Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 09.09.2021, Az. 2 C 4/20

2. Senat | REWIS RS 2021, 2731

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Gegenstand

Geltung des Versorgungsfallprinzips auch für Versorgungsansprüche von Soldaten


Leitsatz

1. Der Grundsatz, dass für die Beurteilung versorgungsrechtlicher Ansprüche die Rechtslage im Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand maßgeblich ist (Versorgungsfallprinzip), gilt gleichermaßen im Beamten- wie im Soldatenversorgungsrecht.

2. Die Regelung über die Berücksichtigung von Zeiten besonderer Auslandsverwendungen bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeiten (§ 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011) gilt nicht für vor dem Inkrafttreten der Norm in den Ruhestand getretene Soldaten. Dies begegnet - auch mit Blick auf die besonderen Altersgrenzen von Soldaten und unter dem Gesichtspunkt der Altersdiskriminierung - weder verfassungs- noch unionsrechtlichen Bedenken.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 18. Dezember 2019 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein Soldat im Ruhestand, beantragt das Wiederaufgreifen des Verfahrens und die Neufestsetzung seines Ruhegehalts unter doppelter Berücksichtigung seiner vor dem 1. Dezember 2002 liegenden [X.]en besonderer Auslandsverwendungen.

2

Der Kläger stand seit Oktober 1990 im Dienst der [X.], seit Januar 1993 als Berufssoldat, zuletzt als Stabsfeldwebel (Besoldungsgruppe [X.]). Er absolvierte Auslandseinsätze in der [X.] von Februar bis Mai 1996 ([X.]), von November 1998 bis März 1999 ([X.]), von November 2001 bis Mai 2002 ([X.]) und vom Juni bis September 2006 ([X.]) mit insgesamt 477 Einsatztagen. Mit Ablauf des 31. März 2008 trat er mit Erreichen der besonderen gesetzlichen Altersgrenze in den Ruhestand. Durch bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 26. März 2008 setzte die Wehrbereichsverwaltung die Versorgungsbezüge des [X.] fest; eine besondere Berücksichtigung von Auslandszeiten erfolgte hierbei nicht.

3

Im Februar 2017 beantragte der Kläger die Neuberechnung seiner Versorgungsbezüge unter doppelter Berücksichtigung sämtlicher geleisteter Auslandseinsätze. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab; der Widerspruch des [X.] blieb ohne Erfolg.

4

Auf die dagegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, nach Aufhebung der angefochtenen Bescheide über das Ruhegehalt des [X.] mit Wirkung ab Februar 2017 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Der Versorgungsfestsetzungsbescheid sei ursprünglich rechtmäßig gewesen, jedoch mit Inkrafttreten des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG am 13. Dezember 2011 rechtswidrig geworden, weil er die dort vorgesehene Berücksichtigung von Einsatzzeiten im Ausland nicht beinhalte.

5

Das Oberverwaltungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des durch bestandskräftig gewordenen Bescheid abgeschlossenen Verfahrens der Festsetzung seiner Versorgungsbezüge. Es spreche zwar viel dafür, dass insoweit auch Auslandseinsatzzeiten, die vor Inkrafttreten des § 63c SVG am 1. Dezember 2002 absolviert worden seien, zu berücksichtigen seien und damit die in der Vorschrift bezeichneten Einsatzvoraussetzungen - in der Zusammenschau der vier vom Kläger absolvierten Auslandseinsätze vor und nach diesem Datum auch hinsichtlich der erforderlichen Gesamtdauer - erfüllt wären. Darauf komme es indes nicht an, weil maßgeblich für die versorgungsrechtliche Beurteilung die Rechtslage im [X.]punkt des Eintritts des [X.] in den Ruhestand mit Ablauf des 31. März 2008 sei (sog. Versorgungsfallprinzip). Nach diesem Grundsatz richte sich die Berechnung des Ruhegehalts auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge und der ruhegehaltfähigen Dienstzeit nach dem zum [X.]punkt des Eintritts in den Ruhestand geltenden Recht, soweit nicht [X.] etwas Anderes regelten.

6

Mit seiner Revision beantragt der Kläger,

das Urteil des [X.] vom 18. Dezember 2019 sowie den Bescheid der [X.] vom 7. Juni 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Juli 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über die Versorgungsbezüge des [X.] mit Wirkung ab Februar 2017 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden und dabei die Einsatzzeiten des [X.] vom 2. Februar 1996 bis 6. Mai 1996, vom 12. November 1998 bis 11. März 1999, vom 26. November 2001 bis 26. Mai 2002 und vom 29. Juni 2006 bis 30. September 2006 als doppelt ruhegehaltfähig zu berücksichtigen und die Berufung der [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 16. August 2018 zurückzuweisen.

7

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

8

Der Vertreter des [X.] beim [X.] unterstützt den Antrag der [X.].

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision des [X.] ist unbegründet. Das Berufungsurteil verletzt kein Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der entscheidungserhebliche Rechtssatz des Berufungsurteils, dass sich das Entstehen und die Berechnung des Ruhegehalts eines Soldaten nach dem zum Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand geltenden Rechts richtet, soweit nicht [X.] etwas Anderes regeln, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

1. Der Kläger hat nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des durch Bescheid vom 26. März 2008 bestandskräftig abgeschlossenen Verfahrens der Festsetzung seiner Versorgungsbezüge, weil sich die der Festsetzung dieser Versorgungsbezüge zugrundeliegende Rechtslage nicht nachträglich zu seinen Gunsten geändert hat. Die mehr als drei Jahre nach Bestandskraft des Versorgungsfestsetzungsbescheids aufgrund des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgung bei besonderen Auslandsverwendungen ([X.]) vom 5. Dezember 2011 ([X.] 2458 - [X.] 2011) am 13. Dezember 2011 in [X.] getretene Regelung des § 25 Abs. 2 Satz 3 [X.] ändert die Rechtslage nicht nachträglich zugunsten des [X.].

a) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 [X.] in der Bekanntmachung der Neufassung vom 16. September 2009 ([X.] 3054 - [X.] 2009) besteht nach Eintritt oder Versetzung in den Ruhestand Anspruch auf Ruhegehalt. Das Ruhegehalt wird auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge und der ruhegehaltfähigen Dienstzeit berechnet (§ 16 [X.] 2009). Entsprechende Regelungen enthalten die inhaltsgleichen Bestimmungen in § 4 Abs. 2 und 3 [X.]. Maßgeblich für die Beurteilung der versorgungsrechtlichen Ansprüche eines Soldaten und Beamten ist danach die Rechtslage im Zeitpunkt seiner Zurruhesetzung (sog. Versorgungsfallprinzip). Dieser Grundsatz entspricht der Rechtsprechung des [X.] ([X.], Beschluss vom 23. Mai 2017 - 2 BvL 10/11 u.a. - [X.]E 145, 249 Rn. 8) ebenso wie der ständigen höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung im Versorgungsrecht der Soldaten und Beamten (vgl. [X.], Beschluss vom 22. April 1996 - 2 B 86.95 - juris Rn. 8, Urteile vom 12. November 2009 - 2 [X.] 29.08 - [X.] 239.1 § 14a [X.] Nr. 5 Rn. 9 und vom 25. August 2011 - 2 [X.] 22.10 - [X.] 239.1 § 5 [X.] Nr. 20 Rn. 8, Beschluss vom 14. Juni 2012 - 2 B 13.12 - juris Rn. 9 und Urteil vom 7. Oktober 2020 - 2 [X.] 1.19 - [X.]E 169, 336 Rn. 24 ff.; [X.], Urteil vom 29. Juni 2012 - 4 B 2.10 - juris Rn. 21 f.; [X.], Urteil vom 22. März 2017 - 4 S 791/16 - [X.] 2018, 188 Rn. 13; [X.], Beschluss vom 19. September 2017 - 3 [X.] - juris Rn. 9; [X.], Urteil vom 10. März 2016 - 2 LB 17/15 - juris Rn. 26; [X.], Urteil vom 9. Dezember 2014 - 2 A 10965/13 - juris Rn. 22). Daran hält der Senat fest.

[X.] steht insbesondere nicht entgegen, dass ein Versorgungsfestsetzungsbescheid - unabhängig davon, ob er nach § 49 Abs. 1 Satz 1 [X.] oder der inhaltsgleichen Regelung in § 46 Abs. 1 Satz 1 [X.] 2009 ergangen ist - ein Dauerverwaltungsakt ist ([X.], Urteil vom 28. Juni 2012 - 2 [X.] 13.11 - [X.]E 143, 230 Rn. 15 zu einem nach § 49 [X.] ergangenen Versorgungsfestsetzungsbescheid). Denn die Regel, dass [X.] nach der im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bestehenden Sach- und Rechtslage zu beurteilen sind, steht unter dem Vorbehalt abweichender gesetzlicher Bestimmungen ([X.], Beschluss vom 5. Januar 2012 - 8 B 62.11 - [X.] 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 39 Rn. 13). Eine solche abweichende Bestimmung enthält die mit § 4 Abs. 2 [X.] inhaltsgleiche Regelung des § 15 Abs. 1 Satz 1 [X.] 2009, die festlegt, dass grundsätzlich nach Eintritt oder Versetzung in den Ruhestand Anspruch auf Ruhegehalt besteht. Damit erklärt das Gesetz die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu Beginn des Ruhestands für die Berechnung des Ruhegehaltsanspruchs nach § 16 [X.] 2009 für maßgeblich (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Oktober 2018 - 1 L 112/18 - juris Rn. 5).

b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Regelung über Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung gemäß § 25 Abs. 2 Satz 3 [X.] 2011.

aa) Dem Wortlaut von § 25 Abs. 2 Satz 3 [X.] 2011 kann keine Regelung dahingehend entnommen werden, dass abweichend vom Versorgungsfallprinzip eine doppelte Berücksichtigung besonderer Auslandsverwendungen bei der Bemessung der Versorgungsbezüge auch dann erfolgen soll, wenn der Versorgungsfall bereits vor dem Inkrafttreten der Vorschrift - am 13. Dezember 2011 - eingetreten ist. Im Versorgungsrecht der Soldaten wie dem der Beamten finden sich zahlreiche Übergangsregelungen, die jeweils ausdrücklich als solche bezeichnet sind (vgl. etwa §§ 94 ff. [X.] und §§ 69 ff. [X.]). Eine solche Regelung findet sich in Bezug auf den zeitlichen Geltungsbereich von § 25 Abs. 2 Satz 3 [X.] 2011 nicht. Sie ist auch nicht in der Bezugnahme auf die Legaldefinition der "besonderen Auslandsverwendung" in § 63c Abs. 1 [X.] 2009 enthalten.

Im Übrigen gibt es im Beamtenversorgungsrecht eine Parallelvorschrift zu § 25 Abs. 2 Satz 3 [X.] 2011, nämlich § 13 Abs. 3 Satz 1 [X.]. Auch diese Vorschrift ist mit Wirkung vom 13. Dezember 2011 - damals als § 13 Abs. 2 Satz 3 [X.] - in das Gesetz eingefügt worden. Wenn für Beamte, die vor diesem Stichtag in den Ruhestand versetzt wurden, diese Vorschrift wegen des Versorgungsfallprinzips nicht zur Anwendung kommt, dann muss dies wegen derselben Rechtslage in gleicher Weise auch für Soldaten gelten.

bb) Auch die gesetzliche Systematik rechtfertigt kein abweichendes Ergebnis. Aus den Regelungen über die Höhe des Ruhegehalts nach § 26 Abs. 2 und 3 [X.] 2009 ergibt sich nicht, dass der Gesetzgeber die sich aus dem Erreichen der besonderen Altersgrenzen für Soldaten ergebenden Nachteile im Verhältnis zur Versorgungsrechtslage von Beamten bei Erreichen der für sie geltenden allgemeinen Altersgrenze ausgleichen wollte. Denn auch das Beamtenrecht kennt besondere Altersgrenzen, im Bundesrecht etwa für Polizeivollzugsbeamte nach § 5 Abs. 1 und 2 BPolBG oder für Feuerwehrbeamte nach § 51 Abs. 3 [X.] die Vollendung des 60. bis 62. Lebensjahres. Auch dem Landesbeamtenrecht sind besondere Altersgrenzen nicht fremd, etwa für Polizeivollzugsbeamte und Beamte des Vollzugsdienstes und des Werkdienstes im Justizvollzug und des [X.] (vgl. etwa § 114 Abs. 1 und 2, § 117 Abs. 1 LBG [X.], § 112 Abs. 1 [X.], § 36 Abs. 3 [X.], 62. Lebensjahr) sowie für Feuerwehrbeamte (vgl. bspw. § 116 Abs. 3 LBG [X.], § 113 [X.], § 36 Abs. 3a [X.], 60. Lebensjahr). Für diese Beamtengruppen kennt das Versorgungsrecht der Beamten dem Versorgungsrecht der Soldaten in § 26 [X.] 2009 inhaltlich entsprechende [X.] (vgl. im Bundesrecht § 48 [X.] und im Landesrecht etwa § 56a L[X.] [X.], § 21 H[X.] und § 76 L[X.] BW).

cc) Aus der Entstehungsgeschichte zum [X.], mit dem § 25 Abs. 2 Satz 3 [X.] im Dezember 2011 in das Soldatenversorgungsgesetz eingefügt wurde, lassen sich ebenfalls keine Anhaltspunkte für eine Erstreckung des zeitlichen Anwendungsbereichs auf bereits im Ruhestand befindliche Soldaten entnehmen. Die Begründung des Gesetzentwurfs (vgl. [X.]. 17/7143 S. 14) erweist sich insoweit als unergiebig, weil sie zur Frage der zeitlichen Geltung des § 25 Abs. 2 Satz 3 [X.] insgesamt keine Angaben enthält. Auch der Einzelbegründung zu § 25 Abs. 2 Satz 3 [X.] (vgl. [X.]. 17/7143 S. 15) lässt sich keine Aussage zum zeitlichen Anwendungsbereich, mithin auch keine Anordnung der Rückwirkung auf bereits im Ruhestand befindliche Soldaten entnehmen.

[X.]) Eine andere Auslegung legen schließlich auch Sinn und Zweck von § 25 Abs. 2 Satz 3 [X.] 2011 nicht nahe. Das gilt insbesondere für die von der Revision angeführten Gesichtspunkte der Altersdiskriminierung und der Verletzung des Gleichbehandlungsgebots (Art. 3 Abs. 1 GG) im Hinblick auf die besonderen Altersgrenzen für Berufssoldaten nach § 45 Abs. 2 [X.]. Die unterschiedliche versorgungsrechtliche Behandlung von vor Inkrafttreten der Regelung des § 25 Abs. 2 Satz 3 [X.] 2011 im Verhältnis zu den nach dem 13. Dezember 2011 in den Ruhestand getretenen Berufssoldaten ist sachlich gerechtfertigt. Denn sie knüpft nicht an das jeweilige Alter der Soldaten im Ruhestand an, sondern an den unterschiedlichen Zeitpunkt ihres Eintritts in den Ruhestand - vor oder nach dem 13. Dezember 2011. Das schließt eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG ebenso aus wie eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters nach §§ 1 und 3 Abs. 1 AGG und Art. 2 Abs. 2 Buchst. a RL 2000/78/[X.] vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. L 303 S. 16), ungeachtet der Frage, ob diese Richtlinie auf Soldaten anzuwenden ist (vgl. Art. 3 Abs. 4 RL 2000/78/[X.], § 24 AGG, siehe dazu [X.], 9. Aufl. 2021, § 24 AGG Rn. 6 f.).

Auch für eine mittelbare Diskriminierung der Soldaten nach §§ 1 und 3 Abs. 2 AGG und Art. 2 Abs. 2 Buchst. a RL 200o/78/[X.] - unterstellt diese Vorschriften seien auf Soldaten überhaupt anwendbar (dagegen [X.], Beschluss vom 27. August 2015 - 1 WB 25.15 - [X.] 2015, 255 <256>) - ist nichts ersichtlich. Die besonderen Altersgrenzen - hier für Berufssoldaten nach § 45 Abs. 2 [X.] - stellen zwar eine mittelbare Benachteiligung wegen des Alters im Sinne von § 3 Abs. 2 AGG dar. Nach § 10 Satz 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters indes zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen nach § 10 Satz 2 AGG angemessen und erforderlich sein. § 10 Satz 3 AGG enthält eine - nicht abschließende - Aufzählung von Tatbeständen, wonach derartige unterschiedliche Behandlungen gerechtfertigt sein können. Nach § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG ist dies der Fall bei der Festsetzung von Altersgrenzen bei den betrieblichen Systemen der [X.] Sicherheit als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität einschließlich der Festsetzung unterschiedlicher Altersgrenzen im Rahmen dieser Systeme für bestimmte Beschäftigte oder Gruppen von Beschäftigten und die Verwendung von Alterskriterien im Rahmen dieser Systeme für versicherungsmathematische Berechnungen. In dem der Gesetzgeber den in Nr. 4 geregelten Tatbestand in die Rechtfertigungsgründe des § 10 Satz 3 AGG eingeordnet hat, hat er zum Ausdruck gebracht, dass er die Festsetzung von besonderen Altersgrenzen für die Zurruhesetzung aufgrund besonderer körperlicher Belastungen der Dienstverrichtung als grundsätzlich objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel i.S.v. § 10 Satz 1 AGG gerechtfertigt ansieht.

Das alles ist mit Unionsrecht vereinbar. Denn für die besondere Altersgrenze von Mitgliedern der Berufsfeuerwehr und Verkehrspiloten hat der [X.] (jeweils [X.], Urteile vom 12. Januar 2010 - [X.]-229/08, [X.] - NVwZ 2010, 244 Rn. 41 und vom 13. September 2011 - [X.]-447/09, [X.] u.a. - [X.], 1039 Rn. 67) entschieden, dass es im Fall der Verkehrspiloten wesentlich ist, dass sie insbesondere über besondere körperliche Fähigkeiten verfügen, da körperliche Schwächen in diesen Berufen beträchtliche Konsequenzen haben können und diese Fähigkeiten unbestreitbar auch mit zunehmendem Alter abnehmen. Daraus folgt, dass für die Ausübung dieser Berufe das Vorhandensein besonderer körperlicher Fähigkeiten als eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung i.S.v. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/[X.] angesehen werden kann und dass diese Fähigkeiten altersabhängig sind. Diese Rechtsprechung zu den besonderen körperlichen Fähigkeiten, derer Feuerwehrmänner und Verkehrspiloten bedürfen, lässt sich ohne Weiteres auf die an Berufssoldaten zu stellenden besonderen körperlichen Anforderungen übertragen.

Für die versorgungsrechtliche Anknüpfung an den Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand sprechen schließlich zwei weitere rechtliche Gesichtspunkte. Zum einen ist dies die Rechtsklarheit, die den betroffenen Soldaten und Beamten eine Prüfung ihres Versorgungsanspruchs erleichtert. Zum anderen vermittelt die Anknüpfung an den konkreten Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand sowohl den Soldaten und Beamten wie auch ihren Dienstherrn Rechtssicherheit.

2. Der Kläger hat des Weiteren keinen Anspruch auf die beanspruchte Neuregelung seiner Versorgung im Wege eines Wiederaufgreifens im weiteren Sinne gemäß § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG. Die Beklagte ist, unabhängig von der Frage ihres [X.], schon deshalb nicht zu einer Neuentscheidung über seine Versorgung verpflichtet, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG nicht vorliegen. Der bestandskräftig gewordene Versorgungsfestsetzungsbescheid vom 26. März 2008 ist nicht rechtswidrig (geworden). Er entspricht vielmehr - wie unter 1. dargelegt - der im Zeitpunkt des Eintritts des [X.] in den Ruhestand geltenden Rechtslage. Der Bescheid hat danach die Zeiten besonderer Auslandsverwendungen nicht bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt. Die hierfür erforderliche rechtliche Grundlage ist vielmehr mit § 25 Abs. 2 Satz 3 [X.] 2011 nur für solche Soldaten geschaffen worden, die nach dessen Inkrafttreten am 13. Dezember 2011 in den Ruhestand eingetreten sind. Zwar kann diese differenzierte zeitliche Anwendung der Vorschrift des § 25 Abs. 2 Satz 3 [X.] 2011 dazu führen, dass Zeiten besonderer Auslandsverwendungen von Soldaten, die - zugespitzt - im selben Auslandseinsatz im selben Zeitraum verwendet wurden, bei dem einem, vor dem 13. Dezember 2011 in den Ruhestand eingetretenen Soldaten nur einfach berücksichtigt werden, bei einem anderen, nach dem 13. Dezember 2011 in den Ruhestand eingetretenen Soldaten hingegen doppelt. Dies ist aber aus den oben unter 1 b) [X.]) genannten Gründen rechtlich nicht zu beanstanden.

3. [X.] beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Meta

2 C 4/20

09.09.2021

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Sächsisches Oberverwaltungsgericht, 18. Dezember 2019, Az: 2 A 1193/18, Urteil

§ 25 Abs 2 S 3 SVG vom 05.12.2011, § 48 Abs 1 S 1 VwVfG, § 51 Abs 5 VwVfG, § 51 Abs 1 Nr 1 VwVfG, § 15 Abs 1 S 1 SVG vom 16.09.2009, § 63c Abs 1 SVG vom 16.09.2009, § 4 Abs 2 BeamtVG, § 13 Abs 3 S 1 BeamtVG, § 1 AGG, § 3 Abs 2 AGG, § 10 S 1 AGG, § 10 S 3 Nr 4 AGG, Art 2 Abs 2 EGRL 78/2000, Art 4 Abs 1 EGRL 78/2000

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 09.09.2021, Az. 2 C 4/20 (REWIS RS 2021, 2731)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 2731

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