Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.07.2005, Az. 2 StR 120/05

2. Strafsenat | REWIS RS 2005, 2658

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Nachschlagewerk: ja [X.]St: ja [X.]: ja

StGB § 55 Abs. 1, § 66 a Abs. 1

1. Es ist nicht zulässig, Einzelstrafen, die schon zur Bildung einer Gesamtstrafe in einem noch nicht rechtskräftigen anderen [X.]eil gedient haben, in eine weitere Gesamtstrafe einzubeziehen, auch wenn sie für sich genommen rechtskräftig sind.
2. Der Vorbehalt der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung setzt die Feststellung eines [X.]. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB voraus. Lediglich die Gefährlichkeit des [X.] für die Allgemeinheit muß nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar sein.
3. § 66 a StGB und § 66 StGB stehen in einem Ausschließlichkeitsverhältnis zueinander. Erst wenn die für § 66 StGB erforderliche Gefährlichkeit des [X.] für die Allgemeinheit nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt wer-den kann, kommt eine Vorbehaltsanordnung nach § 66 a StGB in Betracht.
[X.], [X.]. vom 8. Juli 2005 - 2 [X.] - [X.]

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES - 2 -

[X.] 2 [X.] vom 8. Juli 2005 in der Strafsache gegen

wegen schweren sexuellen Mißbrauchs von Kindern u.a.
- 3 -

Der 2. Strafsenat des [X.] hat aufgrund der Verhandlung vom 6. Juli 2005 in der Sitzung am 8. Juli 2005, an denen teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am [X.] Dr. [X.],

die Richterin am [X.] Dr. [X.], [X.] am [X.] [X.], die Richterin am [X.] Roggenbuck, [X.] am [X.] [X.],

Bundesanwalt

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt in der Verhandlung

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
- 4 -

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das [X.]eil des [X.] vom 25. November 2004 im Ausspruch über die
Gesamtstrafe aufgehoben. 2. Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwalt-schaft wird das [X.]eil im [X.] (Vorbehalt der Anordnung der Sicherungsverwahrung) mit den Feststellungen aufgehoben. 3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen. 4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des [X.]. Von Rechts wegen

Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten des schweren sexuellen
Mißbrauchs von Kindern in sechs Fällen, des sexuellen Mißbrauchs von [X.] in vier Fällen und des sexuellen Mißbrauchs von Jugendlichen in sechs Fällen (§ 182 Abs. 1 bzw. Abs. 2 StGB) für schuldig befunden. Es hat ihn unter - 5 - Auflösung der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem [X.]eil des [X.] vom 15. Juni 2004 (44 [X.]) unter Einbeziehung der dortigen Einsatzstrafe von zehn Monaten (dortiger Fall 1; früheres [X.]) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbe-halten. Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision des Ange-klagten rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er erstrebt eine ihm günstigere Strafzumessung sowie den Wegfall des Vorbehalts nach § 66 a StGB. Die Staatsanwaltschaft richtet sich mit ihrer auf den [X.] hinsichtlich des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung nach § 66 a StGB beschränkten Revision dagegen, daß das [X.] die Anordnung der Sicherungsverwahrung lediglich vorbehalten hat, anstatt sie nach § 66 StGB gleichzeitig mit dem [X.]eilsspruch zu verhängen. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat in vollem Umfang Erfolg. Die Revision des Angeklagten ist nur teilweise begründet.

[X.] 1. Der Angeklagte ist vielfach - auch einschlägig - vorbestraft. Die letzte einschlägige Straftat, wegen der er verurteilt wurde, beging er im Jahre 1981. Das [X.] hat den Angeklagten mit [X.]eil vom 15. Juni 2004 wegen Betruges in zehn Fällen, davon in einem Fall tateinheitlich mit Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Der Angeklagte hat gegen die dortige Verurteilung nur - 6 - in den Fällen 2 bis 10 Berufung eingelegt, den Fall 1 dieser Verurteilung ([X.] zehn Monate Freiheitsstrafe) jedoch nicht angefochten; dies ist die vom [X.] einbezogene Einzelstrafe. Der Verurteilung lag insoweit ein Betrug zum Nachteil des Sozialhilfeträgers in einer Gesamthöhe von rund 4.500 • zugrunde. Über die Berufung des Angeklagten gegen die Verurteilung in den übrigen Fällen war zum Zeitpunkt der Verkündung des hier angefochte-nen [X.]eils noch nicht entschieden. 2. Nach den Feststellungen der Kammer begann der Angeklagte etwa im Jahre 2001 nach und nach, eine Gruppe von männlichen Kindern und Jugend-lichen um sich zu versammeln. Er lud sie in seine Wohnung ein und gestattete ihnen hier alles, was sie zu Hause nicht durften, zum Beispiel Rauchen, Alko-holtrinken und Anschauen von DVD-Filmen - darunter auch sogenannte "Soft-Pornos". Er half ihnen bei den Hausaufgaben und feierte mit ihnen [X.]. Es entwickelte sich ein freundschaftliches und vertrauensvolles Verhältnis zwischen ihm und den Jungen. Dabei lebte die sexuelle Neigung des Ange-klagten zu männlichen Kindern und Jugendlichen wieder auf und es kam zu den abgeurteilten Straftaten. Unter anderem manipulierte der Angeklagte an dem Geschlechtsteil verschiedener Jungen bzw. führte [X.] oder Gegens-tände in deren After ein. Teilweise erhielten sie hierfür von ihm Geld. Für die Fälle des schweren sexuellen Mißbrauchs von Kindern erkannte die Kammer jeweils auf Einzelstrafen von zwei Jahren, für die des sexuellen Mißbrauchs von Kindern auf solche von einem Jahr und sechs Monaten, für die des sexuellen Mißbrauchs von Jugendlichen nach § 182 Abs. 1 StGB auf sol-che von sieben Monaten und für die Taten nach § 182 Abs. 2 StGB auf Einzel-strafen von fünf Monaten. - 7 - An einer [X.] nach § 66 Abs. 2 und 3 StGB sah sich die Kammer deswegen gehindert, weil aus "heutiger Sicht" nicht mit "höchster Wahrscheinlichkeit" festgestellt werden könne, daß der Angeklagte auch nach vollständiger Verbüßung der Strafe aufgrund seines Hanges gefährlich sein werde. Andererseits hat die Kammer aber eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür gesehen, daß die aus dem Hang folgende Gefährlichkeit des Angeklag-ten für die Allgemeinheit den Strafvollzug überdauern werde. Es gäbe aber be-reits jetzt erkennbare Umstände, die es möglich erscheinen ließen, daß diese Gefahr bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Vorbehalt so sehr ver-mindert sei, daß von dem Angeklagten erhebliche Straftaten nicht mehr droh-ten. Deswegen hat die Kammer lediglich den Vorbehalt der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 a StGB angeordnet. I[X.] Die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision des Angeklagten führt schon auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des Gesamtstra-fenausspruchs und der Vorbehaltsentscheidung nach § 66 a Abs. 1 StGB. Auf die ebenfalls erhobene Verfahrensrüge, die allein die Vorbehaltsanordnung nach § 66 a Abs. 1 StGB betrifft, kommt es daher nicht an. 1. Der [X.] war aufzuheben, da die Einbeziehung der rechtskräftigen Einsatzstrafe von zehn Monaten aus dem im übrigen noch nicht rechtskräftigen [X.]eil des [X.] vom 15. Juni 2004 rechtlichen Bedenken begegnet. Zwar hat das erkennende Gericht grundsätzlich § 55 Abs. 1 StGB [X.], wenn die Voraussetzungen vorliegen ([X.]St 12, 1, 3 ff.; [X.] NStZ 2003, 200, 201). Es ist aber nicht zulässig, Einzelstrafen - auch für sich ge-- 8 - nommen rechtskräftige -, die schon zur Bildung einer Gesamtstrafe in einem nicht rechtskräftigen anderen [X.]eil gedient hatten, in eine Gesamtstrafe ein-zubeziehen, da dies die Gefahr einer verbotenen Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG) begründen würde ([X.]St 20, 292, 293; 9, 190, 192; [X.]R StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Strafen, einbezogene 3; in diese Richtung auch [X.] NJW 1997, 2892, 2893). Der [X.] hat dies bisher zwar nur für den Fall entschieden, daß eine Einzelstrafe aus einem nicht rechtskräftigen [X.]eil Ge-genstand der Einbeziehung in zwei weiteren Verurteilungen war. Die Gefahr der Doppelbestrafung besteht aber gerade auch in Fällen wie dem [X.], in denen das Verfahren, aus dem die einbezogene Einzelstrafe stammt, noch gar nicht abgeschlossen ist. Auch hier ist es möglich, daß die vom [X.] einbezogene Einzelstrafe weiterhin im Berufungsverfahren hinsichtlich des [X.]eils des [X.] wegen fehlender Kenntnis von der Einbeziehung in die Gesamtstrafe des vorliegenden Verfahrens oder aber auch bewußt, weil die hiesige Einbeziehung noch nicht rechtskräftig ist, als Einzel-strafe in die dortige Gesamtstrafe einbezogen wird bzw. bleibt. Bliebe die Ge-samtstrafenbildung des [X.]s bestehen, würde dann die Einzelstrafe von zehn Monaten aus dem [X.]eil des [X.] zur Bildung der Gesamtstrafe in zwei verschiedenen Verfahren herangezogen. Gegen die Zulässigkeit einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung in Fällen wie dem vorliegenden spricht auch, daß zum Zeitpunkt des [X.]eilserlasses im vorliegenden Verfahren noch gar nicht gesichert war, ob die einbezogene Strafe in Rechtskraft erwachsen ist, da die Rechtsmittelbeschränkung nicht zwingend wirksam gewesen sein muß. Der [X.] kann nicht ausschließen, daß die Gesamtstrafe ohne die [X.] einbezogene Strafe niedriger ausgefallen wäre. Der Aufhebung der zu-- 9 - gehörigen Feststellungen bedurfte es insoweit allerdings nicht, da es sich um eine reine Rechtsfrage handelt. 2. Auch der Vorbehalt der Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 a Abs. 1 StGB begegnet rechtlichen Bedenken. a) Dies ist allerdings nicht schon deswegen der Fall, weil - wie die [X.] meint - ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot vorliege, wenn § 66 a Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 6 StGB auch auf solche Taten angewandt würde, die vor dem 22. August 2002 (gemeint ist offenbar der 28. August 2002 als Datum des Inkrafttretens) begangen worden sind. Das absolute Rückwirkungsverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG gilt nicht für Maßregeln der Besserung und Sicherung ([X.] 109, 133, 167). Auch ein Verstoß gegen das aus Art. 20 Abs. 3 GG hergeleitete rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot (allgemeines Rückwir-kungsverbot) liegt bei einer Anwendung des § 66 a Abs. 1 StGB auf solche [X.], die vor Inkrafttreten der Vorschrift begangen wurden, nicht vor. Es handelt sich insoweit um einen zulässigen Fall der bloßen tatbestandlichen Rückanknüpfung ("unechte Rückwirkung"). b) Das [X.] hat jedoch die Anordnungsvoraussetzungen von § 66 Abs. 2 bzw. Abs. 3 StGB und § 66 a StGB grundlegend verkannt, wenn es hinsichtlich der Gefahrenprognose auf den Zeitpunkt der vollständigen Straf-verbüßung bzw. den des Verbüßens von Zweidritteln der Strafe abstellt ([X.]). Für beide Vorschriften ist auf den Zeitpunkt der Aburteilung abzustellen. Hätte die Kammer dies erkannt und zunächst § 66 Abs. 2 oder Abs. 3 StGB rechtsfehlerfrei geprüft, so hätte sie, da es sich um Ermessensvorschriften handelt, zur Anordnung der Maßregel, aber auch - was für den Angeklagten günstiger gewesen wäre - zu ihrer [X.] gelangen können. - 10 - Ausgangspunkt der Prüfung ist zunächst § 66 StGB. Nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Meinung in der Literatur ist hinsichtlich der materiellen Voraussetzung der Gefährlichkeit für die Allgemeinheit nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB, auf welche in § 66 Abs. 2 und Abs. 3 StGB verwiesen wird, auf den Zeitpunkt der Aburteilung abzustellen (st. Rspr., vgl. [X.]St 24, 160, 164; 25, 59, 61; [X.] NStZ 2002, 535, 536; [X.]/[X.], StGB 25. Aufl. § 66 Rdn. 15; [X.]/[X.], StGB 52. Aufl. § 66 Rdn. 25; [X.] in Münch-Komm StGB § 66 Rdn. 135). Daß der Gesetzgeber hieran mit der Einführung des § 66 a StGB etwas ändern wollte, ist nicht ersichtlich. Erst wenn für das Gericht bezogen auf den Zeitpunkt der Aburteilung "nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar ist, ob der Täter für die Allge-meinheit im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 gefährlich ist", kommt § 66 a StGB zum Tragen (vgl. [X.]. 14/8586 S. 5). Ist hingegen die Gefährlichkeit zum Zeitpunkt der Aburteilung festgestellt, so kann § 66 a StGB mangels Vorliegens der genannten Voraussetzung keine Anwendung finden. Dem Gericht verbleibt dann - in den Fällen nach § 66 Abs. 2 und 3 StGB - nur die Ermessensent-scheidung, ob es die Sicherungsverwahrung anordnet oder ganz von ihr ab-sieht. § 66 StGB und § 66 a StGB stehen hinsichtlich ihrer Tatbestandsvoraus-setzungen in einem strikten Ausschließlichkeitsverhältnis. Ob die für die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwah-rung erforderliche Gefährlichkeit zum Zeitpunkt des [X.]eils vorlag, hat die Kammer nicht ausdrücklich festgestellt. Sie ergibt sich auch nicht aus dem Ge-samtzusammenhang des [X.]eils. Daß die Kammer von einer solchen Gefähr-lichkeit ausgeht, läßt sich allenfalls daraus schließen, daß sie die Angaben der Sachverständigen schildert, wonach "aus psychiatrischer Sicht die Vorausset-zungen des § 66 StGB vorlägen" und diese Ausführungen der [X.] - gen insgesamt für überzeugend erklärt ([X.]). Die [X.] obliegt aber dem Gericht (vgl. [X.] 109, 130, 164; [X.]/[X.] aaO § 66 Rdn. 22). Insoweit reicht eine Bezugnahme auf bloße Ergebnisse der Sachverständigen - ohne nähere Schilderung, wie sie zu diesen gelangt ist und ohne eigene kritische Würdigung - nicht aus. An späterer Stelle stellt die Kam-mer zwar die Umstände, die für und gegen eine Gefährlichkeit sprechen, ge-genüber, zieht aber dann hieraus keinen Schluß auf die Gefährlichkeit zum Zeitpunkt der Aburteilung ([X.] ff.). c) [X.] hat auch den für die Vorbehaltsanordnung nach § 66 a Abs. 1 StGB notwendigen Hang i.S.v. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht rechtsfeh-lerfrei festgestellt, da die dieser Feststellung zugrundeliegende Beweiswürdi-gung lückenhaft ist. aa) [X.] eines Vorbehalts nach § 66 a StGB setzt die Fest-stellung eines [X.]. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB voraus (vgl. auch [X.] NStZ-RR 2005, 211, 212). Zwar kann den Gesetzesmaterialien entnommen werden, daß der Ge-setzgeber davon ausging, ein Hang müsse für die Anordnung des Vorbehalts gemäß § 66 a Abs. 1 StGB nicht sicher festgestellt sein. Denn er wollte gerade einen zusätzlichen Schutz der Bevölkerung durch eine Vorbehaltsanordnung bei solchen [X.] erreichen, bei denen "zum Zeitpunkt des [X.]eils der 'Hang' i.S.v. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden kann" ([X.]. 14/8586 S. 5, 6). Unter Bezugnahme darauf geht ein Teil des Schrifttums (vgl. [X.] 2005, 96, 104; [X.]/[X.]/[X.], Psychiatrische Begutachtung 4. Aufl. S. 53, 100) davon aus, daß für die Anordnung des Vorbehalts weder die Gefährlichkeit noch der Hang - welche materielle Anordnungsvoraussetzungen der Sicherungsverwahrung - 12 - nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB sind - mit hinreichender Sicherheit feststellbar sein dürfen. Für diese Ansicht wird weiter angeführt, daß Gefährlichkeit und [X.] nicht hinreichend trennbar seien. Nur bei Erstreckung der Anwendung auch auf Zweifelsfälle hinsichtlich [X.] und Gefährlichkeit erscheine eine sinnvolle praktische Anwendung der Vorschrift denkbar ([X.], Nachträgliche Sicherungsverwahrung 2004 S. 460). Die geschilderte gesetzgeberische Absicht führt aber nicht zu einer Ge-setzesauslegung, bei der auf die Feststellung eines Hangs bei § 66 a Abs. 1 StGB zu verzichten ist. Denn die gesetzgeberische Intention hat im Wortlaut der Vorschrift keinen Niederschlag gefunden. Die Notwendigkeit der Feststel-lung eines Hangs ergibt sich nach dem Gesetzeswortlaut jedenfalls aus dem Verweis auf "die übrigen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3" ([X.]/[X.] aaO § 66 a Rdn. 2; [X.]/[X.] aaO § 66 a Rdn. 4 f.; [X.] aaO § 66 a Rdn. 36). § 66 Abs. 3 StGB verweist aber seinerseits auf die Voraussetzungen des Abs. 1 Nr. 3 und damit auf die materiellen Voraussetzungen der Siche-rungsverwahrung, mithin auf das Erfordernis eines Hangs zu erheblichen Straf-taten. Ginge man hingegen davon aus, daß neben der Gefährlichkeit auch der Hang nicht sicher festgestellt sein muß, so würde das dazu führen, daß später die Sicherungsverwahrung ohne jegliche Hangfeststellung angeordnet werden könnte. Denn nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 66 a Abs. 2 StGB bedarf es für die [X.] aufgrund vorherigen Vorbehalts lediglich einer positiven Gefährlichkeitsprognose. Der Annahme, daß eine Sicherungs-verwahrung ohne jegliche Hangfeststellung möglich ist, steht zudem § 67 d Abs. 3 StGB entgegen. Diese Vorschrift, die die Erledigung der Maßregel der Sicherungsverwahrung betrifft, geht ersichtlich davon aus, daß ein Hang fest-gestellt wurde (möglicherweise auch noch fortbesteht). Der Verzicht auf den Hang als Voraussetzung des § 66 a Abs. 1 StGB würde schließlich auch zu - 13 - einem sachlich nicht begründbaren Auseinanderfallen der materiellen Voraus-setzungen nach § 66 und § 66 a StGB führen. Denn dann wäre bei den [X.], bei denen jedenfalls zum Zeitpunkt der Aburteilung die Gefährlichkeit noch nicht sicher feststellbar war, ein Weniger an Voraussetzungen zu prüfen als bei denjenigen, die bereits zu diesem Zeitpunkt mit der hinreichenden Sicherheit als gefährlich eingestuft werden konnten. [X.]) [X.] hat zwar ausgeführt, daß bei dem Angeklagten ein Hang zu erheblichen Straftaten vorliegt ([X.]). Ausführungen an anderer Stelle im [X.]eil lassen aber besorgen, daß ein solcher - i. S. eines eingeschlif-fen inneren Zustands, der den Täter immer wieder neue Straftaten begehen läßt (vgl. [X.]R StGB § 66 Abs. 1 Hang 1) - nicht rechtsfehlerfrei festgestellt wurde. So heißt es, daß der Angeklagte von seinem Hang nicht beherrscht werde, sondern über längere Zeit ohne Kinder und Jugendliche leben könne ([X.]), daß das bei ihm vorliegende eingeschliffene Verhaltensmuster nicht ständig handlungsleitend sei ([X.]) und daß seit der letzten Sexual-straftat (wegen der der Angeklagte verurteilt wurde) ein sehr langer Zeitraum von über 20 Jahren verstrichen ist. Daraus folgert die Kammer, daß der Ange-klagte über gewichtig lange Zeiträume die aus seiner Persönlichkeit erwachse-nen Versuchungen beherrschen könne ([X.]). Mit ihren Folgerungen zieht die Kammer das Vorliegen eines Hangs eher selbst in Zweifel. Jedenfalls der sehr lange Zeitraum, der zwischen den zuletzt abgeurteilten einschlägigen Ta-ten und den jetzt abgeurteilten liegt, ist ein Umstand, der zwar das Vorliegen eines Hangs nicht ausschließt (vgl. [X.] NStZ 2005, 265, 266), der aber einer eingehenden Würdigung bedarf, welche die Kammer hier vermissen läßt. cc) Eine positive Gefährlichkeitsprognose ersetzt die Feststellung eines Hangs nicht. [X.] und Gefährlichkeit für die Allgemeinheit - 14 - sind keine identischen Merkmale. Das Gesetz differenziert zwischen den bei-den Begriffen sowohl in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB als auch in § 67 d Abs. 3 StGB. Der Hang ist nur ein wesentliches Kriterium der Prognose. Der Hang als "ein-geschliffenes Verhaltensmuster" bezeichnet einen aufgrund umfassender Ver-gangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Die Gefährlich-keitsprognose schätzt die Wahrscheinlichkeit dafür ein, ob sich der Täter in Zukunft trotz seines Hanges erheblicher Straftaten enthalten kann oder nicht. Der Grad der "[X.]" beeinflußt hierbei die Beurteilung der Höhe der Wahrscheinlichkeit. Zwar ist die ausreichende Wahrscheinlichkeit regel-mäßig gegeben, wenn die [X.] festgestellt ist (vgl. [X.]R StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 1; [X.], [X.]. vom 11. Mai 2005 - 1 StR 37/05, zur [X.] in [X.]St 50 bestimmt). Doch gilt das eben nur in der [X.]. Es sind aber auch Fälle denkbar, in denen dies nicht so ist (vgl. [X.]R StGB § 66 Abs. 1 Hang 4; [X.] in [X.]. § 66 Rdn. 144 f.). d) Der [X.] vermag nicht auszuschließen, daß sich die Gesetzesver-letzungen zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben. [X.] hätte bei zutreffender rechtlicher Würdigung möglicherweise von der Anordnung der Sicherungsverwahrung gänzlich abgesehen. Wäre sie nämlich von einer [X.] des § 66 Abs. 2 oder Abs. 3 StGB ausgegangen, so wäre die [X.] in ihr Ermessen gestellt, das sie möglicherweise im [X.] einer [X.] der Maßregel ausgeübt hätte. 4. Im übrigen hat die Nachprüfung des Rechtsfolgenausspruchs keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. II[X.] - 15 - Die auf den Ausspruch des bloßen Vorbehalts der Anordnung der Siche-rungsverwahrung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der ([X.] erhobenen) Sachrüge ebenfalls Erfolg. 1. Die Rechtsmittelbeschränkung ist wirksam. Nach bisheriger Recht-sprechung ist die Beschränkung des Rechtsmittels auf die Anordnung oder Ab-lehnung der Sicherungsverwahrung dann möglich, wenn zwischen ihr und der gleichzeitig verhängten Freiheitsstrafe kein untrennbarer Zusammenhang be-steht ([X.]R StGB § 66 Strafausspruch 1; vgl. auch [X.] NStZ 1999, 473; NStZ-RR 2001,13; Ruß in [X.]. § 318 Rdn. 8 a). Ein untrennbarer Zu-sammenhang liegt hier nicht vor. [X.] hat im Rahmen der Strafzumes-sung nicht auf die Anordnung des Vorbehalts nach § 66 a StGB abgestellt. Es kann auch ausgeschlossen werden, daß vorliegend die Strafe milder ausgefal-len wäre, wenn die Kammer die Sicherungsverwahrung angeordnet hätte. 2. Die Revision ist begründet. Der [X.] ist auf die [X.] der Staatsanwaltschaft schon deshalb aufzuheben, weil die Kammer den vom Gesetz verlangten [X.] verkannt hat. Denn nach ihrer Ansicht ist es erforderlich, daß der Angeklagte "mit höchster Wahrscheinlich-keit" gefährlich ist. Dies widerspricht bereits dem Gesetzeswortlaut des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB, der lediglich voraussetzt, daß der Täter "für die [X.] gefährlich ist". Dazu reicht zwar nicht die bloße Möglichkeit künftiger Straf-taten (vgl. [X.] bei [X.] 1990, 676). Andererseits ist aber auch nicht erforderlich, daß die künftigen Straftaten mit Sicherheit zu erwarten sind oder eine "extrem hohe Wiederholungsgefahr" gegeben sein muß ([X.] wistra 1988, 22, 23). Es genügt, daß die Taten aufgrund des Hanges ernsthaft zu be-sorgen sind ([X.] NStZ-RR 2003, 108 f.; [X.] NJW 1968, 997, 998). Der [X.] der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 a Abs. 1 - 16 - StGB soll nicht dazu dienen, bei Vorliegen der Voraussetzungen der Maßregel nach § 66 StGB deren Anordnung zu vermeiden ([X.]R StGB § 66 a vorbehal-tene Sicherungsverwahrung 1). 3. Auch insoweit beruht das [X.]eil auf den aufgezeigten [X.]. Der [X.] kann nicht ausschließen, daß die Kammer bei zutreffender Rechts-anwendung das ihr nach § 66 Abs. 2 bzw. Abs. 3 StGB eingeräumte Ermessen zu Lasten des Angeklagten ausgeübt hätte. Im Rahmen des Ermessens hätte die Kammer zwar berücksichtigen können, ob der Angeklagte unter der Einwir-kung eines langjährigen Strafvollzuges und fortschreitender Alterung voraus-sichtlich zum Ende des Strafvollzuges nicht mehr gefährlich sein wird. Die [X.] Möglichkeit künftiger Besserung oder die Hoffnung auf sich ändernde Um-stände vermögen insoweit die Ermessensentscheidung allerdings nicht ent-scheidend zu beeinflussen ([X.] NStZ 2002, 535, 536; 2002, 30 f.). Eine [X.] dafür besteht nicht ([X.] StV 2004, 200, 201). Eine Ermessensredukti-on auf die [X.] der Sicherungsverwahrung kann allenfalls in den Fällen - als Ausfluß des Verhältnismäßigkeitsprinzips - angenommen werden, in denen schon zum Zeitpunkt der Aburteilung mit Sicherheit die Gefährlichkeit zum Ende des Strafvollzuges ausgeschlossen werden kann. Im vorliegenden Fall ist es indes so, daß das Gericht es lediglich "für durchaus möglich" hält, daß es zu einer Verhaltensänderung des Angeklagten im Verlaufe des Straf-vollzuges kommen wird. [X.]

[X.] [X.]

Roggenbuck

Appl

Meta

2 StR 120/05

08.07.2005

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.07.2005, Az. 2 StR 120/05 (REWIS RS 2005, 2658)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 2658

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