Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.10.2018, Az. EnVR 22/17

Kartellsenat | REWIS RS 2018, 3081

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Gegenstand

Energiewirtschaftsrechtliches Verwaltungsverfahren: Voraussetzungen für die Überprüfung der Abrechnungspraxis eines Stromnetzbetreibers in Bezug auf zurückliegende Zeiträume - Galvanische Verbindung


Leitsatz

Galvanische Verbindung

Die Regulierungsbehörde hat die Abrechnungspraxis eines Netzbetreibers nach § 31 Abs. 1 EnWG auch in Bezug auf vergangene Zeiträume zu überprüfen, wenn sich das beanstandete Verhalten als einheitlicher Lebenssachverhalt darstellt, sich die für die Beurteilung maßgeblichen Regeln nicht geändert haben und der Streit zwischen den Beteiligten nicht beigelegt ist.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Kartellsenats des [X.] vom 18. Januar 2017 wird zurückgewiesen.

Die Bundesnetzagentur trägt die Kosten des [X.] einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragstellerin.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 70.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1

A. Die Antragstellerin betreibt ein Elektrizitätsverteilernetz auf den Ebenen der Nieder- und Mittelspannung, das in zwei Umspannwerken über insgesamt drei Entnahmestellen an das von der Antragsgegnerin betriebene Hochspannungsnetz angeschlossen ist. Die beiden Umspannwerke sind auf [X.] der Mittelspannung so miteinander verbunden, dass die [X.] vollständig vom einen auf das andere verlagert werden kann. Auf [X.] der Hochspannung besteht kundenseitig keine galvanische Verbindung.

2

Bis Ende 2013 hat die Antragsgegnerin die drei Entnahmestellen [X.] abgerechnet. Mit Schreiben vom 5. Februar 2014 kündigte sie an, im Hinblick auf die umstrittene Auslegung der am 1. Januar 2014 in [X.] getretenen Regelung in § 17 Abs. 2a [X.] zunächst lediglich Abschläge zu erheben. Mit Schreiben vom 20. Oktober 2014 teilte sie mit, ein Pooling sei seit dem 1. Januar 2014 nicht mehr möglich.

3

Mit Schreiben vom 04.03.2015 hat die Antragstellerin bei der [X.] beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der Missbrauchsaufsicht nach § 31 [X.] zu verpflichten, die Netznutzungsentgelte mit Wirkung zum 1. Januar 2014 unter Berücksichtigung eines Pooling im Wege der zeitgleichen richtungsgleichen Addition zu ermitteln.

4

Die [X.] hat festgestellt, dass das Verhalten der Antragsgegnerin gegen § 21 [X.] und § 17 Abs. 2a [X.] verstößt, und die Antragsgegnerin unter Zurückweisung des weitergehenden Antrags verpflichtet, eine zeitgleiche Zusammenführung der Leistungswerte gemäß § 17 Abs. 2a Satz 4 Nr. 2 [X.] vorzunehmen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin ist erfolglos geblieben.

5

Auf die Beschwerde der Antragstellerin hat das Beschwerdegericht den Ausgangsbescheid teilweise aufgehoben und die [X.] verpflichtet, der Antragsgegnerin aufzugeben, eine zeitgleiche Zusammenführung der Leistungswerte gemäß § 17 Abs. 2a Satz 4 Nr. 2 [X.] mit Wirkung zum 1. Januar 2014 vorzunehmen. Dagegen wendet sich die [X.] mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde, der die Antragstellerin entgegentritt.

6

B. Das zulässige Rechtsmittel ist unbegründet.

7

I. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung, soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren von Interesse, im Wesentlichen wie folgt begründet:

8

Zu Unrecht habe die [X.] den [X.] als unzulässig angesehen, soweit sich dieser auf die Abrechnung für das [X.] beziehe. Zwar ergebe sich aus dem Zweck von § 31 [X.] das Erfordernis, dass der Antragsteller gegenwärtig in seinen Interessen berührt sei. Diese Voraussetzung sei im Streitfall aber auch für das [X.] erfüllt. Die Weigerung der Antragsgegnerin, die Entnahmestellen [X.] abzurechnen, stelle sich insgesamt als andauernde, die Interessen der Antragstellerin gegenwärtig beeinträchtigende Zuwiderhandlung dar. Die von der [X.] vorgenommene Aufspaltung des einheitlichen Lebenssachverhalts werde der Funktion des Missbrauchsverfahrens nicht gerecht und berge das nicht unerhebliche Risiko zufälliger Entscheidungen.

9

II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand.

Zu Recht ist das Beschwerdegericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Antragstellerin ein erhebliches Interesse an einer Überprüfung der [X.] der Antragsgegnerin auch im Hinblick auf das [X.] hat.

1. Nach § 31 Abs. 1 [X.] können Personen, deren Interessen durch das Verhalten eines Netzbetreibers erheblich berührt werden, bei der Regulierungsbehörde einen Antrag auf Überprüfung dieses Verhaltens stellen.

Diese Vorschrift gibt dem Antragsteller ein subjektives Recht und eröffnet ihm damit die Möglichkeit, gerichtlich nachprüfen zu lassen, ob die Voraussetzungen für eine behördliche Überprüfung erfüllt sind, wenn die Regulierungsbehörde eine solche ablehnt ([X.], Beschluss vom 14. April 2015 - [X.] 45/13, [X.], 410 Rn. 19 - Zuhause-[X.]werk).

2. Im Streitfall hat die [X.] in ihrem Ausgangsbescheid ein erhebliches Interesse der Antragstellerin an einer Überprüfung der im Oktober 2014 angekündigten [X.] der Antragsgegnerin in Bezug auf die drei Abnahmestellen für die [X.] ab 1. Januar 2015 bejaht. Auch die Rechtsbeschwerde zieht dies nicht in Zweifel. Rechtsfehler sind insoweit nicht ersichtlich.

3. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde besteht ein solches Interesse auch hinsichtlich des Jahres 2014.

a) § 31 [X.] dient der Umsetzung von Art. 23 Abs. 5 der Richtlinie 2003/54/[X.] (jetzt Art. 37 Abs. 11 der Richtlinie 2009/72/[X.]). Danach soll die Regulierungsbehörde in den dort geregelten Fällen als Streitbeilegungsstelle eine Entscheidung treffen.

Diese Zwecksetzung legt es nahe, ein erhebliches Interesse des Antragstellers nur dann zu bejahen, wenn das beanstandete Verhalten ihn gegenwärtig in seinen Interessen berührt und deshalb ein anerkennenswertes Bedürfnis für eine Streitbeilegung durch die Regulierungsbehörde besteht. Ausgehend davon könnte ein Anspruch auf behördliche Überprüfung zu verneinen sein, wenn ein Streit noch nicht entstanden oder bereits abgeschlossen ist und die Regulierungsbehörde deshalb nur über eine abstrakte Rechtsfrage zu entscheiden hätte.

Ob und unter welchen Voraussetzungen ein Antrag nach § 31 Abs. 1 [X.] unter diesem Aspekt als unzulässig anzusehen ist, bedarf indes keiner abschließenden Entscheidung.

b) Im Streitfall hat das Beschwerdegericht ein gegenwärtiges erhebliches Interesse an einer Überprüfung in Bezug auf das [X.] zu Recht schon deshalb als gegeben angesehen, weil sich das beanstandete Verhalten als einheitlicher Lebenssachverhalt darstellt, die für die Beurteilung maßgeblichen Regeln sich seit dem 1. Januar 2014 nicht geändert haben und der Streit zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin über die Abrechnung für das [X.] nicht beigelegt ist.

Die Antragsgegnerin hat erstmals für das [X.] in der beanstandeten Weise abgerechnet und diese Praxis in der Folgezeit fortgesetzt. Die für die Beurteilung maßgeblichen Vorschriften in § 17 Abs. 2a [X.] haben sich in diesem [X.]raum nicht geändert. Angesichts dessen stellt sich das beanstandete Verhalten als einheitlicher Lebenssachverhalt dar, der insgesamt der in § 31 Abs. 1 [X.] vorgesehenen Überprüfung zuzuführen ist.

c) Der Umstand, dass die Netzentgelte jährlich abzurechnen sind, führt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

Die Erteilung einer Abrechnung führt nicht dazu, dass ein Streit der Beteiligten über die dafür maßgeblichen Regeln beigelegt ist. Insbesondere wenn es einer behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung bedarf, kommt es sogar typischerweise erst im Nachhinein zu einer endgültigen Klärung und erforderlichenfalls zu einer Korrektur der Abrechnung. Dementsprechend hat der [X.] bereits entschieden, dass ein Antrag nach § 31 Abs.1 [X.] nicht schon deshalb als unzulässig anzusehen ist, weil sich das Begehren des Antragstellers auf die Anpassung von Netzentgelten für einen in der Vergangenheit liegenden [X.]raum bezieht ([X.], Beschluss vom 17. Juli 2018 – [X.] 12/17 Rn. 16).

d) Vor diesem Hintergrund ist ein Antrag nach § 31 Abs. 1 [X.] auch nicht ohne weiteres deshalb als unzulässig anzusehen, weil das beanstandete Verhalten schon seit geraumer [X.] praktiziert wird.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob ein Anspruch auf Überprüfung auch dann bestehen kann, wenn der Antragsgegner das beanstandete Verhalten schon vor langer [X.] beendet und der Antragsteller erst mit erheblichem zeitlichem Abstand Beanstandungen erhoben hat. Solange der Antragsgegner sich weiterhin in der beanstandeten Weise verhält und sich die für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Vorschriften nicht geändert haben, bildet das beanstandete Verhalten jedenfalls einen einheitlichen Lebenssachverhalt, der gegebenenfalls einer einheitlichen Überprüfung nach § 31 Abs. 1 [X.] zu unterziehen ist.

e) Der von der Rechtsbeschwerde aufgezeigten Möglichkeit, dass zivilrechtliche Ansprüche des Antragstellers für zurückliegende [X.]räume möglicherweise verjährt sind, kommt in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zu.

aa) Zwar gehört es grundsätzlich nicht zu den Aufgaben der Regulierungsbehörde, solche Fragen zu klären. Eine Überprüfung nach § 31 Abs. 1 [X.] hat aber nicht zur Folge, dass sich die Regulierungsbehörde mit [X.] befassen muss.

Die Einleitung eines Verfahrens führt zwar nach § 32 Abs. 5 Satz 1 [X.] dazu, dass die Verjährung eines Schadensersatzanspruchs aus § 32 Abs. 3 [X.] gehemmt wird. Im Verfahren nach § 31 [X.] kann sich die Regulierungsbehörde aber auf die Prüfung der Frage beschränken, ob das beanstandete Verhalten mit den einschlägigen Rechtsvorschriften in Einklang steht. Sie ist nicht gehalten, den Antragsgegner zur Erstattung zu Unrecht vereinnahmter Entgelte oder zur Zahlung von Schadensersatz zu verpflichten, sondern kann den Antragsteller insoweit auf den Zivilrechtsweg verweisen.

bb) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde führt eine solche Vorgehensweise nicht zu einer unzulässigen Überschneidung mit dem Zuständigkeitsbereich der Zivilgerichte.

Sofern die Regulierungsbehörde feststellt, dass das beanstandete Verhalten von einem bestimmten [X.]punkt an gegen Rechtsvorschriften verstoßen hat, sind die Gerichte in einem nachfolgenden Rechtsstreit über Schadensersatzansprüche daran gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 [X.] allerdings auch im Hinblick auf zurückliegende [X.]räume gebunden. Auf die Verjährung hat eine solche Feststellung indes keinen Einfluss. Insoweit verbleibt es bei der bereits mit Einleitung des Verfahrens eintretenden Hemmungswirkung. Auch unter diesem Aspekt braucht sich die Regulierungsbehörde folglich nicht mit der Frage zu befassen, inwieweit dem Antragsteller aus dem zur Überprüfung gestellten einheitlichen Lebenssachverhalt zivilrechtliche Ansprüche für die Vergangenheit zustehen.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 2 [X.], die Festsetzung des [X.] auf § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GKG und § 3 ZPO.

[X.]     

      

Grüneberg     

      

Bacher

      

Sunder     

      

Deichfuß     

      

Meta

EnVR 22/17

09.10.2018

Bundesgerichtshof Kartellsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend OLG Düsseldorf, 18. Januar 2017, Az: VI-3 Kart 183/15 (V), Beschluss

§ 31 Abs 1 EnWG, § 17 Abs 2a S 1 Nr 4 Alt 2 StromNEV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.10.2018, Az. EnVR 22/17 (REWIS RS 2018, 3081)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 3081

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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