Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 03.07.2018, Az. X ZR 96/17

10. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 6779

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BUNDESGERICHTSHOF (BGH) FLUGGASTRECHTE REISERECHT REISE

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Gegenstand

Reisevertrag: Rechtsfolgen des Fehlens der Belehrung über das Erfordernis einer Mangelanzeige


Leitsatz

Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Belehrung über das Erfordernis einer Mangelanzeige, darf der Reiseveranstalter einem Ersatzanspruch aus § 651c Abs. 3 BGB grundsätzlich nicht entgegenhalten, dass der Reisende von einem Abhilfeverlangen und einer Fristsetzung abgesehen hat.

Tenor

Auf die Revision wird das Urteil der 11. Zivilkammer des [X.] vom 1. August 2017 aufgehoben.

Auf die Berufung wird das Urteil des [X.] vom 14. März 2016 abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.235 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3. April 2015 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin verlangt von der beklagten [X.] Ersatz der Mehrkosten für einen Ersatzflug, den sie nach der Verschiebung des ursprünglich vorgesehenen Flugs in Eigenregie gebucht hat.

2

Die Klägerin buchte bei der [X.] für sich, ihren Ehemann und ihre zwei Kinder für die [X.] vom 1. bis 7. Oktober 2014 eine Pauschalreise in die [X.] zu einem Gesamtpreis von 4.874 Euro.

3

Die Beförderungsbedingungen der [X.] enthalten folgende Regelung:

"Wird die Reise nicht vertragsgemäß erbracht, so können Sie Abhilfe verlangen. Dazu bedarf es - unbeschadet der vorrangigen Leistungspflicht der [[X.]] - Ihrer Mitwirkung. Deshalb sind Sie verpflichtet, alles Ihnen Zumutbare zu tun, um zu einer Behebung der Störung beizutragen und eventuell entstehenden Schaden möglichst gering zu halten oder ganz zu vermeiden. Sie sind insbesondere verpflichtet, Ihre Beanstandungen unverzüglich anzuzeigen. (...) Schicken Sie der [[X.]] bitte erforderlichenfalls ein Fax (...) oder rufen Sie die [Beklagte] an unter (...)."

4

Der Rückflug von [X.] nach [X.] war für den 7. Oktober 2014 um 20:05 Uhr vorgesehen. Am Abreisetag wurde der Klägerin am [X.] mitgeteilt, dass sich der Start aufgrund eines technischen Problems auf 22:40 Uhr verschiebe. Als neuer Zielort des [X.] wurde [X.] angegeben; von dort wurde ein Bustransfer nach [X.] angeboten. Die tatsächliche Ankunftsverspätung in [X.] betrug rund 6 ½ Stunden.

5

Die Klägerin buchte auf die Ankündigung hin ohne weiteres bei einer anderen Fluggesellschaft einen Ersatzflug für denselben Abend nach [X.].

6

Am 18. März 2015 meldete die Klägerin ihre Ersatzansprüche bei der [X.] an. Sie begehrt Zahlung der durch den Ersatzflug entstandenen Mehrkosten in Höhe von 1.235 Euro.

7

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Anspruch weiter. Die Beklagte war in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht vertreten.

Entscheidungsgründe

8

Über die Revision der Klägerin ist antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden, weil die [X.] in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat säumig war und die Revision begründet ist. Ungeachtet der Säumnis beruht das Urteil auf einer vollständigen rechtlichen Nachprüfung (vgl. nur [X.], Urteil vom 1. Dezember 2015 - [X.], [X.], 630 Rn. 9 - Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung II [insoweit nicht in [X.]Z 208, 119]).

9

I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Dem geltend gemachten Anspruch stehe nicht entgegen, dass die Klägerin ihn erst nach Ablauf der in § 651g [X.] aF vorgesehenen Ausschlussfrist geltend gemacht habe. Die [X.] habe insoweit ihrer Hinweispflicht nach § 6 Abs. 2 Nr. 7 [X.] nicht genügt.

Die Klage sei dennoch unbegründet, weil die Klägerin die [X.] weder zur Abhilfe aufgefordert noch eine Frist dafür gesetzt habe. Der Reiseveranstalter habe auf diese Obliegenheiten nicht gesondert hinzuweisen. Ein Abhilfeverlangen und eine Fristsetzung seien im Streitfall auch nicht entbehrlich gewesen.

II. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

1. Auf den zwischen den Parteien geschlossenen Reisevertrag sind die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs und der [X.] in der bis 30. Juni 2018 geltenden Fassung weiter anzuwenden (Art. 229 § 42 EG[X.]).

2. Zu Recht hat das Berufungsgericht einen Reisemangel bejaht.

Die Verlegung der Abflugzeit um rund drei Stunden, die Landung an einem anderen Zielort, der dadurch erforderliche Bustransfer und der darauf beruhende weitere Zeitverlust mit der Folge, dass eine Ankunft zu Hause erst in den Morgenstunden des [X.] möglich gewesen wäre, begründen Abweichungen von der vertraglich vereinbarten Sollbeschaffenheit, die in ihrer Gesamtheit die Tauglichkeit der Reise zu dem gewöhnlichen Nutzen mindern.

3. Ebenfalls zu Recht ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der [X.] nicht deshalb unbegründet ist, weil die Klägerin ihn erst nach Ablauf eines Monats nach der vertraglich vorgesehenen Beendigung der Reise geltend gemacht hat.

Nach der Rechtsprechung des [X.] wird, wenn der Reiseveranstalter seine Pflicht zum Hinweis auf die in § 651g Abs. 1 [X.] normierte Ausschlussfrist nicht erfüllt hat, widerleglich vermutet, dass die Versäumung der Frist nicht auf einem Verschulden des Reisenden beruht ([X.], Urteil vom 12. Juni 2007 - [X.], [X.], 215 Rn. 37; Urteil vom 21. Februar 2017 - [X.], [X.], 168 Rn. 15).

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die [X.] auf die in § 651g [X.] normierte Frist lediglich in ihren Allgemeinen Vertragsbedingungen hingewiesen. Dies genügt nicht den Anforderungen aus § 6 Abs. 2 Nr. 8 und Abs. 4 [X.]. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Allgemeinen Vertragsbedingungen als Prospekt im Sinne von § 6 Nr. 4 [X.] anzusehen sind. Selbst wenn dies zu bejahen wäre, fehlte es jedenfalls an einem ausreichenden Verweis darauf in der Reisebestätigung.

Nach der Rechtsprechung des [X.] reicht ein in der Reisebestätigung enthaltener Verweis auf Angaben im Prospekt nur dann aus, wenn auf die Existenz von Obliegenheiten zur Anzeige von Mängeln und Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen hingewiesen und die einschlägige Fundstelle im Prospekt angeführt wird ([X.], [X.], 215 Rn. 28; [X.], 168 Rn. 19). Darüber hinaus muss der Verweis hinreichend deutlich und bei durchschnittlicher Aufmerksamkeit des Kunden ohne weiteres erkennbar sein ([X.], [X.], 215 Rn. 30; [X.], 168 Rn. 20). Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts ist im Streitfall keine dieser Voraussetzungen erfüllt.

4. Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht ferner zu dem Ergebnis gelangt, dass die Aufwendungen erforderlich waren.

Erforderlich sind Aufwendungen, die der Reisende bei sorgfältiger, die Umstände des Falles berücksichtigender Prüfung für angemessen halten durfte (vgl. BT-Drucks. 8/786, S. 26 f.; [X.] in [X.], [X.], 2016, § 651c Rn. 178). Dass diese Voraussetzung im Streitfall vorlag, hat das Berufungsgericht auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei bejaht.

5. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht dem geltend gemachten Anspruch nicht entgegen, dass die Klägerin die [X.] entgegen § 651c Abs. 3 Satz 1 [X.] nicht unter Fristsetzung zur Abhilfe aufgefordert hat. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob Aufforderung und Fristsetzung schon deshalb entbehrlich waren, weil die [X.] nicht darauf hingewiesen hat, dass diese für einen Anspruch auf Ersatz von Mehraufwendungen nach § 651c Abs. 3 [X.] grundsätzlich erforderlich sind. Im Streitfall war die Klägerin zu einem entsprechenden Vorgehen jedenfalls deshalb nicht gehalten, weil es schon an einem ordnungsgemäßen Hinweis mit dem in § 6 Abs. 2 Nr. 7 [X.] vorgesehenen Inhalt fehlte.

a) Gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 7 [X.] hat der Reiseveranstalter den Reisenden in der Reisebestätigung darauf hinzuweisen, dass er einen aufgetretenen Mangel anzuzeigen und vor der Kündigung des Reisevertrags grundsätzlich eine angemessene Frist zur Abhilfeleistung zu setzen hat.

Schon dieser Obliegenheit ist die [X.] im Streitfall nicht nachgekommen.

Die [X.] hat einen Hinweis des genannten Inhalts nur in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen erteilt und in der Reisebestätigung lediglich pauschal auf diese verwiesen. Dies genügt den auch insoweit maßgeblichen Anforderungen aus § 6 Abs. 4 [X.] aus den bereits im Zusammenhang mit § 6 Abs. 2 Nr. 8 [X.] genannten Gründen nicht.

b) Diese Pflichtverletzung führt dazu, dass die [X.] dem Ersatzanspruch aus § 651c Abs. 3 [X.] nicht entgegenhalten darf, dass die Klägerin von einem Abhilfeverlangen und einer Fristsetzung abgesehen hat.

Das Erfordernis einer Mangelanzeige ermöglicht es beiden Vertragspartnern des Reisevertrags, Klarheit über die weitere Vorgehensweise zu schaffen. Der Reiseveranstalter erhält durch sie insbesondere die Möglichkeit, durch eigene Maßnahmen Abhilfe zu schaffen, was für ihn typischerweise mit geringeren Kosten verbunden ist als Abhilfemaßnahmen durch Dritte. Der Reisende wird in die Lage versetzt, sein weiteres Verhalten an die Reaktion des Veranstalters auf eine erfolgte Anzeige anzupassen. Lehnt der Veranstalter die Abhilfe des angezeigten Mangels ab, ist der Reisende gemäß § 651c Abs. 3 Satz 2 [X.] auch ohne Fristsetzung berechtigt, selbst Abhilfe zu schaffen und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen zu verlangen. Sagt der Veranstalter kurzfristige Abhilfe zu, liegt es für den Reisenden auch ohne weitergehende Belehrung nahe, von eigenen Abhilfemaßnahmen vorerst abzusehen.

Einem Reisenden, der nach dem § 6 Abs. 7 [X.] zu Grunde liegenden Regelungsgedanken mangels ordnungsgemäßer Belehrung typischerweise nicht weiß, dass er einen Mangel grundsätzlich dem Reiseveranstalter anzuzeigen hat, wird diese grundlegende Erkenntnismöglichkeit genommen. Deshalb entspricht es dem Zweck der [X.], einen Ersatzanspruch aus § 651c Abs. 3 [X.] grundsätzlich nicht daran scheitern zu lassen, dass ein nicht ordnungsgemäß über das Anzeigeerfordernis belehrter Reisender von einer Anzeige und einer Fristsetzung abgesehen hat.

Im Streitfall kann die [X.] dem auf § 651c Abs. 3 [X.] gestützten [X.] folglich weder das Unterbleiben einer Mangelanzeige noch das Fehlen eines Abhilfeverlangens unter Fristsetzung entgegenhalten, weil sie auf das Erfordernis einer Mangelanzeige nicht in der vorgeschriebenen Weise hingewiesen hat. Besondere Umstände, aus denen sich ausnahmsweise eine abweichende Beurteilung ergeben könnte, sind weder festgestellt noch sonst ersichtlich.

c) Nach alledem kann offen bleiben, ob im Streitfall besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer ein Abhilfeverlangen oder eine Fristsetzung auch bei ordnungsgemäßer Belehrung nicht erforderlich gewesen wären.

III. [X.] ist zur Endentscheidung reif.

Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ergibt sich aus den oben dargelegten Gründen, dass der [X.] begründet ist. Ergänzende Tatsachenfeststellungen, die zu einer abweichenden Beurteilung führen könnten, kommen angesichts des im Berufungsurteil festgestellten Sach- und Streitstands nicht in Betracht. Deshalb ist die [X.] antragsgemäß zu verurteilen.

IV. [X.] beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 2 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen dieses Versäumnisurteil steht der säumigen Partei der Einspruch zu. Dieser ist beim [X.] in [X.] von einem an diesem Gericht zugelassenen Rechtsanwalt binnen einer Notfrist von zwei Wochen ab der Zustellung des Versäumnisurteils durch Einreichung einer Einspruchsschrift einzulegen.

[X.]    

        

Gröning    

        

Grabinski

        

Hoffmann    

        

Marx    

        

Meta

X ZR 96/17

03.07.2018

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Versäumnisurteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Köln, 1. August 2017, Az: 11 S 158/16

§ 651c Abs 3 BGB vom 02.01.2002, § 651g Abs 1 BGB vom 02.01.2002, § 651f Abs 1 BGB vom 02.01.2002, § 6 Abs 2 Nr 7 BGB-InfoV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 03.07.2018, Az. X ZR 96/17 (REWIS RS 2018, 6779)

Papier­fundstellen: MDR 2018, 1301-1302 REWIS RS 2018, 6779

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

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X ZR 170/12

X ZR 49/16

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