Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.12.2014, Az. StB 25/14

3. Strafsenat | REWIS RS 2014, 146

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

StB 25/14
vom
18. Dezember 2014
in dem Strafverfahren
gegen

wegen [X.] in einer ausländischen terroristischen Vereinigung
u.a.

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Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] sowie des Angeklagten und seiner Verteidiger am 18. Dezember 2014 gemäß § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 [X.] beschlossen:
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des [X.] vom 21. November 2014 wird [X.].
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:
[X.] Der Angeklagte befindet sich seit dem 17. November 2009 in Untersu-chungshaft, zunächst aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.] vom 16. November 2009 (4 [X.] 31/09), sodann, nachdem der [X.] unter dem 7. Dezember 2010 Anklage zum Oberlan-desgericht Stuttgart erhoben hatte, aufgrund des diesen ersetzenden Haftbe-fehls des [X.] vom 4. Januar 2011. Der Senat hat im Haftprüfungsverfahren nach §§ 121 ff. [X.] mit Beschlüssen vom 17. Juni 2010 ([X.]), 28. Oktober 2010 ([X.]) und 8. Februar 2011 ([X.]) jeweils die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Das Oberlandesge-richt hat mit Beschluss vom 1. März 2011 die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Dem Angeklagten werden Straftaten vorgeworfen, die er im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als 1. Vizepräsident der "Forces
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Démocratiques de Libération de Rwanda" (im Folgenden: [X.]), einer vor [X.] im Osten der [X.] (im Folgenden: [X.]) [X.] paramilitärischen Milizenorganisation, begangen haben soll. Die Hauptverhandlung hat am 4. Mai 2011 begonnen und dauert derzeit noch an. Der Angeklagte hat während der laufenden Hauptverhandlung mehrfach mit unterschiedlicher Begründung beantragt, den Haftbefehl aufzuheben, hilfsweise außer Vollzug zu setzen. Diese Anträge hat das [X.] durch [X.] vom 21. Dezember 2011, 29. Juni 2012, 26. November
2012, 24. Juni 2013, 9. Dezember 2013 und 14. August 2014 zurückgewiesen. Insbesondere in seinem Beschluss vom 9. Dezember 2013 hat es ausführlich dargelegt, dass -
insoweit über den [X.] und die Wertung in dem Haftbefehl vom 4.
Januar 2011 hinaus -
nach dem Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme gegen den Angeklagten der dringende Tatverdacht nicht nur der Mitgliedschaft, sondern der [X.] in einer terroristischen Vereinigung im Ausland bestehe. Danach gehörte der Angeklagte nach dem zu würdigenden [X.] bis zu seiner Verhaftung im November 2009 zu den Führungspersonen der [X.], trat als solche nach außen und innen in Erscheinung und hatte eine Stelle mit beträchtlichem Einfluss innerhalb der Organisation inne. Er war be-reits bei der Gründungsversammlung der [X.] anwesend und in der Folgezeit als deren Repräsentant in [X.] tätig. 2005 wurde er auf Vorschlag des [X.], des Präsidenten der [X.] Dr. M.

, zum [X.]en gewählt. Er war den höheren [X.]-Mitgliedern in der Regel als einer der Führer der Vereinigung bekannt. Seine Tätigkeit war vor allem für die
Außenwirkung der Organisation besonders wichtig. Als 1. Vizepräsident war er der Vertreter des Mitangeklagten und hatte diesen im Falle der Abwesenheit oder sonstigen Verhinderung zu vertreten. Er war hierzu auch bereit, falls die-ser seine Absicht, "sich in den Wald zu begeben," verwirklicht hätte. Es wurde im Jahre 2009 konkret besprochen, in welcher Weise sich der Angeklagte hie--
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rauf vorbereiten und welche Aufgaben er schon damals zur Vorbereitung eines reibungslosen Führungswechsel übernehmen solle. Er hatte den Mitangeklag-ten bereits bei dessen früheren Besuchen in der [X.] vertreten. Als [X.] war er Mitglied des Haupt-
sowie des Exekutivkomitees der [X.] und besetzte somit eine Schlüsselposition in der Organisation. Das Hauptkomitee traf die wesentlichen inhaltlichen und personellen Entscheidungen und war deshalb das wichtigste tatsächlich tagende Entscheidungsorgan der [X.]. Der Angeklagte bereitete etwa die Themen der [X.] im [X.] vor und formulierte sie aus. Er wirkte auch im Übrigen als Mitglied des aus nur vier Personen bestehenden [X.] Teils des [X.] in enger Abstimmung mit den im Osten der [X.] tagenden weiteren Mitgliedern an den Entscheidungen und Empfehlungen mit. Darüber hinaus war der Ange-klagte etwa für die Kontrolle der Aktivitäten, die mit politischer Mobilisation, Fi-nanzen, Diplomatie und Verwaltung im Zusammenhang standen, zuständig und insoweit auch tätig. Bei Veranstaltungen trat er öffentlich als 1. Vizepräsident auf. Er beteiligte sich an der Ausarbeitung von Gesetzestexten und sonstigen Texten der [X.] und verwaltete die von ihm entworfene Homepage der Orga-nisation.
Er beschäftigte sich intensiv mit der Finanzierung der [X.] und nahm auf deren Presserklärungen Einfluss. Er arbeitete insgesamt eng mit dem [X.] zusammen, der der Meinung des Angeklagten Gewicht beimaß und aufgrund der großen faktischen Bedeutung des vom Angeklagten ausgeüb-ten Amtes in der Organisation keine Zweifel hatte, dass der Angeklagte als Präsident akzeptiert werde, falls er selbst an der Ausübung dieser Funktion ge-hindert sein sollte. In seinem Beschluss vom 14. August 2014 hat das Oberlan-desgericht unter erneuter vorläufiger Würdigung der Ergebnisse der bisherigen Beweisaufnahme u.a. gestützt auf zahlreiche Zeugenaussagen substantiiert dargelegt, dass die [X.] nach dem Stand der Beweisaufnahme als [X.] im Ausland anzusehen sei. Danach waren ihr Zweck bzw. -
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ihre Tätigkeiten auf die Begehung von Straftaten nach § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB gerichtet, insbesondere Plünderungen anlässlich sogenannter [X.] sowie Tötungen von Zivilpersonen und Inbrandsetzen von deren Häusern, geschehen etwa bei den Angriffen auf [X.], [X.],
[X.] und [X.]. Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt der Senat auf den Inhalt dieser beiden Beschlüsse und aller weiteren genannten Entschei-dungen Bezug.
Die Verteidigung des Angeklagten hat mit [X.] vom 5. November 2014 erneut die Aufhebung des Haftbefehls, hilfsweise dessen Außervoll-zugsetzung, beantragt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, ein weiterer Vollzug der Untersuchungshaft sei mit Blick auf eine mögliche Straferwartung sowie die zu erwartende weitere Verfahrensdauer, für die der Angeklagte nicht verantwortlich sei, nicht mehr verhältnismäßig. Der [X.] hat sich mit [X.] vom 18. November 2014 gegen den [X.] gewandt und dabei Ausführungen zum dringenden Tatverdacht und den [X.] gemacht. Die weitere Untersuchungshaft stehe zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe nicht außer Verhältnis. Das [X.] hat den Antrag der Verteidigung mit Beschluss vom
21. November 2014 zurückgewiesen. Hinsichtlich des dringenden Tatverdachts hat es auf seine bisherigen Haftentscheidungen, insbesondere die Beschlüsse vom [X.] 2013 und 14. August 2014, Bezug genommen. Die weitere Beweisaufnah-me sei nicht geeignet,
den dringenden Tatverdacht zu vermindern oder gar zu entkräften. Es bestehe nach wie vor der Haftgrund der Fluchtgefahr. Die [X.] sei -
auch unter Berücksichtigung ihrer bisherigen
Dauer
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vor allem im Hinblick auf die Komplexität der Sache sowie die zu erwar-tende Strafe noch gerechtfertigt. Diese werde im Falle der Verurteilung nach derzeitigem Stand sehr wahrscheinlich zumindest im mittleren Bereich des 2
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Strafrahmens des § 129a Abs. 4 StGB liegen, der von drei bis fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe reicht. Das Verfahren sei an den bisherigen 265 Verhandlungs-tagen, die grundsätzlich zweimal wöchentlich und nahezu durchgängig ganztä-tig stattfänden, trotz seiner Komplexität und seines [X.] mit den daraus resultierenden zahlreichen
Rechtshilfeersuchen und logistischen Her-ausforderungen von Seiten des [X.]s mit der gebotenen Be-schleunigung betrieben worden. [X.], etwa wegen der notwendigen Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers für den Mitangeklag-ten Dr.
M.

, weil einer von dessen Verteidigern seit Mai 2014 nicht mehr an der Hauptverhandlung teilgenommen hatte, seien auch auf das pro-zessuale Verhalten des Angeklagten Mu.

und seiner Verteidigung zurückzu-führen, die zum Beispiel in diesem Zusammenhang mehrere mit der Besorgnis der Befangenheit begründete Ablehnungsgesuche gestellt hätten. Nach Ein-schätzung des [X.]s sei die Vernehmung von Zeugen sowie die Einführung von Erkenntnissen aus der Überwachung der Telekommunikation weitestgehend abgeschlossen. Es sei davon auszugehen, dass die restliche Beweisaufnahme sowie die Bescheidung zahlreicher Beweisanträge der [X.] beider Angeklagter Anfang 2015 beendet werden könne.
Mit ihrer Beschwerde vom 24. November 2014, ergänzend begründet unter dem 28. November 2014, macht die Verteidigung weiterhin vor allem gel-tend, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stehe dem weiteren Vollzug der Untersuchungshaft entgegen. Auch sei die Begründungstiefe der Entscheidung des [X.]s unzureichend. Das [X.] sei kein ausreichender Grund für die Fortdauer der Haft. Die Prognose des Oberlan-desgerichts bezüglich der weiteren Dauer der Hauptverhandlung sei in der Sa-che unzutreffend und für die Untersuchungshaft ohne Belang. Das Oberlan-desgericht hat der Beschwerde gemäß Vermerk vom 25. November 2014 nicht 3
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abgeholfen und dabei unter Anführung konkreter Vorgänge u.a. darauf [X.], dass eine größere Zeiträume umfassende Ankündigung des [X.] vor allem aufgrund des Verhaltens der Verteidigung weder sinnvoll noch angezeigt sei. Der [X.] hat beantragt, die Beschwerde zu verwerfen. Er ist u.a. der Ansicht der Verteidigung entgegengetreten, wo-nach der Tatvorwurf sich im Verlauf der Hauptverhandlung reduziert habe, und hat im Einzelnen dargelegt, dass die weitere Untersuchungshaft nach wie vor zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe nicht außer [X.] stehe.
I[X.] Die zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.
1. Gegen den Angeklagten besteht der -
von der Verteidigung in diesem Beschwerdeverfahren nicht substantiiert angegriffene -
dringende Tatverdacht der [X.] in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§
129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129b Abs. 1 StGB).
a) Nach der Rechtsprechung des Senats unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, im [X.] nur in eingeschränk-tem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht ([X.], Beschlüsse vom 28. August 2014 -
StB 22/14, juris Rn.
5; 8. Oktober 2012 -
StB 9/12, [X.], 16, 17; 7.
August 2007 -
StB 17/07, juris Rn. 5; 19. Dezember 2003 -
StB 21/03, [X.]R [X.] § 112 Tatverdacht 3 mwN). Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten [X.] noch fortbesteht oder dies nicht der Fall ist. Das Beschwerdegericht hat 4
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demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme.
b) Bei Anwendung dieses [X.] hat das [X.] insbesondere in seinem umfangreichen Beschluss vom 14. August 2014 aus-reichend dargelegt, dass die Ergebnisse der bisherigen Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung einen dringenden Tatverdacht dahin belegen, dass die [X.] im Tatzeitraum eine ausländische terroristische Vereinigung darstellte, deren Zwecke und Tätigkeit darauf gerichtet waren, unter anderem nicht ge-rechtfertigte Tötungsdelikte zum Nachteil von Zivilisten und damit Katalogtaten nach § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB zu begehen. Darüber hinaus hat es vor allem in seinem Beschluss
vom 9. Dezember 2013 ebenfalls in genügender Weise Aus-führungen gemacht, welche die Annahme tragen, der Angeklagte habe mit ho-her Wahrscheinlichkeit innerhalb der [X.] eine maßgebliche Führungsrolle innegehabt und bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeiten
der [X.] ausgeübt, mithin als Rädelsführer im Sinne des § 129a Abs. 4 StGB (vgl. [X.], Urteil vom 16. Februar 2012 -
3 [X.], [X.]St 57, 160, 161 f.) gehandelt. Auf diese Entscheidungen nimmt der angefochtene Beschluss in zulässiger Weise
Bezug. Die Anforderungen an die Begründungstiefe der in laufender [X.] ergehenden Haftentscheidungen sind damit insoweit gewahrt.
2. Das [X.] ist weiter zutreffend davon ausgegangen, dass bei dem Angeklagten neben dem Haftgrund des §
112 Abs. 3 [X.] auch der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß §
112 Abs. 2 Nr.
2 [X.] weiterhin vor-liegt. Dem nach wie vor insbesondere aus der erheblichen Straferwartung fol-genden erheblichen Fluchtanreiz stehen weiterhin keine ausreichend belastba-ren privaten Bindungen und [X.] Beziehungen des Angeklagten in [X.] gegenüber. Zu berücksichtigen ist dabei etwa die Scheidung des 7
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Angeklagten von seiner Ehefrau. Außerdem war er vor seiner Festnahme ohne Arbeit und besitzt in [X.] keinen gesicherten ausländerrechtlichen [X.]. Demgegenüber verfügt der Angeklagte aufgrund seiner früheren Betäti-gung für die [X.] über zahlreiche Kontakte im [X.] und außereuro-päischen Ausland, die er dazu nutzen könnte, um sich dem Verfahren zu ent-ziehen. Dieser Wertung stehen die von der Verteidigung vorgetragenen Ge-sichtspunkte, insbesondere der Umstand, dass der Angeklagte zwei Kinder hat, die in [X.] leben, nicht entgegen. Die gegebenen Umstände schließen ebenfalls eine Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls nach §
116 Abs. 1 [X.] aus.

3. Die Fortdauer der nunmehr bereits mehr als fünf Jahre andauernden Untersuchungshaft ist mit Blick auf die Besonderheiten des vorliegenden [X.] immer noch verhältnismäßig

120 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Insoweit gilt:

a) Bei Anordnung und Fortdauer der Untersuchungshaft ist das in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit in besonderer Weise zu beachten. Der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung, die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 [X.] ausdrücklich hervorgehoben ist, nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erschei-nenden Freiheitsbeschränkungen der Freiheitsanspruch des noch nicht rechts-kräftig verurteilten Angeklagten als Korrektiv gegenübergestellt werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zu-kommt.
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Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht nur für die Anordnung, son-dern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung. Er verlangt, dass die Dauer der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zur erwarteten Strafe steht, und setzt ihr auch unabhängig vom Tatvorwurf und von der Straf-erwartung Grenzen. Das Gewicht des Freiheitsanspruchs vergrößert sich ge-genüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung regelmäßig mit zu-nehmender Dauer der Untersuchungshaft. Daraus folgt zum einen, dass die Anforderungen an die [X.] in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft steigen. Zum anderen nehmen auch die Anforderungen an den die [X.] rechtfertigenden Grund zu.
Das verfassungsrechtlich verankerte Beschleunigungsgebot in
Haftsa-chen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle mögli-chen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entschei-dung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. An den zügigen Fortgang des Verfahrens sind dabei umso strengere Anforderun-gen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert. Zur [X.] eines geordneten Strafverfahrens und einer Sicherstellung der späteren Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft deshalb nicht mehr als notwen-dig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verfahrensver-zögerungen verursacht ist. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Grundrechtsschutz auch durch die Verfahrensgestaltung zu bewirken ist. Auch das Verfahren der Haftprüfung und Haftbeschwerde muss deshalb so ausgestaltet sein, dass nicht die Gefahr einer Entwertung der materiellen Grundrechtsposition aus Art.
2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG besteht. Dem ist vor allem durch erhöhte Anforderungen an die Begrün-dungstiefe von [X.]entscheidungen Rechnung zu tragen. Die mit [X.] betrauten Gerichte haben sich bei der zu treffenden Entscheidung über 11
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die Fortdauer der Untersuchungshaft mit deren Voraussetzungen eingehend auseinander zu setzen und diese entsprechend zu begründen. In der Regel sind in jedem Beschluss über die Anordnung der Fortdauer der Untersu-chungshaft aktuelle Ausführungen zu dem weiteren Vorliegen ihrer Vorausset-zungen, zur Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit sowie zur Frage der [X.]mäßigkeit geboten, weil sich die dafür maßgeblichen Umstände ange-sichts des Zeitablaufs in ihrem Gewicht verschieben können. Bei der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch und dem Strafverfolgungsinteresse kommt es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an, die etwa von der Komplexität der Rechtssache, der [X.] der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung abhängig sein kann. Dies macht eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des [X.] erforderlich.
Zu würdigen sind auch die voraussichtliche Gesamtdauer des Verfah-rens und die für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehende [X.]. Die zugehörigen Ausführungen müssen in Inhalt und Umfang eine Überprüfung des [X.] am Grundsatz der [X.] nicht nur für den Betroffenen selbst, sondern auch für das die Anordnung treffende Fachgericht im Rahmen einer Eigenkontrolle gewährleisten und in sich schlüssig und nachvollziehbar sein (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Beschluss vom 17.
Januar 2013 -
2 BvR 2098/12 mwN, juris Rn. 39 ff.; [X.], Beschluss vom 19. März 2013 -
StB 2/13, juris Rn.
12 ff.).
b) Daran gemessen ist der Haftbefehl gegen den Angeklagten aufrecht-zuerhalten und die Untersuchungshaft weiter zu vollziehen.
aa) Gegen den Angeklagten besteht der dringende Verdacht einer ge-wichtigen Straftat. Diese ist mit einer Freiheitsstrafe von drei bis fünfzehn Jah-13
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ren bedroht und wiegt auch mit Blick auf die konkret gegebenen Umstände schwer.
bb) Die besondere rechtliche und tatsächliche Komplexität des vorlie-genden Verfahrens liegt auf der Hand: Der Prozess ist einer der ersten in der Bundesrepublik [X.], der Vorwürfe nach dem [X.] zum Gegenstand hat, sodass sich eine gesicherte Rechtsprechung zu den sich stellenden Rechtsfragen noch nicht gebildet hat. In tatsächlicher Hinsicht sind zwei die Vorwürfe zumindest weitgehend bestreitende Angeklagte betroffen, so dass deren vielfältige, in einem längeren Zeitraum ausgeübte Tätigkeiten für die
[X.] aufzuklären sind. Daneben ist über zahlreiche Geschehnisse Beweis zu erheben, die sich überwiegend im Osten der [X.] ereigneten. Die erheblichen organisatorischen Schwierigkeiten, die mit einer solchen umfangreichen Be-weisaufnahme verbunden sind, sind ebenfalls offensichtlich. So müssen die Zeugen entweder in aufwändiger Weise zum Prozessort nach [X.] und dort vernommen werden, oder ihre Aussagen in anderer Weise, et-wa durch in ihrer Heimat in [X.] durchzuführende Videovernehmungen, in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Dass die damit
verbundenen [X.] besonders zeitintensiv sind und die Hauptverhandlung ver-längern, liegt ebenfalls in der Natur der Sache. Bereits diese Umstände [X.] eine außergewöhnlich zeit-
und arbeitsintensive Vor-
und Nachbereitung der [X.]. Trotz dieser erheblichen Belastungen für die Verfahrensbeteiligten sind konkrete Anzeichen dafür, dass das Oberlandesge-richt, das seit Prozessbeginn regelmäßig mehrmals wöchentlich verhandelt hat, das Beschleunigungsgebot missachtet hätte, weder mit der Beschwerde vorge-tragen noch sonst ersichtlich. Der Senat verweist insoweit auf seine Ausführun-gen in dem Beschluss vom 8. Oktober 2012 (StB 9/12, juris Rn.
15 f.), die nach wie vor gelten. Das [X.] ist vielmehr ersichtlich
darum bemüht, das Verfahren in einem überschaubaren Zeitraum abzuschließen. Dass dies 16
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bisher trotz mehr als drei Jahre andauernder Hauptverhandlung nicht gelungen ist, liegt neben dem Umfang des [X.] jedenfalls auch an dem Verhal-ten der Verteidigung, die etwa Zeugen über mehrere Verhandlungstage hinweg befragt sowie eine Vielzahl von Beweis-
und sonstigen Verfahrensanträgen ge-stellt hat, deren sachgerechte Bearbeitung Zeit in Anspruch nimmt und das [X.] verlängert. Diese Umstände sind bei der Prüfung der Fortdauer der [X.] sowohl nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-richts ([X.], Beschluss vom 23. Januar 2008 -
2 BvR 2652/07, [X.], 198 f.), als auch nach derjenigen des [X.] ([X.], Entscheidung vom 6. November 2014 -
Application no. 67522/09 Ereren gegen [X.], Rn.
61) und des Senats (vgl. auch inso-weit etwa schon den in diesem Verfahren ergangenen Beschluss vom 8.
Oktober 2012 -
StB 9/12, juris Rn.
15 f.) zu berücksichtigen, ohne dass es hier insoweit entscheidend darauf ankommt, ob es sich noch um [X.] [X.] handelt oder die Grenzen zulässiger Verteidigung bereits überschritten sind. Der Senat enthält sich deshalb hier einer diesbezüg-lichen Bewertung der ihm in diesem Beschwerdeverfahren unterbreiteten, von den Verfahrensbeteiligten, insbesondere dem [X.] und der Verteidigung, unterschiedlich beurteilten Vorgänge.
cc) Soweit weiter das voraussichtliche Ende des Verfahrens von Bedeu-tung ist (vgl. etwa [X.], Beschluss vom 16. April 2013 -
StB 6/13, Rn.
11), ist anzunehmen, dass die Prognose des [X.]s, die Hauptverhand-lung zu Beginn des Jahres 2015 abschließen zu können, bei allen Unwägbar-keiten, die mit Prognosen notwendigerweise verbunden sind, auf einer tragfähi-gen Grundlage beruht. Dies gilt auch mit Blick darauf, dass das Oberlandesge-richt mittlerweile Verhandlungstermine bis zu den Osterferien bestimmt hat, allerdings ohne bis dahin ein vollständiges Beweisprogramm vorzugeben.
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dd) Schließlich ist die Gesamtdauer der Untersuchungshaft auch vor dem Hintergrund der im Raum stehenden Straferwartung und einer möglichen Reststrafenaussetzung zur Bewährung noch nicht unverhältnismäßig. Das [X.] hat insoweit zuletzt ausgeführt, die zu erwartende Strafe bewege sich zumindest im mittleren Bereich des Strafrahmens des § 129a
Abs.
4 StGB; nach dieser vorläufigen und nachvollziehbaren Einschätzung liegt sie mithin zumindest bei etwa neun Jahren. Anhaltspunkte dafür, dass die be-sonderen Voraussetzungen für eine Aussetzung des Strafrests bereits nach deren hälftiger Verbüßung (§ 57 Abs. 2 StGB) vorliegen, sind nicht ersichtlich. Somit käme allenfalls eine Aussetzung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe (§ 57 Abs. 1 StGB) in Betracht. Der hierfür maßgebende Zeitpunkt ist noch nicht erreicht.

[X.] Schäfer Spaniol
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Meta

StB 25/14

18.12.2014

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.12.2014, Az. StB 25/14 (REWIS RS 2014, 146)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 146

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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3 StR 243/11

2 BvR 2098/12

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