Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 07.06.2016, Az. 1 ABR 26/14

1. Senat | REWIS RS 2016, 10453

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Gegenstand

Beschwerdeentscheidung im Beschlussverfahren ohne Antrag


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des [X.] vom 9. April 2014 - 19 [X.] - aufgehoben und die Sache zur neuen Anhörung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

A. [X.]ie Beteiligten darüber, ob die Arbeitgeberin verpflichtet ist, dem Betriebsrat Auskünfte im Zusammenhang mit an ihre Mitarbeiter von der [X.] Konzernobergesellschaft ausgegebene Aktienoptionen ([X.]) und Nachzugsaktien ([X.]eferred Stock) zu erteilen.

2

[X.]ie Arbeitgeberin betreibt im [X.]ahmen eines [X.] ua. ein Werk in [X.], in dem der beteiligte Betriebsrat gebildet ist. Sie gehört zum weltweit tätigen Chemie- und [X.]echnologiekonzern [X.], dessen [X.] ([X.]) ihren Sitz in [X.] hat. Bei [X.] werden Mitarbeitern ab einer bestimmten Führungsebene nach einem von [X.] aufgelegten „Long [X.]erm Incentives“-Programm [X.] und [X.]eferred Stock gewährt. [X.]en Bezugsrahmen und die Verteilungsparameter legt [X.] jährlich fest; die Arbeitgeberin selbst gewährt keine Aktien. [X.]ie Zuteilung der [X.] und [X.]eferred Stock erfolgt seit 2009 im Zusammenhang mit der Leistungseinstufung des jeweiligen Mitarbeiters automatisiert in einem elektronischen Gehaltsfindungsprozess („Pay Planning Process“ - [X.]). Im [X.] können die jeweiligen Vorgesetzten - innerhalb eines bestimmten Zeitfensters - von der im System vorgegebenen Leistungsbeurteilung nach oben oder unten abweichende Eingaben machen. Zudem können sie Mitarbeiter hinzufügen oder herausnehmen. [X.]iesen Änderungen muss die Konzernobergesellschaft nicht folgen. Wegen der nach Sparten gegliederten Organisation des Konzerns sind die Vorgesetzten, die für bei der Arbeitgeberin angestellte Mitarbeiter auf das System zugreifen, zum [X.]eil selbst nicht bei dieser angestellt. Umgekehrt wirken bei der Arbeitgeberin angestellte Vorgesetzte auch auf den [X.] von Mitarbeitern anderer Konzerngesellschaften ein.

3

[X.]er Betriebsrat hat in dem von ihm eingeleiteten Beschlussverfahren Auskunftsansprüche über die Einflussnahme der Arbeitgeberin auf die Zuteilung der [X.] und [X.]effered Stock geltend gemacht.

4

Er hat erstinstanzlich sinngemäß beantragt

        

1.    

die Arbeitgeberin zu verpflichten, dem Antragsteller Auskunft darüber zu erteilen, für welche Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen - mit Ausnahme der leitenden Angestellten - in dem von ihr als Betriebsführungsgesellschaft geführten Werk [X.] von der Muttergesellschaft der Arbeitgeberin, der [X.], die Gewährung von [X.]eferred Stock und/oder [X.] in welchem Umfang in den Jahren 2010 bis 2012 sowie in den künftigen Jahren vorgegeben wurde/vorgegeben wird,

        

2.    

die Arbeitgeberin zu verpflichten, dem Antragsteller schriftlich oder in elektronischer Form Auskunft darüber zu erteilen, inwieweit bei der von der Muttergesellschaft [X.] vorgegebenen Vergabe von [X.] und [X.]eferred Stock abweichende Vorschläge vom jeweiligen Vorgesetzten unterbreitet wurden und wie diese abweichenden Vorschläge begründet wurden, für die Jahre 2010 bis einschließlich 2012 sowie für die künftigen Jahre,

        

3.    

die Arbeitgeberin zu verpflichten, dem Antragsteller Auskunft zu erteilen, inwieweit bei der Muttergesellschaft [X.] den abweichenden Vorschlägen der jeweiligen Vorgesetzten gefolgt wurde, für die Jahre 2010 bis 2012 sowie für die künftigen Jahre.

5

[X.]as Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Hiergegen hat der Betriebsrat Beschwerde eingelegt und in der Beschwerdebegründung Anträge formuliert. Nach der über den [X.]ermin zur Anhörung der Beteiligten in der Beschwerdeinstanz vom 11. [X.]ezember 2013 gefertigten Sitzungsniederschrift sind die Beteiligten erschienen und erörterten die Sach- und [X.]echtslage. Auf Vorschlag des Gerichts schlossen die Beteiligten einen „[X.]“. Nach dessen Widerruf durch den Betriebsrat hat das [X.] mit am 9. April 2014 verkündetem Beschluss der Beschwerde weitgehend stattgegeben und die Arbeitgeberin zu näher bezeichneten Auskunftserteilungen verpflichtet. Mit ihrer [X.]echtsbeschwerde begehrt die Arbeitgeberin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Sie rügt ua. die unterbliebene Antragstellung des Betriebsrats in der Beschwerdeinstanz. [X.]er Betriebsrat beantragt, die [X.]echtsbeschwerde zurückzuweisen.

6

B. [X.]ie zulässige [X.]echtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache zur neuen Anhörung und Entscheidung an das [X.]. [X.]ieses hat rechtsfehlerhaft eine Sachentscheidung getroffen. Eine solche war ihm mangels Antragstellung des beschwerdeführenden Betriebsrats verwehrt. Soweit das [X.] gleichwohl die Arbeitgeberin zur Erteilung von Auskünften im tenorierten Umfang verpflichtet hat, hat es gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO verstoßen. [X.]as hat der [X.] auch ohne eine hierauf gestützte Verfahrensrüge von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. zuletzt [X.] 26. Januar 2016 - 1 AB[X.] 13/14 - [X.]n. 28). [X.]er [X.] kann keine eigene Sachentscheidung treffen.

7

I. [X.]as [X.] hat unter Verstoß gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO in der Sache entschieden.

8

1. [X.]as Gericht ist nach dem auch im Beschlussverfahren geltenden § 308 Abs. 1 ZPO nicht befugt, dem Antragsteller etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist (vgl. [X.] 17. März 2015 - 1 AB[X.] 49/13 - [X.]n. 9). [X.]as Antragserfordernis trägt der Notwendigkeit [X.]echnung, den Gegenstand des Verfahrens konkret zu bestimmen. [X.]iesem Erfordernis ist nicht durch eine bloße streitige Erörterung der Sach- und [X.]echtslage genügt. Bereits aus Gründen der prozessualen Klarheit und der Notwendigkeit, die Sachentscheidungsbefugnis des Gerichts näher zu bestimmen, bedarf es einer konkreten, auf die Sachentscheidung des Gerichts ausgerichteten Antragstellung (vgl. zum Berufungsverfahren [X.] 1. [X.]ezember 2004 - 5 AZ[X.] 121/04 - zu II 1 der Gründe mwN). Auch in einem Beschlussverfahren ist der Antragsteller - im Gegensatz zu anderen Beteiligten - grundsätzlich gehalten, einen Antrag zu stellen (vgl. [X.] 2. Oktober 2007 - 1 AB[X.] 59/06 - [X.]n. 16, [X.]E 124, 175). [X.]es Weiteren unterliegen im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren nach § 87 Abs. 2 Satz 1, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. §§ 528, 308 ZPO nur die Beschwerdeanträge der Prüfung und Entscheidung des [X.]. [X.]er Beschluss des ersten [X.]echtszugs darf nur insoweit abgeändert werden, wie eine Abänderung beantragt ist.

9

2. Gemäß § 87 Abs. 2 Satz 1, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 525, § 137 Abs. 1 ZPO wird die mündliche Anhörung der Beteiligten vor der [X.] mit dem Stellen der Anträge eingeleitet. Für dessen Form gilt § 297 ZPO. [X.] bei der Antragstellung sind gemäß § 295 ZPO heilbar; nicht jedoch der Mangel der Erhebung des Antrags „an sich“ ([X.]/[X.]/[X.]eichold ZPO 37. Aufl. § 297 [X.]n. 3). Ausnahmsweise kann die Annahme einer konkludenten Antragstellung in Betracht kommen (dazu [X.] 28. August 2008 - 2 AZ[X.] 63/07 - [X.]n. 20 f., [X.]E 127, 329). Eine § 297 ZPO entsprechende Antragstellung scheidet aus, wenn der Antragsteller im Anhörungstermin nicht erscheint. Sind die Voraussetzungen des § 83 Abs. 4 Satz 2 ArbGG erfüllt, kann über den in der Antragsschrift - in der Beschwerdeinstanz nach § 90 Abs. 2, § 83 Abs. 4 Satz 2 ArbGG über den in der [X.]echtsmittelschrift verfassten - Antrag verhandelt und entschieden werden (vgl. GMP/Matthes/Spinner ArbGG 8. Aufl. § 83 [X.]n. 106). [X.]ie Vorschrift des § 83 Abs. 4 Satz 2 ArbGG betrifft aber nur den besonderen Fall des auf Ladung unentschuldigten Ausbleibens eines Beteiligten (des Antragstellers), dem nur das bewusste Absehen von einer Antragstellung bei Erscheinen des Antragstellers gleichsteht.

3. Ausgehend von diesen Grundsätzen durfte das [X.] keine Sachentscheidung treffen. [X.]er Betriebsrat als Antragsteller und Beschwerdeführer hatte - wie er in seiner Stellungnahme zur [X.]echtsbeschwerdebegründung der Arbeitgeberin selbst angibt - in dem anberaumten Anhörungstermin, auf den der angefochtene Beschluss ergangen ist, keine Anträge gestellt. Auch von einer konkludenten Antragstellung kann nicht ausgegangen werden. [X.]er Betriebsrat hatte nach dem Anhörungstermin vom 11. [X.]ezember 2013 in dem Schriftsatz, in dem er den Vergleich widerrufen hatte, die Anordnung des schriftlichen Verfahrens angeregt und ausdrücklich „für diesen Fall“ seine Anträge aus der Beschwerdeschrift wiederholt. [X.]as [X.] ist der Anregung nicht gefolgt, sondern hat [X.]ermin zur Verkündung einer Entscheidung bestimmt und „auf die Anhörung der Beteiligten am 11.12.2013“ entschieden. Ein Fall des § 83 Abs. 4 Satz 2 ArbGG lag nicht vor, denn der Betriebsrat war in dem Anhörungstermin erschienen und hat auch nicht etwa bewusst von einer Antragstellung abgesehen.

4. [X.]er Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO kann in der [X.]echtsbeschwerdeinstanz grundsätzlich nicht dadurch geheilt werden, dass - wie hier vom Betriebsrat begehrt - die Zurückweisung der [X.]echtsbeschwerde beantragt wird, da dies eine in der [X.]echtsbeschwerdeinstanz unzulässige Antragsänderung oder -erweiterung ermöglichen würde (vgl. [X.] 28. August 2008 - 2 AZ[X.] 63/07 - [X.]n. 23, [X.]E 127, 329).

II. [X.]ie Beschwerdeentscheidung ist aufzuheben und die Sache zur neuen Anhörung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine eigene Sachentscheidung ist dem [X.] wegen der mangelnden Antragstellung im Beschwerdeverfahren verwehrt.

        

    Schmidt    

        

    [X.]reber    

        

    K. Schmidt    

        

        

        

    Hayen    

        

    Stemmer    

                 

Meta

1 ABR 26/14

07.06.2016

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: ABR

vorgehend ArbG Karlsruhe, 11. Juni 2013, Az: 5 BV 1/13, Beschluss

§ 308 Abs 1 S 1 ZPO, § 87 Abs 2 S 1 ArbGG, § 64 Abs 6 S 1 ArbGG, § 528 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 07.06.2016, Az. 1 ABR 26/14 (REWIS RS 2016, 10453)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 10453

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17 P 18.2017

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