Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.09.2016, Az. 2 StR 497/15

2. Strafsenat | REWIS RS 2016, 5314

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Gegenstand

Betrug: Gefährdungsschaden bei Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses; Prozessrisiko als schadensgleiche Vermögensgefährdung


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 16. Juli 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die Verfahrensrügen kommt es daher nicht an.

2

1. Das [X.] hat die Verurteilung des Angeklagten auf folgende Feststellungen gestützt:

3

Der Angeklagte, von Beruf Rechtsanwalt, beantragte am 14. August 2012 bei der zu diesem Zeitpunkt zuständigen Rechtspflegerin beim [X.] den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses gegen die [X.] auf Grund eines Vollstreckungsbescheides des [X.] vom 14. Dezember 2011. Der Angeklagte verschwieg dabei, dass dieser Vollstreckungsbescheid - was ihm bekannt war - bereits mit Urteil des [X.]s Bamberg vom 29. Mai 2012 aufgehoben worden war, das [X.] am 18. Juni 2012 beschlossen hatte, die Zwangsvollstreckung aus dem am 26. Januar 2012 auf Grundlage des Vollstreckungsbescheides des [X.] erlassenen Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses gegen die [X.] einstweilig einzustellen, und  das [X.] den vorbezeichneten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss am 7. August 2012 aufgehoben hatte.

4

Die Rechtspflegerin des [X.], der die Vorgänge beim Amts- und [X.] Bamberg nicht bekannt waren und die deshalb davon ausging, dass keine Vollstreckungshindernisse bestünden, erließ am 1. November 2012 den beantragten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss über eine Hauptforderung in Höhe von 1.921.451,58 € zuzüglich Zinsen und abzüglich seit März 2012 von einer Drittschuldnerin gezahlter 100.000 €. Am 23. November 2012 hob das [X.] den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss auf.

5

Das [X.] ist der Ansicht, dass aufgrund des beim [X.] erschlichenen Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses „das Vermögen der [X.] in Höhe von 1.921.451,58 € zuzüglich Nebenforderungen gefährdet“ gewesen sei.

6

2. Die getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen (vollendeten) Betrugs nicht.

7

a) Wie der [X.] im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, hat der Angeklagte zwar mit seinem Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 14. August 2012 die zuständige Rechtspflegerin beim [X.] über das Vorliegen eines vollstreckbaren Schuldtitels gegen die [X.] getäuscht und dadurch einen entsprechen- den Irrtum bei ihr hervorgerufen. In dem Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 1. November 2012 ist dem Grunde nach auch eine Vermögensverfügung des Vollstreckungsgerichts zum Nachteil der [X.] im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB zu sehen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 25. April 2001 - 1 [X.], [X.]R StGB § 263 Abs. 1 Täuschung 19 und vom 19. November 2013 - 4 [X.], [X.]St 59, 68, 72 f.), weil dem Drittschuldner die Zahlung an den Vollstreckungsschuldner untersagt (§ 829 Abs. 1 Satz 1 ZPO), letzterem die Verfügungsbefugnis über die gepfändete Forderung entzogen (§ 829 Abs. 1 Satz 2 ZPO) und dem Vollstreckungsgläubiger das Recht verliehen wird, die Forderung im eigenen Namen geltend zu machen und einzuziehen (§ 835 Abs. 1, § 836 Abs. 1 ZPO).

8

b) Die Feststellungen belegen aber bislang nicht hinreichend den Eintritt eines Vermögensschadens. Das [X.] hat eine schadensgleiche Gefährdung des Vermögens der [X.] durch den Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses in Höhe der in dem Vollstreckungsbescheid titulierten 1.921.451,58 € zuzüglich Nebenforderungen angenommen. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

9

aa) Ein tatbestandsmäßiger [X.] ist gegeben, wenn die Wahrscheinlichkeit eines endgültigen Verlusts eines Vermögensbestandteils so groß ist, dass dies bereits im Zeitpunkt der Vermögensverfügung eine objektive Minderung des [X.] zur Folge hat (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 263 Rn. 159 mwN). Die bloße Möglichkeit des Eintritts eines solchen Schadens genügt nicht. Von einfach gelagerten und eindeutigen Fällen abgesehen, etwa bei einem ohne Weiteres greifbaren Mindestschaden, muss der Vermögensschaden der Höhe nach beziffert und dies in wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise in den Urteilsgründen dargelegt werden (vgl. [X.], Beschluss vom 7. Dezember 2011 - 2 [X.] u.a., [X.]E 130, 1, 47).

bb) Nach diesen Maßstäben ist eine schadensgleiche Vermögensgefährdung durch die Feststellungen nicht hinreichend belegt.

(1) Das [X.] geht bereits im Ansatz unzutreffend davon aus, dass das Vermögen der [X.] durch den Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses in Höhe der in dem Vollstreckungsbescheid titulierten 1.921.451,58 € zuzüglich Nebenforderungen gefährdet worden sei. Dabei übersieht es, dass von der titulierten Forderung die zuvor gezahlten 100.000 € in Abzug zu bringen wären.

(2) Aber auch im Übrigen ist eine hinreichend große Verlustwahrscheinlichkeit, die zu einer gegenwärtigen - bezifferbaren - Minderung des Vermögens der [X.] hätte führen können, nicht ausreichend festgestellt. Denn der  Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 1. November 2012 entfaltete keinerlei Rechtswirkungen, weil es bereits im Zeitpunkt seines Erlasses an einem vollstreckbaren Titel und damit an einer schlechthin unerlässlichen Voraussetzung der Zwangsvollstreckung mangelte, nachdem der Vollstreckungsbescheid des [X.] vom 14. Dezember 2011 durch das Urteil des [X.]s Bamberg vom 29. Mai 2012 aufgehoben worden war (§ 717 Abs. 1 ZPO). Darin liegt ein besonders schwerwiegender Fehler, der für einen mit den Umständen vertrauten, verständigen Beobachter ohne weiteres ersichtlich, mithin offenkundig ist und somit zur Nichtigkeit des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses führt (vgl. [X.], Urteil vom 17. Dezember 1992 - [X.], [X.]Z 121, 98, 101 ff.; Beschluss vom 9. Juli 2014 - [X.], NJW 2014, 2732, 2733; [X.]/[X.]/[X.]/[X.], ZPO, 74. Aufl., Grundzüge § 704 Rn. 57; [X.] in [X.], ZPO, 31. Aufl., vor § 704 Rn. 34, [X.] in Musielak/[X.], ZPO, 13. Aufl., Vorbemerkung zu § 704 Rn. 32; [X.], ZPO, 6. Aufl., vor § 704-945 Rn. 21; [X.] in [X.]/[X.], ZPO, 37. Aufl., Vorbemerkung [X.] zu § 704 Rn. 58, jeweils mwN). Die Drittschuldnerin, der nach den Feststellungen zudem bereits vor Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses durch das [X.] bekannt war, dass der diesem Beschluss zugrundeliegende Vollstreckungsbescheid des [X.] aufgehoben worden war, hätte sich demnach durch Zahlungen an den Angeklagten von vornherein nicht von ihren Verbindlichkeiten gegenüber der [X.] befreien können.

Der Schuldspruch kann auch nicht deswegen bestehen bleiben, weil  - wie das [X.] meint - der [X.] die Durchsetzung ihrer Forderun- gen gegenüber der Drittschuldnerin „erheblich erschwert“ worden sei, weil sich diese „auf eine angeblich schuldbefreiende Zahlung an den Angeklagten beruft und die Forderungen wahrscheinlich gerichtlich geltend gemacht werden müssen“. Zwar kann ein nicht unerhebliches Prozessrisiko unter dem Gesichtspunkt der schadensgleichen Vermögensgefährdung einen Betrugsschaden begründen (vgl. [X.], Urteil vom 8. Mai 1990 - 1 StR 52/90, [X.]R StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 24; Beschluss vom 8. Juni 2011 - 3 [X.], [X.]R StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 75 mwN). Nach der Rechtsprechung des [X.] ist es im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG aber erforderlich, eigenständige Feststellungen zum Vorliegen des Vermögensschadens zu treffen, um so dieses Tatbestandsmerkmal von den übrigen Tatbestandsmerkmalen des § 263 Abs. 1 StGB sowie die Fälle des versuchten von denen des vollendeten Betrugs hinreichend deutlich abzugrenzen, mithin den Schaden der Höhe nach zu beziffern und seine Ermittlung in wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise in den Urteilsgründen darzulegen (vgl. bereits [X.], Beschluss vom 23. Juni 2010 - 2 BvR 2559/08 u.a., [X.]E 126, 170, 211 f.; Beschluss vom 7. Dezember 2011 - 2 [X.] u.a., [X.]E 130, 1, 47).

Daran fehlt es hier. Weder ist ersichtlich, nach welchen wirtschaftlich nachvollziehbaren Maßstäben ein bezifferbarer Vermögensschaden allein in dem Bestehen eines - hier zudem nicht ohne Weiteres ersichtlichen, jedenfalls nicht näher festgestellten - zivilrechtlichen Prozessrisikos liegen kann, noch werden Parameter für die Berechnung der Höhe eines solchen Schadens erkennbar (vgl. auch [X.], Beschluss vom 8. Juni 2011 - 3 [X.], [X.]R StGB § 263 Abs. 1 Vermögensschaden 75).

Fischer     

     Appl     

Ri[X.] Dr. Eschelbach
ist aus tatsächlichen Gründen
an der Unterschrift gehindert.

Fischer

Ri[X.] Dr. Ott ist
aus tatsächlichen Gründen an
der Unterschrift gehindert.

Zeng     

Fischer

Meta

2 StR 497/15

20.09.2016

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Meiningen, 16. Juli 2015, Az: 150 Js 22711/12 - 1 KLs

§ 263 StGB, Art 103 Abs 2 GG, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.09.2016, Az. 2 StR 497/15 (REWIS RS 2016, 5314)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 5314

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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