Bundesfinanzhof, Urteil vom 21.09.2011, Az. I R 89/10

1. Senat | REWIS RS 2011, 3153

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Gegenstand

Teilwertabschreibung auf börsennotierte Aktien im Anlagevermögen bei voraussichtlich dauernder Wertminderung - Verfassungsmäßigkeit der typisierenden Gesetzesauslegung durch die Rechtsprechung - Einheitlichkeit der Kostenentscheidung bei Anschlussrevision und Zurückverweisung an FG


Leitsatz

Von einer voraussichtlich dauernden Wertminderung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG 1997 i.d.F. des StEntlG 1999/2000/ 2002 ist bei börsennotierten Aktien grundsätzlich dann auszugehen, wenn der Börsenwert zum Bilanzstichtag unter denjenigen im Zeitpunkt des Aktienerwerbs gesunken ist und der Kursverlust die Bagatellgrenze von 5 % der Notierung bei Erwerb überschreitet. Auf die Kursentwicklung nach dem Bilanzstichtag kommt es hierbei nicht an (Bestätigung und Präzisierung der Rechtsprechung) .

Tatbestand

1

I. Die Klägerin, Revisionsbeklagte und Anschlussrevisionsklägerin (Klägerin), eine A[X.], erwarb von März bis Mai 2001 (Streitjahr) Aktien dreier börsennotierter [X.]esellschaften ([X.] bis III). Die Anteile gehörten zu ihrem Anlagevermögen; deren Werte entwickelten sich wie folgt:

2

  

[X.]

(...)

[X.]I

([X.].)

[X.]II

([X.])

Kaufdatum 

29. Mai 2001

 30. Mai 2001

01. März 2001

[X.] bei Erwerb

14,55 € 

35,27 €

83,50 €

[X.]wert beim Erwerb

218.250,00 € 

705.400,00 €

501.000,00 €

Anschaffungskosten

219.104,28 € 

708.002,97 €

502.706,15 €

davon Anschaffungsnebenkosten

854,28 € 

2.602,97 €

 1.706,15 €

Quote/Anschaffungsnebenkosten

0,39 %

0,37 % 

0,34 %

[X.] am 31. Dezember 2001

9,50 €

28,81 €

74,35 €

[X.]minderung: Erwerb/ 31. Dezember 2001

./. 34,71 %

./. 18,32 %

./. 10,96 %

[X.]wert am 31. Dezember 2001

142.500,00 €

576.200,00 €

446.100,00 €

[X.] am 14. März 2002

13,35 €

24,96 €

74,10 €

[X.]minderung: Erwerb/14. März 2002

./. 8,25 % 

./. 29,23 %

11,26 %

     

                          

3

Der handelsrechtliche Jahresabschluss wurde vom Vorstand und dem Steuerberater der Klägerin am 14. März 2002 unterzeichnet; die Steuerklärungen 2001 sind am 16. Juni 2003 dem Beklagten, Revisionskläger und Anschlussrevisionsbeklagten (Finanzamt --[X.]--) eingereicht worden. Die auf der [X.]rundlage der [X.]werte zum 31. Dezember 2001 von der Klägerin vorgenommenen Teilwertabschreibungen in Höhe von insgesamt 218.190,52 € (= 68.517,15 € [[X.]] + 114.754,86 € [[X.]I] + 34.918,51 € [[X.]II]) erkannte das [X.] bei der Festsetzung der Körperschaftsteuer 2001 sowie des [X.] 2001 nicht an. Das [X.] änderte mit den [X.] beide Bescheide lediglich insoweit, als es die Teilwertabschreibung auf eine weitere --vorliegend nicht streitige--

Aktienposition anerkannte, weil deren [X.]wert zum 31. Dezember 2001 um 52,66 % unter die Anschaffungskosten gesunken war. Es nahm hierbei auf das Schreiben des [X.] ([X.]) vom 26. März 2009 ([X.], 514) Bezug, nach welchem von einer voraussichtlich dauernden Wertminderung i.S. von § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des [X.] 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 ([X.], 402, BStBl I 1999, 304) --ESt[X.] 1997 n.F.-- nur dann auszugehen sei, wenn der Börsenkurs zum jeweiligen Bilanzstichtag um mehr als 40 % oder an zwei aufeinander folgenden Bilanzstichtagen um jeweils mehr als 25 % unter die Anschaffungskosten gesunken sei.

4

Das Finanzgericht ([X.]) hat der Klage mit Urteil vom 31. August 2010  9 K 3466/09 K,[X.] nur insoweit stattgegeben, als es eine Teilwertabschreibung auf die Anteile an der [X.] in Höhe von 18.073,31 € zugelassen hat. Zur Begründung führte es u.a. aus, dass nach dem Urteil des [X.] ([X.]) vom 26. September 2007 [X.]/06 ([X.]E 219, 100, [X.], 294) bei börsennotierten Aktien des [X.] eine voraussichtlich dauernde Wertminderung vorliege, wenn deren [X.]wert zum Bilanzstichtag unter die Anschaffungskosten gesunken sei und zum Zeitpunkt der Aufstellung der Bilanz keine Anhaltspunkte für ein alsbaldiges Ansteigen des [X.]es vorlägen. Zu berücksichtigen sei hierbei zum einen, dass [X.]verluste innerhalb einer gewissen Bandbreite aus [X.]ründen der [X.] als nur vorübergehende --und damit nicht dauerhafte-- Wertminderungen zu qualifizieren seien. Nur so könne vermieden werden, dass jede [X.]minderung zu einer Teilwertabschreibung führe und die Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 ESt[X.] 1997 n.F. leer laufe. Zum anderen lasse sich eine dauerhafte Wertminderung nur dann allein aus der Entwicklung der Börsenkurse ableiten, wenn diese den Erwerbspreis nicht unerheblich unterschritten. Zur Bestimmung dieser Schwellenwerte seien allerdings die im [X.]-Schreiben in [X.], 514 vertretenen [X.]renzen nicht geeignet, da es insbesondere keinen Erfahrungssatz gebe, nach dem [X.]einbrüche um 40 % üblicherweise kurz- bis mittelfristig aufgeholt würden. Vielmehr sei auf den vom [X.] in [X.] ([X.]) für die Bilanzierung in der Versicherungswirtschaft (§ 341b i.V.m. § 253 des Handelsgesetzbuchs a.F. --H[X.]B a.F.--) erarbeiteten Standard [X.] RS V[X.] 2 vom 8. April 2002 (Die Wirtschaftsprüfung --WPg-- 2002, 475, Rz 19) zurückzugreifen, nach dem dann von einer voraussichtlich dauernden Wertminderung auszugehen sei, wenn (1) entweder der Zeitwert des Wertpapiers innerhalb von sechs Monaten vor dem Bilanzstichtag ständig um mehr als 20 % unter dem Buchwert oder (2) der Zeitwert über einen längeren Zeitraum als ein [X.]eschäftsjahr unter dem Buchwert und der Durchschnittswert der täglichen Börsenkurse des Wertpapiers in den letzten 12 Monaten um mehr als 10 % unter dem Buchwert liege. Mit Rücksicht auf die gebotene Vereinfachung sei die zeitraumbezogene Betrachtung des [X.] jedoch zugunsten der Maßgeblichkeit von [X.] zu modifizieren mit der Folge, dass bei im laufenden [X.]eschäftsjahr angeschafften Aktien eine dauernde Wertminderung voraussetze, dass der [X.] am Bilanzstichtag denjenigen bei Erwerb um mehr als 20 % unterschreite; zudem werde die Höhe der Teilwertabschreibung durch eine etwaige Wertaufholung am Tag der Bilanzerstellung sowie die im Falle einer Wiederbeschaffung der Aktien anfallenden Anschaffungsnebenkosten begrenzt. Eine Teilwertabschreibung sei nach diesen Maßstäben nur bei den Aktien an der [X.] gerechtfertigt. Zu weiteren Einzelheiten wird auf die in Entscheidungen der Finanzgerichte (E[X.]) 2011, 124 abgedruckten Urteilsgründe verwiesen.

5

Mit seiner Revision rügt das [X.] u.a., dass angesichts der erheblichen Schwankungen der Börsenwerte die vom [X.] vertretene 20 %-[X.]renze nicht geeignet sei, auf eine voraussichtlich dauernde Wertminderung (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 ESt[X.] 1997 n.F.) zu schließen. Die Klägerin macht mit ihrer Anschlussrevision geltend, das [X.] hätte der begehrten Teilwertabschreibung in vollem Umfang entsprechen müssen. Die Vorinstanz habe die ihr zustehenden Befugnisse zur [X.]esetzesauslegung durch die Bestimmung letztlich willkürlicher Schwellenwerte für die Teilwertabschreibung überschritten. Maßgeblich im Sinne der Rechtsprechung des [X.] sei nur der Börsenkurs am Bilanzstichtag.

6

Das [X.] beantragt,

das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Anschlussrevision der Klägerin zurückzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die angefochtenen Steuerbescheide dahin zu ändern, dass weitere Teilwertabschreibungen auf die Aktien des Anlagevermögens in Höhe von 218.190,52 € zugelassen werden, sowie die Revision des [X.] zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision des [X.] ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Die [X.] der Klägerin führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.]O, da der [X.] aufgrund der Feststellungen des [X.] nicht beurteilen kann, in welchem Umfang die von der Klägerin insgesamt begehrten Teilwertabschreibungen (218.190,52 €) --über den von der Vorinstanz zugesprochenen Betrag (18.073,31 €) hinaus-- anzuerkennen sind.

9

1. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 EStG 1997 n.F. sind nicht abnutzbare Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens mit ihren Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu bilanzieren. Jedoch kann gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG 1997 n.F. der Teilwert angesetzt werden, wenn dieser aufgrund einer voraussichtlich dauernden Wertminderung niedriger ist.

2. Eine voraussichtlich dauernde Wertminderung liegt vor, wenn der Teilwert nachhaltig unter den maßgeblichen Buchwert gesunken ist (BTDrucks 14/443, S. 22; BFH-Urteil vom 9. September 1986 VIII R 20/85, [X.] 1987, 442) und deshalb aus Sicht des [X.] aufgrund objektiver Anzeichen ernstlich mit einem langfristigen Anhalten der Wertminderung gerechnet werden muss ([X.]surteil vom 27. November 1974 [X.], [X.], 415, [X.] 1975, 294). Hierfür bedarf es einer an der Eigenart des Wirtschaftsgutes ausgerichteten Prognose ([X.]surteil vom 14. März 2006 [X.], [X.], 526, [X.] 2006, 680). Der [X.] hat diese --soweit ersichtlich-- nicht umstrittenen allgemeinen Grundsätze mit seinem Urteil in [X.], 100, [X.] 2009, 294 dahin konkretisiert, dass allein die Möglichkeit einer Wertsteigerung in der Zukunft einer Teilwertabschreibung nicht entgegensteht; abzustellen ist deshalb darauf, ob aus Sicht des [X.] mehr Gründe für ein Andauern der Wertminderung sprechen als dagegen. Hiernach ist bei börsennotierten und im Anlagevermögen gehaltenen Aktien dann von einer voraussichtlich dauernden Wertminderung auszugehen, wenn der Börsenkurs der Aktie (zuzüglich der im Falle eines Erwerbs anfallenden Nebenkosten) zum Bilanzstichtag unter ihren Buchwert gesunken ist und keine konkreten Anhaltspunkte für eine baldige Wertsteigerung vorliegen.

3. Der [X.] hält an dieser Rechtsprechung fest und präzisiert sie mit Rücksicht auf die im Urteil in [X.], 100, [X.] 2009, 294 offengebliebene Frage, ob Kursverluste innerhalb einer gewissen Bandbreite als nur vorübergehende Wertschwankungen zu beurteilen sind, dahin, dass grundsätzlich jede Minderung des [X.] die Annahme einer --gegenüber dem Kurswert im [X.]punkt des [X.] voraussichtlich dauernden Wertminderung i.S. von § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG 1997 n.F. rechtfertigt und damit weder die im BMF-Schreiben in [X.], 514 vertretenen noch die von der Vorinstanz in Anlehnung an die Auffassung des [X.] befürworteten Schwellenwerte ([X.], 475, s. zu I.4.) unterschritten sein müssen. Zum anderen ist die im [X.]surteil in [X.], 100, [X.] 2009, 294 --mangels [X.] gleichfalls offengebliebene Frage, ob die bis zum [X.] eingetretenen Kursänderungen als für die Verhältnisse am Bilanzstichtag werterhellend anzusehen sind, dahin zu beantworten, dass es sich hierbei um wertbeeinflussende (wertbegründende) Umstände handelt, die grundsätzlich die Bewertung der Aktien zum Bilanzstichtag nicht berühren.

a) Das [X.]surteil in [X.], 100, [X.] 2009, 294, nach welchem das Merkmal der voraussichtlich dauernden Wertminderung (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG 1997 n.F.) am Kurswert auszurichten ist, beruht auf einer typisierenden Gesetzesauslegung. Hierzu ist auch die Rechtsprechung jedenfalls dann befugt, wenn eine Einzelfallprüfung der steuergesetzlichen Tatbestandsmerkmale angesichts der Vielzahl der hiervon betroffenen Sachverhalte nicht unerhebliche Schwierigkeiten bereiten würde. Bei Fällen dieser Art gestattet deshalb das berechtigte Interesse sowohl der Steuerpflichtigen als auch der Finanzbehörden nach einem raschen und praktikablen Gesetzesvollzug eine typisierende Bestimmung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale, vorausgesetzt, die Typisierung führt weder zu einem Verstoß gegen das Verbot willkürlicher Rechtsanwendung noch zur Verletzung von Grundrechten (Beschlüsse des [X.] vom 31. Mai 1988  1 BvR 520/83, [X.] 78, 214, 227, 228 f.; vom 4. Februar 2005  2 BvR 1572/01, [X.] --HFR-- 2005, 352).

aa) Der [X.] hat hierzu erläutert, dass die verschiedenen im Handelsrecht sowohl zu § 253 Abs. 2 Satz 3 HGB a.F. (heute: Abs. 3 Satz 4 HGB n.F.) als auch zu § 341b Abs. 1 Satz 3 HGB a.F. (heute Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 253 Abs. 3 Satz 4 HGB n.F.) vertretenen Auffassungen, denen zufolge eine voraussichtlich dauernde Wertminderung an die --unterschiedlich bestimmte-- Höhe der Differenz zwischen den historischen und den aktuellen Börsenkursen sowie der [X.] nicht einheitlich bestimmten-- Dauer solcher Kursabweichungen gebunden ist, sowohl die Finanzbehörden als auch die steuerlichen Berater überfordern würden und es deshalb für das durch die Bewältigung einer Vielzahl von Fällen gekennzeichnete Steuerverfahren (Massenverfahren) einfacher und leicht überprüfbarer Kriterien bedürfe (vgl. --einschließlich der Darstellung der handelsrechtlichen [X.] [X.]surteil in [X.], 100, [X.] 2009, 294, zu [X.] und II.1.c).

bb) Dass der [X.] hiernach zur Bestimmung der voraussichtlich dauernden Wertminderung i.S. von § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG 1997 n.F. auf das typisierende Kriterium des gesunkenen Börsenkurses zurückgreift, verstößt erkennbar weder gegen das Verbot willkürlicher Rechtsanwendung noch gegen Grundrechte.

aaa) Nur diese Einschätzung entspricht der gebotenen Objektivierung der Bewertung (vgl. [X.]surteil vom 7. November 1990 [X.], [X.], 552, [X.] 1991, 342: betreffend Teilwertbestimmung) und sichert damit einen gleichmäßigen Gesetzesvollzug (BVerfG-Beschluss in [X.] 78, 214, 229), da --worauf der [X.] bereits im Urteil in [X.], 100, [X.] 2009, 294 (zu II.1.d) hingewiesen [X.] der aktuelle Börsenkurs die informationsgestützte Einschätzung einer großen Zahl von Marktteilnehmern über die künftigen Risiken und Erfolgsaussichten des jeweiligen Unternehmens widerspiegelt und zugleich deren Erwartung ausdrückt, dass [X.] voraussichtlich dauerhaften Charakter besitzt. Tragend hierfür ist, dass der aktuelle Börsenwert --im Vergleich zum Kurswert bei Erwerb der Anteile-- eine höhere Wahrscheinlichkeit aufweist, die künftige Kursentwicklung zu prognostizieren.

bbb) Soweit das [X.] hiergegen einwendet, die These eines informationseffizienten Kapitalmarkts sei im finanzwissenschaftlichen Schrifttum zunehmend umstritten (z.B. [X.]/[X.], [X.] 2003, 212, 213), vermag dies keine andere Beurteilung zu rechtfertigen. Der Einwand lässt nicht nur außer [X.], dass --wie nachfolgend auszuführen sein wird (s. zu cc)-- beispielsweise Marktanomalien, die geeignet sind, den Börsenkurs zu verfälschen, auch im Rahmen der Entscheidung über die Wertminderung nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG 1997 n.F. zu berücksichtigen sind. Hinzu kommt vor allem, dass selbst dann, wenn man allgemein von teilweise ineffizienten Kapitalmärkten ausgeht, angesichts der Vielzahl der in Frage stehenden Bewertungen (Steuerfälle) sowie der begrenzten personellen Ressourcen regelmäßig weder die Gerichte noch die Finanzbehörden noch die Steuerpflichtigen oder deren Berater in der Lage wären, eine hinreichend sichere und objektiv nachprüfbare Aussage darüber zu treffen, dass die für die einzelnen Aktienwerte vorliegenden Kursnotierungen nicht alle am Bilanzstichtag verfügbaren Informationen verarbeitet hätten. Demgemäß kann es auch nicht in Betracht kommen, bei der Prognose über die zukünftige Wertentwicklung einer Aktie deren Börsennotierung durch einen vermeintlich besseren oder jedenfalls nicht hinlänglich verifizierbaren Schätzwert zu ersetzen (ähnlich Schön in [X.] [Hrsg.], Steuer- und Gesellschaftsrecht zwischen Unternehmerfreiheit und Gemeinwohl, Festschrift für [X.] 2006, [X.], 314). Vielmehr entspricht nur die typisierende --und zudem durch das Wertaufholungsgebot des § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 i.V.m. Nr. 1 Satz 4 EStG 1997 n.F. legitimierte-- Annahme, dass sich im Regelfall [X.]wert einer Aktie unter den Bedingungen eines informationseffizienten Kapitalmarkts gebildet habe, dem Erfordernis eines gleichheitsgerechten Gesetzesvollzugs.

cc) Die Rechtsprechung des [X.]s ist auch insofern verfassungsrechtlich unbedenklich, als die vorgenannte Typisierung --wie bereits angedeutet-- nicht dazu führt, den zukünftigen Wert der Aktie im Sinne einer unwiderlegbaren Vermutung aus dem Börsenkurs am Bilanzstichtag abzuleiten (vgl. BVerfG-Beschluss in HFR 2005, 352). Der [X.] hat hierzu im Urteil in [X.], 100, [X.] 2009, 294 dargelegt, dass ein --gegenüber den Anschaffungskosten der Aktie-- gesunkener Börsenkurs dann nicht auf eine voraussichtlich dauernde Wertminderung schließen lasse, wenn (spätestens) im [X.]punkt der Bilanzerstellung konkrete Anhaltspunkte für eine baldige Werterholung vorliegen. Letzteres ist dahin zu präzisieren, dass der Teilwert einer Aktie und damit auch deren voraussichtlich dauernde Wertminderung i.S. von § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG 1997 n.F. nicht nach dem Kurswert bestimmt werden können, wenn aufgrund konkreter und objektiv überprüfbarer Anhaltspunkte davon auszugehen ist, dass der Börsenpreis den tatsächlichen Anteilswert nicht widerspiegelt. Dies kann --ohne dass der [X.] vorliegend die hierfür maßgeblichen Umstände abschließend zu benennen hätte-- dann der Fall sein, wenn [X.] am Bilanzstichtag durch [X.] beeinflusst (manipuliert) war ([X.], [X.], 138) oder wenn über einen längeren [X.]raum hinweg mit den zu bewertenden Aktien praktisch kein Handel stattgefunden hat (vgl. Beschluss des [X.] vom 12. März 2001 II ZB 15/00, [X.], 108; [X.]surteil vom 25. August 2009 [X.], 89/07, [X.], 296).

b) Aus der typisierenden Annahme, dass der Börsenkurs sich --vorbehaltlich der dargelegten [X.] auf der Grundlage eines informationseffizienten Kapitalmarkts gebildet hat, sind mit Rücksicht auf das anhängige Verfahren Folgerungen zweierlei Art abzuleiten.

aa) Zum einen ergibt sich hieraus, dass die (typisierende) Prämisse der Informationseffizienz nicht nur [X.]bildung am Bilanzstichtag, sondern auch den anschließenden Notierungen bis zum [X.] zugrunde zu legen ist. Demgemäß ist es --entgegen der Einschätzung der [X.] ausgeschlossen, Kursänderungen in der [X.] bis zur Aufstellung der Bilanz bei der Entscheidung über die Teilwertminderung am Bilanzstichtag als sog. [X.] Umstände zu berücksichtigen (gl.[X.], Die Unternehmensbesteuerung --[X.]-- 2008, 68, 71; [X.], [X.], 138; [X.], Betriebs-Berater --BB-- 2008, 546, 548; Korn/Strahl in Korn, EStG, § 6 [X.] 204.1; [X.], [X.]schrift für Bankrecht und Bankwirtschaft 2000, 121, 128). Soweit sich das handelsrechtliche Schrifttum mit Rücksicht auf das [X.] (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) dafür ausspricht, die Geschehensabläufe bis zur Aufstellung der Bilanz als werterhellend zu würdigen (z.B. [X.], Der Betrieb 1999, 2577, 2580), kann dies schon mit Rücksicht darauf, dass das Tatbestandsmerkmal der dauernden Wertminderung i.S. von § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG 1997 n.F. einer steuerrechtlich eigenständigen und durch die [X.] gekennzeichneten Auslegung unterworfen ist, keine andere Beurteilung rechtfertigen. Unberührt hiervon bleibt allerdings, dass [X.] Erkenntnisse darüber, dass bereits am Bilanzstichtag objektive Anhaltspunkte für Kursverfälschungen vorgelegen haben (vgl. vorstehend zu [X.]), auch in der [X.] bis zur Aufstellung der Bilanz mit der Folge gewonnen werden können, dass der tatsächliche Wert der betroffenen Aktien --ohne Bindung an den Börsenkurs zum Bilanzstichtag-- zu schätzen ist ([X.], [X.], 138).

bb) Mit der typisierenden Annahme eines informationseffizienten Kapitalmarkts ist zum anderen auch verbunden, dass eine objektiv nachvollziehbare Unterscheidung zwischen nur vorübergehenden üblichen Kursschwankungen einerseits und Kursveränderungen aufgrund längerfristig wirkender Faktoren andererseits nur schwer zu treffen sein wird ([X.], a.a.[X.], S. 319; [X.], [X.] 2008, 68, 71). Deshalb kann es --entgegen der Ansicht der Vorinstanz sowie der Ansicht der Finanzverwaltung (s. zu [X.] auch nicht in Betracht kommen, eine Teilwertabschreibung wegen voraussichtlich dauernder Wertminderung im Grundsatz davon abhängig zu machen, dass der aktuelle Börsenkurs denjenigen im [X.]punkt des Aktienerwerbs um einen bestimmten Schwellenwert (Signifikanzwert) unterschreitet.

aaa) Der [X.] kann sich auch nicht dem Vorschlag anschließen, entsprechend der allgemein im Steuerrecht vertretenen Erheblichkeitsschwelle (vgl. z.B. [X.] vom 7. April 2011 [X.]/09, [X.] 2011, 1392) nur Kursrückgänge von mehr als 10 % der [X.] als Ausdruck einer voraussichtlich dauernden Wertminderung zu qualifizieren (z.B. [X.], BB 2009, 892). Vielmehr muss --annahmegemäß-- auch bei geringeren Kursminderungen davon ausgegangen werden, dass der Markt auch die Dauerhaftigkeit einer solchen Wertminderung verarbeitet hat. Abweichend von der Einschätzung der Vorinstanz führt diese Beurteilung auch nicht dazu, dass dem [X.] der voraussichtlich dauernden Wertminderung kein relevanter Regelungsbereich mehr verbleibt (vgl. hierzu allgemein [X.] vom 1. Februar 2006 [X.], [X.], 242, [X.] 2006, 420, 425, m.w.N.). Der Einwand lässt nicht nur außer [X.], dass der typisierende Rückgriff auf die Börsenkurse am Bilanzstichtag insbesondere durch den Aspekt des gleichheitsgerechten Gesetzesvollzugs legitimiert ist und --wie erläutert-- unter dem Vorbehalt steht, dass die Annahme einer im wesentlichen informationseffizienten Kursbildung nicht durch konkrete (objektive) Anhaltspunkte widerlegt wird. Hinzu kommt, dass die Ansicht des erkennenden [X.]s nur börsennotierte Werte und damit keinesfalls die Gesamtheit aller von den [X.] des § 6 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 1 EStG 1997 n.F. erfassten Wirtschaftsgüter betrifft (vgl. z.B. zu Gebäuden sowie Fremdwährungsverbindlichkeiten BFH-Urteile in [X.], 526, [X.] 2006, 680; vom 29. April 2009 [X.]/08, [X.], 357, [X.] 2009, 899; vom 23. April 2009 [X.]/06, [X.], 564, [X.] 2009, 778; [X.]surteil vom 8. Juni 2011 [X.]/10, [X.] 2011, 1758). Auch insofern verbietet sich die Annahme, dass den [X.] des § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 oder Nr. 1 Satz 2 EStG 1997 n.F. kein relevanter Anwendungsbereich mehr zukomme.

bbb) Unberührt bleibt hiervon andererseits jedoch, dass es mit Rücksicht auf die gebotene Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens und damit im Einklang mit der für börsennotierte Aktien geltenden typisierenden Auslegung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG 1997 n.F. sachgerecht erscheint, Kursverluste innerhalb einer Bandbreite minimaler und in ihrer Höhe zu vernachlässigender Wertschwankungen außer Ansatz zu lassen (Bagatellgrenze). In Anlehnung an den bilanzrechtlichen Wesentlichkeitsgrundsatz (vgl. [X.], a.a.[X.], S. 320; [X.], [X.] 2011, 267) ist diese Schwelle geringfügiger Kursverluste auf 5 % der Notierung im [X.] zu begrenzen ([X.], [X.] 2008, 68, 71; vgl. auch [X.]/[X.], a.a.[X.], § 6 EStG [X.] 560c).

4. [X.] ist nicht spruchreif.

a) Nach den bis zum Bilanzstichtag erlittenen Kursverlusten sind die von der Klägerin begehrten Teilwertabschreibungen bezüglich der Anteile an der [X.]. und der [X.] zu gewähren. Da der Teilwert der Aktien nicht nur den Börsenkurs zum 31. Dezember 2001, sondern zudem auch die im Falle eines Erwerbs anteilig anfallenden Erwerbsnebenkosten umfasst (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 i.V.m. Nr. 1 Satz 3 EStG 1997 n.F.; BFH-Urteile vom 15. Juli 1966 [X.], [X.], 699, [X.]I 1966, 643; vom 29. April 1999 [X.]/97, [X.], 386, [X.] 2004, 639), ergibt sich hieraus --vor der gegenläufigen Berücksichtigung der (geminderten) [X.] eine Teilwertabschreibung auf die Anteile an der [X.]. in Höhe von 129.671,03 € (= 708.002,97 € [bisheriger Buchwert] abzüglich 578.331,94 € [100,37% des Börsenkurses zum Bilanzstichtag]) sowie bezüglich der [X.] eine Abschreibung in Höhe von 55.089,41 € (= 502.706,15 € [bisheriger Buchwert] abzüglich 447.616,74 € [100,34 % des Börsenkurses zum Bilanzstichtag]), zusammen somit eine Gewinnminderung in Höhe von 184.760,44 €. Die Revision des [X.] ist demnach nicht begründet.

b) Ob und in welcher Höhe hingegen auch der [X.] für die Anteile an der [X.] nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG 1997 n.F. zu mindern und in welchem Umfang damit dem Begehren der Klägerin (Teilwertabschreibungen in Höhe von 218.190,52 €) insgesamt zu entsprechen ist, kann der [X.] nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht beurteilen. Das [X.] wird insoweit Feststellungen dazu zu treffen haben, ob zum Bilanzstichtag (31. Dezember 2001) objektive Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass der Börsenkurs der [X.] nicht den tatsächlichen Anteilswert abgebildet hat. Anlass für eine solche Überprüfung besteht bezüglich der Anteile I deshalb, weil die relativen Wertverluste dieser Aktie zum Bilanzstichtag in signifikanter Weise diejenigen der anderen Aktienpositionen ([X.]., [X.]) übertreffen und zudem die [X.] nach den Notierungen bis zum Tag der Aufstellung der Bilanz 2001 --entgegen dem Trend der beiden anderen [X.] einen großen Teil ihres zuvor erlittenen Verlusts wieder ausgeglichen hat. Sollte sich deshalb im zweiten Rechtsgang ergeben, dass dieser schwankende Kursverlauf beispielsweise auf (äußerst) geringe Handelsumsätze oder auf andere wesentliche Störungen (Informationsineffizienzen) im [X.] zurückzuführen ist, so wird das [X.] unter Berücksichtigung dieser Umstände --und damit ohne Bindung an den Börsenkurs am Bilanzstichtag-- darüber zu entscheiden haben, in welcher Höhe zum 31. Dezember 2001 von einer voraussichtlich dauernden Wertminderung der [X.] auszugehen war.

5. Die Übertragung der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 143 Abs. 2 [X.]O. Letztere Bestimmung ist nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung auch dann zu beachten, wenn die Revision ohne Erfolg bleibt, über die [X.] jedoch nicht abschließend entschieden werden kann (BFH-Urteile vom 24. September 1985 IX R 39/80, [X.] 1986, 337; vom 29. Juli 1981 [X.], juris).

Meta

I R 89/10

21.09.2011

Bundesfinanzhof 1. Senat

Urteil

vorgehend FG Münster, 31. August 2010, Az: 9 K 3466/09 K, G, Urteil

§ 6 Abs 1 Nr 2 S 2 EStG 1997 vom 24.03.1999, § 253 HGB, Art 3 Abs 1 GG, § 252 Abs 1 Nr 4 HGB, § 6 Abs 1 Nr 1 EStG 1997 vom 24.03.1999, § 143 Abs 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 21.09.2011, Az. I R 89/10 (REWIS RS 2011, 3153)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3153

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