Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.07.2020, Az. 1 StR 196/20

1. Strafsenat | REWIS RS 2020, 1932

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Gegenstand

Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs durch das Revisionsgericht: Begründungserfordernis bei Verhängung einer identischen Strafe durch den neuen Tatrichter


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 20. Dezember 2019 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hatte den Angeklagten mit Urteil vom 24. Januar 2018 wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt, von einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgesehen und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat mit Beschluss vom 31. Juli 2018 (1 [X.]) dieses Urteil mit den Feststellungen - mit Ausnahme der Adhäsionsentscheidung - aufgehoben; die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen blieben aufrechterhalten. Nunmehr hat das [X.] den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen wiederum zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt.

2

Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] vom 18. Mai 2020 unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

3

Die Rechtsfolgenentscheidung des [X.]s ist rechtsfehlerhaft. Sowohl der Strafausspruch als auch die Entscheidung über die [X.] der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) sind durchgreifend rechtsfehlerhaft.

4

1. Der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

5

a) Der Senat hatte das frühere Urteil im Schuldspruch aufgehoben, weil das [X.] das Vorliegen des [X.] der niedrigen Beweggründe nicht tragfähig mit einer notwendigen Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des [X.] maßgeblichen Faktoren begründet hatte. Im neuen Urteil ist das [X.] nunmehr rechtsfehlerfrei zu einem Schuldspruch wegen versuchten Totschlags gelangt. Trotz des damit veränderten Schuldspruchs und dem daraus folgenden geringeren Strafrahmen hat das [X.] die identische Strafe wie bei der ersten Verurteilung verhängt.

6

b) Zwar ist die Strafzumessung in der aufgehobenen Entscheidung kein Maßstab für die Bemessung der Strafe in dem neuen Urteil. [X.] jedoch der neu entscheidende Strafrichter eine gleich hohe Strafe wie im früheren Urteil für erforderlich, so hat er dies, insbesondere wenn er - wie hier - von einem niedrigeren Strafrahmen ausgeht, eingehend zu begründen ([X.], Beschlüsse vom 10. Oktober 1990 - 2 StR 446/90 Rn. 3; vom 20. April 1989 - 4 StR 149/89 Rn. 4 und vom 20. August 1982 - 2 StR 296/82 Rn. 8).

7

Diesem Erfordernis wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Den Ausführungen des [X.]s lässt sich nicht entnehmen, aus welchen Gründen es trotz des reduzierten Strafrahmens auf eine gleichhohe Strafe wie im früheren Urteil erkannt hat.

8

2. Auch die [X.] der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Insbesondere die Verneinung des Vorliegens eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen Hang und Tat ist nicht frei von Rechtsfehlern.

9

a) Ein symptomatischer Zusammenhang zwischen Hang und Tat liegt vor, wenn der Hang allein oder zusammen mit anderen Umständen dazu beigetragen hat, dass der Täter eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 18. Dezember 2019 - 2 StR 331/19 Rn. 8; vom 6. November 2013 ‒ 5 StR 432/13 Rn. 4 und vom 25. November 2015 ‒ 1 StR 379/15 Rn. 8); mithin die konkrete Tat in dem Hang ihre Wurzel findet (vgl. [X.], Beschluss vom 28. August 2013 ‒ 4 StR 277/13, [X.], 75). Die hangbedingte Gefährlichkeit muss sich in der konkreten Tat äußern (vgl. [X.], Urteil vom 7. Dezember 2017 ‒ 1 StR 320/17 Rn. 42). Dabei ist nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige Ursache für die [X.] ist. ´

b) Soweit das [X.] hier ([X.]) - nach zutreffender Bejahung eines Hangs des Angeklagten zum [X.] alkoholischer Getränke ‒ einen solchen Zusammenhang zwischen Hang und Tat allein wegen der Konflikttat und der narzisstischen Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten verneint und davon ausgeht, dass dessen Alkoholisierung, die zum Tatzeitpunkt mit einer wahrscheinlichen [X.] von mindestens 2,13 Promille bis maximal 3,03 Promille ([X.]) angenommen wird, nicht ursächlich für die Tatbegehung war, lassen diese Ausführungen besorgen, dass das [X.] von einem zu engen und deshalb rechtsfehlerhaften Verständnis von dem erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Hang zum übermäßigen [X.] von Rauschmitteln und der [X.] ausgegangen ist. Insbesondere hat das [X.] verkannt, dass hierfür bereits eine Mitursächlichkeit und ein Einfluss des Hangs auf die Intensität der Tatausführung ausreicht. Bei einer Tatbegehung mit einem erheblich über 2 Promille liegenden [X.] liegt ein symptomatischer Zusammenhang nahe, wenn der Täter - wie hier - erheblich unter dem Einfluss desjenigen berauschenden Mittels stand, hinsichtlich dessen auch sein Hang besteht. Das [X.] hätte sich jedenfalls mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die festgestellte alkoholbedingte Enthemmung des Angeklagten Auswirkungen auf die Tatintensität hatte.

3. Ergänzend weist der Senat für die neue Hauptverhandlung darauf hin, dass die Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zu prüfen sein wird. Nachdem die Aufhebung des [X.] mit Senatsbeschluss vom 31. Juli 2018 erfolgte, die neue Hauptverhandlung aber erst nach einem Zeitablauf von fast 18 Monaten terminiert wurde, obwohl sich der Angeklagte seit 14. Mai 2017 ununterbrochen in Untersuchungshaft befindet, drängt sich hier das Vorliegen einer solchen Verfahrensverzögerung auf. Damit hat sich das [X.] bisher nicht auseinandergesetzt.

4. Der Senat hielt es für angebracht, das Verfahren an ein anderes [X.] zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).

Raum     

        

Fischer     

        

Bär     

        

Hohoff     

        

Pernice     

        

Meta

1 StR 196/20

08.07.2020

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Ulm, 20. Dezember 2019, Az: 31 Js 9891/17 - 3 Ks

§ 267 StPO, § 349 Abs 4 StPO, § 22 StGB, § 23 StGB, § 211 StGB, § 212 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.07.2020, Az. 1 StR 196/20 (REWIS RS 2020, 1932)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1932

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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