Bundessozialgericht, Beschluss vom 12.05.2021, Az. B 4 AS 76/21 B

4. Senat | REWIS RS 2021, 5940

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Revisionszulassung - Verfahrensfehler - Prozessentscheidung wegen unwirksamer Berufungseinlegung - Nichtvorlage einer aktuellen Vollmachtsurkunde durch den Rechtsanwalt - berechtigte ernsthafte Zweifel an der Bevollmächtigung


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 20. Januar 2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, ein Rechtsanwalt, hat Berufung gegen einen klageabweisenden Gerichtsbescheid des [X.] eingelegt. Die Berichterstatterin des [X.] hat den Prozessbevollmächtigten wiederholt auf Zweifel des Senats am Vorliegen einer wirksamen Bevollmächtigung hingewiesen und - zuletzt unter Setzung einer Frist bis zum 2.11.2020 - zur Vorlage einer aktuellen Prozessvollmacht aufgefordert. Der Prozessbevollmächtigte hat eine aktuelle Vollmacht daraufhin nicht vorgelegt, sondern vorgetragen, dass die vor Erhebung der Klage ausgestellte und auch im Berufungsverfahren vorgelegte Generalvollmacht der Klägerin vom [X.], die sich nicht auf ein bestimmtes Verfahren bezog, weiterhin gültig sei.

2

Das L[X.] hat die Berufung anschließend als unzulässig verworfen (Urteil vom [X.]). Mangels Vorlage der angeforderten aktuellen Vollmacht fehle es an einer wirksam eingelegten Berufung.

3

Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt der Prozessbevollmächtigte im Namen der Klägerin eine Verletzung des § 73 Abs 6 Satz 5 [X.]G und des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz (Art 19 Abs 4 Satz 1 GG). Die Vollmacht vom [X.] sei nicht widerrufen worden. Das L[X.] hätte auch keine größere Anzahl von Verfahren benennen können, bei denen er Verfahren geführt habe, obwohl das Mandat bereits beendet gewesen sei. Das L[X.] habe nur acht Verfahren bzw sechs verschiedene Personen/Bedarfsgemeinschaften benannt, von denen keines einen Bezug zur hiesigen Klägerin habe, obwohl er selbst mehrere tausend Verfahren vor dem [X.] und dem L[X.] geführt habe. Die angeblich fehlende Kenntnis der Mandanten von einzelnen Verfahren sei nicht mit einer weiteren Tätigkeit nach ausdrücklicher Beendigung des Mandats gleichzustellen.

4

II. 1. Die Beschwerde ist unbegründet. Der von der Klägerin allein geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) einer Prozessentscheidung statt einer Sachentscheidung wegen unwirksamer Berufungseinlegung mangels Vorlage einer aktuellen Vollmachtsurkunde liegt nicht vor.

5

a) Gemäß § 73 Abs 6 Satz 1 [X.]G ist die Vollmacht schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Sie kann nachgereicht werden; hierfür kann das Gericht eine Frist bestimmen (§ 73 Abs 6 Satz 2 [X.]G). Der Mangel der Vollmacht kann in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden (§ 73 Abs 6 Satz 4 [X.]G). Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt (§ 73 Abs 6 Satz 5 [X.]G). Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass das Gericht grundsätzlich nicht verpflichtet ist (vgl aber auch [X.] vom 20.2.2001 - [X.]/00 - juris RdNr 9; [X.] vom [X.] - [X.]/01 - juris RdNr 7), den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Mit dem Wegfall der Pflicht, den Mangel der Vollmacht in einer solchen Konstellation von Amts wegen zu berücksichtigen, ist jedoch nicht zugleich die Befugnis, den Mangel unabhängig von einer Rüge anderer Beteiligter zu prüfen und zu berücksichtigen, entfallen (BVerwG vom 27.6.2011 - 8 A 1/10 - juris RdNr 16 zu § 67 Abs 6 [X.]; [X.] in [X.], [X.], 2. Aufl 2018, § 67 RdNr 17; vgl auch [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 67 Rd[X.]1, Stand Juni 2016). Dies gilt umso mehr als § 73 Abs 6 Satz 4 [X.]G das Recht, den Mangel der Vollmacht in jeder Lage des Verfahrens geltend zu machen, anders als § 88 Abs 1 ZPO - an den die Norm angeglichen werden sollte (vgl die Begründung des Gesetzentwurfes, BT-Drucks 16/3655, [X.], 90, 96) - nicht auf den Gegner beschränkt. Das Gericht ist daher jedenfalls dann im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens ([X.] vom 11.11.2009 - [X.]/09 - juris RdNr 5 zu § 62 Abs 6 Satz 4 FGO; Straßfeld in [X.]/[X.]/Müller, BeckOGK [X.]G, § 73 RdNr 136, Stand 1.1.2021) zumindest berechtigt (für eine Verpflichtung in diesem Fall: [X.] vom 20.2.2001 - [X.]/00 - juris RdNr 9; [X.] vom [X.] - [X.]/01 - juris RdNr 7), die Vorlage der Vollmacht auch ohne Rüge der Gegenseite unter Fristsetzung zu verlangen, wenn ernstliche Zweifel an der Bevollmächtigung bestehen (zuletzt B[X.] vom [X.] [X.]/20 B - juris RdNr 4 mwN; zu der dem § 73 Abs 6 Satz 5 [X.]G gleichlautenden [X.] § 88 Abs 2 ZPO: [X.] vom [X.] - [X.]/00 - juris RdNr 11).

6

Zweifel am Fortbestand der einem Rechtsanwalt früher erteilten Generalvollmacht können etwa dann bestehen, wenn feststeht, dass der Rechtsanwalt in einer größeren Zahl von Fällen unter Rückgriff auf solche Generalvollmachten Rechtsbehelfe oder -mittel eingelegt hat, obwohl das Mandatsverhältnis von den Mandanten bereits beendet worden war (B[X.] vom 20.1.2016 - [X.] [X.]/15 B - [X.] 4-1500 § 73 [X.] RdNr 13; B[X.] vom 20.1.2016 - [X.] [X.]/15 B - juris RdNr 12; B[X.] vom [X.] [X.]/15 B - juris RdNr 11). Es bedarf dabei keines Belegs, dass eine einmal erteilte Vollmacht ausdrücklich widerrufen worden ist. Ausreichend sind Zweifel, ob die Vollmacht mittlerweile im Innenverhältnis erloschen ist. Solche Zweifel können sich auch aus dem Verhalten des Rechtsanwaltes in früheren Verfahren unter Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalles, zu denen auch die zeitliche Dimension gehört, ergeben. Das dem Gericht obliegende pflichtgemäße Ermessen ([X.] vom 11.11.2009 - [X.]/09 - juris RdNr 5 zu § 62 Abs 6 Satz 4 FGO; Straßfeld in [X.]/[X.]/Müller, BeckOGK [X.]G, § 73 RdNr 136, Stand 1.1.2021) ist vom B[X.] nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen hin zu überprüfen (so zum pflichtgemäßen Ermessen vor einer Entscheidung nach § 153 Abs 4 [X.]G stRspr; etwa B[X.] vom 30.10.2019 - [X.] [X.]/18 B - juris RdNr 4 mwN; B[X.] vom [X.] [X.] 5/19 BH - juris RdNr 5; B[X.] vom 11.11.2020 - [X.] R 238/20 B - juris RdNr 9).

7

Diese Voraussetzungen für die Anforderung einer aktuellen Vollmachtsurkunde lagen hier vor, ohne dass es auf die Rüge der mangelnden Vollmacht durch den Beklagten mit Schriftsatz vom 20.10.2020 ankommt. Das L[X.] hat plausible Gründe dafür angeführt, warum es ernstliche Zweifel am Vorliegen einer Bevollmächtigung des Prozessbevollmächtigten für das Berufungsverfahren hatte (vgl B[X.] vom [X.] [X.]/20 B - juris RdNr 4). Das L[X.] hat allein drei beim dort erkennenden Senat anhängig gewesene Verfahren (L 15 AS 233/19, L 15 AS 234/19 und L 15 [X.]/19) benannt, in denen der Prozessbevollmächtigte der Klägerin des vorliegenden Verfahrens das Verfahren ohne Kenntnis der dortigen Kläger betrieben habe. Dies galt nach Darstellung des L[X.] hinsichtlich der Klägerin in den Verfahren L 15 AS 233/19 und L 15 AS 234/19 auch für weitere beim [X.] Bremen anhängige Verfahren sowie für eine weitere Klägerin hinsichtlich des Verfahrens [X.] AS 218/17 beim [X.] Lüneburg. Das L[X.] hat zwei weitere Verfahren beim [X.] Bremen ([X.] AS 1815/17 und [X.] [X.]/17) benannt, in denen der Prozessbevollmächtigte Verfahren ehemaliger Mandanten (fort)geführt habe, von denen er ursprünglich beauftragt worden sei, obwohl diese inzwischen von einem anderen Prozessbevollmächtigten vertreten worden oder unbekannt verzogen gewesen seien. Darüber hinaus hat das L[X.] auf die vom hier tätigen Prozessbevollmächtigten in anderen Verfahren geäußerte (und isoliert betrachtet zutreffende) Ansicht hingewiesen, dass es kein Handeln ohne Vollmacht darstelle, wenn er bei Vorliegen einer Generalvollmacht ohne Kenntnis des Mandanten Klage erhebe. Schließlich hat das L[X.] dargelegt, dass die Klägerin des vorliegenden Verfahrens zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht mehr unter der vom Prozessbevollmächtigten in der Klageschrift mitgeteilten Anschrift wohnhaft gewesen sei. Dass diese Anhaltspunkte für Zweifel des L[X.] am Bestehen einer wirksamen Vollmacht für das vorliegende Berufungsverfahren von vorneherein untauglich gewesen wären, lässt sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen. Entgegen der Auffassung der Beschwerde muss das Gericht bei Zweifeln am Vorliegen einer Vollmacht aufgrund von in anderen Verfahren zu Tage getretenen Umständen nicht die dortigen Umstände näher aufklären. Vielmehr dient gerade und allein die Aufforderung, für das zu entscheidende Verfahren eine aktuelle Vollmachtsurkunde vorzulegen, der Verifizierung oder Falsifizierung der Zweifel. Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten kommt es auch nicht auf den Anteil der Zweifel verursachenden Verfahren an der Gesamtzahl der von ihm betriebenen Rechtsstreitigkeiten an. Ausreichend ist eine - hier vorliegende - größere, weil über den Einzelfall hinausgehende Anzahl, die den Schluss zulässt, dass es sich nicht um Büroversehen (vgl B[X.] vom 20.1.2016 - [X.] [X.]/15 B - [X.] 4-1500 § 73 [X.] RdNr 13; B[X.] vom 20.1.2016 - [X.] [X.]/15 B - juris RdNr 12; B[X.] vom [X.] [X.]/15 B - juris RdNr 11; B[X.] vom [X.] [X.]/20 B - juris RdNr 5) oder ähnliche Umstände handelt.

8

b) Zugleich liegt keine Verletzung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art 19 Abs 4 Satz 1 GG vor. Es ist insbesondere nicht zu beanstanden, wenn ein Gericht eine auf das jeweils konkrete Verfahren bezogene Bevollmächtigung verlangt (zum Verfassungsprozessrecht [X.] vom [X.] - 2 BvR 309/15 - [X.]E 152, 1 [5 f, RdNr 19]). Art 19 Abs 4 Satz 1 GG steht Anforderungen an den [X.] nur entgegen, wenn sie für diesen unzumutbar sind und der Zugang zum Gericht in durch [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird (stRspr; vgl etwa [X.] vom 16.7.2013 - 1 BvR 3057/11 - [X.]E 134, 106 [117 f, Rd[X.]4] mwN; [X.] vom 18.6.2019 - 1 BvR 587/17 - [X.]E 151, 173 [184, RdNr 27]; B[X.] vom 19.3.2020 - [X.] [X.]/20 R - [X.] 4-1500 § 144 [X.] RdNr 23). Dies ist bei der Aufforderung, eine aktuelle Vollmachtsurkunde vorzulegen, nicht der Fall. Dass es dem Prozessbevollmächtigten nicht zumutbar gewesen wäre, nach der ersten oder zweiten Aufforderung des L[X.] eine aktuelle Vollmachtsurkunde vorzulegen, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich.

9

c) [X.], die ohne wirksame Prozessvollmacht vorgenommen und auch nicht wirksam genehmigt wird, ist unwirksam. Ein ohne Vollmacht eingelegtes Rechtsmittel ist als unzulässig zu verwerfen (vgl B[X.] vom 13.12.2000 - B 6 KA 29/00 R - [X.] 3-1500 § 73 [X.] f - juris RdNr 16; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 13. Aufl 2020, § 73 RdNr 66; zum Zivilprozessrecht [X.] vom [X.] - [X.]/00 - juris RdNr 16 mwN). Die vorgelegte Generalvollmacht vom [X.] reichte angesichts der Aufforderung des L[X.], eine aktuelle Vollmachtsurkunde vorzulegen, nicht aus. Entsprechend hat das L[X.] die Berufung zu Recht als unzulässig verworfen, nachdem der Prozessbevollmächtigte weder innerhalb der gesetzten Frist noch bis zur Entscheidung des L[X.] eine aktuelle Vollmachtsurkunde zu den Akten gereicht hat. Auf diese Rechtsfolge hatte das L[X.] den Prozessbevollmächtigten auch zuvor zutreffend hingewiesen.

2. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 Satz 1, Abs 4 [X.]G.

Meta

B 4 AS 76/21 B

12.05.2021

Bundessozialgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Bremen, 23. April 2019, Az: S 16 AS 1341/17, Gerichtsbescheid

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 73 Abs 6 S 1 SGG, § 73 Abs 6 S 2 SGG, § 73 Abs 6 S 4 SGG, § 73 Abs 6 S 5 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 12.05.2021, Az. B 4 AS 76/21 B (REWIS RS 2021, 5940)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 5940

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8 A 1/10

2 BvR 309/15

1 BvR 3057/11

1 BvR 587/17

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