF. § 401 Abs. 1 BGB bezweckt, dass bei der Übertragung einer Forderung die mit ihr verbundenen rechtlichen Vergünstigungen und Vorteile auch dem neuen Gläubiger erhalten bleiben (MünchKommBGB/[X.] 5. Aufl. § 401 BGB Rn. 1). Bei der Abtretung der Hauptforderung gehen deshalb solche Nebenrechte auf den neuen Gläubiger über, die zwar nicht in § 401 Abs. 1 BGB ausdrücklich genannt sind, aber gleichwohl der Verwirklichung und Sicherung der Hauptforderung dienen ([X.]/[X.] Neubearbeitung 2005 § 401 BGB Rn. 28). Über den Zweck des § 401 Abs. 1 BGB geht die Haftung des [X.] nach § 1a [X.] aF jedoch hinaus. Sie ist kein bloßes Hilfsrecht zur Durchsetzung des Mindestlohnanspruchs aus dem Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Nachunternehmer, sondern verschafft dem Arbeitnehmer einen weiteren Schuldner, den er unmittelbar in Anspruch nehmen kann. Die Haftung nach § 1a [X.] aF dient nicht nur der Sicherung des Lohnanspruchs des Arbeitnehmers gegen den Nachunternehmer als seinem Arbeitgeber. Sie soll zwar auch sicherstellen, dass die Arbeitnehmer des [X.] unabhängig von den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen den rechtlich garantierten Mindestlohn tatsächlich durchsetzen können und tatsächlich erhalten, sie verfolgt aber zugleich präventive Zwecke. Seine Haftung nach § 1a [X.] aF soll den Hauptunternehmer veranlassen, bei der Vergabe von Aufträgen an Nachunternehmer verstärkt auf deren Zuverlässigkeit zu achten und so dazu beizutragen, dass zwingende Mindestarbeitsbedingungen eingehalten werden ([X.] 20. März 2007 - 1 BvR 1047/05 - zu [X.] 2 [X.] (2) (b) der Gründe, [X.] GG Nr. 9). Außerdem wollte der Gesetzgeber damit Schwarzarbeit in der Bauwirtschaft verhindern, mehr Arbeitsplätze schaffen und [X.] unterbinden, die kleinere und mittlere Betriebe in der Vergangenheit vom Markt gedrängt hatte (vgl. [X.] 20. März 2007 - 1 BvR 1047/05 - zu [X.] 2 [X.] (1) (a) der Gründe, aaO; BT-Drucks. 14/45 S. 17; [X.] 12. Januar 2005 - 5 [X.] - zu [X.] 2 [X.] (1) der Gründe, [X.], 149). Das verbietet es, die Haftung des [X.] nach § 1a [X.] aF als bloßes Nebenrecht zum Mindestlohnanspruch des Arbeitnehmers gegen den Nachunternehmer anzusehen und schließt die analoge Anwendung des § 401 Abs. 1 BGB aus.

2. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die Haftung des [X.] nach § 1a [X.] aF entsprechend dem Gesetzeswortlaut auch im Falle der Insolvenz des [X.] besteht oder dem Art. 12 Abs. 1 GG entgegensteht (ausdrücklich offengelassen in [X.] 20. März 2007 - 1 BvR 1047/05 - zu [X.] 2 [X.] (4) (b) der Gründe, [X.] GG Nr. 9).

[X.]. Die Klägerin hat gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen. Über die erst- und zweitinstanzlichen Kosten wird das [X.] in seinem Schlussurteil zu entscheiden haben.

        

    Müller-Glöge    

        

    Laux    

        

    Biebl    

        

        

        

    Feldmeier    

        

    Mandrossa    

                 

Meta

5 AZR 111/10

08.12.2010

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Regensburg, 23. April 2009, Az: 5 Ca 3260/08, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 08.12.2010, Az. 5 AZR 111/10 (REWIS RS 2010, 658)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 658

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