Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.06.2010, Az. VIII ZR 135/08

8. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 5534

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Gegenstand

Internationale Zuständigkeit bei grenzüberschreitendem Versendungskauf: Bestimmung des besonderen Gerichtsstands des Erfüllungsortes


Leitsatz

1. Bei einem grenzüberschreitenden Versendungskauf ist für die Bestimmung des Erfüllungsortes im Sinne von Art. 5 Nr. 1 Buchst. b erster Spiegelstrich EuGVVO an den Ort anzuknüpfen, an dem die mit dem Kaufvertrag erstrebte Übertragung der Sachen vom Verkäufer an den Käufer durch deren Ankunft an ihrem endgültigen Bestimmungsort vollständig abgeschlossen ist und der Käufer die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Waren erlangt hat oder hätte erlangen müssen (Anschluss an EuGH, 25. Februar 2010, C-381/08, NJW 2010, 1059) .

2. Ein nach Art. 5 Nr. 1 Buchst. b erster Spiegelstrich EuGVVO bestehender besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes erfasst sämtliche Klagen aus ein und demselben Vertrag über den Verkauf beweglicher Sachen und nicht nur diejenige aus der Lieferverpflichtung an sich. Das gilt ungeachtet der jeweils gewählten Klageart oder Rechtsschutzform .

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 23. Zivilsenats des [X.] vom 17. April 2008 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der in [X.] ansässige Kläger war für die in [X.] ansässige Beklagte, die Holzwaren nach [X.] importiert, in langjähriger Geschäftsbeziehung als Handelsvertreter tätig. Dieses Handelsvertreterverhältnis kündigte er aus Altersgründen zum 31. August 2006. Daneben bezog er auf eigene Rechnung von der Beklagten Holzwaren. Aus diesen Lieferungen sind noch zwei [X.] in Höhe von unstreitig insgesamt 43.141,42 € für Waren offen, welche die Beklagte auf der Grundlage der dabei verwendeten Klausel "[X.]: [X.]" aus [X.] an den Geschäftssitz des [X.] in [X.] versandt hatte. Insoweit hat die Beklagte nach Rechtshängigkeit der vorliegenden Klage ihrerseits gegen den Kläger bei dem für ihren Sitz zuständigen [X.] Gericht Klage auf Zahlung erhoben.

2

Der Kläger hält die [X.] aufgrund einer von ihm erklärten Aufrechnung mit Gegenforderungen in Höhe von insgesamt 49.007,11 € für erloschen. Diese Gegenforderungen leitet er aus offenen Handelsvertreterprovisionen, einem von ihm beanspruchten [X.] sowie einer von ihm ferner beanspruchten Vergütung für weitere in [X.] erbrachte Dienstleistungen her. Der von ihm hierauf gestützten negativen Feststellungsklage, dass er der Beklagten aus den beiden Warenlieferungen nichts mehr schulde, ist die Beklagte in beiden Rechtszügen in erster Linie mit der Rüge der fehlenden örtlichen und internationalen Zuständigkeit des vom Kläger angerufenen [X.] entgegengetreten; hilfsweise hat sie sich gegen den Bestand der zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen sowie die Zulässigkeit einer Aufrechnung gewandt.

3

Das [X.] hat der Klage stattgegeben. Das [X.] hat auf die Berufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage (als unzulässig) abgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Feststellungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision hat Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht ([X.], [X.] 2009, 69) hat, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, ausgeführt:

6

Zur Entscheidung über die erhobene Klage sei entgegen der Auffassung des [X.] eine internationale Zuständigkeit des angerufenen [X.] Gerichts nicht gegeben. Eine vertragliche Regelung zum Erfüllungsort hätten die Parteien nicht getroffen. Die Klausel "[X.]: [X.]", was mit "Lieferung frei Absendung" zu übersetzen sei, betreffe nur die Frage der Frachtkosten, enthalte jedoch keine Regelung zum Erfüllungsort. Soweit der Kläger erstmals im [X.] die Vereinbarung einer Bringschuld beziehungsweise die Bestellung auf der Grundlage einer Ankunftsklausel behauptet habe, sei dieser Vortrag wegen Verspätung nicht zu berücksichtigen und widerspreche im Übrigen auch den vorgelegten Transportdokumenten, welche die Vereinbarung eines Erfüllungsortes widerlegten. Keinen Einfluss auf den Erfüllungsort des den Gegenstand der Feststellungsklage bildenden Kaufpreisanspruchs habe weiter der Umstand, dass es dem Kläger im Ergebnis um eine Durchsetzung seiner zur Aufrechnung gestellten eigenen Gegenforderungen gehe. Ebenso wenig ergebe sich ein inländischer Erfüllungsort aus [X.]. 6 Nr. 3 der Verordnung ([X.]) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. [X.] Nr. L 12 S. 1 - EuGVVO), da diese Vorschrift keine Anwendung finde, wenn eine Forderung als bloßes Verteidigungsmittel in das Verfahren eingeführt werde.

7

Eine internationale Zuständigkeit [X.] Gerichte ergebe sich entgegen der Auffassung des [X.] auch nicht aus der Erfüllungsortzuständigkeit nach [X.]. 5 Nr. 1 Buchst. [X.]. Im Sinne dieser Bestimmung sei als Ort, an dem nach dem Vertrag geliefert worden ist, der Ort der Übergabe an das (selbständige) Transportunternehmen und damit der Absendeort zu verstehen. Zwar ließen die Textfassungen einzelner Amtssprachen auch eine Auslegung zu, nach der eine Zuständigkeitsanknüpfung an den Ort der Ankunft der Ware bei dem Käufer möglich sei. Insgesamt spreche ein Fassungsvergleich aber deutlich für eine Anknüpfung an den Ort der Absendung. Dieses Auslegungsergebnis sei deshalb aus Gründen der Rechtsklarheit vorzugswürdig, zumal dem für eine Anknüpfung an den Ankunftsort angeführten Argument der Sach- und Beweisnähe längst nicht in allen Fällen eine hinreichende Bedeutung zukomme.

II.

8

Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Zulässigkeit der Klage nicht verneint werden.

9

1. Das Berufungsgericht ist zu Unrecht von einem Fehlen der internationalen Zuständigkeit der [X.] Gerichte, die auch unter der Geltung des § 545 Abs. 2 ZPO in jedem [X.] wegen zu prüfen ist ([X.], 82, 84 ff.; [X.]surteil vom 16. Dezember 2009 - [X.], [X.], 251, [X.]. 8 m.w.[X.]), ausgegangen.

Die internationale Zuständigkeit [X.] Gerichte beurteilt sich, da die Parteien ihren Sitz jeweils im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates haben und die in [X.] ansässige Beklagte abweichend von [X.]. 2 EuGVVO vor den Gerichten eines anderen Mitgliedsstaates, nämlich in [X.], verklagt wird, gemäß [X.]. 1 Abs. 1 Satz 1, [X.]. 3 Abs. 1, [X.]. 60 Abs. 1 EuGVVO nach Maßgabe der [X.]. 5 bis 24 EuGVVO. Die Beklagte hat das Fehlen einer internationalen Zuständigkeit [X.] Gerichte in beiden Rechtszügen von Anfang an gerügt und in zulässiger Weise lediglich vorsorglich für den Fall, dass das angerufene [X.] Gericht den Gerichtsstaat nach dem maßgeblichen Zuständigkeitsrecht für international zuständig halten sollte, auch Ausführungen zur Hauptsache gemacht, so dass es an einer zuständigkeitsbegründenden Einlassung auf das Verfahren im Sinne von [X.]. 23 EuGVVO fehlt (vgl. [X.]/Schütze/[X.], Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl., [X.] 1 [X.]. 24 [X.]. 46 m.w.[X.]). Jedoch ist eine Zuständigkeit [X.] Gerichte nach Maßgabe von [X.]. 5 Nr. 1 Buchst. a und [X.] gegeben, weil der Erfüllungsort für die den Streitgegenstand bildende Verpflichtung des [X.] zur Kaufpreiszahlung entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts am Sitz des [X.] in [X.] anzusiedeln ist.

a) Nach [X.]. 5 Nr. 1 Buchst. a EuGVVO kann eine Person, die ihren ([X.] ([X.]. 59 f. EuGVVO) im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates hat, vor dem Gericht desjenigen Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre, verklagt werden, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden. Für den Verkauf beweglicher Sachen wird diese Bestimmung in [X.]. 5 Nr. 1 Buchst. b erster Spiegelstrich EuGVVO dahin ergänzt, dass im Sinne dieser Vorschrift und sofern nichts anderes vereinbart worden ist, der Erfüllungsort der Verpflichtung der Ort in einem Mitgliedsstaat ist, an dem die Sachen nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen.

aa) In der Rechtsprechung und im rechtswissenschaftlichen Schrifttum ist für den Verkauf beweglicher Sachen umstritten, an welchen Ort bei Fehlen einer bestimmten Vereinbarung der Vertragsparteien im Falle einer Versendung der Sachen für die Zuständigkeitsbestimmung anzuknüpfen ist. Teilweise wird angenommen, dies bestimme sich nach dem zugrunde liegenden materiellen Recht, hier vorbehaltlich abweichender vertraglicher Regelungen nach [X.]. 31 Buchst. a des Übereinkommens der [X.] über Verträge über den internationalen Warenkauf vom 5. Juli 1989 ([X.] [X.]), der gemäß [X.]. 1 Abs. 1 Buchst. a CISG auf die Vertragsbeziehungen Anwendung findet und wonach die Lieferpflicht des Verkäufers darin besteht, die Ware dem ersten Beförderer zur Übermittlung an den Käufer zu übergeben. Nach anderer Auffassung hat die Bestimmung nach rein tatsächlichen Kriterien ohne Rückgriff auf die jeweils zur Anwendung kommenden materiell-rechtlichen Regelungen autonom zu erfolgen, hier nach dem Ort, an dem der Käufer die Ware als vertragsgemäße Lieferung tatsächlich abnimmt (zum [X.] [X.]sbeschluss vom 9. Juli 2008 - [X.], IHR 2008, 189, [X.]. 18 ff.).

bb) Auf Vorlagebeschluss des [X.]s vom 9. Juli 2008 (aaO) hat der [X.] mit Urteil vom 25. Februar 2010 ([X.]. [X.]/08, [X.], 1059 - Car Trim GmbH / [X.]) die Frage wie folgt beantwortet:

"[X.]. 5 Nr. 1 Buchst. b erster Gedankenstrich der Verordnung ([X.]) Nr. 44/2001 ist dahin auszulegen, dass bei Versendungskäufen der Ort, an dem die beweglichen Sachen nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen, auf der Grundlage der Bestimmungen dieses Vertrags zu bestimmen sind. Lässt sich der Lieferort auf dieser Grundlage ohne Bezugnahme auf das auf den Vertrag anwendbare materielle Recht nicht bestimmen, ist dieser Ort derjenige der körperlichen Übergabe der Waren, durch die der Käufer am endgültigen Bestimmungsort des [X.] die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Waren erlangt hat oder hätte erlangen müssen."

Zur Begründung hat der Gerichtshof im Wesentlichen ausführt, dass sich bei einem Vertrag über den Verkauf beweglicher Sachen der in der Verordnung autonom definierte Lieferort der Waren in erster Linie nach dem Willen der Vertragsparteien bestimme, so dass zunächst zu prüfen sei, ob der Lieferort aus den Vertragsbestimmungen hervorgehe. Könne so der Lieferort ermittelt werden, ohne auf das auf den Vertrag anwendbare materielle Recht Bezug zu nehmen, sei dieser Ort als der Ort anzusehen, an dem im Sinne von [X.]. 5 Nr. 1 Buchst. b erster Gedankenstrich EuGVVO geliefert worden sei oder hätte geliefert werden müssen ([X.]. 55 f). Enthalte der Vertrag dagegen keine Bestimmungen, die den Willen der Parteien hinsichtlich des [X.] ohne Rückgriff auf das anwendbare materielle Recht erkennen ließen, sei nach Entstehungsgeschichte und Systematik der Verordnung der Lieferort nicht dort anzusiedeln, wo die Waren an den ersten Beförderer zur Übermittlung an den Käufer übergeben werden, sondern am endgültigen Bestimmungsort, an dem die Ware dem Käufer körperlich übergeben worden sei oder hätte übergeben werden müssen ([X.]. 59 f.).

b) Hiernach hätte das Berufungsgericht eine internationale Zuständigkeit des angerufenen [X.] Gerichts zur Entscheidung über die vom Kläger erhobene negative Feststellungsklage nicht verneinen dürfen.

aa) Allerdings hat das Berufungsgericht in der zwischen den Parteien verwendeten [X.] "[X.]: [X.]" ohne Rechtsfehler keine Vereinbarung eines Erfüllungsortes, sondern nur eine Regelung zur Kostentragung gesehen. Diese Auslegung ist möglich (vgl. [X.], 201, 206 ff.). Sie wird auch von der Revision nicht in Zweifel gezogen. Ebenso wenig beanstandet die Revision, dass das Berufungsgericht eine abweichende Liefervereinbarung insbesondere aufgrund der vorgelegten Transportdokumente für widerlegt erachtet hat.

bb) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht ferner davon abgesehen, die zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen aus dem Handelsvertreterverhältnis der Parteien unter Anwendung des [X.]. 6 Nr. 3 EuGVVO zur Bestimmung des Erfüllungsortes heranzuziehen. Denn Gegenstand des Rechtsstreits sind allein die Kaufpreisforderungen der [X.], deren Fortbestand der Kläger verneint (vgl. [X.]surteil vom 4. Dezember 1991 - [X.], [X.], 627, unter II 2 a). Demgegenüber stellt die Aufrechnung mit den erhobenen Gegenforderungen lediglich ein Verteidigungsmittel dar, auf das [X.]. 6 Nr. 3 EuGVVO keine Anwendung findet ([X.], Urteil vom 13. Juli 1995 - [X.]. [X.]/93, [X.], 2161, [X.]. 12 ff. - [X.] / [X.]) und das auch sonst nicht geeignet ist, eine Erfüllungsortzuständigkeit für die den Streitgegenstand bildenden Kaufpreisforderungen zu begründen.

cc) Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht dagegen, soweit es für eine Bestimmung des Erfüllungsortes im Sinne von [X.]. 5 Nr. 1 Buchst. b erster Spiegelstrich EuGVVO auf den Absendeort als den Übergabeort an den Beförderer abgestellt hat.

(1) Allerdings hat das Berufungsgericht zutreffend angenommen, dass eine dem Erfüllungsort folgende Zuständigkeit nach [X.]. 5 Nr. 1 Buchst. [X.] auch die Verpflichtung des [X.] zur Kaufpreiszahlung ([X.]. 53 CISG) selbst dann erfasst, wenn diese nach [X.]. 57 Abs. 1 Buchst. [X.] am Ort der [X.] Niederlassung der [X.] zu leisten ist. Denn der nach dieser Vorschrift bestehende besondere Gerichtsstand erfasst sämtliche Klagen aus ein und demselben Vertrag über den Verkauf beweglicher Sachen und nicht nur diejenige aus der Lieferverpflichtung an sich ([X.], Urteil vom 25. Februar 2010, aaO, [X.]. 50 m.w.[X.]). Das gilt ungeachtet der jeweils gewählten Klageart oder Rechtsschutzform, also nicht nur für Leistungsklagen, sondern auch für Klagen auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines durch den Vertrag begründeten Rechtsverhältnisses im Ganzen oder einer bestimmten Vertragspflicht, hier eines Fortbestandes der Pflicht zur Kaufpreiszahlung ([X.], [X.] 1996, 1035; [X.], 3. Aufl., [X.]. 5 [X.] [X.]. 9; [X.]/[X.], Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts (2010), [X.]. [X.]; [X.]/[X.], ZPO, 28. Aufl. [X.]. I [X.]. 5 EuGVVO [X.]. 15; [X.]/Schütze/[X.], aaO, [X.] 1 [X.]. 5 [X.]. 55 ff. m.w.[X.]).

(2) Für die Bestimmung des Ortes in einem Mitgliedsstaat, an dem die verkauften beweglichen Sachen nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen, ist ohne Rückgriff auf das hier nach [X.]. 31 Buchst. [X.] zum [X.] Sitz der [X.] weisende materielle Recht für den autonom zu bestimmenden Begriff des [X.] im Sinne von [X.]. 5 Nr. 1 Buchst. b erster Spiegelstrich EuGVVO nach der Entstehungsgeschichte, den Zielen und der Systematik der Verordnung aus Gründen seiner Vorhersehbarkeit und der räumlichen Sachnähe zu dem zur Entscheidung berufenen Gericht an den Ort anzuknüpfen, an dem die mit dem Kaufvertrag erstrebte Übertragung der Sachen vom Verkäufer an den Käufer durch deren Ankunft an ihrem endgültigen Bestimmungsort vollständig abgeschlossen ist und der Käufer die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Waren erlangt hat oder hätte erlangen müssen ([X.], Urteil vom 25. Februar 2010, aaO, [X.]. 60 ff.). Das war nach den insoweit unter Bezugnahme auf die jeweiligen Transportdokumente getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts der Sitz des [X.] in [X.].

2. [X.] stellt sich auch nicht aus einem anderen Grunde als richtig dar. Zwar entfällt das Feststellungsinteresse für eine negative Feststellungsklage im Regelfall, wenn eine auf die Durchsetzung desselben Anspruchs gerichtete Leistungsklage erhoben wird und diese einseitig - durch den Anspruchsteller - nicht mehr zurückgenommen werden kann ([X.], 201, 208 f.; 165, 301, 309; jeweils m.w.[X.]). Es kann dahin stehen, ob diese Voraussetzungen nach dem insoweit maßgeblichen [X.] Prozessrecht für die Zahlungsklage gegeben sind, welche die Beklagte wegen der im Streit stehenden Kaufpreisforderungen nach Rechtshängigkeit in dieser Sache ihrerseits vor dem für ihren Sitz zuständigen [X.] Gericht gegen den Kläger erhoben hat. Denn ein Interesse des [X.] an der begehrten Feststellung besteht trotz dieser Zahlungsklage schon deshalb fort, weil er nicht davon ausgehen kann, dass über das Bestehen der Kaufpreisansprüche der [X.] im Rahmen des in [X.] anhängigen Verfahrens entschieden wird.

Nach [X.]. 27 EuGVVO hat das später angerufene Gericht, vorliegend das Gericht in [X.], das bei ihm anhängige Verfahren von Amts wegen auszusetzen, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen [X.] Gerichts feststeht, und sich für unzuständig zu erklären, sobald diese Zuständigkeit feststeht. Da der hier normierte Grundsatz der zeitlichen Priorität auch dann eingreift, wenn einerseits eine negative Feststellungsklage und andererseits eine Leistungsklage erhoben worden sind, würde das Rechtsschutzinteresse des [X.] für seine negative Feststellungsklage deshalb selbst dann nicht entfallen, wenn die Beklagte ihre Zahlungsklage nicht mehr einseitig zurücknehmen könnte. Denn das mit der Zahlungsklage befasste [X.] Gericht ist bei der von ihm zu erwartenden Befolgung des [X.]. 27 EuGVVO nicht in der Lage, eine für einen Vorrang der Leistungsklage erforderliche Sachentscheidung zu treffen (so schon zum gleichlautenden [X.]. 21 EuGVÜ [X.], 201, 209 ff.; [X.]surteil vom 6. Februar 2002 - [X.], [X.], 1725, unter [X.]; jeweils m.w.[X.]).

III.

Nach alledem kann das Urteil des Berufungsgerichts keinen Bestand haben; es ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der [X.] kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil das Berufungsgericht - vor dem Hintergrund der von ihm vertretenen Rechtsauffassung folgerichtig - keine Feststellungen zum Bestand der vom Kläger zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen sowie zu den Voraussetzungen einer Aufrechnung getroffen hat. Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Für das weitere Verfahren weist der [X.] darauf hin, dass das Berufungsgericht, dessen internationale Zuständigkeit zur Entscheidung über die zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen sich vorliegend jedenfalls aus [X.]. 5 Nr. 1 Buchst. b zweiter Spiegelstrich EuGVVO ergeben dürfte (vgl. [X.], Urteil vom 11. März 2010 - [X.]. [X.]/09, [X.], 1189, [X.]. 33 ff. - [X.] [X.]; [X.]/Schütze/[X.], aaO, [X.] 1 [X.]. 5 [X.]. 90 m.w.[X.]), auch zu prüfen haben wird, ob die Voraussetzungen, das Zustandekommen und die Wirkungen der Aufrechnung im Gegensatz zu der von ihm in der Berufungsverhandlung gebilligten Sichtweise des [X.], das die Aufrechnung ersichtlich nach [X.]m Recht als der lex fori beurteilt hatte, nicht stattdessen nach unvereinheitlichtem [X.]m Recht zu beurteilen sein werden. Denn die Aufrechnung unterliegt nach dem hier noch anwendbaren [X.]. 32 Abs. 1 Nr. 4 [X.][X.] (vgl. [X.]. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Anpassung der Vorschriften des internationalen Privatrechts an die Verordnung [[X.]] Nr. 593/2008 vom 25. Juni 2009 [[X.] I S. 1574]) der für die Hauptforderung maßgeblichen Rechtsordnung; das [X.] der Hauptforderung entscheidet deshalb auch über die Voraussetzungen, das Zustandekommen und die Wirkungen der Aufrechnung ([X.], 254, 256; [X.], Urteil vom 25. November 1993 - [X.], [X.], 394 unter [X.], insoweit in [X.]Z 124, 237 nicht abgedruckt; [X.]/[X.], 4. Aufl., [X.]. 32 [X.][X.] [X.]. 65; [X.]/Hohloch, [X.], 12. Aufl., [X.]. 32 [X.][X.] [X.]. 13; jeweils m.w.[X.]). Da jedoch das auf die Hauptforderungen anwendbare Übereinkommen der [X.] über Verträge über den internationalen Warenkauf jedenfalls nicht die Aufrechenbarkeit solcher Ansprüche regelt, die sich - wie hier - nicht lediglich aus einem dem Übereinkommen unterliegenden Vertragsverhältnis ergeben, bestimmt sich das zur Beurteilung der Aufrechnung berufene Recht vorliegend gemäß [X.]. 32 Abs. 1 Nr. 4, [X.]. 28 Abs. 1 Nr. 1 und 2 [X.][X.] nach dem gemäß [X.]. 4 Satz 1 CISG sonst zur Anwendung kommenden unvereinheitlichten [X.] Recht (vgl. Schlechtriem/Schwenzer/[X.], Kommentar zum [X.], 5. Aufl., [X.]. 4 [X.]. 39; [X.]/[X.], [X.] (2005), [X.]. 4 CISG [X.]. 46; jeweils m.w.[X.]).

Ball     

        

Dr. Milger     

        

Dr. Achilles

        

Dr. Schneider     

        

Dr. Fetzer     

        

Meta

VIII ZR 135/08

23.06.2010

Bundesgerichtshof 8. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG München, 17. April 2008, Az: 23 U 4589/07, Urteil

Art 1 EGV 44/2001, Art 3 EGV 44/2001, Art 5 Nr 1 Buchst b Ss 1 EGV 44/2001, Art 6 EGV 44/2001, Art 23 EGV 44/2001, Art 27 EGV 44/2001, Art 60 EGV 44/2001, Art 4 UNWaVtrÜbk, Art 31 UNWaVtrÜbk, Art 57 UNWaVtrÜbk, Art 28 BGBEG, Art 32 BGBEG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.06.2010, Az. VIII ZR 135/08 (REWIS RS 2010, 5534)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5534

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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