Bundessozialgericht, Beschluss vom 19.02.2013, Az. B 1 KR 24/12 B

1. Senat | REWIS RS 2013, 8122

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Zulassung der Revision wegen Divergenz und grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 20. Dezember 2011 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. [X.]ie bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin beantragte, die Kosten für eine stationäre Behandlung im [X.] in [X.] zu übernehmen (27.1.1997). Es behandelte sie vom 10.2. bis 2.3.1997 wegen Multipler Chemikalienunverträglichkeit (Multiple Chemical Sensitivity - [X.]). [X.]ie Klägerin ist mit ihrem Begehren auf Erstattung der nicht bezifferten Kosten dieser Behandlung und Übernahme der Kosten zukünftiger Behandlungen durch das [X.] oder das [X.] in [X.] ([X.]) bei der [X.] und in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. [X.]as [X.] hat zur Begründung ua ausgeführt, aufgrund der eingeholten Sachverständigengutachten stehe zur Überzeugung des Senats fest, dass weder [X.] als Krankheitsbild noch die von der Klägerin begehrten - in den von ihr genannten beiden Kliniken angewandten - Behandlungsmethoden der Klinischen Ökologie anerkannt seien. Aber selbst wenn die Klägerin an [X.] leide, gebe es für sie eine ausreichende inländische Behandlungsalternative. [X.]eswegen scheide eine Kostenübernahme sowohl nach § 13 Abs 3 [X.] hinsichtlich des [X.]s als auch nach § 18 Abs 1 [X.] hinsichtlich des [X.] aus (Urteil vom 20.12.2011).

2

[X.]ie Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.].

3

II. [X.]ie Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 [X.] iVm § 169 [X.] [X.] zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 [X.] [X.] abzuleitenden Anforderungen an die [X.]arlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (dazu 1.), der [X.]ivergenz (dazu 2.) und des [X.] (dazu 3.) nach § 160 Abs 2 [X.].

4

1. Wer sich - wie hier die Klägerin - auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.]) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB [X.]-1500 § 160a [X.]1 [X.]8; [X.]-4100 § 111 [X.] f; s auch [X.]-2500 § 240 [X.] f mwN). [X.]ie Beschwerdebegründung genügt dem nicht.

5

a) [X.]ie Klägerin stellt die Rechtsfrage,

        

"ob eine nach [X.] Maßstäben für nicht schulmedizinisch erachtete Behandlungsmethode bzw ein stationärer Aufenthalt (hier im [X.]) nach § 2 Abs 1a [X.] von der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung zu stellen ist, wenn eine schulmedizinische Behandlung (hier die fehlende schulmedizinische Behandelbarkeit der Klägerin hinsichtlich ihrer Unverträglichkeit von Narkotika und Notfallmedikamenten) in [X.]eutschland nicht zur Verfügung steht, aber im Ausland (hier die [X.] bzw low-dose-immuno-therapy im [X.] in [X.] bzw im [X.] in den [X.])".

 [X.]ie Klägerin legt die Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage nicht dar. [X.]er Beschwerdebegründung ist nämlich nicht zu entnehmen, dass es auf die Beantwortung dieser Frage in einem nachfolgenden Revisionsverfahren ankommen kann (vgl hierzu [X.] vom 22.4.2010 - [X.] KR 145/09 B - Juris RdNr 7). [X.]ie Klägerin verbindet die Rechtsfrage mit der tatsächlichen Unterstellung, dass es keine zumutbare inländische Behandlungsalternative gebe. [X.]emgegenüber hat das [X.] eine solche bejaht. [X.]ie Klägerin bezeichnet nicht in zulässiger Weise hiergegen gerichtete Verfahrensrügen (vgl dazu [X.]).

6

[X.]ie Klägerin legt auch die Klärungsbedürftigkeit der Frage nicht dar. [X.]as Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt, wenn ihre Beantwortung nach der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung keinem vernünftigen Zweifel unterliegt, die Frage also "geklärt ist" (vgl zB [X.] vom 21.10.2010 - [X.] [X.]/10 B - RdNr 7 mwN). Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann dennoch klärungsbedürftig sein, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (vgl zB [X.] § 160a [X.] mwN), was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist (vgl zum Ganzen auch [X.] vom 22.12.2010 - [X.] KR 100/10 B - RdNr 7). [X.]ie Klägerin legt nicht dar, dass nach der zu § 13 und § 18 [X.] ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl [X.], 81 = [X.]-1500 § 109 [X.], Rd[X.]9 ff mwN; [X.] [X.]-2500 § 13 [X.] Rd[X.]6 f mwN) noch Klärungsbedarf hinsichtlich des Anspruchs Versicherter auf Behandlung in Einrichtungen außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik [X.]eutschland in Fällen der grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung ([X.]) verbleibt. Sie legt auch nicht hinreichend dar, inwieweit § 2 Abs 1a [X.] zu einem weiteren Klärungsbedarf führen könnte. Insbesondere setzt sie sich nicht damit auseinander, dass die Regelung lediglich den "Geltungsumfang des sog. Nikolausbeschlusses des [X.] vom 6. [X.]ezember 2005 (1 BvR 347/98) für das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt" klarstellt (BT-[X.]rucks 17/6906 S 52).

7

b) [X.]ie Klägerin erfüllt die gesetzlichen [X.]arlegungserfordernisse selbst dann nicht, wenn man ihren Ausführungen sinngemäß die folgende Rechtsfrage entnehmen wollte:

        

Besteht ein Anspruch nach den Grundsätzen der grundrechtsorientierten Auslegung des [X.]-Leistungskatalogs bzw - ab 1.1.2012 - nach § 2 Abs 1a [X.] bereits dann, wenn der Versicherte nicht aktuell an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder an einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung leidet, aber wegen der Eigenart seiner Krankheit durch das nicht vorhersehbare, aber jederzeit mögliche Hinzutreten weiterer Umstände in eine derartige Situation geraten kann, wenn zugleich eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, und die nicht entfernt liegende Aussicht besteht, dass die beanspruchte Behandlung im Ausland solchen potentiell lebensgefährlichen Situationen vorbeugen kann?

 Auch insoweit legt die Klägerin die Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage wegen der vom [X.] bejahten ausreichenden inländischen Behandlungsmöglichkeiten nicht dar (vgl dazu II 1 a).

8

2. [X.]ie Klägerin legt eine [X.]ivergenz des Berufungsurteils zur Rechtsprechung des [X.], des [X.] oder des [X.] (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]) nicht hinreichend dar. Wer sich auf den Zulassungsgrund der [X.]ivergenz beruft, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in einem Urteil des [X.], des [X.] oder des [X.] andererseits gegenüberstellen und Ausführungen dazu machen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl [X.] vom 19.9.2007 - [X.] KR 52/07 B). Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn das [X.] einen Rechtssatz nicht beachtet oder unrichtig angewandt hat, sondern erst dann, wenn es diesem Rechtssatz widersprochen, also einen anderen Rechtssatz aufgestellt und angewandt hat; nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen [X.]ivergenz (vgl zB [X.] § 160a [X.], 21, 29 und 67, s ferner [X.] vom [X.] - [X.] KR 15/09 B - RdNr 8). [X.]iesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. [X.]ie Klägerin bezeichnet keine Rechtssätze, die das [X.] abweichend von Rechtssätzen im Beschluss des [X.] vom 6.12.2005 formuliert hat, sondern macht lediglich geltend, das [X.] habe die Vorgaben des [X.] nicht beachtet und ihren konkreten Fall falsch entschieden.

9

3. [X.]ie Klägerin bezeichnet auch einen Verstoß gegen § 103 [X.] nicht in der gebotenen Weise. Nach § 160 Abs 2 [X.] [X.] ist eine Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 [X.] und § 128 Abs 1 S 1 [X.] (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 [X.] (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 [X.] Halbs 2 [X.]). Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl § 160a Abs 2 [X.] [X.] und hierzu zB [X.] vom 10.8.2007 - [X.] KR 58/07 B - Juris RdNr 4 mwN). Wer sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 [X.] stützt, muss daher (1) einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, (2) die Rechtsauffassung des [X.] wiedergeben, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme angeben und (5) schildern, dass und warum die Entscheidung des [X.] auf dem angeblich fehlerhaften Unterlassen der Beweisaufnahme beruhen kann, das [X.] mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl zB [X.] vom 20.7.2010 - [X.] KR 29/10 B - Rd[X.] mwN; [X.] vom 1.3.2011 - [X.] KR 112/10 B - Juris Rd[X.] mwN; s ferner [X.] § 160 [X.], 35, 45 und § 160a [X.], 34).

[X.]ie Klägerin erfüllt mit ihrem Vorbringen nicht diese Anforderungen an die [X.]arlegung eines Verfahrensfehlers. Sie verweist zwar auf den von ihr in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] hilfsweise gestellten Antrag auf "Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nach § 106 [X.] nach persönlicher Untersuchung zur Frage, inwieweit eine hinreichende Ausschlussdiagnostik bei der Klägerin erfolgt ist bzw. inwieweit durch andere medizinische Behandlungen die Erkrankungen der Klägerin geheilt werden können". [X.]er Senat lässt die Frage offen, ob die Klägerin mit diesen Ausführungen einen formellen Beweisantrag iS von §§ 373, 404 ZPO iVm § 118 [X.] gestellt hat (zu diesem Erfordernis vgl zB [X.]-1500 § 160 [X.]; [X.] vom [X.] - [X.] KR 21/07 B - Juris RdNr 18). [X.]ies ist mit Blick auf die Formulierung des [X.] zweifelhaft. Hinsichtlich des ersten Teils des Antrags verdeutlicht die Klägerin jedenfalls nicht, warum das [X.] im Falle des Ausschlusses sonstiger Krankheitsursachen zu einem anderen, der Klägerin günstigeren Ergebnis hätte gelangen können, obwohl es zugunsten der Klägerin eine [X.] unterstellt hat. [X.]ie Klägerin gibt hinsichtlich des zweiten Teils des Antrags (Heilung durch andere medizinische Behandlungen) nicht hinreichend die Rechtsauffassung des [X.] wieder, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen. Im Übrigen rügt die Klägerin im [X.] - in nach § 160 Abs 2 [X.] [X.] unerheblicher Weise - nur die freie Beweiswürdigung des [X.], indem sie sich dagegen wendet, dass das [X.] nicht erkannt habe, dass sie gegenüber Anästhetika und Notfallmedikamenten Unverträglichkeitsreaktionen zeige, denen andere als die beantragten [X.] nicht präventiv durch [X.] begegnen könnten. [X.]ie Klägerin führt in diesem Zusammenhang in der Beschwerdebegründung selbst aus: "Wenn das Gericht … davon ausging, dass entsprechende [X.]iagnose- und Behandlungsmöglichkeiten im schulmedizinischen Bereich zur Verfügung stehen würden, ist dies offensichtlich vollkommen unhaltbar. Insofern liegt hier ein offensichtlicher Verfahrensmangel durch fehlerhafte Beweiswürdigung durch das [X.] vor."

4. [X.]er Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 [X.]).

5. [X.]ie Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 [X.].

Meta

B 1 KR 24/12 B

19.02.2013

Bundessozialgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Hamburg, 12. April 2005, Az: S 22 KR 421/00, Urteil

§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 19.02.2013, Az. B 1 KR 24/12 B (REWIS RS 2013, 8122)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8122

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1 BvR 347/98

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