Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 09.03.2011, Az. 1 BvR 2326/07

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2011, 8769

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahme einer mangels hinreichender Substantiierung unzulässigen Verfassungsbeschwerde: Substantiierungsanforderungen im Falle einer Urteilsverfassungsbeschwerde - Berücksichtigung von "Altlasten" aus der ehemaligen DDR bei der Bemessung von Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung - Jahresarbeitsverdienst bei saisonaler Beschäftigung


Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung nach dem [X.] ([X.]). Die Beschwerdeführerin ist ein Unternehmen des professionellen [X.]. Sie wendet sich gegen die sie betreffende Beitragsfestsetzung für das [X.]

I.

2

Die Aufbringung der Mittel der gesetzlichen Unfallversicherung ist im Sechsten Kapitel des [X.] (§§ 150 ff. [X.]) normiert. Die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung werden nachträglich als Umlage nach dem Aufwand des Vorjahres erhoben (§ 152 Abs. 1 [X.]). Die Berechnungsgrundlagen für die Beiträge sind grundsätzlich der Finanzbedarf (Umlagesoll), die Arbeitsentgelte der Versicherten und die [X.]n (§ 153 Abs. 1 [X.]). Das Arbeitsentgelt der Versicherten wird bis zur Höhe des Höchstjahresarbeitsverdienstes zugrunde gelegt (§ 153 Abs. 2 [X.]). Die [X.]n ergeben sich aus dem [X.], dessen Festsetzung als autonomes Recht durch den Unfallversicherungsträger in § 157 [X.] geregelt ist.

3

Einfluss auf die Beitragsberechnung haben seit der Herstellung der deutschen Einheit auch die Rentenaltlasten aus dem [X.](sog. "[X.]"). Damit sind die Entschädigungsleistungen der Unfallversicherungsträger für die bis zum 31. Dezember 1990 im Beitrittsgebiet eingetretenen Arbeitsunfälle gemeint. Nach Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet I Abschnitt III Nr. 1 Buchstabe c Abs. 8 Nr. 2 des Vertrages zwischen der [X.] und der [X.] über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag - [X.]) wurden die bis zum 31. Dezember 1990 eingetretenen Arbeitsunfälle auf alle Unfallversicherungsträger nach einem Schlüssel verteilt, der sich (vereinfacht ausgedrückt) an deren Leistungsaufwendungen für Renten sowie dem der Beitragsberechnung zugrunde gelegten Entgelt und den Rentenzahlbeträgen für in den Jahren 1985 bis 1989 erstmals entschädigte Arbeitsunfälle jeweils bezogen auf das [X.] orientierte. Die Verteilung der Einzelfälle erfolgte - unabhängig vom sachlich zuständigen Gewerbezweig - numerisch nach den Geburtsdaten der Leistungsempfänger, innerhalb eines Geburtstages alphabetisch.

4

Zur Finanzierung dieser Rentenaltlasten aus dem Beitrittsgebiet ermöglichte § 1157 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) es den Trägern der Unfallversicherung - abweichend von der allgemeinen Regelung des § 725 Abs. 1 RVO - in einer Übergangszeit bis zum 31. Dezember 1994 bei der Beitragsberechnung von der Berücksichtigung des Grades der Unfallgefahr in den Unternehmen abzusehen. Anschließend fanden die allgemeinen Vorschriften über die Berechnungsgrundlagen für die Beiträge Anwendung ([ref=659f409f-4daa-4d78-b2d6-29fce93dad12]§ 725 Abs. 1 [X.]] bis 31. Dezember 1996, § 153 Abs. 1 [X.] ab 1. Januar 1995). Mit Wirkung zum 1. August 2003 schuf der Gesetzgeber mit § 215 Abs. 9 [X.] erneut die Möglichkeit, bei der Beitragsberechnung von der Berücksichtigung des Grades der Unfallgefahr in den Unternehmen abzusehen.

5

Der vorliegend streitigen Beitragsberechnung für 2001 lag der ab 1. Januar 2001 geltende [X.] der Berufsgenossenschaft zugrunde, der für Sportunternehmen drei [X.]n vorsah. Diese unterschieden sich danach, ob es sich bei den Beschäftigten um bezahlte Sportler aus der 1. oder [X.] oder der Fußballregionalliga ([X.]stelle 54.1: [X.]47,75), um sonstige bezahlte Sportler ([X.]stelle 54.2: [X.] 18,01) oder um übrige Versicherte ([X.]stelle 54.3: [X.] 1,98) handelte. Die Beschwerdeführerin war in die [X.]stellen 54.2 und 54.3 eingruppiert. Die Rentenaltlasten aus dem Beitrittsgebiet flossen entsprechend der Regelung des § 153 Abs. 1 [X.] in die Beitragsberechnung ein. Die Arbeitsentgelte der Beschäftigten wurden bis zur Höhe des Höchstjahresarbeitsverdienstes berücksichtigt. Die Rechtsbehelfe der Beschwerdeführerin gegen die Höhe des Beitrages blieben ohne Erfolg.

6

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG durch die angegriffenen Entscheidungen sowie die zugrunde liegenden Rechtsvorschriften. Die "[X.]" müssten aus Steuermitteln getragen werden, jedenfalls aber müsste die Berechnung dieser Sonderumlage unter Berücksichtigung der Arbeitsentgelte, nicht des Grades der Unfallgefahr erfolgen. Eine gleichheitswidrige Belastung entstehe ferner dadurch, dass der Beitragsberechnung auch für nicht ganzjährig beschäftigte Sportler der ungekürzte Höchstjahresarbeitsverdienst zugrunde gelegt werde.

II.

7

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Annahmegründe gemäß § 93a Abs. 2 [X.] liegen nicht vor.

8

1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht in einer den Anforderungen von § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] entsprechenden Weise begründet wurde. Die Vorschriften enthalten Mindestanforderungen an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde. So muss ein Beschwerdeführer innerhalb der Beschwerdefrist die Grundrechtsverletzung durch Bezeichnung des angeblich verletzten Rechts und des die Verletzung enthaltenden Vorgangs substantiiert und schlüssig vortragen. Dabei hat er auch darzulegen, inwieweit durch die angegriffene Maßnahme das bezeichnete Grundrecht verletzt sein soll (vgl. [X.] 99, 84 <87> m.w.N.) bzw. mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme kollidiert (vgl. [X.] 108, 370 <386>). Werden gerichtliche Entscheidungen angegriffen, so muss sich der Beschwerdeführer auch mit deren Gründen auseinandersetzen (vgl. [X.] 101, 331 <345>; 105, 252 <264>).

9

Die Auslegung einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind allein Sache der dafür zuständigen Fachgerichte. Sie unterliegen einer Nachprüfung durch das [X.] nur insoweit, als Auslegungsfehler sichtbar werden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere des Umfangs seines Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (vgl. [X.] 18, 85 <92 f.>; 19, 303 <310>; 75, 302 <313>).

2. Zu den "[X.]" hat das [X.] mit Urteil vom 8. Mai 2007 ([X.], 229) und unter Hinweis auf seine grundlegende Entscheidung vom 24. Februar 2004 ([X.], 190) dargelegt, es verstoße grundsätzlich nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn der Finanzbedarf für die Entschädigung der in der [X.] eingetretenen Arbeitsunfälle in gleicher Weise wie der übrige Finanzbedarf der Unfallversicherungsträger unter Berücksichtigung des für den jeweiligen Gewerbezweig ermittelten Grades der Unfallgefahr auf die Mitgliedsunternehmen umgelegt wird und wenn deshalb Unternehmen mit einer höheren [X.] anteilig stärker zur Tragung der Altlasten herangezogen werden als solche mit einer niedrigeren [X.]. Die ungleiche Belastung der Unternehmen lasse sich aufgrund des besonderen Finanzierungssystems der gesetzlichen Unfallversicherung sachlich begründen; das Gewicht der Rechtfertigungsgründe stehe zur Bedeutung dieser Belastung in einem angemessenen Verhältnis. Wenn die heutigen Unternehmen über ihr in der [X.] zum Ausdruck kommendes zeitnahes Unfallrisiko die [X.] finanzierten, ohne Rücksicht darauf, inwieweit sie ihnen zurechenbar sind, so sei nicht zu erkennen, wieso bei den [X.] etwas Anderes geboten sein sollte.

Auch die ungekürzte Berücksichtigung des Höchstjahresarbeitsverdienstes bei Versicherten, die nicht ganzjährig beschäftigt sind, hat das [X.] in seinem Urteil vom 8. Mai 2007 ([X.], 229) nicht beanstandet. Es hat hierzu dargelegt, dass die unterschiedliche Berücksichtigung von Mindest- und Höchstjahresarbeitsverdienst bereits aus Wortlaut und Systematik der Regelung (§ 153 Abs. 2 und 3 [X.]) folge. Zudem bestehe zwischen der Berechnung der Beiträge und der Berechnung der Leistungen kein derart unmittelbarer Zusammenhang, dass das entsprechende Unternehmen berechtigt sei, nur einen Teil des Entgelts der Beitragsberechnung zugrunde zu legen.

3. Mit diesen Erwägungen setzt sich die Beschwerdeführerin nicht hinreichend auseinander. Sie beschränkt sich auf die Wiederholung ihrer entgegenstehenden Rechtsauffassung.

Soweit sie darüber hinaus hinsichtlich der Rentenaltlasten aus dem Beitrittsgebiet in Abgrenzung zu Entscheidungen des [X.]s ([X.] 14, 221; [X.] 23, 12; [X.] 36, 383; [X.] 75, 108 <157 ff.>; [X.] 113, 167 <203, 213 ff.>) ohne nähere Begründung behauptet, es handele sich vorliegend eben doch um "Fremdlasten" und nicht um den "Binnenbereich" der westdeutschen Unfallversicherung, genügt dies den dargestellten Anforderungen ebenfalls nicht. Soweit die Verfassungsbeschwerde eine besondere Rechtfertigung verlangt, weil es sich um die Finanzierung eines Versicherungsschutzes für Dritte handele, setzt sie sich nicht damit auseinander, dass die gesetzliche Unfallversicherung insbesondere durch die Haftungsbeschränkung der Unternehmer auch den Arbeitgebern zugute kommt und somit insgesamt nicht allein [X.] ist.

Letztlich zeigt die Verfassungsbeschwerde nicht auf, warum die Verteilung der Rentenaltlasten aus dem Beitrittsgebiet nach den [X.] die bessere oder sogar einzig sachgerechte Lösung sein sollte, die nicht ihrerseits wiederum zu Ungleichbehandlungen führen würde (vgl. BSG, Urteil vom 2. Juli 1996 - 2 RU 17/95 - [X.], 23).

Soweit die Beschwerdeführerin eine anteilige Berücksichtigung des Höchstjahresarbeitsverdienstes bei saisonalen Beschäftigungen fordert, stellt sie die Argumentation des [X.]s ohne Begründung in Abrede. Sie geht auch nicht auf folgende Aspekte ein: Geldleistungen des versicherten Beschäftigten aus der gesetzlichen Unfallversicherung (z.B. Verletztengeld oder -rente) berechnen sich selbst dann nach dem Jahresarbeitsverdienst (begrenzt auf den Höchstjahresarbeitsverdienst), wenn dieser Verdienst nur in einem Teil des Jahres erzielt worden ist (wobei Jahr hier - anders als bei der Beitragsberechnung - zudem nicht das Kalenderjahr ist, sondern die zwölf Kalendermonate vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist). Darüber hinaus zählen zum Jahresarbeitsverdienst nicht nur Entgelte aus Tätigkeiten, die dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung unterliegen (§ 81, § 82 Abs. 1 und 2, § 85 Abs. 2 [X.]; vgl. [X.], [X.], [X.], Kommentar, 4. Aufl. 2009, § 82 Rn. 9). Im Übrigen weist die Berücksichtigung der Arbeitsentgelte bei der Beitragsberechnung keinen Bezug zur Unfallgefahr auf. Letztlich fließt die Entgeltsumme in die Bildung der [X.]n ein; wird sie gekürzt, erhöht sich die [X.].

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2326/07

09.03.2011

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BSG, 8. Mai 2007, Az: B 2 U 14/06 R, Urteil

Art 3 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, Anlage II Kap VIII I EinigVtr, Anlage II Kap VIII I III Nr 1 Buchst c Abs 8 Nr 2 EinigVtr, § 153 Abs 1 SGB 7, § 153 Abs 2 SGB 7, § 153 Abs 3 SGB 7

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 09.03.2011, Az. 1 BvR 2326/07 (REWIS RS 2011, 8769)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 8769

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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