Bundessozialgericht, Beschluss vom 17.03.2016, Az. B 4 AS 684/15 B

4. Senat | REWIS RS 2016, 14304

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - ordnungsgemäße Bevollmächtigung - Prüfung der Prozessvollmacht des Rechtsanwalts von Amts wegen


Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des [X.] vom 13. November 2015 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Mit Beschluss vom 13.11.2015 hat das [X.] die Berufung der Klägerin gegen ein Urteil des [X.] (Urteil vom 11.12.2013) als unzulässig verworfen und dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Verpflichtung zur Erstattung der Kosten des Beklagten aus dem Berufungsverfahren auferlegt. Es sei anzunehmen, dass die Berufung von einem vollmachtslosen Vertreter eingelegt worden sei. Die Berufungseinlegung sei auch nicht nachträglich von der Klägerin genehmigt worden. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin habe trotz Aufforderung keine [X.] für das Berufungsverfahren vorgelegt. Die erteilte "Generalvollmacht" reiche insoweit nicht aus. Denn in anderen Verfahren habe sich erwiesen, dass der Rechtsanwalt nicht zur Durchführung der Berufung beauftragt gewesen sei. Die erteilten Vollmachten seien dort aus anderem Anlass erteilt worden.

2

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des [X.] macht die Klägerin einen Verfahrensfehler geltend; gemäß § 73 Abs 6 S 5 [X.] hätte das [X.] einen Mangel der Vollmacht nicht prüfen dürfen, abgesehen davon, dass er nicht vorliege.

3

II. Auf die Beschwerde der Klägerin ist der Beschluss des [X.] vom 13.11.2015 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen. Die Klägerin rügt zu Recht, dass das [X.] ihre Berufung wegen der fehlenden Vorlage einer das Berufungsverfahren konkret bezeichnenden [X.] als unzulässig verworfen hat.

4

1. Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 160a Abs 5 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 [X.]).

5

a) Der Zulässigkeit der Beschwerde der Klägerin steht ein mangelnder Nachweis der ordnungsgemäßen Bevollmächtigung ihres Prozessbevollmächtigten nicht entgegen. Die Klägerin hat ihm unter dem 11.3.2011 "wegen sämtlicher in Betracht kommender Ansprüche gegen die (in der Vollmacht) genannte Behörde" eine Vollmacht ausgestellt. "Diese wird sowohl für das Verwaltungs-, das Widerspruchs- als auch das Klageverfahren erteilt. Die Vollmacht erstreckt sich auf alle Verfahren und alle Instanzen." Diese Erklärung lässt im Sinne der an eine ordnungsgemäße Vollmacht nach § 73 Abs 6 S 1 [X.] zu stellenden Anforderungen keinen Zweifel daran, wer bevollmächtigt ist, wer bevollmächtigt hat und wozu bevollmächtigt worden ist (vgl zur entsprechenden Bestimmung des § 62 Abs 3 S 1 der FGO [X.] Urteil vom [X.] - [X.], 463, 465), nämlich hier der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ua zur Einlegung von Rechtsmitteln in Rechtsstreitigkeiten zwischen der Klägerin und dem Beklagten, und damit zur Einlegung der Beschwerde auch hier.

6

Anlass dafür, diese Vollmacht entgegen der ständigen Spruchpraxis der obersten Gerichtshöfe des [X.] zur Wirksamkeit von Generalvollmachten als [X.] (vgl etwa BSG Beschluss vom 26.1.1998 - B 2 U 299/97 B - juris RdNr 5; BVerwG Urteil vom 16.7.1998 - 7 C 36/97 - BVerwGE 107, 156, 157 f = [X.] 428 § 1 VermG [X.]; [X.] Beschluss vom 7.5.2014 - II B 117/13 - [X.]/NV 2014, 1232, 1233 RdNr 6) ausnahmsweise nicht als beachtlich anzusehen und von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin daher zusätzlich die Vorlage einer weiteren, auf das vorliegende Beschwerdeverfahren konkret bezogenen Vollmacht zu verlangen, besteht nicht. Zwar mögen Fälle denkbar sein, in denen Zweifel am ordnungsgemäßen Nachweis einer [X.] durch Generalvollmacht angebracht sein können (vgl etwa BSG Beschluss vom 11.3.1985 - 7 [X.]/84 - [X.] 1500 § 166 [X.]). Unter Berücksichtigung ihrer weitreichenden Auswirkungen für den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten [X.] und Rechtsmittelinstanzen wird die Annahme, dass eine als Prozesshandlung (vgl die Nachweise bei [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 11. Aufl 2014, § 73 RdNr 61) erteilte [X.] entgegen ihres äußeren Anscheins überhaupt nicht oder nicht mehr gelten soll, unter Beachtung des Gebots effektiven Rechtsschutzes gemäß Art 19 Abs 4 GG und des Rechtsstaatsprinzips allerdings nur unter außerordentlich gelagerten Umständen anzunehmen sein können (vgl auch den parallel hierzu liegenden Fall BSG Beschluss vom 20.1.2016 - B 14 [X.]/15 B).

7

Raum für die Berücksichtigung solcher Umstände ist seit der Neufassung des § 73 [X.] durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts (im Folgenden: [X.]) vom 12.12.2007 ([X.] 2840) prozessual allerdings nur noch, wenn sie entweder von dem anderen Beteiligten gestützt auf § 73 Abs 6 S 4 [X.] substantiiert in das Verfahren eingeführt worden sind oder Anlass für Zweifel von Amts wegen nach § 73 Abs 6 S 5 [X.] besteht (dazu unter b), woran es hier fehlt. Denn weder hat der erkennende Senat unter Berücksichtigung der bei ihm geführten Verfahren von Amts wegen selbst eigene Erkenntnisse, die darauf hindeuten könnten, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in einer größeren Zahl von Fällen trotz der Beendigung des Mandatsverhältnisses gestützt auf früher erteilte Generalvollmachten Rechtsbehelfe oder -mittel eingelegt hat, noch sind solche Umstände von dem Beklagten substantiiert dargetan worden. Zwar hat das [X.] unter Angabe des Aktenzeichens zwei Verfahren aus der Berufungsinstanz benannt, in denen erklärt worden sei, dass die Klagen oder andere Verfahren nicht mit dem Willen der Kläger in Einklang stünden. Sie hätten dem Rechtsanwalt vor Jahren Vollmachten für Verfahren erteilt, die keinen Bezug zu dem anhängigen Verfahren gehabt hätten. [X.] substantiiert wäre das allerdings nur, wenn der Senat aufgrund dessen ohne eigene Nachforschungen unmittelbar beurteilen könnte, ob der Vorwurf einer missbräuchlichen Berufung auf Generalvollmachten durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerin berechtigt erscheint, was mangels näherer Angaben nicht möglich ist.

8

b) Die Beschwerde ist auch in der Sache begründet. Da der Mangel der Vollmacht des Prozessbevollmächtigten der Klägerin von dem Beklagten nicht gerügt worden war, durfte das [X.] ihn zur Vorlage einer konkret auf das Berufungsverfahren bezogenen [X.] nur auffordern und anschließend die Berufung der Klägerin unter Hinweis auf die fehlende Vorlage als unzulässig verwerfen, wenn iS von § 73 Abs 6 S 5 [X.] von Amts wegen ernstliche Zweifel am ordnungsgemäßen Nachweis der [X.] bestanden haben, was nach den Feststellungen des [X.] nicht belegt ist.

9

Nach § 73 Abs 6 S 1 [X.] muss derjenige, der als Prozessvertreter eines anderen auftritt, seine Bevollmächtigung durch schriftliche Vollmacht nachweisen. Fehlt es daran, so hat das Gericht den Mangel der Vollmacht gemäß § 73 Abs 6 S 5 [X.] (hier idF des [X.] zur Änderung des [X.] und anderer Gesetze vom 22.12.2011, [X.] 3057) von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Diese auf das [X.] zurückgehende Vorschrift (ursprünglich § 73 Abs 6 S 4 [X.] idF des [X.]) zielt nach den Materialien darauf, in Übereinstimmung mit den anderen Verfahrensordnungen künftig auch im sozialgerichtlichen Verfahren den Mangel der Vollmacht nicht mehr von Amts wegen zu überprüfen, wenn als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt (vgl BT-Drucks 16/3655, [X.], ebenso dort [X.] zur neugefassten Vorschrift des § 80 ZPO).

Danach mag die Regelung die Überprüfung der Vollmacht eines Rechtsanwalts von Amts wegen zwar nicht generell ausschließen (in diesem Sinne etwa [X.] Urteil vom [X.] - [X.]/00 - NJW 2001, 2095, 2096 zu der § 73 Abs 6 S 5 [X.] entsprechenden Fassung des § 88 Abs 2 ZPO; [X.] Beschluss vom 11.11.2009 - [X.]/09 - [X.]/NV 2010, 449, 450 RdNr 5 f zu § 62 Abs 6 S 4 FGO; BVerwG Urteil vom 27.6.2011 - 8 A 1/10 - juris RdNr 16; enger dagegen [X.] Beschluss vom 18.3.2015 - 7 ABR 6/13 - juris RdNr 14). Jedenfalls ist mit dieser Zielrichtung die Prüfung der Vollmacht eines Rechtsanwalts ohne Rüge der Gegenseite nur vereinbar, wenn sein Verhalten ernstliche Zweifel daran aufkommen lässt, dass er über die notwendige Vollmacht verfügt (ebenso [X.] Urteil vom [X.], aaO: Weckt ein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter selbst ernsthafte Zweifel an der Wirksamkeit seiner eigenen Bevollmächtigung, darf das Gericht diese auch von Amts wegen prüfen; ähnlich BVerwG Urteil vom 27.6.2011 - 8 A 1/10 - aaO: Keine ordnungsgemäße Bezeichnung des angeblich vertretenen [X.]).

Solche Anhaltspunkte lassen sich den Feststellungen der angegriffenen Entscheidung nicht hinreichend entnehmen. Nicht ausreichend ist ohne weitere Feststellungen, dass die Kläger zweier Verfahren beim 29. Senat des [X.] übereinstimmend angegeben hätten, von den in ihrem Namen geführten Berufungsverfahren erst durch die ihnen zugestellten Ladungen erfahren zu haben. Zwar können Zweifel an der fortdauernden Gültigkeit der einem Rechtsanwalt früher erteilten Generalvollmacht bestehen, wenn feststeht, dass er in einer größeren Zahl von Fällen unter Rückgriff auf solche Generalvollmachten Rechtsbehelfe oder -mittel eingelegt hat, obwohl das Mandatsverhältnis von den Mandanten bereits beendet worden war. Kein Anlass zu grundsätzlichen Zweifeln können aber Fehler begründen, die einem schlichten Büroversehen zuzuordnen sind. Nicht ausreichend ist vor diesem Hintergrund der Hinweis des [X.] auf die Angaben von zwei Klägern und ohne Aufklärung der näheren Umstände, sodass es auf die mit der Beschwerde weiter geltend gemachte Frage nicht ankommt, ob dieser Sachverhalt prozessual ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt worden ist. Das gilt hier in besonderer Weise zusätzlich deshalb, weil die dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin erteilte Generalvollmacht und das im Streit stehende Berufungsverfahren wegen höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] in einem engen zeitlichen Zusammenhang stehen. Der hier angefochtene Änderungsbescheid vom 23.6.2011 greift zeitlich (Änderung zum 1.1.2011) in den Bewilligungszeitraum hinein, für den im vorhergehenden Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid vom 20.5.2011 - Bewilligungszeitraum vom 1.10.2010 bis 31.3.2011) die erwähnte Generalvollmacht erteilt worden war. Es ist deshalb zusätzlich begründungsbedürftig, dass die Vollmacht nicht zur Einlegung der Berufung im vorliegenden Verfahren berechtigen sollte.

2. Mit der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und der Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auf die Beschwerde der Klägerin ist auch der gerügte Verstoß gegen § 153 Abs 4 [X.] [X.] gegenstandslos.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der abschließenden Entscheidung des [X.] vorbehalten.

Meta

B 4 AS 684/15 B

17.03.2016

Bundessozialgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Cottbus, 11. Dezember 2013, Az: S 21 AS 4286/11

§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 73 Abs 6 S 1 SGG, § 73 Abs 6 S 4 SGG, § 73 Abs 6 S 5 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 17.03.2016, Az. B 4 AS 684/15 B (REWIS RS 2016, 14304)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 14304

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 14 AS 180/15 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verwerfung der Berufung als unzulässig - Überprüfung der …


B 14 AS 188/15 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Verwerfung der Berufung durch das Berufungsgericht wegen Unzulässigkeit - Überprüfung der Vollmacht …


B 4 AS 76/21 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Revisionszulassung - Verfahrensfehler - Prozessentscheidung wegen unwirksamer Berufungseinlegung - Nichtvorlage einer aktuellen …


B 7/14 AS 225/21 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verwerfung der Berufung als unzulässig - Überprüfung der …


B 14 AS 273/21 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verwerfung der Berufung als unzulässig - Überprüfung der …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

II B 117/13

8 A 1/10

7 ABR 6/13

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.