Bundessozialgericht, Urteil vom 25.04.2018, Az. B 8 SO 20/16 R

8. Senat | REWIS RS 2018, 10089

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Sozialhilfe für Ausländer - Hilfe zum Lebensunterhalt - tatsächlicher Aufenthalt im Inland - mehr als vierwöchiger Auslandsaufenthalt - Niederlassungserlaubnis - Europäisches Fürsorgeabkommen


Leitsatz

In Deutschland lebende Ausländer haben nach einem mehr als vier Wochen ununterbrochen andauernden Auslandsaufenthalt keinen Anspruch auf Gewährung eines Regelsatzes als Hilfe zum Lebensunterhalt.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 18. Februar 2016 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

[X.] sind höhere Leistungen nach dem [X.] - ([X.]) während eines Auslandsaufenthalts im Mai 2013.

2

Die 1979 geborene Klägerin ist [X.] Staatsangehörige mit Wohnsitz in [X.]. Sie verfügt über eine Niederlassungserlaubnis und bezog im streitigen [X.]raum eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Die beklagte Stadt bewilligte der Klägerin für April 2013 Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 575,99 Euro mit dem Hinweis, dass die Leistungen bei gleichbleibenden Verhältnissen für nachfolgende [X.]räume durch Zahlung weiterbewilligt würden (Bescheid vom [X.]). Wegen eines Auslandsaufenthalts in der [X.] (2.4. bis [X.]) stellte die Beklagte die Leistung ab Mai 2013 vorläufig ein (Bescheid vom [X.]). Der Widerspruch der Klägerin war für die [X.] ab ihrer Rückkehr sowie hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung erfolgreich (Bescheid vom 27.6.2013, Widerspruchsbescheid unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter vom 21.10.2013).

3

Während das Sozialgericht (SG) [X.] der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt hat, der Klägerin für die [X.] vom 1. bis [X.] weitere Leistungen in Höhe von 254,67 Euro zu zahlen (Urteil vom 17.3.2015), hat das [X.] ([X.]) [X.] die Klage abgewiesen (Urteil vom 18.2.2016). Ein Anspruch der Klägerin sei ausgeschlossen, weil sie sich nicht entsprechend § 23 Abs 1 Satz 1 [X.] im Inland tatsächlich aufgehalten habe. Soweit nach § 23 Abs 1 Satz 4 [X.] die Einschränkungen des § 23 Abs 1 Satz 1 [X.] nicht für Ausländer mit Niederlassungserlaubnis gölten, beziehe sich dies ausschließlich auf das eingeschränkte Leistungsspektrum, nicht aber auf das Erfordernis des tatsächlichen Aufenthalts. Die Klägerin könne sich auch nicht auf das [X.] Fürsorgeabkommen ([X.]) berufen, weil seine Anwendung ebenfalls den tatsächlichen Aufenthalt im Inland voraussetze.

4

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 23 [X.]. Das Erfordernis des tatsächlichen Aufenthalts nach § 23 Abs 1 Satz 1 [X.] sei für Ausländer mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland (§ 30 Abs 1 Sozialgesetzbuch [X.] - ) eine Einschränkung iS des § 23 Abs 1 Satz 4 [X.] und entfalle bei einem Ausländer mit Niederlassungserlaubnis. Die örtliche Zuständigkeit der Beklagten bleibe nach § 98 Abs 1 Satz 2 [X.] bestehen.

5

Die Klägerin beantragt,
 das Urteil des [X.]s [X.] vom 18. Februar 2016 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts [X.] vom 17. März 2015 zurückzuweisen.

6

Die Beklagte beantragt,
 die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält die Entscheidung des [X.] für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision der [X.]lägerin ist im Sinne der Aufhebung des [X.] und der Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <[X.]>). Der [X.] kann mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen zur Erwerbsminderung/Erwerbsfähigkeit der [X.]lägerin nicht abschließend entscheiden, ob sie von der Beklagten Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem [X.] für die [X.] ihres Auslandsaufenthalts verlangen kann.

9

Gegenstand des Verfahrens (§ 95 [X.]) ist der "Einstellungs-"Bescheid vom [X.], mit dem die Beklagte Leistungen für die [X.] ab dem [X.] abgelehnt hat, in der Fassung des Teilabhilfebescheids vom [X.] (§ 86 [X.]) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.10.2013. Hiergegen wendet sich die [X.]lägerin statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 [X.] und Abs 4, § 56 [X.]). Mit den Bescheiden vom [X.] und [X.] hat die Beklagte erstmals endgültig über Ansprüche der [X.]lägerin für den Monat Mai entschieden (zur Leistungsablehnung als endgültige Entscheidung vgl zB [X.] Urteil vom [X.] AY 13/07 R - juris, Rd[X.]1), ohne einen zuvor erlassenen Bewilligungsbescheid abzuändern. Mit dem Bescheid vom [X.] hat die Beklagte der [X.]lägerin nach dem objektiven Empfängerhorizont (zu diesem Maßstab bei der Auslegung von Verwaltungsakten vgl zB [X.] vom 28.10.2008 - [X.] [X.] 33/07 R - [X.] 4-1500 § 77 [X.] Rd[X.]5 und [X.] vom 23.3.2010 - [X.] [X.] 2/09 R - [X.] 4-5910 § 92c [X.] Rd[X.]4) nur für April 2013 Hilfe zum Lebensunterhalt bewilligt. Dies ergibt sich aus dem [X.] (§ 31 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz <[X.]B X>: "Bewilligung (von - bis) [X.] 2013") und dessen Begründung (§ 35 Abs 1 Satz 2 [X.]B X: "Dieser Bescheid regelt das Leistungsverhältnis nur für oben genannte Bewilligungszeiträume." und "Für [X.] 2013 ergeben sich lt. nachstehender Berechnung, die Bestandteil dieses Bescheides ist, folgende Beträge:").

In der Sache ist Gegenstand des Revisionsverfahrens höhere Hilfe zum Lebensunterhalt für den Monat Mai 2013 ohne Beschränkung auf die Regelsatzleistung, wie das [X.] meint. Der [X.] hat der [X.]lägerin unter teilweiser Abhilfe des Widerspruchs (§ 85 Abs 1 [X.]) Leistungen unter Berücksichtigung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung für den gesamten Monat Mai 2013 bewilligt. Hiergegen hat sich die [X.]lägerin gewandt und im [X.]lageverfahren ohne Beschränkung auf den Regelsatz die Verurteilung der Beklagten zu weiteren Leistungen nach dem [X.] in Höhe von 254,67 Euro beantragt. Die Beklagte ist hierzu verurteilt worden. Für eine Beschränkung der [X.]lage im Berufungsverfahren bestand kein Anlass und ist auch nichts ersichtlich. Das [X.] wird deshalb Leistungen nach dem [X.] in vollem Umfang (etwa auch die Einkommensanrechnung sowie die [X.]osten von Unterkunft und Heizung) zu überprüfen haben.

Einer Sachentscheidung des [X.]s stehen keine von Amts wegen zu berücksichtigenden [X.] oder gerügte Verfahrensmängel entgegen. Insbesondere ist für den Fall, dass die [X.]lägerin im streitigen [X.]raum erwerbsfähig war, weder von Amts wegen zu prüfen noch gerügt worden, dass der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 75 Abs 2 Alt 2 [X.] (unechte notwendige Beiladung) beizuladen war ([X.] 112, 188 = [X.] 4-3500 § 49 [X.], Rd[X.]2; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 12. Aufl 2017, § 75 Rd[X.]3b mwN).

[X.]ommen als Leistungen nach dem [X.] ausschließlich Leistungen nach dem [X.] [X.]apitel des [X.] in Betracht, hat das [X.] - unterstellt, die Höhe der Leistungen für den Monat Mai ist im Übrigen zutreffend berechnet - im Ergebnis zu Recht die Auffassung vertreten, dass der [X.]lägerin für die [X.] ihres Auslandsaufenthalts vom 1. bis [X.] jedenfalls keine Regelsatzleistung zusteht und deshalb das Urteil des [X.] aufgehoben und die [X.]lage abgewiesen. Die [X.]lägerin hat ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit nach einem mehr als vier Wochen ununterbrochen andauernden Auslandsaufenthalt keinen Anspruch auf Gewährung eines anteiligen Regelsatzes als Hilfe zum Lebensunterhalt. Der [X.] kann aber mangels hinreichender Feststellungen des [X.] zur Erwerbsminderung (auf Dauer) / Erwerbsfähigkeit der [X.]lägerin nicht abschließend entscheiden, ob für den streitigen [X.]raum ggf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung oder im Falle der Erwerbsfähigkeit der [X.]lägerin Leistungen nach dem [X.] ([X.]B II) gegen den zuständigen [X.]B-II-Leistungsträger nach dessen Beiladung im wiedereröffneten Berufungsverfahren (§ 75 Abs 2 Alt 2 [X.]) in Betracht kommen.

Die Beklagte ist als (durch den [X.]reis herangezogener) örtlicher Träger der Sozialhilfe sachlich zuständiger Leistungsträger. Nach § 97 Abs 1 [X.] ist für die Sozialhilfe sachlich zuständig der örtliche Träger der Sozialhilfe, soweit nicht der überörtliche Träger sachlich zuständig ist. Die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe wird nach Landesrecht bestimmt (§ 97 Abs 2 Satz 1 [X.], hier § 2 Landesausführungsgesetz zum [X.] für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16.12.2004, [X.] 816 iVm § 2 Ausführungsverordnung zum [X.] des Landes [X.] vom 16.12.2004, GVBl [X.] 816, idF der [X.] zur Änderung der AV-[X.] [X.] vom 11.5.2009, [X.] 299). Die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe für Leistungen nach dem [X.] (und [X.]) [X.]apitel des [X.] ist danach nicht vorgesehen (zur Befugnis des [X.]s zur eigenständigen Anwendung und Auslegung des Landesrechts [X.] 104, 219 = [X.] 4-3500 § 74 [X.], Rd[X.]2). Örtlich zuständiger Träger ist der [X.], der der Beklagten seine Aufgaben als örtlicher Träger der Sozialhilfe zur Wahrnehmung im eigenen Namen übertragen hat (§ 3 Abs 2 Satz 1 [X.] idF des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das [X.], [X.], iVm § 1 Abs 1 und § 3 [X.] AG-[X.] [X.] sowie der Satzung über die Durchführung der Sozialhilfe und der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung im [X.] vom 7.1.2005).

Offenbleiben kann, ob die Beklagte nach § 98 [X.] [X.] (idF des [X.], [X.]), der für die örtliche Zuständigkeit auf den tatsächlichen Aufenthalt des Leistungsberechtigten abstellt, im streitigen [X.]raum vom 1. bis [X.] (für die ersten vier Wochen des Auslandsaufenthalts siehe unten) auch örtlich zuständig ist. Denn sie ist für diesen [X.]raum ohnehin materiell-rechtlich nicht zu Leistungen nach dem [X.] [X.]apitel des [X.] an die [X.]lägerin verpflichtet. Einer Entscheidung, ob es an einer Regelung der örtlichen Zuständigkeit mangelt, wenn der bisher (und zum [X.]punkt der Entscheidung) örtlich zuständige Träger für einen [X.]raum in der Sache entscheidet, in dem offensichtlich kein anderer Träger der Sozialhilfe als örtlich zuständig in Betracht kommt, der nach § 18 Abs 2 Satz 1 [X.] (idF des [X.], [X.]) beteiligt werden kann (so zum - § 98 [X.] [X.] inhaltlich entsprechenden - § 97 [X.] Bundessozialhilfegesetz <[X.]> bei längeren Auslandsurlaubsreisen eines Sozialhilfeempfängers [X.] <[X.]> Urteil vom 22.12.1998 - 5 C 21/97 - [X.] 436.0 § 97 [X.] [X.]0), bedarf es danach nicht.

Materiell-rechtlich bemisst sich der geltend gemachte Anspruch nach § 23 [X.] (idF des [X.], [X.]) iVm § 19 Abs 1, § 27 Abs 1, § 27a Abs 3 Satz 1 [X.] (jeweils idF des [X.] [X.] und zur Änderung des [X.] und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - [X.]/[X.]B II/[X.]-ÄndG vom 24.3.2011, [X.] 453) oder nach §§ 41 ff [X.] (idF des [X.]/[X.]B II/[X.]-ÄndG vom 24.3.2011, [X.] 453). Ob die [X.]lägerin überhaupt zum leistungsberechtigten Personenkreis für Leistungen zum Lebensunterhalt gehört oder nach § 21 [X.] (idF des [X.]/[X.]B II/[X.]-ÄndG vom 24.3.2011, [X.] 453) von solchen Leistungen ausgeschlossen ist, weil sie als Erwerbsfähige dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem [X.]B II ist, hat das [X.] nicht festgestellt. Der Entscheidung des [X.] ist lediglich zu entnehmen, dass die [X.]lägerin im streitigen [X.]raum eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf [X.] bezog. Dies lässt aber keine Rückschlüsse auf ihre (ggf dauerhafte) Erwerbsminderung zu. Insbesondere wäre der [X.] an etwaige Feststellungen des Rentenversicherungsträgers zur Erwerbsminderung nicht gebunden (vgl bereits [X.] 105, 201 = [X.] 4-4200 § 8 [X.], Rd[X.]4 ff, 17; [X.] 106, 62 = [X.] 4-3500 § 82 [X.] 6, Rd[X.]5 f; [X.] vom 9.6.2011 - [X.] [X.] 1/10 R - Juris Rd[X.]9; vgl zum erforderlichen Procedere zur Feststellung der - dauerhaften - Erwerbsminderung und zur fehlenden Bindung der Gerichte in Feststellungen des Rentenversicherungsträgers [X.] in jurisP[X.]-[X.], 2. Aufl 2014, § 41 [X.], Rd[X.] 79 ff und § 45 Rd[X.] 36 ff, 62).

Soweit ein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt betroffen ist, kann die Frage nach der Erwerbsfähigkeit der [X.]lägerin allerdings offenbleiben, weil sie auch im Falle einer Erwerbsminderung mangels tatsächlichen Aufenthalts im [X.] keinen Anspruch auf Leistungen nach dem [X.] [X.]apitel des [X.] hat. Nach § 23 [X.] [X.] ist Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, (nur) Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei [X.]rankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach dem [X.] zu leisten.

Der Anspruch auf Leistungen nach dem [X.] [X.]apitel wird bei Ausländern damit an den tatsächlichen Aufenthalt im [X.] geknüpft. Der Begriff des "tatsächlichen Aufenthalts" ist grundsätzlich im Sinne einer körperlichen (physischen) Anwesenheit zu verstehen (vgl [X.] in: [X.]/[X.], [X.], Stand März 2018, [X.] § 23 Rd[X.] 7; [X.] in Grube/[X.], [X.], 5. Aufl 2014, § 23 Rd[X.] 34; [X.] in [X.], [X.]B II/[X.], § 23 [X.] Rd[X.] 32, Stand Juli 2008; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 19. Aufl 2015, § 23 Rd[X.] 7 und § 98 Rd[X.]3; Söhngen in jurisP[X.]-[X.], 2. Aufl 2014, § 98 Rd[X.] 22). Für [X.] Staatsangehörige existiert eine entsprechende Regelung zwar nicht, allerdings sieht das [X.] infolge der Anknüpfung der [X.] an einen tatsächlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich eines Sozialhilfeträgers (s oben § 98 [X.] [X.]) auch bei nur vorübergehenden Auslandsaufenthalten (etwa Urlaubsreisen) im Grundsatz keine Sozialhilfegewährung vor. Das [X.] hat für die identische Rechtslage nach dem [X.] hierin keine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke gesehen, sondern eine Folge des Territorialitätsprinzips, das vom Gesetzgeber im Falle des § 119 [X.] (heute § 24 [X.]) durchbrochen werde, im Übrigen aber nach der bestehenden Rechtslage hinzunehmen sei ([X.] Urteil vom 22.12.1998 - 5 C 21/97 - [X.] 436.0 § 97 [X.] [X.]0). Fehle bei Auslandsreisen, die den gewöhnlichen Aufenthalt im Inland unberührt ließen und deshalb von der [X.] nicht erfasst würden, ein zuständiger Sozialhilfeträger, habe dies zur Folge, dass einem Hilfebedürftigen eine sozialhilferechtliche Versorgung für einen im Ausland entstehenden Bedarf nicht zustehe (insoweit kommen Leistungen nach § 5 des Gesetzes über die [X.]onsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse <[X.]onsulargesetz> in Betracht). Das bedeute nicht, dass ein Hilfeempfänger keine Urlaubsreisen ins Ausland machen dürfe, er müsse allerdings seinen Bedarf in dieser [X.] selbst decken bzw von anderen decken lassen ([X.], aaO, Juris Rd[X.] 9).

Das [X.] hat in dieser Entscheidung bezüglich des tatsächlichen Aufenthalts jedoch zu Recht betont, dass eine durch den tatsächlichen Aufenthalt eines [X.] begründete örtliche Zuständigkeit eines Trägers der Sozialhilfe nicht schon bei jeder vorübergehenden Ortsabwesenheit des [X.] ende; vielmehr ließen kurzfristige Abwesenheiten während des Bewilligungszeitraums von regelmäßig einem Monat die Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers unberührt (ebenso [X.] in [X.]/[X.], [X.], Stand März 2018, [X.] § 98 [X.] Rd[X.] 28; [X.] in LP[X.]-[X.], 10. Aufl 2015, § 98 Rd[X.]4; Söhngen in jurisP[X.]-[X.], 2. Aufl 2014, § 98 Rd[X.] 26; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.] 19. Aufl 2015, § 98 Rd[X.]5; zweifelnd [X.] in Grube/[X.], [X.], 5. Aufl 2014, § 98 Rd[X.] 8 f). Ein solches Verständnis ergibt sich aus Sinn und Zweck des § 98 [X.] [X.], der durch das Abstellen auf den tatsächlichen Aufenthalt die Zuständigkeit des ortsnahen Sozialhilfeträgers anordnet, um im Interesse des Hilfesuchenden eine schnelle und effektive Beseitigung der gegenwärtigen Notlage zu ermöglichen (vgl bereits [X.]E 79, 46, 53). Der "ortsnahe" ist schneller als der "[X.]" Sozialhilfeträger in der Lage, die erforderlichen Ermittlungen, insbesondere zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Hilfesuchenden, vorzunehmen (Effektivität der Sozialhilfe). Der erkennende [X.] schließt sich deshalb dieser Auffassung an, allerdings mit der Maßgabe, dass kurzfristige Abwesenheiten (nur) bis zu vier Wochen unschädlich sind. Auslandsaufenthalte von Empfängern von Leistungen zum Lebensunterhalt werden regelmäßig Urlaubszwecken dienen. Das [X.] ([X.]) sieht als gesetzliche Mindesturlaubsdauer (§ 3 [X.]: 24 Werktage) einen [X.]raum von vier Wochen vor. Es ist deshalb sachgerecht, eine an diesen [X.]rahmen angelehnte Unterbrechung des tatsächlichen Aufenthalt hinzunehmen, in der Leistungen weiterzuzahlen sind (vgl zu diesem Gedanken BT-Drucks 18/9984, [X.]).

Ein solches Verständnis muss auch bei der Auslegung des tatsächlichen Aufenthalts iS von § 23 [X.] zugrunde gelegt werden, weil für eine funktionsdifferente Auslegung kein Raum ist (ablehnend [X.], aaO, § 23 Rd[X.] 7, wonach ein ununterbrochener Aufenthalt erforderlich sei; auch nur kurzzeitige, vorübergehende Aufenthalte im Heimatland oder in Drittstaaten führten zum sofortigen Erlöschen jeglicher Leistungsberechtigung). Denn soweit Ausländer einen Anspruch auf Leistungen nach dem [X.] haben (sei es eingeschränkt nach § 23 [X.] oder ohne Einschränkung im Hinblick auf ein Daueraufenthaltsrecht ), sind sie [X.] gleichgestellt. Ein erkennbarer Grund, den Ausländer dennoch anders zu behandeln, besteht nicht.

Die [X.]lägerin kann weitergehende Ansprüche nicht aus § 23 Abs 1 Satz 4 [X.] (idF des [X.] der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern - Zuwanderungsgesetz - vom 30.7.2004, [X.] 1950) herleiten. Danach gelten die Einschränkungen nach Satz 1 [X.] nicht für Ausländer, die - wie die [X.]lägerin - im Besitz einer Niederlassungserlaubnis (§ 9 [X.] ) sind. Für sie ist Sozialhilfe nach den allgemeinen, dh auch für [X.] geltenden, Regelungen zu leisten (vgl zB [X.] in [X.], [X.]B II/[X.], § 23 [X.] Rd[X.]21, Stand: Juli 2008; Groth in BeckO[X.], [X.], § 23 Rd[X.] 9, Stand: 1.12.2017; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 19. Aufl 2015, § 23 Rd[X.]3; [X.] in [X.]/[X.], [X.] § 23 [X.] Rd[X.] 38, Stand: Mai 2017).

§ 23 Abs 1 Satz 4 [X.] hebt bei Vorliegen seiner Voraussetzungen aber nicht das Erfordernis eines tatsächlichen Aufenthalts auf. Soweit dort von den "Einschränkungen nach Satz 1" die Rede ist, ist - wie das [X.] zu Recht ausführt - der Leistungsumfang, nicht aber ein Verzicht auf den tatsächlichen Aufenthalt gemeint. Liegen die Voraussetzungen von Satz 4 nicht vor, hat der Ausländer mit tatsächlichem Aufenthalt im Inland nur Anspruch auf eine "Grundversorgung" ([X.], aaO, Rd[X.] 31) im Sinne einer Beschränkung auf die in [X.] genannten Leistungen. Während er bei Vorliegen der übrigen Tatbestandsvoraussetzungen Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 27 ff [X.]), Hilfe bei [X.]rankheit (§ 48 [X.]), Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft (§ 50 [X.]) geltend machen kann, besteht, soweit keine Sonderregelungen greifen, kein gebundener Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (§§ 53 ff [X.]), Hilfe zur Überwindung besonderer Lebenslagen (§§ 67 f [X.]), Hilfen in anderen Lebenslagen (§§ 70 ff [X.]), vorbeugende Gesundheitshilfe (§ 47 [X.]), Hilfe zur Familienplanung (§ 49 [X.]) sowie bei Sterilisation (§ 51 [X.]). Diese Leistungen können nur im Ermessenswege (§ 23 Abs 1 Satz 3 [X.]) gewährt werden. Nur diese Einschränkung bzw Beschränkung auf Ermessensleistungen entfällt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 23 Abs 1 Satz 4 [X.] erfüllt (ebenso [X.], aaO, [X.] § 23 Rd[X.] 38).

Dies ergibt sich auch aus der Gesetzesentwicklung. § 23 Abs 1 Satz 4 [X.] war im Gesetzesentwurf (vgl BT-Drucks 15/1514) noch nicht enthalten, sondern wurde erst auf Vorschlag des [X.] als Satz 3 eingefügt (vgl Beschlussempfehlung BT-Drucks 15/1734 S 20), weil bei Ausländern, deren Aufenthalt in [X.] dauerhaft ist oder voraussichtlich dauerhaft sein wird, das Ermessen (nach § 23 Abs 1 Satz 3 [X.] idF des [X.], aaO) über die Leistungen der Sozialhilfe, auf die nach den Sätzen 1 und 2 des § 23 Abs 1 [X.] (idF des ursprünglichen Entwurfs) kein Anspruch besteht, in der Regel (ohnehin) auf Null reduziert ist, zB bei ausländischen Ehegatten [X.]r Staatsangehöriger oder anderen Ausländern, bei denen das Ende des Aufenthalts nicht absehbar ist. Zur Vermeidung problematischer Einzelfallentscheidungen sollte dies durch den Satz 3 (später Satz 4) klargestellt und eindeutig geregelt werden (BT-Drucks 15/1761 [X.] f).

Auch der Zweck der Sozialhilfe spricht für eine solche Auslegung. Staatliche "Fürsorge" kann ihre Aufgabe, das Existenzminimum der im Inland lebenden Menschen sicherzustellen, nur erfüllen, wenn sich die Leistungsberechtigten tatsächlich im Inland aufhalten. Bestreiten Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland ihren Lebensunterhalt in erheblichem zeitlichen Umfang im Ausland, so können staatliche Fürsorgeleistungen ihren Sicherstellungsauftrag im Inland nicht mehr erfüllen. Dieses Prinzip darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass die für das Inland gedachten existenzsichernden Leistungen langfristig auch bei Auslandsaufenthalten gewährt werden (vgl dazu nur BT-Drucks 18/9984 [X.] zur Einfügung des § 41a [X.]; s auch [X.] vom 21.9.2017 - [X.] [X.] 5/16 R - Rd[X.] 24 für [X.] und [X.] 4 vorgesehen). Dies gilt für [X.] wie für ausländische Staatsangehörige gleichermaßen.

Aus anderen Rechtsvorschriften (§ 23 Abs 1 Satz 5 [X.] idF des [X.], [X.]) folgen ebenso keine weitergehenden Ansprüche der [X.]lägerin. Insbesondere kann sie sich nicht auf das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 [X.] vom 11.12.1953 ([X.]I 1956, 564) berufen. Nach Art 1 dieses Abkommens, das [X.] die Bundesrepublik [X.] und die [X.] unterzeichnet haben ([X.]I 1958, 18 und [X.]I 1977, 255), ist jeder der Vertragschließenden verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der [X.] und Gesundheitsfürsorge zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind.

Zwar ist das [X.] als unmittelbar geltendes Bundesrecht anwendbar (vgl zB [X.] vom 19.10.2010 - [X.] AS 23/10 R - [X.] 107, 66 = [X.] 4-4200 § 7 [X.] 21, Rd[X.] 24) und sowohl der persönliche (Staatsangehörigkeit eines Vertragsstaats) als auch der sachliche Anwendungsbereich ("Fürsorge" iS des Art 1 [X.], vgl Art 2 Abs a Buchst i [X.]; kein Vorbehalt für die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem [X.], vgl Bekanntmachung vom [X.], [X.]I 144, idF der Bekanntmachung vom 3.4.2012, [X.]I 470, vgl hierzu zB [X.] vom 3.12.2015 - B 4 [X.]/15 R - [X.] 120, 139 = [X.] 4-4200 § 7 [X.] 46, Rd[X.]7 ff und [X.] in jurisP[X.]-[X.], Anhang zu § 23 Rd[X.] 91 ff, Stand: 19.7.2016) gegeben.

Art 1 [X.] setzt aber einen tatsächlichen Inlandsaufenthalt ("irgendeinem Teil seines Gebietes") voraus (ebenso zB [X.], aaO, [X.] § 23 Rd[X.] 26, und hierzu neigend zB [X.] vom 19.10.2010 - [X.] AS 23/10 R - [X.] 107, 66 = [X.] 4-4200 § 7 [X.] 21, Rd[X.] 36; aA wohl [X.] in jurisP[X.]-[X.], Anhang zu § 23 Rd[X.]02 f, Stand: 19.7.2016). Das [X.] unterscheidet zwischen dem tatsächlichen Aufenthalt für das sozialrechtliche Gleichbehandlungsgebot (Art 1 [X.]) und dem gewöhnlichen Aufenthalt für den Ausweisungsschutz bei Inanspruchnahme von Leistungen nach Art 6 [X.] (vgl zB Denkschrift zum [X.], BT-Drucks 2/1882, 22 f; vgl auch BT-Drucks 2/2202 S 1). Während des streitigen Auslandsaufenthalts der [X.]lägerin bestand kein tatsächlicher Aufenthalt im [X.]; insoweit ist jede kurzfristige Ortsabwesenheit beachtlich.

Schließlich kann auch offenbleiben, ob sich die [X.]lägerin als ggf (ehemalige) Arbeitnehmerin oder Familienangehörige, wozu das [X.] keine Feststellungen getroffen hat, auf Rechte nach dem sog [X.] zwischen der [X.] und der [X.] berufen kann, weil jedenfalls die Sozialhilfe von dessen sachlichen Geltungsbereich ausgenommen ist (vgl insbesondere Art 4 Abs 4 des Beschlusses [X.] 3/80 des Assoziationsrats vom [X.] über die Anwendung der Systeme der [X.] Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die [X.] Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige, [X.] [X.] C 110/60 vom 25.4.1983; widersprüchlich zB [X.]/[X.]/[X.]eßler/[X.], Sozialrecht für Zuwanderer, 2. Aufl 2018, vgl Rd[X.] 32 einerseits und Rd[X.] 426 andererseits).

Der [X.]lägerin kann aber ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zustehen, wenn sie dauerhaft voll erwerbsgemindert ist und die übrigen Voraussetzungen für entsprechende Leistungen vorliegen (insbesondere Bedürftigkeit), zu denen das [X.] aus seiner Sicht zu Recht keine Feststellungen treffen musste. Nach § 23 Abs 1 Satz 2 [X.] bleiben die Vorschriften des [X.] [X.]apitels des [X.] (§§ 41 ff [X.]) unberührt. Maßgebend für diese Leistungen ist anders als für Leistungen des Lebensunterhalts nach dem 3. [X.]apitel der "gewöhnliche Aufenthalt" des Leistungsberechtigten im Inland (§ 41 Abs 1 [X.]). Die [X.]lägerin hatte nach den bindenden Feststellungen des [X.] und der von ihm getroffenen Prognoseentscheidung ihren gewöhnlichen Aufenthalt im [X.]. Es fehlen aber - wie dargelegt - Feststellungen des [X.] zur Erwerbsminderung sowie (bei einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung) zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der [X.]lägerin, die dem [X.] eine abschließende Entscheidung ermöglichen. Das [X.] wird ggf auch den zuständigen [X.]B-II-Leistungsträger beiladen müssen, wenn er als leistungspflichtig in Betracht kommt (§ 75 Abs 2 Alt 2 [X.]).

Das [X.] wird ggf auch über die [X.]osten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 8 SO 20/16 R

25.04.2018

Bundessozialgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Detmold, 17. März 2015, Az: S 8 SO 327/13, Urteil

§ 27 Abs 1 SGB 12, § 23 Abs 1 S 1 SGB 12, § 23 Abs 1 S 4 SGB 12, § 23 Abs 1 S 5 SGB 12, § 98 Abs 1 S 1 SGB 12, Art 1 EuFürsAbk

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 25.04.2018, Az. B 8 SO 20/16 R (REWIS RS 2018, 10089)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 10089

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