Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.11.2016, Az. VI ZR 208/15

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 1676

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:291116UVIZR208.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
VI [X.]/15
Verkündet am:

29. November 2016

Olovcic

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
ja
[X.]R:
ja
[X.] § 34 Abs. 1, 3; GG Art. 34; BGB § 839 (Fc)
a)
Wegen des regelmäßig gegebenen inneren Zusammenhangs der Diagnose-stellung und der sie vorbereitenden Maßnahmen
mit der Entscheidung über die richtige Heilbehandlung sind jene Maßnahmen ebenfalls der öffentlich-rechtlichen Aufgabe des [X.] zuzuordnen mit der Folge, dass die Unfallversicherungsträger für etwaige Fehler in diesem Bereich haften (Aufgabe der Rechtsprechung zur "doppelten Zielrichtung", vgl. Senatsurteil vom 9.
Dezember 2008 -
VI
ZR 277/07, [X.], 115 Rn.
23; [X.], Urteil vom 9.
Dezember 1974 -
III
ZR 131/72, [X.]Z 63, 265, 273 f.).
b)
Eine Erstversorgung durch den Durchgangsarzt ist ebenfalls der Ausübung eines öffentlichen Amtes zuzurechnen mit der Folge, dass die [X.] für etwaige Fehler in diesem Bereich haften (Aufgabe [X.], Ur-teil vom 9.
Dezember 1974 -
III
ZR 131/72, [X.]Z 63, 265).
c)
Bei der Bestimmung der Passivlegitimation ist regelmäßig auf den Durch-gangsarztbericht abzustellen, in dem der Durchgangsarzt selbst die "Art der Erstversorgung (durch den D-Arzt)" dokumentiert.
[X.], Urteil vom 29. November 2016 -
VI [X.]/15 -
OLG [X.]

[X.]
-

2

-

Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom
20. September 2016
durch den Vorsitzenden [X.], [X.] und [X.] und die Richterinnen Dr. [X.] und Dr. Roloff
für Recht erkannt:
Die Revision gegen den Beschluss des 8.
Zivilsenats des Ober-landesgerichts [X.] vom 5.
März 2015
wird
zurück-gewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsrechtszuges
einschließ-lich der Kosten der
Streithelferin, letztere
bis zum 26. Juni 2016; ab dem [X.]punkt des [X.] am 27. Juni 2016 trägt die Streithelferin
des [X.] ihre Kosten selbst.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Der Kläger macht Schadensersatzansprüche nach einem Arbeitsunfall am 3.
März 2010 gegen den Beklagten geltend, der Chefarzt des [X.] und Durchgangsarzt (künftig: D-Arzt)
der Berufsgenossenschaft
(künftig: Streithelferin)
ist.

Nach dem Arbeitsunfall wurde der Kläger in das W.-Krankenhaus [X.]. Die Behandlung in der Ambulanz erfolgte durch eine Ärztin, durch die
sich
der
Beklagte in seiner Funktion als D-Arzt
vertreten ließ, ohne dass sie zur
ständigen Vertreterin
des D-Arztes
bestellt war. Diese untersuchte den Kläger.
1
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-

3

-

Im [X.] ist
nach Fertigung von Röntgenaufnahmen die Erstdiagnose "Prellung BWS" angegeben. Unter "Art der Erstversorgung (durch den D-Arzt)" heißt es: "Symptomatisch, Voltaren Resinat 1-0-1, [X.] 20 mg 1-0-0, küh-len, schonen". Als Art der Heilbehandlung wurde "allgemeine Heilbehandlung durch anderen Arzt" angeordnet. Der Kläger wurde als "arbeitsfähig" erachtet. Eine Nachschau sollte
am 14. März 2010 erfolgen, sofern dann noch [X.] oder Behandlungsbedürftigkeit vorliegen sollte, bei Verschlimmerung sofort.
Der Kläger begab sich am 12. März 2010 in die ambulante Behandlung eines anderen D-Arztes. Dieser stellte nach Fertigung weiterer Röntgenauf-nahmen die Diagnose einer Fraktur [X.] mit Hinterkantenbeteiligung. Der
Kläger wurde in die dortige unfallchirurgische Klinik aufgenommen und am 16.
März 2010 operiert. Die Streithelferin
gewährte ihm Verletztengeld und eine vorläufige Erwerbsminderungsrente (20
%) für die [X.] vom 17.
August 2010 bis Ende Februar 2013.
Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung des [X.] durch den angefochtenen Beschluss gemäß §
522 Abs.
2 ZPO zurückgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Schadensersatzansprüche weiter.

Entscheidungsgründe:
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der Beklagte
nicht
passivlegi-timiert. D-Ärzte handelten bei ihrer Entscheidung, ob und in welcher Weise ein Verletzter in die berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung übernommen wer-3
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4

-

den soll,
öffentlich-rechtlich im Sinne des Art.
34 GG i.V.m. §
839 BGB. Zur durchgangsärztlichen Tätigkeit zählten die Untersuchung zur Diagnosestellung und die Überwachung des [X.]; sie erfolgten mithin in Ausübung eines öffentlichen Amtes. Bestehe der Fehler in der falschen Diagnose (wie hier vom Kläger behauptet) und setze sich dieser Fehler in der weiteren Behandlung fort, stelle er eine Folge der öffentlich-rechtlichen Fehldiagnose dar. [X.] sei in diesen Fällen die Berufsgenossenschaft und nicht der
D-Arzt. Erst wenn dieser die Weiterbehandlung übernehme und ihm dabei ein
Behandlungsfehler unterlaufe, komme seine eigene zivilrechtliche Haftung in Betracht. Eine solche Konstellation liege nicht vor.
Dass
sich der Beklagte in seiner Funktion als D-Arzt
durch eine Ärztin habe vertreten lassen, ohne dass diese zur ständigen Vertreterin des D-Arztes bestellt gewesen sei, begründe kein Behandlungsverhältnis zwischen ihm und dem Kläger für den 3.
März 2010. Sollte dieses Vorgehen als Pflichtverletzung des Beklagten als D-Arzt
zu werten sein, so betreffe dies seine
entsprechende
Funktion und wäre gegebenenfalls in einem gegen die Berufsgenossenschaft gerichteten Verfahren beachtlich.

II.
Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Das Berufungsgericht hat mit Recht die Passivlegitimation des Beklagten ver-neint, weil im Streitfall die Berufsgenossenschaft gemäß Art.
34 GG i.V.m. §
839 BGB passivlegitimiert ist.
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-

1. Die ärztliche Heilbehandlung ist allerdings regelmäßig nicht Ausübung eines öffentlichen Amtes im Sinne von Art.
34 GG (vgl. Senatsurteile vom 9.
Dezember 2008 -
VI
ZR 277/07, [X.], 115 Rn.
14; vom 9.
März 2010
-
VI
ZR 131/09, [X.], 768 Rn.
8; vom 21.
Januar 2014 -
VI
ZR 78/13, [X.], 374 Rn.
15; [X.], Urteil vom 9.
Dezember 1974 -
III
ZR 131/72, [X.]Z 63, 265, 270
f.). Auch die ärztliche Behandlung nach einem Arbeitsunfall ist keine der Berufsgenossenschaft obliegende Aufgabe. Die Heilbehandlung als solche stellt keine der Berufsgenossenschaft obliegende Pflicht dar. Der Arzt, der die Heilbehandlung durchführt, übt deshalb kein öffentliches Amt aus und haftet für Fehler persönlich (vgl. Senatsurteile vom 28.
Juni 1994 -
VI
ZR 153/93, [X.]Z 126, 297, 301; vom 9.
Dezember 2008 -
VI
ZR 277/07, aaO; vom 9.
März 2010 -
VI
ZR 131/09, aaO; [X.], Urteil vom 9.
Dezember 1974 -
III
ZR 131/72, aaO, 271
f.).
Die Tätigkeit eines D-Arztes wird jedoch nicht in vollem Umfang dem [X.] zugeordnet. Ob die allgemeine oder die besondere Heilbehandlung erforderlich ist, entscheidet grundsätzlich der D-Arzt
nach Art und Schwere der Verletzung. Bei dieser Entscheidung erfüllt er eine der Berufsgenossenschaft obliegende Aufgabe und übt damit ein öffentliches Amt aus. Ist seine Entschei-dung über die Art der Heilbehandlung fehlerhaft und wird der Verletzte dadurch geschädigt, haftet in diesem Fall für Schäden nicht der D-Arzt
persönlich, [X.] die Berufsgenossenschaft
nach Art.
34
Satz 1
GG
i.V.m. §
839 BGB (vgl. Senatsurteile vom 28.
Juni 1994 -
VI
ZR 153/93, aaO, 300; vom 9.
Dezember 2008 -
VI
ZR 277/07, aaO Rn.
17; vom 9.
März 2010 -
VI
ZR 131/09, aaO Rn.
9;
Senatsbeschluss vom 4.
März 2008 -
VI
ZR 101/07, juris; [X.], Urteil vom 9.
Dezember 1974 -
III
ZR 131/72, aaO,
272
ff.). Dies gilt auch, soweit die Über-wachung des [X.] lediglich als Grundlage der Entscheidung dient, ob der Verletzte in der allgemeinen Heilbehandlung verbleibt oder in die besondere Heilbehandlung überwiesen werden soll (vgl. Senatsurteil vom 9.
März 2010
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VI
ZR 131/09, aaO Rn.
12; sogenannte Nachschau gemäß §
29 Abs.
1 des gemäß §
34 Abs.
3 [X.] abgeschlossenen Vertrags, bei dem im Streitfall die ab 1. April 2008 geltende Fassung maßgeblich ist, veröffentlicht in [X.], A
285 [künftig: [X.]]).
2. Der Kläger macht geltend, der behandelnden Ärztin sei am 3. März 2010 ein Behandlungsfehler unterlaufen, weil sie eine Fraktur nicht erkannt ha-be. Die Fraktur hätte durch Ruhigstellung ohne [X.] ausheilen können. Folgen seien dauerhafte Minderung der Erwerbsfähigkeit und Minderbeweglich-keit der Wirbelsäule. Der Beklagte sei als D-Arzt
und Chefarzt für die Fehlbe-handlung
bei der Eingangsdiagnose und Erstversorgung verantwortlich.
Dieses Vorbringen führt nicht zur Passivlegitimation des
Beklagten.
a) Die Frage, ob der D-Arzt
auch bei
der
Untersuchung zur Diagnosestel-lung und bei der Diagnosestellung ein öffentliches Amt ausübt, ist höchstrichter-lich noch nicht geklärt (vgl. Senatsurteile vom 9.
Dezember 2008 -
VI
ZR 277/07, [X.], 115 Rn.
17 und vom 9.
März 2010 -
VI
ZR 131/09, [X.], 768 Rn.
10).
aa) In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird bei der Einordnung ei-nes Diagnosefehlers teilweise darauf abgestellt, dass sich die Pflichten des
D-Arztes bei der Ausübung seines öffentlichen Amtes mit denen aus einem pri-vatrechtlichen ärztlichen Behandlungsvertrag mit dem Patienten überschneiden können ("doppelte Zielrichtung"; vgl. Senatsurteil vom 9.
Dezember 2008
-
VI
ZR 277/07, [X.], 115 Rn.
23; Senatsbeschluss vom 4.
März 2008
-
VI
ZR 101/07, juris Rn. 1; [X.], Urteil vom 9.
Dezember 1974 -
III
ZR 131/72, [X.]Z 63, 265, 273
f.).
Mithin sei es für die Frage der Haftung entscheidend, in welchem Bereich sich der Fehler bei der Untersuchung auswirke. Komme es aufgrund dessen zu einer fehlerhaften Entscheidung der Frage, ob eine beson-10
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dere Heilbehandlung einzuleiten sei, und werde der Patient dadurch
geschä-digt, so
sei die Tätigkeit des D-Arztes als hoheitlich zu qualifizieren und
es
hafte der Unfallversicherungsträger. Wirke sich der Diagnosefehler hingegen so aus, dass es zu einer unsachgemäßen Heilbehandlung durch den D-Arzt
komme, so hafte er persönlich nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen (vgl. [X.], [X.], 502, 503; [X.], [X.] 2010, 137, juris Rn.
18
ff.; [X.], [X.], 1654, juris Rn.
33
ff.).
Teilweise wird allerdings eine Haftung der Berufsgenossenschaft für die Folgen eines Diagnosefehlers dann bejaht, wenn die Diagnose der Entschei-dung des Arztes dient, ob die besondere Heilbehandlung einzuleiten sei,
und sich dieser Fehler in der weiteren Behandlung fortsetzt, weil eine einheitliche Aufgabe nicht in haftungsrechtlich unterschiedlich zu beurteilende Tätigkeitsbe-reiche aufgespalten werden dürfe (vgl. [X.], [X.] 2007, 207; [X.], [X.], 728; wohl auch [X.], [X.], 71, 72 f.).
bb) Auch im Schrifttum ist umstritten, wie Diagnose-
oder Befunderhe-bungsfehler des D-Arztes im Rahmen der Eingangsuntersuchung zu beurteilen sind.
(a) Teilweise wird die Auffassung vertreten, der Arzt hafte für Fehler bei der Untersuchung zur Diagnosestellung und bei der Diagnosestellung persön-lich (vgl. [X.], Die [X.], 19, 21
und [X.] Fach 2, 523, 524 ff.; Spick-hoff/[X.], Medizinrecht, 2.
Aufl., [X.]. 70 Rn.
357; [X.], [X.] 2014, 65, 69). Der gesetzliche Unfallversicherungsträger sei nur verpflichtet, das durch-gangsärztliche Verfahren zu organisieren und zur Verfügung zu stellen. Er habe keine gesetzliche Verpflichtung, den jeweiligen Versicherten selbst zu untersu-chen, sondern schulde nur eine unfallmedizinische Versorgung im Sinne des Vorhaltens einer entsprechenden Infrastruktur. Hierfür
sei das [X.] 13
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-

eingeführt worden, welches sicherstellen solle, dass die Unfallverletzten im [X.] von einem besonders qualifizierten und sachlich ausgestatteten Arzt [X.] würden. Sowohl Diagnose als auch Befunderhebung seien elementare ärztliche Aufgaben, welche nicht zu einer öffentlichen Aufgabe würden. Daher komme eine Haftung des gesetzlichen [X.] allenfalls in Betracht, wenn die
Fehler
sich in der Weise auswirkten, dass der Verletzte auf-grund seiner Verletzungen nicht einer adäquaten Form der Heilbehandlung zu-geführt werde. Über mehr müsse der D-Arzt in Erfüllung seiner Amtspflichten nicht entscheiden (vgl. [X.], aaO; [X.], aaO).
(b) Hinsichtlich eines Fehlers bei der durchgangsärztlichen Eingangsun-tersuchung zur Diagnosestellung sowie der Diagnosestellung selbst wird
die Auffassung des [X.]s
Schleswig, dass hierfür die Berufsgenos-senschaft
einzustehen habe, von anderen Meinungen im Schrifttum geteilt
(vgl. [X.]/[X.]/[X.], [X.], 5. Aufl., Rn. 5; [X.], [X.] 2009, 400, 404; [X.]/Winkhart-[X.], [X.], 3.
Aufl., [X.]; [X.],
1540, Stichwort: D-Arzt
[Mai 2015], Rn. 28; [X.], [X.], 165, 166
f.;
Olzen, [X.] 2002, 132, 135, 137;
Olzen/[X.], [X.], 504, 505; [X.], [X.] 1995, 316, 317). Dies soll auch dann gelten, wenn der Fehler in der falschen Diagnose besteht und sich in der weiteren Behandlung
durch den D-Arzt
fortsetzt. Auch in diesem Fall stelle er eine Folge der öffentlich-rechtlichen Fehldiagnose dar
und bleibe dem öffentlich-rechtlichen Bereich zu-zuordnen. Die durchgangsärztlichen
Untersuchungen
mit anschließender Diag-nosestellung seien unabdingbarer
und damit auch "inhaltlicher" Teil der öffent-lich-rechtlich geprägten Entscheidung des
D-Arztes über die weitere [X.]. Eine haftungsrechtliche Aufspaltung dieses einheitlichen Entschei-dungsvorgangs sei weder [X.] noch rechtlich überzeugend. Auf-grund des inneren Zusammenhangs mit der
Entscheidung
über das "Ob und Wie"
der Heilbehandlung
müssten die dafür geltenden Grundsätze auch für die 16
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9

-

zur Entscheidung führenden Untersuchungen zur Diagnosestellung und für die Diagnosestellung gelten (vgl. [X.]/[X.]/[X.], aaO S.
12 mwN; [X.], aaO;
Olzen, [X.] 2002, 132, 137; [X.],
[X.] 1995, 316, 317).
cc)
Diese
Auffassung ist vorzugswürdig.
Nach §
34 Abs.
1
Satz 1
[X.] haben die Unfallversicherungsträger bei der Durchführung der Heilbehandlung alle Maßnahmen zu treffen, durch die eine möglichst frühzeitig nach dem Versicherungsfall einsetzende und sachge-mäße Heilbehandlung und, soweit erforderlich, besondere unfallmedizinische oder [X.] gewährleistet wird. Schon dies spricht [X.], nicht nur die Entscheidung, ob die allgemeine oder die besondere [X.] erforderlich ist, sondern auch die sie vorbereitenden Maßnahmen als Ausübung eines öffentlichen Amtes zu betrachten (vgl. [X.], Urteil vom 9.
De-zember 1974 -
III
ZR 131/72, [X.]Z 63, 265, 272). Maßgeblich für eine solche Zuordnung sind aber auch inhaltliche Überlegungen. [X.], insbesondere notwendige Befunderhebungen zur Stellung der richtigen Diagnose und die anschließende Diagnosestellung,
sind regelmäßig unabdingbare Voraussetzungen für die Entscheidung, ob eine allgemeine Heil-behandlung oder eine besondere Heilbehandlung erfolgen soll. Ein Fehler in diesem Stadium wird regelmäßig der Vorgabe des § 34 Abs. 1 Satz 1 [X.]
entgegenstehen, eine möglichst frühzeitig nach dem Versicherungsfall einset-zende und
sachgemäße Heilbehandlung zu gewährleisten. Mithin bilden die Befunderhebung und die Diagnosestellung die Grundlage für die der Berufsge-nossenschaft obliegende, in Ausübung eines öffentlichen Amtes erfolgende Entscheidung, ob eine allgemeine Heilbehandlung ausreicht oder wegen der Schwere der Verletzung eine besondere Heilbehandlung erforderlich ist. Dies wird
auch
im Streitfall daran deutlich, dass der Kläger wegen der behaupteten fehlerhaften ersten Diagnose als arbeitsfähig angesehen und erst
nach der Ent-17
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-

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-

scheidung des anderen D-Arztes in die dortige unfallchirurgische Klinik [X.] und am 16. März 2010 operiert wurde.
Die Befunderhebung im Rah-men der Eingangsuntersuchung und die zunächst gestellte Diagnose hat sich notwendigerweise auch dahingehend ausgewirkt, dass die Notwendigkeit der [X.] und die Erforderlichkeit einer besonderen Heilbehandlung verneint wurden.
In Anbetracht des regelmäßig gegebenen inneren Zusammenhangs zwi-schen der Diagnosestellung und den sie vorbereitenden Maßnahmen und der Entscheidung über die richtige Heilbehandlung
sind jene Maßnahmen ebenfalls der öffentlich-rechtlichen Aufgabe des D-Arztes zuzuordnen. Auch wenn die richtige Diagnose zugleich eine Bedeutung für die spätere Heilbehandlung ha-ben kann, wäre es eine unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebens-vorgangs, wenn man diese Maßnahmen
-
je nach dem Vortrag des [X.]
-

zugleich als öffentlich-rechtlich und als privatrechtlich einstufen würde. Im [X.] darauf, dass die vorbereitenden Maßnahmen
zur Diagnosestellung
und die Diagnosestellung durch den D-Arzt in erster Linie zur Erfüllung seiner sich aus dem öffentlichen Amt ergebenden Pflichten vorgenommen werden, sind
auch diese Maßnahmen diesem Amt zuzuordnen, mit der Folge, dass die [X.] für etwaige Fehler in diesem Bereich haften. Soweit aus
der Rechtsprechung des Senats zur
"doppelten Zielrichtung" (vgl. Senatsurteil vom 9.
Dezember 2008 -
VI
ZR 277/07, [X.], 115 Rn.
23; Senatsbeschluss vom 4.
März 2008 -
VI
ZR 101/07, juris Rn. 1) etwas anderes abgeleitet werden kann, hält der Senat daran für die vorbereitenden Maßnahmen zur Diagnose-stellung und die Diagnosestellung nicht fest.
Auf Anfrage hat der III. Zivilsenat des [X.] mitgeteilt, dass er an einer insoweit etwa abweichen-den Auffassung (vgl. [X.], Urteil vom 9.
Dezember 1974 -
III
ZR 131/72, [X.]Z 63, 265, 273 f.) ebenfalls nicht festhält
([X.], Beschluss vom 10.
November 2016 -
III
ARZ 2/16).
19
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11

-

b) Auch das Vorbringen des [X.] zur Erstversorgung führt nicht zur Passivlegitimation des Beklagten.
aa) Der [X.] hat allerdings entschieden, dass ein von einer Berufsgenossenschaft bestellter D-Arzt bei der ärztlichen Erstversorgung eines Unfallverletzten nicht in Ausübung eines öffentlichen Amtes handelt ([X.], Ur-teil vom 9.
Dezember 1974 -
III
ZR 131/72, [X.]Z 63, 265, 273 f.).
Im Hinblick auf diese
Entscheidung wurde in der Rechtsprechung ange-nommen, der [X.]
fasse den Amtspflichtbereich, für den nicht der D-Arzt, sondern der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung hafte, eng. Der D-Arzt hafte nicht nur für Fehler bei der übernommenen Heilbehandlung, [X.] auch für Fehler bei der ärztlichen Erstversorgung. Der vom Träger der [X.] eingesetzte D-Arzt übe Funktionen im Rahmen seiner öffentlich-rechtlichen Beziehungen nur hinsichtlich der Entscheidung aus, ob für den durch den Arbeitsunfall Verletzten die allgemeine Heilbehandlung ausreicht oder ob eine besondere Heilbehandlung zu erbringen ist (vgl. [X.] [X.], 502, 503; [X.], [X.] 2010, 137, juris Rn.
18
ff. und [X.] 2004, 269; [X.], [X.] 0180/111). Insoweit sei die "doppelte Zielrichtung"
der Tätigkeit des D-Arztes zu beachten.
Auch im Schrifttum wird hinsichtlich der Erstversorgung überwiegend ausgeführt, diese sei -
wie in [X.]Z 63, 265 entschieden
-
privatrechtlich ge-prägt, so dass der Durchgangsarzt für ein fehlerhaftes "Wie" der Erstversorgung von Unfallverletzungen persönlich hafte (vgl. [X.]/[X.]/[X.], Arzthaf-tungsrecht,
5.
Aufl. Rn.
5; [X.], 1540, Stichwort: Durchgangsarzt [Mai 2015], Rn. 29; Laufs/[X.]/[X.], Handbuch des [X.], 4. Aufl., [X.]. 39 Rn. 38; Olzen/[X.], [X.], 504
f.; Pauge, [X.], 13.
Aufl., Rn.
13; [X.]/[X.], Medizinrecht, 2.
Aufl., [X.]. 70 Rn.
357; aA
[X.], LM 20
21
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23
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Art. 34 GG Nr. 99a, [X.]. 70, 71 f.;
[X.], [X.] 1975, 511
f.; [X.], [X.], 165, 166
f.; [X.], [X.], 263, 264).
bb) Nach Auffassung des erkennenden Senats ist eine Erstversorgung durch den D-Arzt der Ausübung eines öffentlichen Amtes zuzurechnen.
Auf [X.] hat der III. Zivilsenat des [X.] mitgeteilt, dass er an seiner gegenteiligen Auffassung nicht festhält
([X.], Beschluss vom 10.
November 2016 -
III
ARZ 2/16).
(1) Nach §
34 Abs.
1 Satz 1 [X.] haben die Unfallversicherungsträ-ger
-
wie bereits ausgeführt
-
bei der Durchführung der Heilbehandlung alle Maßnahmen zu treffen, durch die eine möglichst frühzeitig nach dem [X.] einsetzende und sachgemäße Heilbehandlung und, soweit [X.], besondere unfallmedizinische oder [X.] gewähr-leistet wird. Dabei handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Pflicht. Die [X.] werden in einem Vertrag zwischen der Deutschen
Gesetzlichen Un-fallversicherung, dem Spitzenverband der landwirtschaftlichen Sozialversiche-rung und der [X.] geregelt (Vertrag gemäß §
34 Abs. 3 [X.], hier: [X.]). Gemäß §
27 Abs.
1 [X.] umfasst die Heilbehandlung insbesondere die Erstversorgung (Nr.
1) sowie die ärztliche Behandlung und zahnärztliche Behandlung (Nr.
2, 3).
In
§
6 (Heilbehandlung) des
[X.]
wird
auf die gesetzliche Verpflichtung nach §
34 Abs.
1 Satz
1 [X.] hingewiesen.
Zudem heißt es,
bei Arbeitsunfällen wird die Heil-behandlung als allgemeine Heilbehandlung oder als besondere Heilbehandlung durchgeführt.
Gemäß §§
10, 11 des [X.]
wird die Heilbehandlung grundsätzlich als allgemeine Heilbehandlung erbracht. Zur Einleitung [X.] Heilbehandlung berechtigt sind nur der Unfallversicherungsträger, der Durchgangsarzt oder in besonderen Fällen der H-Arzt oder [X.].
Ge-24
25
-

13

-

mäß §
9 des [X.] umfasst die Erstversorgung die ärztlichen Leistun-gen, die den Rahmen des sofort Notwendigen nicht überschreiten.
(2) Das berufsgenossenschaftliche Heilverfahren wird beherrscht von dem Grundsatz, bei den Verletzungsfolgen, die eine fachärztliche Versorgung erfordern, möglichst in unmittelbarem zeitlichem Anschluss an den Unfall eine Versorgung
durch den besonders qualifizierten
D-Arzt
sicherzustellen (vgl.

[X.], UV-[X.] [Januar 2015], §
34 Rn. 4). Deshalb wird der Verletzte verpflichtet, zunächst zum D-Arzt zu gehen, der entscheiden muss, welche Art der Weiterbehandlung erfolgen soll, und auch die
sofort notwendige
Erstversorgung durchzuführen hat.
Beides
hat seine Grundlage in der
Verpflich-tung der Berufsgenossenschaften, eine schnelle und sachgemäße Heilbehand-lung zu gewährleisten (vgl. [X.], aaO; [X.], aaO, 511). Da der D-Arzt
regelmäßig in engem räumlichem
und zeitlichem Zusammenhang mit der Ent-scheidung über das "Ob" und "Wie" der Heilbehandlung und der diese vorberei-tenden Maßnahmen auch als Erstversorger tätig
wird, sind
bei dieser Tätigkeit unterlaufende Behandlungsfehler der Berufsgenossenschaft zuzurechnen.
Denn
diese Tätigkeiten gehen ineinander über,
können nicht sinnvoll auseinan-der gehalten werden und stellen
auch aus Sicht des Geschädigten
einen
ein-heitlichen
Lebensvorgang
dar, der
nicht in haftungsrechtlich unterschiedliche Tätigkeitsbereiche aufgespaltet werden kann
(vgl. [X.], aaO; [X.], aaO, 167).
Dem steht
nicht entgegen, dass die ärztliche Heilbehandlung regelmäßig nicht Ausübung eines öffentlichen Amtes im Sinne von Art.
34 GG ist. Die Erst-versorgung wird in §
27 Abs.
1 Nr.
1 [X.] getrennt von der
ärztlichen und zahnärztlichen
Behandlung aufgeführt.
Dies gilt auch für
die §§ 6, 9, 10, 11
des
Vertrags
2008, wonach bei Arbeitsunfällen die Heilbehandlung als allgemeine Heilbehandlung oder als besondere Heilbehandlung durchgeführt
und die Erst-26
27
-

14

-

versorgung davon unterschieden wird. Dies ist
ein Indiz, dass an sie andere Rechtsfolgen geknüpft werden können als an die
nach der Erstversorgung fol-genden
ärztlichen Behandlungen
(vgl. [X.], aaO, 166).
Die Betrachtung der von dem D-Arzt zu treffenden Maßnahmen als ein-heitlicher
Lebensvorgang vermeidet die in der Praxis beklagten Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Passivlegitimation. Denn in dem Durchgangsarztbe-richt dokumentiert der D-Arzt
selbst die "Art der Erstversorgung (durch den
D-Arzt)".
c) Soweit die Revision geltend macht, der dem Beklagten zuzurechnende Fehler liege auch darin, dass der Kläger als arbeitsfähig beurteilt worden sei, kommt dem keine eigenständige Bedeutung zu. Diese Beurteilung folgt zwangsläufig aus den hinsichtlich der Diagnose und Erstversorgung behaupte-ten Behandlungsfehlern.
3. Auch der Umstand,
dass
die Behandlung in der Ambulanz durch eine Ärztin
erfolgte, durch die
sich
der
Beklagte in seiner Funktion als D-Arzt vertre-ten ließ, ohne dass sie zur ständigen Vertreterin des D-Arztes bestellt
worden
war, führt nicht zur Passivlegitimation des Beklagten. Denn die Tätigkeit der Vertreterin ist der Streithelferin zuzurechnen. Der Beklagte ließ sie nämlich im Rahmen des ihm von der Streithelferin anvertrauten öffentlichen Amtes tätig werden und die damit verbundenen Befugnisse wahrnehmen. Dass der [X.] entgegen § 24 Abs. 3 des [X.] die Tätigkeit nicht persönlich aus-geübt hat und die Ärztin auch nicht
nach § 24 Abs. 4 des [X.]
zur ständigen Vertreterin des D-Arztes bestellt war, ist nicht hinsichtlich der Passiv-legitimation,
sondern nur im Innenverhältnis des [X.] zum Unfall

28
29
30
-

15

-

versicherungsträger für einen etwaigen eigenen Regressanspruch des Unfall-versicherungsträgers
von Bedeutung.
Galke
[X.]
[X.]

[X.]
Roloff

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 13.06.2014 -
4 [X.]/13 -

OLG [X.], Entscheidung vom 05.03.2015 -
8 [X.] -

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VI ZR 208/15

29.11.2016

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.11.2016, Az. VI ZR 208/15 (REWIS RS 2016, 1676)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 1676

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