Bundesfinanzhof, Urteil vom 17.04.2013, Az. II R 13/11

2. Senat | REWIS RS 2013, 6545

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Gegenstand

Erlass von Erbschaftsteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen (Rechtslage vor dem 1.1.2009)


Leitsatz

1. NV: Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint.

2. NV: Mit der Übernahme der Steuerbilanzwerte wollte der Gesetzgeber mittelständische Unternehmen entlasten und zugleich eine eigene Wertermittlung für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer entbehrlich machen. Der beabsichtigte Vereinfachungszweck schließt es aus, für einzelne Wirtschaftsgüter andere, realitätsnahe Werte anzusetzen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Alleinerbe seines am 2. August 2002 verstorbenen Groß- und Adoptivvaters. Zum Nachlass gehörte u.a. eine Kommanditbeteiligung des Erblassers an der [X.] ([X.]). Die [X.] war Inhaberin eines Erbbaurechts an einem Grundstück mit aufstehender Hotelanlage. Der Erblasser war Eigentümer des mit dem Erbbaurecht belasteten Grundstücks. Anfang 1993 vermietete der Erblasser der [X.] weitere Grundstücksflächen zum Zwecke des Betriebs eines Golfplatzes.

2

Die Ansprüche des Erblassers gegenüber der [X.] auf Erbpachtzinsen für das [X.], auf Zahlung der Pachten für den Golfplatz und auf Provisionen für übernommene Bürgschaften wurden auf einem Verrechnungskonto des Erblassers verbucht. Das Guthaben auf diesem Konto belief sich ausweislich der Bilanz zum 31. Dezember 2001 auf 711.517,46 €. Nach dem Tod des Erblassers wurde für die [X.] ein Notgeschäftsführer bestellt. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] wurde am 12. November 2002 eröffnet und am 23. Januar 2006 mangels kostendeckender Masse eingestellt.

3

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) setzte mit [X.] vom 9. Dezember 2003 die Erbschaftsteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf 2.601.346 € fest. Im [X.] an eine Außenprüfung setzte das [X.] die Erbschaftsteuer mit [X.] vom 4. Mai 2006 auf 2.711.232 € fest. Es vertrat dabei u.a. die Auffassung, dass die Forderung des Erblassers gegenüber der [X.] als Sonderbetriebsvermögen mit dem Nennwert zu erfassen sei.

4

Auf den Einspruch des [X.] setzte das [X.] die Erbschaftsteuer wegen geänderter [X.] durch Einspruchsentscheidung vom 2. Juni 2008 auf 2.466.796 € herab und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück. Die dagegen erhobene Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht ([X.]) gab ihr insoweit statt, als es eine bislang vom [X.] nicht berücksichtigte Bürgschaftsverpflichtung als Nachlassverbindlichkeit anerkannte. Im Übrigen, also insbesondere wegen des Ansatzes der Gesellschafterforderung, wies es die Klage ab. Die vom [X.] ([X.]) unter dem Aktenzeichen II R 12/11 entschiedene Revision hatte im Ergebnis keinen Erfolg.

5

Zeitgleich mit dem Einspruch beantragte der Kläger die abweichende Festsetzung der Erbschaftsteuer aus Billigkeitsgründen (§ 163 der Abgabenordnung --AO--). Den Antrag lehnte das [X.] mit [X.] vom 30. Juni 2010 ab. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren eingelegte Klage wies das [X.] ab. Zur Begründung führte es aus, der Gesetzgeber habe Härten und Friktionen, die sich aus der Berücksichtigung der Steuerbilanzwerte bei der Bewertung für Zwecke der Erbschaftsteuer ergeben könnten, im Interesse der Steuervereinfachung bewusst in Kauf genommen.

6

Dagegen richtet sich die Revision. Der Kläger vertritt die Ansicht, aus dem Gedanken der Steuervereinfachung könne nicht entnommen werden, dass unstreitig zu hohe Wertansätze uneingeschränkt beibehalten werden müssten. Der Gesetzgeber habe vielmehr die tatsächliche Bereicherung des Erben besteuern wollen. Es widerspreche dem Willen des Gesetzgebers, Vermögenswerte mit fiktiven, im Todeszeitpunkt nicht vorhandenen Beträgen in Ansatz zu bringen.

7

Der Kläger beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des ablehnenden [X.]s vom 30. Juni 2010, der Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2010 und der Vorentscheidung, die Erbschaftsteuer aus Gründen der Billigkeit gemäß § 163 AO unter Berücksichtigung der Wertlosigkeit der Gesellschafterforderung auf 2.138.517 € herabzusetzen.

8

Das [X.] beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Zutreffend hat das [X.] einen Anspruch des [X.] auf eine abweichende Festsetzung der Erbschaftsteuer aus Billigkeitsgründen verneint.

1. Nach § 163 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen bei der Festsetzung der Steuern unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.

a) Der Zweck des § 163 AO liegt darin, sachlichen und persönlichen Besonderheiten des Einzelfalles, die der Gesetzgeber in der Besteuerungsnorm nicht berücksichtigt hat, durch eine nicht den Steuerbescheid selbst ändernde Korrektur des Steuerbetrags insoweit Rechnung zu tragen, als sie die steuerliche Belastung als unbillig erscheinen lassen (BFH-Urteil vom 20. September 2012 IV R 29/10, [X.], 518, m.w.N.).

b) Die Entscheidung über die abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen ist eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung (§ 5 AO), die gemäß § 102 [X.]O gegebenenfalls i.V.m. § 121 Satz 1 [X.]O nur eingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegt (Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, [X.], 101, [X.] 1972, 603). Stellt das Gericht eine Ermessensüberschreitung oder einen Ermessensfehler fest, ist es grundsätzlich auf die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung beschränkt. Nur wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeengt ist, dass nur eine Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf Null), ist es befugt, seine Entscheidung an die Stelle der Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde zu setzen und eine Verpflichtung zum Erlass auszusprechen (BFH-Urteile vom 6. September 2011 VIII R 55/10, [X.], 269; in [X.], 518, und vom 6. November 2012 VII R 72/11, [X.], 15, [X.] 2013, 141).

c) Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint. So verhält es sich, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage --wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte-- im Sinne der beabsichtigten [X.] entschieden hätte (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil in [X.], 518, m.w.N.; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 227 AO Rz 40). Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine [X.] (BFH-Urteile vom 4. Februar 2010 II R 25/08, [X.], 130, [X.] 2010, 663, und vom 7. Oktober 2010 V R 17/09, [X.], 865, jeweils m.w.N.).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das [X.] ermessensfehlerfrei angenommen, dass die Erbschaftsteuer nicht wegen sachlicher Unbilligkeit niedriger festzusetzen ist, weil das in der Steuerbilanz ausgewiesene Guthaben auf dem Verrechnungskonto des Erblassers wertlos war. Ein Gesetzesüberhang liegt insoweit nicht vor.

a) Nach § 12 Abs. 5 Satz 2 des [X.] ([X.]) in der im Streitjahr geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 27. Februar 1997 ([X.] 1997, 378, [X.], 298) --a.[X.] sind die §§ 95 bis 99, 103, 104 und 109 Abs. 1 und 2 und § 137 des [X.]es ([X.]) in der damaligen Fassung (a.[X.]) für die Bewertung des Betriebsvermögens zu Erbschaftsteuerzwecken entsprechend anzuwenden; maßgebend für die Bewertung sind die Verhältnisse zur [X.] der Entstehung der Steuer (§ 12 Abs. 5 Satz 1 [X.] a.[X.]). Nach § 109 Abs. 1 [X.] a.[X.] sind bei bilanzierenden Steuerpflichtigen die zu dem Gewerbebetrieb gehörenden Wirtschaftsgüter mit den [X.]n anzusetzen.

b) Mit der Übernahme der [X.] wollte der Gesetzgeber u.a. eine eigene Wertermittlung für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer entbehrlich machen (vgl. BTDrucks 12/1108 S. 72; [X.] in [X.]/Stenger, Bewertungsrecht, § 12 [X.] bis 2008 Rz 72; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/ [X.]/[X.], Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, [X.], 2. Aufl., § 12 [X.] Rz 38). Der Gesetzgeber hat aus Gründen der Steuervereinfachung ausdrücklich in Kauf genommen, dass die nach ertragsteuerrechtlichen Grundsätzen anzusetzenden Aktiv- und Passivposten der Steuerbilanz auch der Höhe nach für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer übernommen werden (BTDrucks 12/1108 S. 36). Der durch die Übernahme der zutreffenden [X.] beabsichtigte Vereinfachungszweck schließt es aus, im Einzelfall andere, realitätsnahe Werte anzusetzen. Anderenfalls müsste allein aus erbschaft- und schenkungsteuerlichen Gründen eine vom Gesetzgeber ausdrücklich nicht gewünschte Bewertung der einzelnen Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens erfolgen. Selbst dann, wenn ein einzelnes Wirtschaftsgut in der Steuerbilanz zu hoch bewertet worden ist, bedeutet dies nicht automatisch, dass der Wertansatz für das Betriebsvermögen insgesamt zu hoch ausfällt. Einzelnen zu hoch bewerteten Wirtschaftsgütern stehen nämlich in aller Regel in der Steuerbilanz aufgrund von Abschreibungen etc. im Verhältnis zum Verkehrswert zu niedrig bewertete Wirtschaftsgüter gegenüber. Dies alles hat der Gesetzgeber erkannt und aus Vereinfachungsgründen allein auf den zutreffenden Wertansatz in der Steuerbilanz abgestellt.

c) Aus dem Beschluss des [X.] ([X.]) vom 7. November 2006  1 BvL 10/02 ([X.]E 117, 1, [X.] 2007, 192) folgt nichts anderes. Zwar hat das [X.] aufgrund der Anknüpfung an die unterschiedliche Bewertung einzelner Wirtschaftsgüter die Unvereinbarkeit der Tarifvorschrift des § 19 Abs. 1 [X.] a.[X.] mit dem Grundgesetz festgestellt, aber deren weitere Anwendung für einen Übergangszeitraum zugelassen. [X.]n können daher nicht auf die Verfassungswidrigkeit des § 19 Abs. 1 [X.] a.[X.] gestützt werden. Unabhängig davon kann es in Einzelfällen geboten sein, durch eine Billigkeitsentscheidung einen verfassungskonformen Zustand herbeizuführen (vgl. [X.], a.a.O, § 227 AO Rz 77, m.w.N.). Der Streitfall bietet jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Bewertung des Betriebsvermögens aufgrund der Anknüpfung an die [X.] insgesamt, also nicht nur in Bezug auf die auf den Kläger übergegangene Forderung des Erblassers gegen die [X.], in einem solchen Ausmaß von den tatsächlichen Werten abweicht, dass ausnahmsweise ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen geboten erscheint, um einen verfassungskonformen Zustand im Einzelfall herbeizuführen. Das verfassungsmäßige Übermaßverbot ist erst dann verletzt, wenn die Folgen einer schematisierenden Belastung extrem über das normale Maß hinausgehen, das der Schematisierung zugrunde liegt, oder die Folgen auch unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Planvorstellungen durch den gebotenen Anlass nicht mehr gerechtfertigt sind (vgl. [X.]-Beschluss vom 5. April 1978  1 BvR 117/73, [X.]E 48, 102, 116, [X.] 1978, 441; BFH-Urteil vom 5. Mai 2004 II R 45/01, [X.], 570, [X.] 2004, 1036, zum Übermaßverbot bei der typisierenden Bewertung von Erbbaurechten). Dies trifft hier nicht zu.

Meta

II R 13/11

17.04.2013

Bundesfinanzhof 2. Senat

Urteil

vorgehend FG Münster, 27. Januar 2011, Az: 3 K 3094/10, Urteil

§ 12 Abs 5 S 2 ErbStG 1997, § 95 Abs 1 BewG 1991, § 97 Abs 1 Nr 5 S 2 BewG 1991, § 163 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 17.04.2013, Az. II R 13/11 (REWIS RS 2013, 6545)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6545

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Wird zitiert von

4 A 528/16

9 C 10/14

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