Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 10.01.2013, Az. 4 B 30/12

4. Senat | REWIS RS 2013, 9149

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Gegenstand

Entscheidung über die Berufung ohne mündliche Verhandlung


Gründe

1

Die [X.]eschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Verfahrensfehler liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Der [X.]hof hat die vom Kläger ohne Zulassung eingelegte [X.]erufung zu Recht als unzulässig verworfen. Das ergibt sich aus folgendem:

2

1. Das mit Schriftsatz vom 31. Mai 2010 eingelegte Rechtsmittel des [X.] kann - entgegen der Auffassung der [X.]eschwerde - nicht dahin ausgelegt werden, dass ein Antrag auf Zulassung der [X.]erufung gestellt war. Prozesshandlungen der [X.]eteiligten eines Rechtsstreits unterliegen zwar der Auslegung, zu der auch das Revisionsgericht ohne Einschränkung befugt ist. Die Auslegung hat den Willen des Erklärenden zu ermitteln. Dabei kommt es nicht auf den inneren, sondern auf den erklärten Willen an. Die Auslegung darf nicht am Wortlaut der Erklärung haften. Der maßgebende objektive Erklärungswert bestimmt sich danach, wie der Empfänger nach den Umständen, insbesondere der recht verstandenen Interessenlage, die Erklärung verstehen muss (Urteil vom 27. August 2008 - [X.]VerwG 6 C 32.07 - [X.] 310 § 124a VwGO Nr. 38 Rn. 23, [X.]eschlüsse vom 3. Dezember 1998 - [X.]VerwG 1 [X.] - [X.] 310 § 124a VwGO Nr. 6, juris Rn. 8 und vom 9. Februar 2005 - [X.]VerwG 6 [X.] 75.04 - juris Rn. 8). Danach ist nicht zweifelhaft, dass der Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des [X.] vom 31. Mai 2010 als [X.]erufung und nicht als Antrag auf Zulassung der [X.]erufung verstanden werden musste. Darin heißt es, dass gegen das Urteil des [X.] "[X.]erufung" eingelegt werde; auch ist das Schreiben (groß) mit "[X.]erufung" betitelt. Der [X.] enthält jedoch keine Anhaltspunkte für eine Absicht des Rechtsmittelführers, entgegen dieser eindeutigen Erklärung, die Zulassung der [X.]erufung beantragen zu wollen. Derartiges kann insbesondere nicht aus dem - zudem in [X.]erufungsverfahren üblichen - Hinweis gefolgert werden, dass Antragstellung und [X.]egründung einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten bleiben (vgl. [X.]eschluss vom 6. Januar 2009 - [X.]VerwG 10 [X.] 55.08 - juris Rn. 4).

3

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vorlageschreiben der stellvertretenden Urkundsbeamtin des [X.] vom 2. Juni 2010 an den [X.]hof in dem es heißt, dass gegen das Urteil vom 28. April 2010 "die zugelassene [X.]erufung eingelegt" worden sei. Maßgeblich ist, ob der Spruchkörper die [X.]erufung (nach § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO) zugelassen hat. Das ist hier nicht der Fall.

4

2. Entgegen der Auffassung des [X.] kann die mit [X.] vom 31. Mai 2010 erhobene [X.]erufung nach Ablauf der Antragsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO auch nicht (mehr) in einen Antrag auf Zulassung der [X.]erufung umgedeutet werden. Das entspricht ständiger Rechtsprechung des [X.]undesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Urteil vom 27. August 2008 a.a.[X.] Rn. 25, [X.]eschlüsse vom 29. Januar 1962 - [X.]VerwG 2 C 83.60 - [X.] 310 § 132 Nr. 27, vom 12. September 1988 - [X.]VerwG 6 C[X.] 35.88 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 83, vom 12. März 1998 - [X.]VerwG 2 [X.] 20.98 - [X.] 310 § 124a VwGO Nr. 2 = NVwZ 1999, 641, vom 15. September 2005 - [X.]VerwG 6 [X.] 54.05 - juris Rn. 6, vom 19. April 2010 - [X.]VerwG 9 [X.] 4.10 - juris Rn. 5 und vom 19. Juli 2011 - [X.]VerwG 4 [X.] 18.11 - juris Rn. 4). An diesem Ergebnis ändert der Schriftsatz vom 23. Juni 2010, nach welchem die "[X.]erufung" als "Antrag auf Zulassung der [X.]erufung" auszulegen sei, nichts, denn dieser ging erst am 24. Juni 2010 und damit nach Ablauf der Rechtsmittelfrist am 7. Juni 2010 beim [X.]hof ein.

5

3. Der [X.]eschluss, mit welchem der [X.]hof die [X.]erufung als unzulässig verworfen hat, verstößt entgegen der Ansicht des [X.] auch nicht gegen das im Rechtsstaatsprinzip enthaltene Gebot des fairen Verfahrens. Anders als in dem von dem Kläger angeführten, dem [X.]eschluss des [X.]undesverfassungsgerichts vom 15. April 2004 - 1 [X.]vR 622/98 - (NJW 2004, 2149) zugrunde liegenden Fall haben weder das Verwaltungsgericht noch der [X.]hof eine Vertrauensgrundlage dafür geschaffen, dass in der Sache entschieden werde. Das Verwaltungsgericht hat den Schriftsatz des [X.]evollmächtigten des [X.] vom 31. Mai 2010, der am 1. Juni 2010 bei ihm eingegangen war, am 2. Juni 2010 an den [X.]hof weitergeleitet, wo er am 4. Juni 2010 einging. Mit Schreiben vom 10. Juni 2010 hat der [X.]erichterstatter des [X.]hofs auf [X.]edenken gegen die Zulässigkeit der "[X.]erufung" und eine Umdeutung in einen Antrag auf Zulassung der [X.]erufung hingewiesen. Danach konnte der Kläger nicht davon ausgehen, dass das Gericht die Unzulässigkeit des Rechtsmittels nicht zur Grundlage seiner Entscheidung machen würde (vgl. [X.]eschluss vom 9. Februar 2005 a.a.[X.] juris Rn. 13). Das gilt umso mehr, als der (neue) [X.]erichterstatter mit Schreiben vom 29. Februar 2012 die [X.]eteiligten zur Möglichkeit der Entscheidung durch [X.]eschluss nach § 125 Abs. 2 VwGO angehört und die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Allein der Umstand, dass zwischen diesen beiden Schreiben etwa 20 Monate lagen, begründet - wie vorliegend - ohne das Hinzutreten weiterer Umstände keine Vertrauensgrundlage in Richtung auf eine Sachentscheidung.

6

4. Schließlich war es auch nicht verfahrensfehlerhaft, ohne mündliche Verhandlung über die [X.]erufung zu entscheiden. § 125 Abs. 2 Satz 2 VwGO sieht diese Möglichkeit ausdrücklich vor; die Norm ist mit höherrangigem Recht, insbesondere mit Art. 6 Abs. 1 [X.] vereinbar (Urteil vom 22. Januar 1998 - [X.]VerwG 2 C 4.97 - [X.] 310 § 161 VwGO Nr. 113, juris Rn. 13, [X.]eschlüsse vom 2. August 1995 - [X.]VerwG 9 [X.] 303.95 - [X.] 310 § 124 VwGO Nr. 26, juris Rn. 3 und vom 10. September 1998 - [X.]VerwG 8 [X.] 102.98 - [X.] 401.9 [X.]eiträge Nr. 40, juris Rn. 6; [X.], in: [X.], VwGO, 13. Aufl. 2010, § 125 Rn. 5, [X.]/[X.], VwGO, 18. Aufl. 2012, § 125 Rn. 4). Die insofern zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs erforderliche Anhörung der [X.]eteiligten nach § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO ist erfolgt.

Meta

4 B 30/12

10.01.2013

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 28. März 2012, Az: 15 B 10.1351, Beschluss

§ 125 Abs 2 S 2 VwGO, Art 6 Abs 1 MRK

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 10.01.2013, Az. 4 B 30/12 (REWIS RS 2013, 9149)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 9149

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