Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.10.2020, Az. 4 StR 145/20

4. Strafsenat | REWIS RS 2020, 2082

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Strafzumessung und Gesamtstrafenbildung: Berücksichtigung einer festgestellten Persönlichkeitsstörung als Ursache fehlender Selbstbeherrschung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 22. Oktober 2019 im Strafausspruch aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung, wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die Strafaussprüche zu den Taten [X.] und II. 5. der Urteilsgründe haben keinen Bestand.

3

a) Nach den Feststellungen des [X.]s leidet der Angeklagte an einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ ([X.] 10 [X.]) mit narzisstischen und histrionischen Zügen, welche zur Folge hat, dass in Konfliktsituationen seine Fähigkeit zur Selbstbeherrschung erheblich eingeschränkt ist. Er gerät dann schnell in große, für ihn kaum mehr beherrschbare Wut, die sich in verbalen und auch körperlichen Übergriffen Bahn bricht.

4

Zur Tat II.4. hat das [X.] festgestellt, dass der Angeklagte bei seinem Einkauf in einem Supermarkt wegen eines Glases Pesto in Streit mit dem Kassenpersonal geriet und nach dem „Sicherheitsmenschen“ verlangte. Als der daraufhin herbeigerufene Ladendetektiv ihn bat, das Geschäft zu verlassen, schlug der Angeklagte ihm das [X.] auf den Kopf, wodurch der Ladendetektiv eine schmerzhafte Schädelprellung erlitt. Im Fall [X.] folgte der Angeklagte dem zur Reinigung des Treppenhauses des [X.], in dem der Angeklagte wohnte, eingesetzten Geschädigten wutentbrannt, weil er die Reinigungsleistung für unzureichend hielt. Nachdem der Geschädigte erklärt hatte, dass seine Arbeit beendet sei, versetzte der Angeklagte ihm mit einem [X.] einen Schlag an den seitlichen Oberkörper, wodurch der Geschädigte eine schmerzhafte Prellung erlitt.

5

In beiden Fällen war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund seiner Persönlichkeitsstörung erheblich eingeschränkt, aber nicht aufgehoben.

6

b) Vor dem Hintergrund der zu einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit führenden Auswirkungen der festgestellten Persönlichkeitsstörung des Angeklagten halten in beiden Fällen die sowohl bei der Prüfung eines minder schweren Falles des § 224 StGB als auch bei der Bemessung der Strafe im engeren Sinn zulasten des Angeklagten gewerteten Erwägungen, es habe sich um einen „kaum mehr nachvollziehbaren Anlass für den erneuten [X.]“ (Fall II.4.) bzw. der „Anlass, aus dem sich der Angeklagte zur Anwendung körperlicher Gewalt gedrängt sah“, sei nichtig gewesen (Fall [X.]), rechtlicher Prüfung nicht stand.

7

Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] dürfen einem Angeklagten Anlass und Modalitäten der Tat nur dann ohne Abstriche strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie in vollem Umfang vorwerfbar sind, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht oder nur eingeschränkt zu vertretenden geistig-seelischen Beeinträchtigung zu finden ist (vgl. [X.], Urteil vom 12. März 2014 - 5 StR 69/14, [X.], 140; Urteil vom 17. Juli 2003 - 4 [X.], [X.], 294; jeweils mwN). Dies hat das [X.] nicht erkennbar bedacht. Vielmehr hat es dem Angeklagten den jeweils fehlenden bzw. nichtigen Anlass für seine Aggressionshandlungen ohne jede Einschränkung zur Last gelegt, obwohl seine Fähigkeit zur Selbstbeherrschung störungsbedingt erheblich eingeschränkt war. Es ist daher nicht auszuschließen, dass die [X.] diesen Strafzumessungserwägungen ein zu großes Gewicht beigemessen hat.

8

2. Die in den Fällen [X.] und II. 6. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen bleiben zwar von dem aufgezeigten Rechtsfehler unberührt. Der Senat hebt jedoch auch die [X.] zu diesen Taten mit auf, um dem neuen Tatgericht eine ausgewogene Strafzumessung zu ermöglichen.

9

3. Die Aufhebung der Einzelstrafen zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Dessen Begründung ist zudem rechtlich bedenklich. Soweit das [X.] dem Angeklagten bei der Bildung der Gesamtstrafe angelastet hat, dass er keinerlei Anstrengungen unternommen habe, an seiner „ihm durchaus bewussten Aggressionsproblematik zu arbeiten“, liegt nach den Feststellungen nahe, dass die unterlassenen Anstrengungen des Angeklagten auf dessen Störung beruhten und ihm deshalb nicht oder ebenfalls nur eingeschränkt vorgeworfen werden können.

Die der Strafzumessung zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen werden von dem [X.] hingegen nicht berührt und können daher bestehen bleiben. Dasselbe gilt für die verhängte Maßregel.

Sost-Scheible     

        

Quentin     

        

Bartel

        

Rommel     

        

Maatsch     

        

Meta

4 StR 145/20

07.10.2020

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bielefeld, 22. Oktober 2019, Az: 2 KLs 10/19

§ 21 StGB, § 46 StGB, § 223 StGB, § 224 StGB, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.10.2020, Az. 4 StR 145/20 (REWIS RS 2020, 2082)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2082

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 StR 562/19 (Bundesgerichtshof)

Versuchter besonders schwerer Raub: Wirksamkeit der Revisionsbeschränkung auf den Strafausspruch; Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit bei Feststellung …


4 StR 340/22 (Bundesgerichtshof)

Konkurrenzrechtliche Bewertung bei Erfüllung mehrere Straftatbestände; Frage der Steuerungsfähigkeit bei Gebrauch von Amphetamin; Einbeziehung prognoseungünstiger …


3 StR 479/18 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren: Feststellung des Eingangsmerkmals im Rahmen der Schuldfähigkeit; Eingangsmerkmal bei emotional instabiler Persönlichkeitsstörung


1 StR 147/21 (Bundesgerichtshof)

Strafverurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.: Feststellung der Schuldunfähigkeit; strafschärfende Berücksichtigung einer fehlenden Entschuldigung beim Geschädigten …


5 StR 449/23 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.