Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.12.2018, Az. 4 StR 367/18

4. Strafsenat | REWIS RS 2018, 776

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Gegenstand

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Anforderungen an die Verhältnismäßigkeitsprüfung


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 16. April 2018 wird

1. die Strafverfolgung im Fall [X.] der Urteilsgründe, soweit der Angeklagte wegen räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit Körperverletzung verurteilt worden ist, auf den Vorwurf des räuberischen Diebstahls beschränkt;

2. das vorgenannte Urteil in den [X.] dahin geändert, dass

a) der Angeklagte im Fall [X.] hinsichtlich der Tat zum Nachteil der Zeugin [X.]    wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung verurteilt ist; die Verurteilung wegen Beleidigung entfällt,

b) der Angeklagte im Fall [X.] hinsichtlich der Tat zum Nachteil des Zeugen L.      wegen Bedrohung verurteilt ist; die Verurteilung wegen Beleidigung entfällt,

3. das vorgenannte Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) soweit der Angeklagte im Fall [X.] der Urteilsgründe wegen Diebstahls mit Waffen in zwei Fällen verurteilt worden ist,

b) in den [X.] in den Fällen

aa) [X.], soweit der Angeklagte wegen räuberischen Diebstahls verurteilt ist,

bb) [X.], soweit der Angeklagte wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung verurteilt ist, und

cc) [X.], soweit der Angeklagte wegen Bedrohung verurteilt ist,

c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe,

d) im Ausspruch über die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Diebstahls mit Waffen in drei Fällen, Sachbeschädigung, räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit [X.]leidigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mi [X.]drohung, wegen [X.]sitzes von [X.]täubungsmitteln, [X.]drohung in Tateinheit mit [X.]leidigung und wegen Diebstahls in zehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Der [X.] beschränkt nach § 154a Abs. 2 StPO die Strafverfolgung im Fall [X.] der Urteilsgründe mit Zustimmung des [X.] auf den Vorwurf des räuberischen Diebstahls. Dadurch kommt die tateinheitliche Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB in Wegfall. Dies entzieht der für diese Tat verhängten [X.] die Grundlage.

3

2. Die Verurteilung wegen Diebstahls mit Waffen in zwei Fällen im Fall [X.] der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen [X.]denken. Auch die Verurteilung wegen tateinheitlicher [X.]leidigung in den Fällen [X.] und [X.] der Urteilsgründe hat keinen [X.]stand. Der [X.] hat hierzu in seiner Antragsschrift vom 5. September 2018 zutreffend ausgeführt:

„Im Fall [X.]) der Urteilsgründe hat das [X.] übersehen, dass die Zeugin [X.]    keinen Strafantrag nach §§ 194 Abs. 1, 230 StGB gestellt hat (…). Hinsichtlich der vorsätzlichen Körperverletzung halte ich wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten, § 230 Abs. 1 S. 1, 2. HS StGB. Für die Verfolgung der [X.]leidigung fehlt es jedoch an einer Verfahrensvoraussetzung. Der Schuldspruch ist daher insoweit zu berichtigen, dass der Angeklagte sich des Diebstahls mit Waffen sowie der vorsätzlichen Körperverletzung in Tateinheit mit [X.]drohung schuldig gemacht hat.

Im Hinblick auf die [X.] ([X.]) ist nicht auszuschließen, dass das [X.] eine niedrigere [X.] festgesetzt hätte, wenn es im zweiten Tatkomplex des Falles lediglich auf vorsätzliche Körperverletzung in Tateinheit mit [X.]drohung erkannt hätte. Die Abänderung des Schuldspruchs zieht daher auch die Aufhebung der festgesetzten [X.] nach sich.

Auch im Fall [X.]) der Urteilsgründe hat der Zeuge L.      keinen Strafantrag wegen [X.]leidigung gestellt (…). Es fehlt auch insofern an einer Verfahrensvoraussetzung. Der Angeklagte hat sich folglich einer [X.]drohung schuldig gemacht.

Auch hier ist im Hinblick auf die [X.] ([X.]) die Aufhebung der festgesetzten [X.] erforderlich.

Im ersten Tatkomplex dieses Falles (zweifacher Diebstahl mit Waffen) lässt sich den Feststellungen ([X.] f.) nicht zweifelsfrei entnehmen, ob die Wegnahmen des Rucksacks und kurze Zeit später des Hemdes bereits vollendet waren, als der Angeklagte vom Zeugen L.      jeweils angesprochen wurde. Es bleibt offen, ob der Angeklagte das Geschäft S.     bereits mit dem Rucksack verlassen, Gewahrsam daran begründet und inwieweit er das Herrenhemd schon eingesteckt hatte. Näheres lässt sich auch den weiteren Urteilsgründen – insbesondere der [X.]weiswürdigung ([X.]) – nicht entnehmen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass in einer neuen Hauptverhandlung durch [X.]fragung des Zeugen L.      noch weitere Feststellungen getroffen werden können.“

4

3. Die Aufhebung der [X.]n in den Fällen [X.], [X.] und [X.] der Urteilsgründe sowie der Verurteilung wegen Diebstahls mit Waffen in zwei Fällen unter [X.] der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.

5

4. Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Urteilsgründe belegen nicht, dass die Anordnung der Unterbringung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht.

6

a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des [X.]troffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der [X.]gehung der [X.] auf Grund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des [X.], seines [X.] und der von ihm begangenen [X.](en) zu entwickeln. Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt um einen Grenzfall handelt (vgl. [X.], [X.]schlüsse vom 4. Juli 2012 – 4 [X.], [X.], 337, 338 mwN; und vom 26. März 2015 – 4 StR 65/15, juris Rn. 4). Der Tatrichter muss die eine Unterbringung tragenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darstellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. [X.], [X.]schlüsse vom 24. Oktober 2013 – 3 [X.], juris Rn. 5; vom 21. Dezember 2016 – 1 StR 594/16, [X.]R StGB § 63 Anordnung 2).

7

b) Darüber hinaus muss die Anordnung verhältnismäßig sein. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist mit Verfassungsrang ausgestattet. In § 62 StGB hat ihn der Gesetzgeber ausdrücklich nochmals [X.] geregelt, um seine [X.]deutung bei der Anordnung von Maßregeln der [X.]sserung und Sicherung hervorzuheben. Die Unterbringung darf nicht angeordnet werden, wenn die wegen ihrer unbestimmten Dauer sehr belastende Maßnahme außer Verhältnis zu der [X.]deutung der begangenen und zu erwartenden Taten stehen würde ([X.], [X.]schlüsse vom 26. Juni 2007 – 5 [X.], [X.], 300, 301; vom 26. März 2015 – 4 StR 65/15, juris Rn. 5). [X.]i der gebotenen Abwägung zwischen den Sicherungsbelangen der Allgemeinheit und dem [X.] ist auf die [X.]sonderheiten des Falles einzugehen. Zu erwägen sind nicht nur der Zustand des [X.]troffenen und die von ihm ausgehende Gefahr, sondern auch sein früheres Verhalten, seine aktuellen Lebensumstände, die ihn konkret treffenden Wirkungen einer Unterbringung nach § 63 StGB sowie die Möglichkeiten, ggf. durch andere Maßnahmen auf ihn einzuwirken ([X.], Urteil vom 31. Juli 2013 – 2 StR 220/13, [X.], 339, 340).

8

c) Das [X.] hat den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht erwähnt; das begründet hier einen durchgreifenden Erörterungsmangel. Der [X.] kann auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen, dass die [X.] diese Frage geprüft und zumindest (konkludent) bejaht hat. Eine Erörterung war jedoch unverzichtbar. Das [X.] ist zwar mit Recht davon ausgegangen, dass der räuberische Diebstahl, die Körperverletzung zum Nachteil der [X.].   B.    und die [X.]drohungen zum Nachteil der Zeugen [X.]    und L.      in den [X.]reich der mittleren Kriminalität hineinreichen. Gleichwohl war nach den Feststellungen die Schwelle zur Erheblichkeit nicht wesentlich überschritten. Hinzu kommt, dass nicht davon auszugehen ist, dass der Angeklagte ein etwaig mitgeführtes Messer auch einsetzen wird, da er diesbezüglich über eine ausgeprägte Hemmschwelle verfügt ([X.]). Ob die daraus resultierenden erhöhten Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit der [X.] gewahrt sind (vgl. [X.], [X.]schluss vom 19. August 2014 – 3 [X.], juris Rn. 11), kann der [X.] nicht überprüfen.

9

5. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

6. Soweit die Schuldsprüche wegen Diebstahls mit Waffen unter [X.] der Urteilsgründe aufgehoben worden sind, wird der neue Tatrichter die Frage der Schuldfähigkeit neu zu prüfen haben.

Sost-Scheible     

      

Roggenbuck     

      

Quentin

      

Feilcke     

      

Bartel     

      

Meta

4 StR 367/18

06.12.2018

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hagen (Westfalen), 16. April 2018, Az: 46 KLs 8/18

§ 62 StGB, § 63 StGB, Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.12.2018, Az. 4 StR 367/18 (REWIS RS 2018, 776)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 776

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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