Bundesfinanzhof, Urteil vom 19.04.2012, Az. III R 29/11

3. Senat | REWIS RS 2012, 7149

STEUERRECHT KINDERBETREUUNG BUNDESFINANZHOF (BFH) EINKOMMENSTEUER

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Gegenstand

Abgrenzung zwischen Kinderbetreuungskosten und nicht abziehbaren Unterrichtsaufwendungen


Leitsatz

1. Der Begriff der Kinderbetreuung i.S. der §§ 4f und 9 Abs. 5 Satz 1 EStG in der Fassung des Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung vom 26. April 2006 (BGBl I 2006, 1091) ist weit zu fassen. Er umfasst nicht nur die behütende und beaufsichtigende Betreuung, sondern auch die pädagogisch sinnvolle Gestaltung der in Kindergärten und ähnlichen Einrichtungen verbrachten Zeit. Der Bildungsauftrag dieser Einrichtungen hindert den vollständigen Abzug der von den Eltern geleisteten Beiträge und Gebühren grundsätzlich nicht.     

2. Nach § 4f Satz 3 EStG nicht begünstigte Aufwendungen für Unterricht oder die Vermittlung besonderer Fähigkeiten liegen nur dann vor, wenn die Dienstleistungen in einem regelmäßig organisatorisch, zeitlich und räumlich verselbständigten Rahmen stattfinden und die vom Leistungserbringer während der Unterrichtszeit ausgeübte Aufsicht über das Kind und damit die behütende Betreuung gegenüber der Vermittlung der besonderen Fähigkeiten als dem Hauptzweck der Dienstleistung in den Hintergrund rückt.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist der Vater zweier Kinder, die in den Streitjahren 2006 und 2007 die [X.] Gruppe eines städtischen Kindergartens besuchten. Die mit dem Kläger zusammenlebende Mutter der Kinder war wie dieser in den Streitjahren berufstätig.

2

In dem Kindergarten kamen neben [X.] Erzieherinnen auch sogenannte [X.] [X.] zum Einsatz, die von dem Verein [X.] (im Folgenden: Verein) bezahlt wurden. Zweck des Vereins ist unter anderem die sozialpädagogische Betreuung von Kindern unter besonderer Vermittlung der [X.]n Sprache und Kultur. Zwischen der [X.] --Jugendamt-- als dem [X.] und dem Verein bestand in den Streitjahren eine Kooperationsvereinbarung, wonach das Jugendamt und der Verein partnerschaftlich die konzeptionelle Entwicklung des in der Kindertagesstätte (Kita) eingerichteten Teilbereichs [X.]r Kindergarten fördern sollten. Aufgrund dieser Vereinbarung wurden im [X.]n Kitabereich neben den bei der [X.] angestellten Erzieherinnen die beim Verein beschäftigten [X.]sprachigen [X.] eingesetzt. Die Fachaufsicht über die [X.] lag bei der Kindergartenleitung bzw. dem Jugendamt. Die Kinder wurden im zweisprachigen Kindergarten nach der sogenannten Immersionsmethode betreut, d.h. die Erzieherinnen sprechen ausschließlich deutsch, die [X.] ausschließlich [X.]. Letztere unterstützen ihre Aussagen mit Gestik und Mimik, ohne Übersetzungen vorzunehmen. Ein Lehrplan existiert nicht. Die Erzieherinnen und [X.] arbeiteten in der Planung, der Durchführung und der Auswertung der pädagogischen Aufgaben partnerschaftlich und gleichberechtigt zusammen.

3

Den Zahlungen des [X.] lag ein gesonderter Leistungsvertrag zugrunde, in dem er sich aufgrund des Kooperationsvertrages zwischen Jugendamt und Verein verpflichtete, für den Einsatz der [X.] die jeweils festgesetzten Leistungsvergütungen an den Verein zu zahlen.

4

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) lehnte den Abzug der in den Streitjahren an den Verein gezahlten Leistungsvergütungen als erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten im Sinne des in den Streitjahren geltenden § 4f Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ab. Während der Einspruch erfolglos blieb, entsprach das Finanzgericht ([X.]) mit dem angegriffenen Urteil dem Begehren des [X.].

5

Mit seiner Revision rügt das [X.] die Verletzung materiellen Rechts. Das [X.] habe das Tatbestandsmerkmal "Dienstleistungen zur Betreuung" in § 4f Satz 1 EStG und das Tatbestandsmerkmal "Unterricht" in § 4f Satz 3 EStG verkannt. Betreuung sei die behütende oder beaufsichtigende Betreuung, d.h. die persönliche Fürsorge für das Kind müsse der Dienstleistung erkennbar zugrunde liegen. Bei den gemäß § 4f Satz 3 EStG nicht abzugsfähigen Aufwendungen für Unterricht u.ä. handele es sich um Kosten, die durch die Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG bereits abgegolten seien. Die Abgrenzung richte sich danach, ob der [X.] wesentlicher Bestandteil der Dienstleistung sei. Wenn dies bejaht werden könne, dann seien weitere Motive für die Inanspruchnahme der Betreuungseinrichtung unschädlich. Das [X.] habe verkannt, dass der [X.] durch den Einsatz der [X.]n [X.] nicht den überwiegenden Bestandteil der zu erbringenden Leistung darstelle. Aus der Konzeption der Kita und der Kooperationsvereinbarung mit dem Verein ergebe sich das Ziel des Erlernens einer Zweitsprache. Dies sei der überwiegende Bestandteil der zu erbringenden Leistung der [X.]. Dass nebenbei auch Betreuungsleistungen erbracht würden, sei nicht von der Hand zu weisen, aber nicht rechtserheblich. Denn jeder Musik- oder Sportlehrer erbringe neben seiner hauptsächlichen Unterrichtsleistung zwangsläufig auch eine Betreuung der Kinder im Sinne einer behütenden Aufsicht. Auch wenn im Streitfall die Vermittlung der [X.]n Sprache nicht unterrichtsmäßig erfolge, was angesichts des Alters der Kinder nicht funktionieren könne, so falle sie doch in den Bereich des § 4f Satz 3 EStG. Es gehe nämlich um die Vermittlung besonderer Fähigkeiten im Sinne dieser Vorschrift. Nach dem Schreiben des [X.] vom 19. Januar 2007 IV C 4 [X.] 2221- 2/07 (BStBl I 2007, 184) sei von einer Aufteilung in Betreuungs- und andere Leistungen abzusehen.

6

Das [X.] beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

7

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision ist unbegründet und daher gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zurückzuweisen. Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass die an den Verein geleisteten Zahlungen als erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten bei der Einkünfteermittlung abzuziehen sind.

9

1. a) Nach § 4f Satz 1 EStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung können Aufwendungen für Dienstleistungen zur Betreuung eines zum Haushalt des Steuerpflichtigen gehörenden Kindes i.S. des § 32 Abs. 1 EStG, die wegen einer Erwerbstätigkeit des Steuerpflichtigen anfallen, unter anderem bei Kindern, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, in Höhe von zwei Dritteln der Aufwendungen bei der Ermittlung der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbständiger Arbeit wie Betriebsausgaben abgezogen werden. Nach § 4f Satz 3 EStG sind Aufwendungen für Unterricht, die Vermittlung besonderer Fähigkeiten sowie für sportliche und andere Freizeitbetätigungen nicht begünstigt. Für den Bereich der Überschusseinkunftsarten gelten diese Regelungen sinngemäß (§ 9 Abs. 5 Satz 1 EStG), so dass erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten wie Werbungskosten bei der Einkünfteermittlung zu berücksichtigen sind.

b) Der vom Gesetz nicht definierte Begriff der Kinderbetreuung ist weit zu fassen. Aus dem Wortlaut --das Verb betreuen stammt aus dem [X.] und bedeutet so viel wie schützen ([X.], [X.] und dem Zusammenhang mit der Altersgrenze von 14 Jahren ergibt sich zunächst, dass mit der in § 4f Satz 1 EStG enthaltenen Formulierung "Betreuung eines Kindes" jedenfalls die behütende und beaufsichtigende Betreuung im Sinne eines Schutzes vor Gefahren, Verletzungen und Schäden erfasst werden soll (das sogenannte "Aufpassen" auf das Kind). Darüber hinausgehend ist Betreuung aber grundsätzlich als Personensorge i.S. des § 1631 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu verstehen (Urteil des [X.] --BFH-- vom 28. November 1986 III R 1/86, [X.], 211, [X.] 1987, 490) und erfasst daher --mit Ausnahme der durch das Kindergeld oder die Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG bereits abgegoltenen Verpflegung des [X.] auch die Elemente der Pflege und Erziehung, also die Sorge für das geistige, seelische und körperliche Wohl des Kindes. Da es nicht in dem so verstandenen fürsorgerischen Interesse des Kindes liegt, lediglich "verwahrt" zu werden, umfasst der Betreuungsbegriff daher insbesondere auch die pädagogisch sinnvolle Gestaltung der im Kindergarten und in ähnlichen Einrichtungen verbrachten Zeit. Dass der Gesetzgeber keinen auf die Beaufsichtigung und die Behütung beschränkten Betreuungsbegriff vertreten hat, zeigt sich auch an dem zeitgleich mit § 4f EStG eingeführten subsidiären [X.] in § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG. Mit der dort im Hinblick auf drei- bis sechsjährige Kinder vorgesehenen [X.] wollte der Gesetzgeber --wiederum unter Ausschluss von Aufwendungen für Unterrichtsdienstleistungen und ähnliches (§ 10 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 EStG)-- vor allem den Abzug der Kindergartengebühren sicherstellen (BTDrucks 16/643, S. 9; BTDrucks 16/974, S. 6). Es spricht nichts dafür, dass dem Gesetzgeber hierbei nicht das Bild eines modernen Kindergartens, wie es in § 22 des [X.] ([X.]) gezeichnet wird, vor Augen stand. Tageseinrichtungen für Kinder haben danach einen Förderauftrag. Dieser umfasst nach § 22 Abs. 3 [X.] Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes und bezieht sich auf die [X.], emotionale, körperliche und geistige Entwicklung des Kindes. Werden dem Kind im Rahmen einer so verstandenen Betreuung und Erziehung beim Basteln und Werken, beim gemeinsamen [X.] und Musizieren, beim Einüben eines fremdsprachigen Weihnachts- oder Kinderliedes oder beim Ballspiel erste handwerkliche, musische, sprachliche oder sportliche Fähigkeiten, also frühkindliche Bildung, vermittelt, dann steht dies einer Berücksichtigung der geleisteten Aufwendungen nach § 4f Satz 1 EStG nicht entgegen, unabhängig davon, ob es sich bei den genannten Fähigkeiten um allgemeine oder besondere im Sinne des Satzes 3 des § 4f EStG handeln sollte. Denn die Vermittlung besonderer Fähigkeiten steht hier nicht im Vordergrund, sondern ist unselbständiger Bestandteil der Betreuung. Danach werden von § 4f Satz 1 EStG insbesondere Aufwendungen für die Unterbringung des Kindes in Kindergärten, Kitas und ähnlichen Einrichtungen begünstigt (so schon BFH-Urteil vom 6. November 1997 III R 27/91, [X.], 493, [X.] 1998, 187, zu § 33c EStG a.F.). Der Bildungsauftrag dieser Einrichtungen hindert den vollständigen Abzug der von den Eltern geleisteten Beiträge und Gebühren grundsätzlich nicht (gleicher Auffassung z.B. Hey, Neue Juristische Wochenschrift 2006, 2001; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 4f EStG Rz 10; [X.] in [X.][X.], § 4f EStG Rz B 27).

c) Nach § 4f Satz 3 EStG nicht begünstigte Aufwendungen für Unterricht oder die Vermittlung besonderer Fähigkeiten liegen demnach nur vor, wenn, wie die in der Gesetzesbegründung genannten Beispiele des Musikunterrichts oder des [X.] zeigen (BTDrucks 16/643, S. 9), die Dienstleistungen in einem regelmäßig organisatorisch, zeitlich und räumlich verselbständigten Rahmen stattfinden und die vom Leistungserbringer während der Unterrichts- oder Kurszeit ausgeübte Aufsicht über das Kind und damit die --behütende-- Betreuung gegenüber der Vermittlung der besonderen (sprachlichen, musischen, sportlichen) Fähigkeiten als dem Hauptzweck der Dienstleistung in den Hintergrund rückt.

2. Diesen Rechtsgrundsätzen entspricht die angegriffene Entscheidung. Nach der auf tatsächlichem Gebiet liegenden und damit grundsätzlich bindenden (§ 118 Abs. 2 [X.]O) Würdigung des [X.] hinsichtlich Konzeption und praktischer Verwirklichung des deutsch-[X.] Kindergartenprojekts haben die [X.] Erzieherinnen und die [X.] Sprachassistentinnen die Kinder des [X.] in den deutsch-[X.] Gruppen partnerschaftlich betreut und beim Spielen, [X.] und ähnlichen kindergartentypischen Aktivitäten neben der damit einhergehenden Erlernung erster [X.] Wörter und Sätze sicherlich auch zur Verbesserung der noch ausbaufähigen Kenntnisse der [X.] Sprache beigetragen. Die kindergartentypische Betreuung der Kinder stand hierbei jedoch im Vordergrund. Darin lag auch der Hauptzweck des Einsatzes der [X.] Sprachassistentinnen. Diese sollten den Kindern in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den [X.] Erzieherinnen eine bilinguale und interkulturelle Erziehung ermöglichen. Das [X.] hat zusätzlich in für den Senat bindender Weise festgestellt, dass der Kläger --abgesehen vom spielerischen [X.] gerade auch das Ziel einer allgemein besseren Betreuung durch Einsatz eines zusätzlichen Betreuers verfolgt hat. Kosten, die aufgewandt werden, um in den Genuss eines günstigeren Betreuungsschlüssels zu kommen, werden aber unproblematisch von § 4f Satz 1 EStG erfasst. Aufwendungen, die der Steuerpflichtige für eine solche Betreuung und Erziehung seiner Kinder tätigt, unterfallen dem Anwendungsbereich des § 4f Satz 1 EStG. Dass die Zahlungen nicht an die [X.] als Kindergartenträger, sondern an deren Kooperationspartner, den Verein, geleistet wurden, ist unschädlich.

Meta

III R 29/11

19.04.2012

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 6. April 2011, Az: 2 K 1522/10, Urteil

§ 4f S 3 EStG 2002 vom 26.04.2006, § 9 Abs 5 S 1 EStG 2002 vom 26.04.2006

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 19.04.2012, Az. III R 29/11 (REWIS RS 2012, 7149)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7149

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