Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.01.2020, Az. 5 StR 407/19

5. Strafsenat | REWIS RS 2020, 11926

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[X.]:[X.]:[X.]:2020:220120U5STR407.19.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM [X.] [X.]S VOLKES

URTEIL
5 StR 407/19
vom
22. Januar 2020
in der Strafsache
gegen

1.

2.

wegen Totschlags u.a.

-
2
-
Der 5.
Strafsenat des [X.]s hat in der Sitzung vom 22. Janu-ar
2020, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.] [X.],

[X.] am [X.]
Prof. [X.],
[X.],
Prof. Dr. [X.],
Köhler

als beisitzende Richter,

Staatsanwalt beim [X.]

als Vertreter des
[X.]s,

Rechtsanwältin R.

als Verteidigerin des Angeklagten A.

,

Rechtsanwältin F.

als Verteidigerin des Angeklagten [X.]

,

Rechtsanwalt G.

als Vertreter
der
Neben-
und Adhäsionsklägerin N.

,
-
3
-
Rechtsanwalt H.

als
Vertreter des Nebenklägers A.

R.

,

Rechtsanwalt Kl.

als Vertreter der Nebenklägerin S.

R.

,

Rechtsanwalt D.

als Vertreter der Nebenklägerin T.

R.

,

Rechtsanwalt Re.

als Vertreter des Nebenklägers T.

R.

,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,
-
4
-
für Recht erkannt:

Die Revisionen der Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und der [X.] T.

R.

und

N.

gegen das Urteil des [X.] vom 6. November 2018 werden verworfen.
Die Angeklagten und die [X.] haben die Kosten
ihres jeweiligen Rechtsmittels, die Angeklagten zudem die in der Revisionsinstanz im Adhäsionsverfahren entstandenen besonde-ren Kosten und die der Adhäsionsklägerin insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft fallen der Staatskasse zur Last.

-
Von Rechts wegen
-

Gründe:
Das [X.] hat die Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit
besonders schwerem sexuellen Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person zu Freiheitsstrafen von vierzehn Jahren (A.

) und dreizehn Jahren
([X.]

) verurteilt. Zudem hat es

unter Bestimmung eines [X.] von fünf Jahren

die Unterbringung des Angeklagten A.

in einer [X.]
-
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-
hungsanstalt angeordnet und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Mit ihren Revisionen beanstanden die Angeklagten die Verletzung materiellen Rechts. Die Staatsanwaltschaft und die [X.] erstreben mit ihren auf die Sachrüge gestützten

vom [X.] vertretenen

Rechtsmitteln eine Verurteilung der Angeklagten wegen Mordes. Sämtliche [X.] ohne Erfolg.
I.
Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Die in [X.] lebenden Angeklagten kamen im Januar 2016 nach [X.], um hier auf dem Bau zu arbeiten. Am 30. Januar 2016 lernten sie den auch für sie ersichtlich homosexuellen J.

R.

in einem [X.] Hostel kennen, wo sie mit diesem ein
Zimmer teilten. Gemeinsam mit J.

R.

ver-brachten sie den Tag mit dem Konsum von Alkohol und Kokain. Am nächsten Tag konsumierten sie teils zusammen mit ihrem Zimmergenossen, teils zu zweit erneut Kokain und Alkohol.
Gegen 23 Uhr begaben sich die aufgrund des Alkoholkonsums in ihrer Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkten Angeklagten in [X.], wo sie auf den ebenfalls alkoholisierten J.

R.

trafen. In der Folge unterhielten sie sich in ausgelassener Stimmung. In der Hoffnung auf einvernehmlichen [X.] zog J.

R.

gegen Mitternacht seine Hose herunter, zeigte den Angeklagten seinen Penis und streckte ihnen sein entblößtes Gesäß ent-gegen. Die

wie J.

R.

wusste

heterosexuellen Angeklagten waren em-pört und wütend über die homosexuellen Avancen. Gleichzeitig fühlten sie sich von ihrem Zimmergenossen sexuell bedrängt und belästigt. Sie forderten ihn lautstark auf, sich wieder anzuziehen. J.

R.

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4
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daraufhin seinerseits die Angeklagten an. Aus Wut über dessen Verhalten stürzten sich die Angeklagten auf J.

R.

und malträtierten ihn aufgrund einer spontanen Übereinkunft mit Faustschlägen und Fußtritten. Zudem schlugen sie auf ihn mit einem Holzstuhl ein, bis dieser in seine Einzelteile zerbrach. Auch nachdem J.

R.

zu Boden gegangen war, setzen die Angeklagten die Gewalthandlungen fort. Diese führten zu Rippen-brüchen und infolgedessen zu Verletzungen der Lungenflügel, der Milz sowie der Leber. Sie erkannten, dass J.

R.

infolge ihres brutalen [X.] könnte; dies war ihnen jedoch gleichgültig.
Nachdem der schwerverletzte J.

R.

wie von den Angeklagten be-merkt

das Bewusstsein verloren hatte, stießen sie nacheinander unter ande-rem zwei Stuhlbeine heftig und kraftvoll in dessen Anus, wobei sie die eingetre-tenen lebensbedrohlichen Darmdurchbrüche billigend in Kauf nahmen. [X.] führten sie eine Zucchini vollständig in seinen After ein, legten das ersichtlich lebensgefährlich verletzte Opfer in eines der Betten und gingen schlafen. Am nächsten Morgen verließen sie das Hostel und fuhren mit einem Fernbus nach [X.].
Ohne das Bewusstsein wiederzuerlangen, verstarb J.

R.

noch in der Nacht infolge der Lungenverletzungen. Die lebensbedrohlichen Verletzun-gen des Darms und deren Folgen beschleunigten den Todeseintritt nicht.
2. Das [X.] hat die Tat als einen besonders schweren Fall des Totschlags (§ 212 Abs. 1 und 2 StGB) in Tateinheit mit einem besonders schweren sexuellen Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person (§ 179 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 7 i.V.m.
§ 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a und b StGB aF) be-wertet. An einer Verurteilung wegen Mordes hat es sich gehindert gesehen. Insbesondere liege kein niedriger Beweggrund vor. Zwar komme in der Tat eine 5
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latente Homophobie zum Ausdruck, was eine Bewertung des Tatantriebs als niedrig begründen könne. Die Tat sei aber auch von einer

in der [X.] menschlich nachvollziehbaren

Wut und Empörung über das
von den Angeklagten als sexuelle Belästigung und Verletzung ihres sexuellen Selbstbe-stimmungsrechts empfundene Angebot ihres Zimmergenossen zum [X.] motiviert gewesen. Beide Tatmotive hätten sich wechselseitig überlagert und beeinflusst. Da die homosexuelle Orientierung des Opfers da-nach nicht das Hauptmotiv in dem Motivbündel der Angeklagten gewesen sei, könne die Tötung nicht unter die [X.] des § 211 Abs. 2 StGB subsumiert werden. Andere

hier in Betracht kommende

Mordmerkmale [X.] ebenfalls nicht verwirklicht. Eine grausame Tötung liege nicht vor, weil J.

R.

nicht ausschließbar zum Zeitpunkt der Penetration bereits bewusstlos und deshalb nicht mehr in der Lage gewesen sei, die ihm zugefügten Schmer-zen und Qualen körperlich zu empfinden. Für die Annahme von Heimtücke feh-le es angesichts des offen feindseligen Angriffs an der Arglosigkeit des Opfers. Schließlich liege auch keine Tötung aus Habgier vor, da die Tat nicht entschei-dend durch ein Gewinnstreben beeinflusst
gewesen sei.
II.
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der [X.] haben keinen Erfolg. Insbesondere ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das [X.] das Vorliegen eines niedrigen Beweggrundes verneint hat.
1. Beweggründe sind im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb [X.] verachtenswert sind. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur

in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Tot-schlag

als verachtenswert erscheinen, hat aufgrund einer Gesamtwürdigung 8
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aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des [X.] maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Umstände der Tat, der Lebensverhältnisse des [X.] und seiner Persönlichkeit zu erfolgen. Bei einer Tötung aus Wut, Ärger, Hass oder Rache kommt es darauf an, ob diese Antriebsregungen ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 13. Feb-ruar
2007

5 [X.], [X.], 330, 331 mwN).
2. Diesen Anforderungen wird das Urteil gerecht.
a) Das Schwurgericht hat den zutreffenden rechtlichen Maßstab ange-legt. Es hat insbesondere nicht verkannt, dass ein allein an die sexuelle Orien-tierung anknüpfender Tatantrieb einen
niedrigen Beweggrund darstellen kann.
Nach den Urteilsfeststellungen war das Tatmotiv der Angeklagten hinge-gen Wut und Empörung über die sexuellen Avancen ihres Zimmergenossen. Diese Gefühle beruhten einerseits auf ihrer (latenten) Homophobie, wurden aber

so das Schwurgericht

überlagert von der Erregung über die von ihnen als bedrängend empfundene sexuelle Belästigung durch den angebotenen [X.]. Da beim Vorliegen eines Motivbündels die vorsätzliche Tö-tung aber nur dann auf niedrigen Beweggründen beruht, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefs-ter Stufe steht und deshalb verwerflich ist, war dem [X.] vorliegend die Annahme des [X.] verwehrt (vgl. [X.], Urteile vom 9. September 2003

5 [X.], [X.], 14, 15; vom 14. Dezember 2006

4 [X.], [X.], 123, 124). Anders als die Staatsanwaltschaft meint, hat vorgenommen, sondern den zutreffenden rechtlichen Maßstab an die Prüfung des [X.] der niedrigen Beweggründe bei Vorliegen eines Motivbün-dels angelegt.
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b) Das [X.] hat die erforderliche Gesamtwürdigung vorgenom-men und dabei alle maßgeblichen Faktoren einbezogen. Insbesondere durfte und musste es berücksichtigen, dass die Angeklagten bis zu den sexuellen Avancen freundlich, entspannt und frei von Aversionen mit J.

R.

umgingen, obgleich sie angesichts seines Auftretens und Erscheinungsbildes schon zuvor von dessen Homosexualität ausgegangen waren. Dass das Schwurgericht dies als gegen die Homophobie der Angeklagten als bewusstseinsdominantes [X.] sprechenden Umstand herangezogen hat, ist als möglicher Schluss revisionsrechtlich hinzunehmen. Soweit die Nebenklage in diesem Zusammen-hang vorträgt, dass die Homophobie das Hauptmotiv der Angeklagten gewesen sei, setzt sie

revisionsrechtlich unbeachtlich

ihre eigene Wertung an die des Tatgerichts.
Das [X.] hat bei seiner Beweiswürdigung
zum Tatmotiv auch das Tatbild ausreichend berücksichtigt (vgl. dazu [X.], Urteil vom 22. Oktober 2014

5 [X.], [X.]St 60, 52, 55).
3. Einen die Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler weist das Urteil allerdings insofern auf, als das [X.] nicht den [X.] des § 179 Abs. 5 Nr. 1 StGB aF angenommen hat (vgl. zum Eindringen mit Ge-genständen [X.], Urteil vom 30. März 2016

2 [X.], [X.], 202). Der Schuldspruch wird von dem Rechtsfehler jedoch nicht berührt. Das Gleiche gilt für den Strafausspruch. Denn das [X.] hat bei der [X.] der Strafe den Strafrahmen des § 212 Abs. 2 StGB zugrunde gelegt und die Penetration strafschärfend berücksichtigt.
III.
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Die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet, da die Überprüfung des Urteils keinen die Beschwerdeführer benachteiligenden Rechtsfehler erge-ben hat.
Entgegen der Auffassung der Revisionen
begegnet die Annahme eines besonders schweren Falles des Totschlags im Sinne des § 212 Abs. 2 StGB
keinen rechtlichen Bedenken. Die Berücksichtigung des nach der eigentlichen Tötung liegenden, aber zur Tat gehörenden Verhaltens der Angeklagten ist nicht zu beanstanden (vgl. § 46 Abs. 2 StGB). Zudem ist anerkannt, dass bei der nach § 57a StGB vorzunehmenden Prüfung der besonderen Schwere der Schuld sogar ein echtes Nachtatverhalten berücksichtigt werden darf ([X.],
Urteil vom 18.
Juni
2014

5 StR 60/14).
Mutzbauer

Sander

Berger

[X.]

Köhler

Vorinstanz:
[X.], [X.], 06.11.2018 -
234 Js 31/16 (522 Ks) (5/17) 161 Ss 114/19
17

Meta

5 StR 407/19

22.01.2020

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.01.2020, Az. 5 StR 407/19 (REWIS RS 2020, 11926)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 11926

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