Bundessozialgericht, Urteil vom 14.04.2011, Az. B 8 SO 12/09 R

8. Senat | REWIS RS 2011, 7546

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

(Sozialhilfe - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - Einkommenseinsatz - Freibetrag bei Erwerbstätigkeit - keine Erhöhung nach § 82 Abs 3 S 3 SGB 12 - sozialgerichtliches Verfahren - Beteiligtenfähigkeit - Bekanntgabe Verwaltungsakt - Sprungrevision - Berücksichtigung von Verfahrensfehlern - Wiedereröffnung der gerichtlichen Überprüfung)


Leitsatz

Beim Bezug von Sozialhilfe sind nicht allein deshalb mehr als 30 % des Einkommens aus nichtselbständiger Tätigkeit vom auf die Leistung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung anzurechnenden Einkommen abzusetzen, weil der Leistungsempfänger älter als 65 Jahre ist bzw die Altersgrenze für den Bezug einer Regelaltersrente überschritten hat.

Tenor

Auf die Revision des [X.]wird das Urteil des [X.]vom 20. Mai 2009 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit sind zusätzliche Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) für die [X.]vom 1.7. bis 31.10.2005 sowie vom [X.]bis zum 30.6.2008 in Höhe von 48,14 [X.]monatlich und vom 1.7. bis 31.10.2008 in Höhe von 52,50 [X.]monatlich.

2

Der 1935 geborene Kläger bezog bis zum 31.12.2004 Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz, bei denen zuletzt ein monatlicher Freibetrag von 149,10 [X.]aus erzieltem Erwerbseinkommen berücksichtigt worden war. Für die [X.]vom 1.1. bis 30.6.2005 bewilligte die Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid Grundsicherungsleistungen nur noch unter Berücksichtigung eines Freibetrages von 30 % des Einkommens (100,96 Euro). Auch in der Folgezeit gewährte die Beklagte dem Kläger weiterhin Grundsicherungsleistungen unter Einräumung eines Freibetrags von nur 100,96 [X.]für die [X.]vom 1.7.2005 bis 31.10.2005 (insgesamt 265,50 [X.]monatliche Grundsicherungsleistungen), vom [X.]bis 30.6.2007 (Bescheid vom 21.6.2006, Widerspruchsbescheid für die [X.]ab [X.]vom 12.6.2008: insgesamt 265,50 [X.]monatliche Grundsicherungsleistungen) und vom [X.]bis 30.6.2008 (Bescheid vom 21.6.2007, derselbe Widerspruchsbescheid vom 12.6.2008: insgesamt 266,50 [X.]monatliche Grundsicherungsleistungen) sowie für die [X.]ab [X.]unter Einräumung eines Freibetrags in Höhe von 96,60 Euro (Bescheid vom 11.7.2008, Widerspruchsbescheid vom 21.8.2008: insgesamt 280,67 [X.]monatliche Grundsicherungsleistungen).

3

Die auf höhere Leistungen gerichtete Klage ist erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts <SG> [X.]vom 20.5.2009). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das [X.]ua ausgeführt, dass der Kläger seine Klage nach § 99 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässigerweise erweitert habe, soweit sie den Bescheid vom 1[X.]in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom [X.]betreffe. Es könne dahinstehen, ob gegen alle einzelnen Bescheide fristgerecht Widerspruch eingelegt worden sei; die Beklagte habe als Herrin des Widerspruchsverfahrens die Widersprüche - einen davon allerdings erst in der mündlichen Verhandlung - in der Sache beschieden und damit eine eventuelle Bestandskraft wieder beseitigt. Der Kläger habe keinen höheren Leistungsanspruch unter Zugrundelegung eines Freibetrags von mehr als 30 %, wie in § 82 Abs 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) vorgesehen, des Erwerbseinkommens; hohes Lebensalter sei allein kein einen höheren Freibetrag rechtfertigender atypischer Umstand im Sinne eines begründeten Falls (§ 82 Abs 3 Satz 3 SGB XII). Das Gesetz schaffe außerdem keinen Anreiz zur Erwerbsarbeit auf Kosten der Gesundheit.

4

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 82 Abs 3 Satz 3 SGB XII. Die Vorschrift müsse zu seinen Gunsten Anwendung finden, weil ihm in seinem Alter eine Erwerbstätigkeit nicht mehr zumutbar sei. Nach der unzutreffenden Ansicht des [X.]könne selbst ein voll [X.]keinen begründeten Fall geltend machen, wenn er sich überobligationsmäßig verhalte, weil der Bezug von SGB-XII-Leistungen seinen Grund typischerweise im individuellen Gesundheitszustand des Hilfesuchenden finde. Nach der Gesetzesbegründung spreche nichts dafür, als überobligationsmäßig zwar die [X.]eines 14-Jährigen anzusehen und diese dem Begriff des begründeten Falls zu unterstellen, demgegenüber aber die Tätigkeit eines 73-Jährigen anders zu beurteilen. Der in der Vergangenheit zuerkannte Freibetrag in Höhe von 149,10 [X.]sei weiterhin der richtige Wert.

5

Der Kläger beantragt,
das Urteil des [X.]aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 21.6.2005 in der Gestalt des "Widerspruchsbescheids vom 20.5.2009", die Bescheide der Beklagten vom 21.6.2006 und [X.]in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.6.2008 und den Bescheid der Beklagten vom 1[X.]in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.]abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm zusätzliche Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die [X.]vom 1.7. bis 31.10.2005 sowie vom [X.]bis 30.6.2008 monatlich in Höhe von 48,14 [X.]und für die [X.]vom 1.7. bis 31.10.2008 von 52,50 [X.]zu zahlen.

6

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

8

In der mündlichen Verhandlung beim [X.]hat der Bevollmächtigte der Beklagten auf die Anregung durch den Kammervorsitzenden, dass eine Aussetzung zur Nachholung des Widerspruchsverfahrens betreffend den Bescheid vom 21.6.2005 nicht mehr stattfinden solle, zu Protokoll erklärt, der Widerspruch gegen den Bescheid vom 21.6.2005 werde ebenfalls zurückgewiesen und es verbleibe diesbezüglich bei der früheren Entscheidung.

Entscheidungsgründe

9

Die Sprungrevision des [X.]ist zulässig (§ 161 Abs 1 SGG) und im Sinne der Zurückverweisung zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.](§ 170 Abs 2 Satz 2 und Abs 4 Satz 1 SGG) begründet. Für die Zeiträume vom 1.7. bis 31.10.2005 und [X.]bis [X.]müssen noch Widerspruchsverfahren durchgeführt werden; für die übrigen streitbefangenen Zeiträume fehlen hinreichende tatsächliche Feststellungen (§ 163 SGG) dazu, ob dem Kläger die geforderten höheren Grundsicherungsleistungen zustehen.

Richtiger Klagegegner iS von § 70 [X.]SGG ist seit 1.1.2011 die [X.]als (örtlich zuständiger) Träger der Sozialhilfe (§ 97 Abs 1, § 98 Abs 1 SGB XII iVm § 3 Abs 2 SGB XII und §§ 1, 2 Landesausführungsgesetz zum [X.]für das Land Nordrhein-Westfalen <AG NRW-SGB XII> vom 16.12.2004 - Gesetz- und Verordnungsblatt <GVBl> [X.]816 - iVm der Ausführungsverordnung zum [X.]des Landes [X.]vom 16.12.2004 - GVBl [X.]817). Seit 1.1.2011 gilt in [X.]nicht mehr das Behördenprinzip (vgl: Art 2 [X.]Gesetz zur Modernisierung und Bereinigung von [X.]im Land [X.]vom [X.]- GVBl [X.]30; Senatsurteil vom 14.4.2011 - [X.][X.]19/09 R), sodass § 70 [X.]SGG keine Anwendung mehr findet.

Gegenstand des Verfahrens sind die Bescheide vom 21.6.2006 und 21.6.2007, deren Zugang - wann der Bescheid vom 21.6.2006 bekannt gegeben wurde, ist allerdings offen (dazu unten) - nicht bestritten wird, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.6.2008, soweit die Beklagte damit höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die [X.]vom [X.]bis 30.6.2008 abgelehnt hat. Gegenstand des Verfahrens ist auch der Bescheid vom 11.7.2008, der den Bescheid vom 24.6.2008 unter Zuerkennung einer höheren Leistung ersetzt und diesen damit erledigt hat (§ 39 Abs 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - <SGB X>), in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.8.2008, soweit die Beklagte auch höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für den Zeitraum vom 1.7. bis 31.10.2008 abgelehnt hat. Dieser den Leistungszeitraum ab [X.]betreffende Bescheid wird zwar nach der Rechtsprechung des Senats nicht von § 96 Abs 1 SGG (abändernder oder ersetzender Verwaltungsakt) erfasst, weil er einen Folgebewilligungszeitraum betrifft. Allerdings hat der Kläger insoweit die Klage nach § 99 Abs 1 SGG rechtzeitig und auch ansonsten zulässig erweitert; die Beklagte hat sich [X.]darauf eingelassen. Der Bescheid vom [X.]über den Folgezeitraum ab 1.7.2007 ist demgegenüber - unabhängig davon, wann er zugegangen ist - in analoger Anwendung des § 86 SGG Gegenstand des laufenden Widerspruchsverfahrens (dazu später) geworden (Senatsurteil vom 14.6.2008 - [X.]AY 11/07 R - Rd[X.]10).

Ob Gegenstand des Verfahrens ein Bescheid vom 21.6.2005 geworden ist, soweit auch dieser die Ablehnung höherer Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - für die [X.]vom 1.7. bis 31.10.2005 - betrifft, kann indes nicht beurteilt werden. Das [X.]hat nicht festgestellt, ob das entsprechende Schreiben dem Kläger überhaupt bekannt gegeben (§ 37 Abs 1 SGB X) und ihm gegenüber damit wirksam eine Verfügung ausgesprochen worden ist. Die Kenntnisnahme durch eine spätere Akteneinsicht im Gerichtsverfahren ersetzt jedenfalls nicht die Bekanntgabe; diese erfordert vielmehr, dass die Behörde dem Adressaten willentlich den Inhalt vermittelt (vgl nur [X.]in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 37 Rd[X.]mwN). Sollte ein Zugang zu verneinen sein, wären in den jeweiligen monatlichen Zahlungen konkludente Bewilligungen und gleichzeitig konkludente Ablehnungen höherer Leistungen zu sehen, die Gegenstand des Verfahrens wären. Auf die Frage der Beweislast für den Zugang käme es nicht an.

Gegen sämtliche Bescheide wendet sich der Kläger mit kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG). Bei dem Rechtsstreit handelt es sich um einen Höhenstreit, bei dem Grund und Höhe des Leistungsanspruchs in vollem Umfang zu überprüfen sind (stRspr; vgl: BSGE 95, 8 ff Rd[X.]6 = [X.]4-4300 § 140 [X.]1; BSGE 95, 191 ff Rd[X.]13 = [X.]4-4300 § 37b [X.]2; B[X.][X.]4-4300 § 130 [X.]Rd[X.]9).

Für zwei Zeiträume fehlt es jedoch noch an der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens (§ 78 Abs 1 SGG); das [X.]hätte vor seiner Entscheidung deshalb noch ein Widerspruchsverfahren nachholen lassen müssen (stRspr; vgl nur [X.]in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 78 Rd[X.]3a mwN). Der [X.]darf dies trotz des Verbots der Überprüfung von [X.]im Verfahren der Sprungrevision berücksichtigen, weil § 161 Abs 4 SGG von Amts wegen zu beachtenden [X.]nicht entgegensteht (vgl: B[X.][X.]4-3500 § 21 [X.]Rd[X.]10; BSG, Urteil vom 11.12.2007 - B 8/9b [X.]13/06 R - Rd[X.]12), der fehlende Widerspruchsbescheid die Klage unzulässig machen würde und die Zulässigkeit einer Klage ohne Rüge zu prüfen ist.

Die vom [X.]veranlasste Erklärung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom [X.]für den Zeitraum vom 1.7. bis 31.10.2005 stellt keine Widerspruchsentscheidung dar. Das [X.]hat dieses Vorgehen vielmehr ausdrücklich zur Vermeidung eines entsprechenden, zeitraubenden Verfahrens vorgeschlagen, bei dem insbesondere nach § 116 Abs 2 SGB XII auch sozial erfahrene Dritte zu hören und der Widerspruchsbescheid nach § 85 Abs 3 Satz 1 SGG schriftlich zu erlassen, zu begründen und den Beteiligten bekannt zu geben gewesen wäre. Vor diesem Hintergrund kann die bezeichnete Erklärung nicht als notwendiger Widerspruchsbescheid auf einen vom Kläger erhobenen Widerspruch verstanden werden. Zwar hat der Kläger sein Rechtsmittel im April 2007 nicht ausdrücklich als Widerspruch gegen den Bescheid vom 21.6.2005 bzw die konkludenten monatlichen Verfügungen (siehe oben) nach seiner Akteneinsicht in dem Verfahren, das die [X.]vom 1.1. bis 30.6.2005 betraf, bezeichnet; jedoch hat er "bis auf weiteres" einen höheren Freibetrag beansprucht (Schreiben vom 4.4.2007) und deutlich gemacht, dass dieses Begehren auch die früheren Zeiträume betreffen solle (Schreiben vom 2.5.2007).

Nachzuholen ist außerdem das Widerspruchsverfahren für die [X.]vom [X.]bis 31.3.2007. Der Kläger hat sich mit seinem als Widerspruch zu bewertenden Begehren (Schreiben vom 4.4.2007 und 2.5.2007) für den gesamten Zeitraum gegen den Bescheid vom 21.6.2006 gewandt, selbst wenn die Beklagte zu Unrecht den Widerspruch als auf die [X.]ab [X.]beschränkt angesehen und deshalb im Widerspruchsbescheid vom 12.6.2008 ausdrücklich nur hierüber entschieden hat. Von der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens kann auch nicht Abstand genommen werden, weil die Beklagte durch diese fehlerhafte Auslegung des Widerspruchs letztlich (abschlägig) über die [X.]davor [X.]habe. Dies mag zugunsten des [X.]anzunehmen sein, wenn der Widerspruchsbescheid nicht seine verfahrensrechtliche Situation beeinflussen könnte. Gerade dies ist hier aber der Fall, weil nicht feststeht, wann dem Kläger der Bescheid vom 21.6.2006 zugegangen ist, und weil, falls der Widerspruch verfristet war, die Beklagte gleichwohl die Befugnis besäße, in der Sache zu entscheiden und damit eine eventuelle Bestandskraft aufzuheben.

Im Hinblick auf diese Befugnis der Beklagten ist die Klage nicht bereits wegen Bestandskraft des Bescheids vom 21.6.2006 für die [X.]vom 1.4. bis [X.]unbegründet. Zwar hat das [X.]- wie bereits ausgeführt - nicht festgestellt, wann dieser Bescheid dem Kläger zugegangen und ob der von diesem erhobene Widerspruch rechtzeitig eingelegt worden ist; die Beklagte hat aber mit ihrem Widerspruchsbescheid vom 12.6.2008 für diesen Zeitraum in der Sache entschieden und damit die gerichtliche Überprüfung wiedereröffnet, sodass eine eventuelle Bindungswirkung nicht mehr entgegensteht (vgl nur BSGE 49, 85 ff = [X.]2200 § 1422 [X.]1).

Ob der Kläger durch die angefochtenen Bescheide, soweit bereits Widerspruchsbescheide ergangen sind, beschwert ist (§ 54 Abs 2 Satz 1 SGG), ihm also zusätzliche 48,14 Euro bzw ab [X.]52,50 Euro an Grundsicherungsleistungen insgesamt zustehen, kann der [X.]aber nicht abschließend beurteilen, weil sich das [X.]- wenn auch unter Feststellung des Alters des [X.]- ausschließlich mit der Frage eines höheren Freibetrags bei der Einkommensanrechnung befasst hat, und zwar ohne Ausführungen zum genauen monatlichen Einkommen. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 19 Abs 2 (in der Fassung, die die Norm durch das Gesetz zur Einordnung des [X.]in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - [X.]3022 - bzw ab 1.1.2008 durch das Gesetz zur Anpassung der Regelaltersrente an die demografische Entwicklung und Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom [X.]- [X.]554 - erhalten hat) iVm § 41 SGB XII (in der Fassung, die die Norm durch das Gesetz vom 27.12.2003 bzw ab dem 1.1.2008 durch das Gesetz vom [X.]erhalten hat). Danach ist - zusammengefasst formuliert - ua Personen, die das 65. Lebensjahr erfüllt bzw ab 1.1.2008 die Altersgrenze (Anhebung der 65 Jahre für Geburtsjahrgänge ab 1947 um je einen Monat für jeden Jahrgang über dem Geburtsjahr 1946) erreicht haben, mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland auf Antrag Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu leisten, soweit sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen nach §§ 82 bis 84 und 90 [X.]beschaffen können.

Zu Recht ist das [X.]- wie die Beklagte - davon ausgegangen, dass gemäß § 82 Abs 3 Satz 1 SGB XII (idF, die die Norm durch das Gesetz zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren im Sozialrecht - Verwaltungsvereinfachungsgesetz - vom 21.3.2005 - [X.]818 - <für die [X.]bis 6.12.2006> bzw durch das Gesetz zur Änderung des [X.]und anderer Gesetze vom 2.12.2006 - [X.]2670 - <für die [X.]ab 7.12.2006> erhalten hat) bei der Hilfe zum Lebensunterhalt und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung lediglich ein Betrag in Höhe von 30 vom Hundert des Einkommens aus selbstständiger oder nichtselbstständiger Tätigkeit der Leistungsberechtigten, ab [X.]begrenzt auf 50 vom Hundert des Eckregelsatzes, abzusetzen ist.

Ein höherer Freibetrag nach § 82 Abs 3 Satz 3 SGB XII ist nicht gerechtfertigt. Danach kann abweichend von Abs 3 Satz 1 in begründeten Fällen ein anderer Betrag vom Einkommen abgesetzt werden. Einen begründeten Fall hat der [X.]für ein nach § 104 Abs 1 [X.]iVm § [X.]- (SGB III) [X.]Ausbildungsgeld mit Rücksicht auf die besondere Situation behinderter Menschen in Werkstätten aus Gleichheitsgründen angenommen (BSGE 106, 62 ff Rd[X.]ff = [X.]4-3500 § 82 [X.]6; Urteil vom [X.]- [X.][X.]15/08 R - Rd[X.]18). Darüber hinaus soll eine Erhöhung des Freibetrages insbesondere als zusätzliche Motivation bei schweren gesundheitlichen oder persönlichen Beeinträchtigungen dienen ([X.]in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl 2010, § 82 SGB XII Rd[X.]50; [X.]in Hauck/Noftz, SGB XII, [X.]§ 82 Rd[X.]76, Stand Juni 2008; ähnlich wohl auch [X.]in Lehr- und Praxiskommentar [X.]<LPK-SGB XII>, 8. Aufl 2008, § 82 SGB XII Rd[X.]78). Es kann dahinstehen, ob dem zu folgen ist, weil vorliegend keine besondere Beeinträchtigung zu bejahen ist.

Nach Sinn und Zweck der Regelung ist es jedenfalls nicht zulässig, allein aufgrund des Alters einen erhöhten Freibetrag für Einkünfte aus einer ausgeübten Tätigkeit einzuräumen. Die Funktion des § 82 Abs 3 SGB XII besteht zwar allgemein darin, einen Anreiz zu schaffen, (trotz des Alters bzw einer vollen Erwerbsminderung) Arbeit aufzunehmen, die Arbeitsleistung zu steigern und den Arbeitswillen zu erhalten (vgl: BSGE 106, 62 ff Rd[X.]35 = [X.]4-3500 § 82 [X.]6; Lücking, aaO, [X.]§ 82 Rd[X.]76, Stand Juni 2008; Brühl, aaO, § 82 SGB XII Rd[X.]75). Abs 3 Satz 3 selbst soll allerdings dem [X.]nur die Möglichkeit eröffnen, gegenüber der typisierenden Regelung des Abs 3 Satz 1 flexibel zu reagieren (BT-Drucks 15/1514, [X.]zu § 77 des Entwurfs; [X.]in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl 2010, § 82 SGB XII Rd[X.]88; [X.]in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/Asylbewerberleistungsgesetz, § 82 SGB XII Rd[X.]82 f, Stand Mai 2007; [X.]in juris PraxisKommentar [X.]<jurisPK-SGB XII> § 82 SGB XII Rd[X.]68 SGB XII). Ein anderer Freibetrag ist damit im Rahmen einer Ermessensentscheidung (BSG, aaO, Rd[X.]35) nur zulässig, wenn kein Regelfall vorliegt.

Die Situation des [X.]entspricht jedoch gerade dem Regelfall des § 82 Abs 3 Satz 1 SGB XII. Anders als im früheren Recht des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) - § 76 Abs 2a (Absetzung in angemessener Höhe für Einkünfte bestimmter Personen) - werden vom [X.]bei der Hilfe zum Lebensunterhalt nämlich ohnedies lediglich noch Personen erfasst, die voll erwerbsgemindert, also nicht mindestens drei Stunden täglich unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein können (§ 21 Abs 1 Satz 1 SGB XII iVm § 7 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - <SGB II>), oder noch nicht bzw - wie der Kläger - nicht mehr im erwerbsfähigen Alter sind (vgl hierzu: Hohm, aaO, § 82 SGB XII Rd[X.]47; Schmidt, aaO, Rd[X.]66; [X.]in jurisPK-SGB XII, § 21 SGB XII Rd[X.]1, 9, 15 f). Ob das Beispiel des Ferienjobs eines Schülers in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 15/1514, [X.]zu § 77 des Entwurfs) für die Annahme eines begründeten Falls iS des § 82 Abs 3 Satz 3 SGB XII geglückt ist, mag bezweifelt werden; denn Schüler dürften regelmäßig als Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft unter das [X.]fallen. Das Beispiel in der Gesetzesbegründung rechtfertigt jedenfalls nicht die vom Kläger für seinen Fall gewünschte Auslegung der Norm. Die Anwendung des § 82 Abs 3 Satz 3 SGB XII generell auf Einkommen aus Tätigkeiten von über 65-Jährigen ohne zusätzliche Umstände, wäre geradezu systemwidrig. Der Gesetzgeber hat vielmehr mit der Neuregelung des [X.]ab 1.1.2005 als einfache, praktikable und einheitliche Lösung eine prozentuale Einkommensfreistellung für den Regelfall gewählt (vgl BT-Drucks 15/1514, [X.]zu § 77 Abs 3).

Das [X.]wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 8 SO 12/09 R

14.04.2011

Bundessozialgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Aachen, 20. Mai 2009, Az: S 19 SO 52/08, Urteil

§ 19 Abs 2 SGB 12 vom 27.12.2003, § 19 Abs 2 SGB 12 vom 20.04.2007, § 41 Abs 1 SGB 12 vom 27.12.2003, § 41 Abs 1 SGB 12 vom 20.04.2007, § 82 Abs 3 S 1 SGB 12 vom 21.03.2005, § 82 Abs 3 S 1 SGB 12 vom 02.12.2006, § 82 Abs 3 S 3 SGB 12 vom 21.03.2005, § 82 Abs 3 S 3 SGB 12 vom 02.12.2006, § 37 Abs 1 SGB 10, § 70 Nr 1 SGG, § 70 Nr 3 SGG, § 78 Abs 1 SGG, § 161 Abs 4 SGG, JustizG NW

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 14.04.2011, Az. B 8 SO 12/09 R (REWIS RS 2011, 7546)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7546

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 8 SO 24/16 R (Bundessozialgericht)

Sozialhilfe - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - Einkommenseinsatz - geringfügige Beschäftigung - Höhe …


B 8 SO 13/11 R (Bundessozialgericht)

Sozialhilfe - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - gemischte Bedarfsgemeinschaft mit Leistungsempfänger nach SGB …


B 8 SO 20/09 R (Bundessozialgericht)

Sozialhilfe - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - gemischte Bedarfsgemeinschaft nach SGB 2 - …


B 8 SO 15/08 R (Bundessozialgericht)


B 8 SO 21/10 R (Bundessozialgericht)

(Sozialhilfe - Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung - Übernahme angemessener Beiträge für eine private …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.

Öffnen: STRG + Shift | Schließen: ESC