Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.01.2021, Az. AnwSt (B) 4/20

Senat für Anwaltssachen | REWIS RS 2021, 9065

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Gegenstand

Anwaltsgerichtliches Verfahren: Besorgnis der Befangenheit bei Übergehen eines Akteneinsichtsantrags


Tenor

Das Ablehnungsgesuch vom 27. August 2020 gegen [X.], [X.] [X.], die Richterin [X.] sowie die Rechtsanwältin Schäfer und den Rechtsanwalt Prof. Dr. Schmittmann wird für begründet erklärt.

Gründe

I.

1

Das Anwaltsgericht [X.]hat den Rechtsanwalt wegen einer Verletzung anwaltlicher Pflichten am 9. Oktober 2018 zu einer Geldbuße von 5.000 [X.] verurteilt ([X.]. 1.760 [X.]).

2

Nach Einlegung der Berufung gegen dieses Urteil hat der Verteidiger durch Verfügung des Vorsitzenden des [X.] am 9. Mai 2019 Akteneinsicht erhalten ([X.]. 1.907 [X.]). Der [X.] hat die Berufungen des Rechtsanwaltes und der Generalstaatsanwaltschaft auf die mündliche Verhandlung vom 6. Dezember 2019 verworfen; die Revision hat er nicht zugelassen ([X.]. 3.521 [X.]).

3

Mit Schriftsatz vom 13. Februar 2020 ([X.]. 3.622 [X.]), eingegangen beim [X.] des [X.] am selben Tag, hat der Verteidiger des Rechtsanwaltes erneut um Akteneinsicht ersucht. Dieses Gesuch hat der [X.] nicht beschieden.

4

Mit Schriftsatz vom 17. Februar 2020 hat der Rechtsanwalt persönlich Nichtzulassungsbeschwerde erhoben ([X.]. 3.626 [X.]I). Der Nichtzulassungsbeschwerde hat der [X.] mit [X.]uss vom 6. März 2020 nicht abgeholfen. Mit an den [X.] gerichtetem Schriftsatz vom 24. März 2020 hat der Rechtsanwalt darauf hingewiesen, dass ihm die erbetene Akteneinsicht noch nicht gewährt worden sei ([X.]. 3.797 [X.]I). Mit Schreiben vom 17. April 2020, eingegangen am selben Tag, hat der Rechtsanwalt gegenüber der Geschäftsstelle des Senats auf das offene Akteneinsichtsgesuch hingewiesen ([X.]. 3.888 [X.]I).

5

Mit Schriftsatz vom 18. Mai 2020 hat der Rechtsanwalt gegenüber dem Senat erneut auf den Umstand hingewiesen, dass das Akteneinsichtsgesuch noch nicht beschieden worden sei; er habe deswegen noch keine Gelegenheit gehabt, den "[X.]" abschließend zu begründen ([X.]. 3.919 ff. [X.]II).

6

Auch der Senat hat das Akteneinsichtsgesuch nicht beschieden. Vielmehr hat der Senat die Nichtzulassungsbeschwerde durch einstimmigen [X.]uss vom 30. Juli 2020 verworfen.

7

Hiergegen richtet sich der mit Schriftsatz vom 27. August 2020 erhobene Antrag nach § 116 Abs. 1 Satz 2 [X.], § 356a [X.]. Diesen verbindet der Rechtsanwalt mit einer gegen alle am [X.]uss vom 30. Juli 2020 beteiligten [X.] gerichteten Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit. Diese stützt er auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) durch den erkennenden Senat im [X.]uss vom 30. Juli 2020, an dem wegen der erforderlichen Einstimmigkeit (§ 145 Abs. 5 Satz 2 [X.]) alle [X.] persönlich beteiligt gewesen seien. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz Bezug genommen ([X.]. 3.933 ff. d. A.).

II.

8

[X.] vom 30. Juli 2020 beteiligten [X.], über das wegen der gleichzeitigen Antragstellung und der Identität des [X.] durch einheitlichen [X.]uss zu entscheiden war (vgl. hierzu [X.] in: [X.]/[X.], [X.], 63. Aufl., § 27 Rn. 4), hat Erfolg.

9

Das zulässige Ablehnungsgesuch ist begründet. Nach § 24 Abs. 2 [X.] findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines [X.]s zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn aus der Sicht eines Beteiligten bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des [X.]s zu zweifeln (st. Rspr.; vgl. [X.], [X.]üsse vom 10. Juni 2013 - [X.] ([X.]) 24/12, NJW-RR 2013, 1211 Rn. 6; vom 15. März 2012 - [X.] 102/11, [X.], 1890 Rn. 10; vom 20. August 2014 - [X.] 3/13, Rn. 5, juris; jeweils mwN). Nicht erforderlich ist dagegen, dass tatsächlich eine Befangenheit vorliegt. Vielmehr genügt es, dass die aufgezeigten Umstände geeignet sind, der [X.] Anlass zu begründeten Zweifeln zu geben; denn die Vorschriften über die Befangenheit von [X.]n bezwecken, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu vermeiden (vgl. [X.] 108, 122, 126; [X.], [X.]üsse vom 15. März 2012 und vom 20. August 2014, jeweils aaO). Aus dem Vorliegen eines Verfahrensfehlers durch ein Gericht kann zwar nicht unmittelbar auf eine Besorgnis der Befangenheit geschlossen werden; jedoch begründen solche (qualifizierten) Verfahrensfehler die Besorgnis der Befangenheit, die sich unmittelbar zum Nachteil eines Beteiligten auswirken und deswegen den Schluss zulassen, der [X.] sei nicht unparteiisch, sondern gegen den betroffenen Beteiligten eingestellt (vgl. BayObLG NJW-RR 2001, 642, 643). Wird etwa ein Akteneinsichtsgesuch übergangen und dennoch ein Verkündungstermin anberaumt, so kann auch eine besonnene [X.] den Eindruck gewinnen, ihr werde vom Gericht keine hinreichende Verteidigungsmöglichkeit gewährt ([X.], [X.] 2001, 891).

Nach diesen Grundsätzen ist ein Ablehnungsgrund gegen die am [X.]uss vom 30. Juli 2020 beteiligten [X.] zu bejahen. Der Umstand, dass das Akteneinsichtsgesuch des Rechtsanwaltes durch den Senat übergangen worden und es dennoch zu einer einstimmigen Zurückweisung der Beschwerde gekommen ist, kann jedenfalls dann, wenn - wie hier - mehrfach auf das offene Akteneinsichtsgesuch hingewiesen worden ist, einem Beteiligten bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung der beteiligten [X.] zu zweifeln.

Das Übergehen des Akteneinsichtsgesuchs des Verteidigers des Rechtsanwaltes war [X.]. Zunächst besteht ein Akteneinsichtsrecht des Verteidigers des Rechtsanwaltes nach § 116 Abs. 1 Satz 2 [X.], § 147 Abs. 1 [X.]. Dieses gilt grundsätzlich voraussetzungslos und besteht auch gegenüber dem erkennenden Senat. Das Recht auf Akteneinsicht ist bereits in der Vorinstanz durch den Verteidiger geltend gemacht worden. In mehreren Schriftsätzen, u.a. vom 18. Mai 2020, ist auf das noch offene Gesuch hingewiesen worden. Dieser Hinweis ist bei verständiger Würdigung nicht nur als Rüge der unterbliebenen Gewährung von Akteneinsicht durch den [X.], sondern auch als Antrag auf Akteneinsicht gegenüber dem Senat selbst zu verstehen. Selbst wenn man dieser Auslegung nicht folgen wollte, wäre die Zuständigkeit zur Entscheidung über das bereits vor dem [X.] angebrachte Akteneinsichtsgesuch ipso iure auf den erkennenden Senat übergegangen, als der [X.] die Sache an diesen mit dem Nichtabhilfebeschluss abgegeben hat; mit diesem Zeitpunkt ist das Beschwerdegericht das befasste Gericht im Sinne von § 147 Abs. 5 Satz 1 Variante 3 [X.] (vgl. [X.], [X.]. v. 7. November 2019 - StB 24/19, juris Rn. 10). Funktional zuständig für die Gewährung der Akteneinsicht war der Vorsitzende (§ 116 Abs. 1 Satz 2 [X.], § 147 Abs. 5 Satz 1 Variante 3 [X.]).

Tatsächlich sind Gründe, die ausnahmsweise eine Verweigerung der Akteneinsicht rechtfertigen könnten (insbesondere § 116 Abs. 1 Satz 2 [X.], § 147 Abs. 2 [X.]), nicht ersichtlich. Der [X.]uss des Senats geht auf das noch offene Gesuch nicht ein, weshalb auch nicht erkennbar ist, ob der Senat ggf. einen Grund für die Verweigerung der Akteneinsicht angenommen hat. Allein der Umstand, dass ein Beteiligter bereits einmal Akteneinsicht erhalten hat, schließt eine weitere Akteneinsicht jedenfalls dann nicht aus, wenn der Akteninhalt - wie hier - umfangreicher geworden ist ([X.] in: [X.]/[X.], [X.], 63. Aufl., § 147 Rn. 12). Zudem hatte sich der Rechtsanwalt eine abschließende Begründung seines Antrages nach Akteneinsicht vorbehalten.

Die Besorgnis der Befangenheit besteht bei allen Mitgliedern des Senats, die am [X.]uss vom 30. Juli 2020 mitgewirkt haben, da es sich um einen einstimmigen [X.]uss gehandelt hat und daher prozessual ausgeschlossen werden kann, dass einzelne Mitglieder des Senats sich der Entscheidung unter Hinweis auf das offene Akteneinsichtsgesuch widersetzt hätten.

Einer dienstlichen Äußerung nach § 26 Abs. 3 [X.] bedurfte es nicht, da der zur Besorgnis der Befangenheit führende Sachverhalt eindeutig feststeht (vgl. [X.], [X.]uss vom 24. Juli 2007 - 4 [X.], [X.], 117).

Nach alledem war dem Ablehnungsgesuch des Rechtsanwaltes stattzugeben.

[X.]     

        

Liebert     

        

Ettl   

        

Kau     

        

Merk     

        

Meta

AnwSt (B) 4/20

29.01.2021

Bundesgerichtshof Senat für Anwaltssachen

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend BGH, 30. Juli 2020, Az: AnwSt (B) 4/20, Beschluss

§ 24 Abs 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.01.2021, Az. AnwSt (B) 4/20 (REWIS RS 2021, 9065)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 9065

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Ablehnung eines Richters im Strafverfahren: Besorgnis der Befangenheit bei Vorbefassung mit dem Verfahrensgegenstand


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V ZB 102/11

2 BvR 857/14

1 StR 490/10

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