Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.04.2022, Az. VII ZR 285/21

7. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 2571

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Haftung des Automobilherstellers in einem sog. Dieselfall: Deliktische Vorteilsausgleichung bei einem geleasten Fahrzeug


Leitsatz

Im Rahmen der deliktischen Vorteilsausgleichung entspricht der Wert der während der Leasingzeit erlangten Nutzungsvorteile eines Kraftfahrzeugs grundsätzlich der Höhe nach den vereinbarten Leasingzahlungen. Der Wertverlust des Fahrzeugs während der Leasingzeit ist kein geeigneter Maßstab zur Bemessung des Nutzungsvorteils (Fortführung von BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 192/20, NJW 2022, 321).

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 18. Zivilsenats des [X.] vom 25. Februar 2021 aufgehoben. Die Berufung des [X.] gegen das Urteil der 19. Zivilkammer des [X.] vom 10. Juli 2020 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die beklagte [X.] wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Mit Vertrag vom 13. Februar/29. Mai 2015 leaste der Kläger von der [X.] ein von der [X.] hergestelltes Kraftfahrzeug des Typs [X.] als Gebrauchtwagen mit einer Laufleistung von 7.378 km. [X.] leistete er in der Folgezeit eine Einmalzahlung in Höhe von 5.000 € sowie 34 monatliche Zahlungen zu je 254,92 €. Die Vertragsbedingungen schlossen den Erwerb des Fahrzeugs nach Ablauf der Leasingzeit aus.

3

In dem Fahrzeug ist ein von der [X.] hergestellter Dieselmotor des Typs [X.] verbaut. Dieser enthielt eine Steuerungssoftware, die das Durch-fahren des [X.] erkannte und in diesem Fall einen geringeren [X.] als im Normalbetrieb bewirkte, was im September 2015 öffentlich bekannt wurde.

4

Im März 2018 erwarb der Kläger das Fahrzeug bei einem Kilometerstand von 69.065 zum Preis von 16.945,60 € von der Leasinggesellschaft. Zuvor war ein auf Veranlassung des [X.] von der [X.] entwickeltes Software-Update aufgespielt worden, durch das die genannte Steuerungssoftware beseitigt wurde.

5

Der Kläger hat die Beklagte in den Vorinstanzen zuletzt auf Erstattung der von ihm auf 13.676 € bezifferten Leasingzahlungen nebst Prozesszinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 5.919,73 € in Anspruch genommen. Zudem hat er die Feststellung beantragt, dass der Zahlungsanspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der [X.] herrühre, und die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt.

6

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des [X.] hat das [X.] die Beklagte unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung verurteilt, an den Kläger 2.111,55 € nebst Prozesszinsen zu zahlen und ihn von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 334,75 € freizustellen. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der [X.], mit der sie die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils anstrebt.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision ist begründet.

I.

8

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner in juris veröffentlichten Entscheidung (Aktenzeichen: 18 U 138/20), soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

9

Dem Kläger stehe dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Sein Schaden liege im ungewollten Abschluss des Leasingvertrags, der unvernünftig gewesen sei, da aufgrund der Motorsteuerungssoftware eine Untersagung oder Einschränkung des [X.] gedroht habe. Der Kauf des Fahrzeugs nach Aufdeckung des "Dieselskandals" und Aufspielen des Software-Updates lasse weder den Schaden entfallen noch indiziere er, dass der Abschluss des Leasingvertrags nicht auf der Täuschung über die Ordnungsgemäßheit des Fahrzeugs beruht habe.

Der Kläger könne im Ausgangspunkt die Erstattung der von ihm auf den Leasingvertrag erbrachten Leistungen in Höhe von 13.667,28 € (5.000 € + 34 x 254,92 €) verlangen. Hiervon sei jedoch unter dem Gesichtspunkt des Vorteilsausgleichs der Wert der vom Kläger während der Leasingzeit gezogenen [X.] abzuziehen. Dieser decke sich entgegen der Ansicht des [X.] nicht mit den [X.]. Er sei entgegen der Ansicht des [X.] auch nicht wie beim Kauf durch lineare Abschreibung des Kaufpreises über die Restnutzungsdauer im Erwerbszeitpunkt zu ermitteln. Der Wert der Nutzungen entspreche vielmehr dem Wertverlust des Fahrzeugs während der Leasingzeit. Dieser belaufe sich auf 11.555,73 € entsprechend der Differenz zwischen dem Einkaufspreis der Leasinggesellschaft, der 28.501,33 € betragen habe, und dem vom Kläger gezahlten Kaufpreis von 16.945,60 €. Es verbleibe ein dem Kläger zu ersetzender Schaden in Höhe von 2.111,55 €.

Die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung sei unbegründet.

II.

Das hält rechtlicher Nachprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.

1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann der Kläger keinen Schadensersatz für die auf den Leasingvertrag erbrachten Aufwendungen verlangen. Dies folgt jedenfalls daraus, dass der Wert der während der Leasingzeit vom Kläger gezogenen, im Wege des Vorteilsausgleichs auf die [X.] anzurechnenden Nutzungen der Höhe nach - wie bereits vom [X.] angenommen - den Zahlungen entspricht.

a) Nach den im Bereich des [X.] entwickelten, auf dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) beruhenden Grundsätzen der Vorteilsausgleichung sind dem Geschädigten in gewissem Umfang diejenigen Vorteile anzurechnen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zufließen. Es soll ein gerechter Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden. Der Geschädigte darf im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht besser gestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Allerdings sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, das heißt dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet. Vor- und Nachteile müssen bei wertender Betrachtungsweise gleichsam zu einer Rechnungseinheit verbunden sein (st. Rspr.; [X.], Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 Rn. 65, [X.]Z 225, 316; Urteil vom 16. September 2021 - [X.] Rn. 38, NJW 2022, 321; jeweils m.w.N.). Die Grundsätze der Vorteilsausgleichung gelten auch für einen Anspruch aus sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß § 826 BGB. Auch ein solcher Anspruch ist um die [X.] zu kürzen, die dem Geschädigten in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind ([X.], Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 Rn. 64 ff., [X.]Z 225, 316; Urteil vom 16. September 2021 - [X.] Rn. 38, NJW 2022, 321; jeweils m.w.N.).

Die Bemessung der Höhe eines Schadensersatzanspruchs - und damit des auf den Schaden anzurechnenden Vorteils - ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter erhebliches Vorbringen der Parteien unberücksichtigt gelassen, Rechtsgrundsätze der [X.] verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (st. Rspr.; siehe nur [X.], Urteil vom 16. September 2021 - [X.] Rn. 39 m.w.N., NJW 2022, 321).

b) Das Berufungsgericht hat seiner Schätzung des während der Leasingzeit erlangten [X.] einen unrichtigen Maßstab zugrunde gelegt, indem es den Wert der Nutzungen mit dem Wertverlust des Fahrzeugs während der Leasingzeit gleichgesetzt hat.

aa) Wie der erkennende Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, entspricht der im Rahmen der deliktischen Vorteilsausgleichung anzurechnende Wert der Nutzung eines geleasten Kraftfahrzeugs grundsätzlich den vertraglich vereinbarten [X.] ([X.], Urteil vom 16. September 2021 - [X.] Rn. 40 ff., NJW 2022, 321). Der Leasingnehmer erwirbt - anders als ein Käufer - die Möglichkeit, das Fahrzeug über einen konkreten Zeitraum zu bestimmten, mit dem Leasinggeber vereinbarten Bedingungen zu nutzen. Diese besondere Art der Fahrzeugnutzung hat einen eigenen, grundsätzlich zeitraumbezogenen Wert, der den [X.] anrechenbar gegenübersteht und für den der vereinbarte [X.] einen tauglichen Anhaltspunkt bildet. Kann der Leasingnehmer das Fahrzeug - wie der Kläger - über die gesamte Leasingzeit ohne wesentliche Einschränkung nutzen, hat er den Vorteil, auf den der Abschluss des Leasingvertrags gerichtet war, in vollem Umfang realisiert. Der Vorteil kompensiert in diesem Fall den gesamten mit den [X.] verbundenen finanziellen Nachteil ([X.], Urteil vom 16. September 2021 - [X.] Rn. 44 f., NJW 2022, 321).

bb) Dass der objektive Leasingwert, auf den es nach dem Gesagten für die Vorteilsanrechnung ankommt (vgl. [X.], Urteil vom 16. September 2021 - [X.] Rn. 47, NJW 2022, 321), im Streitfall geringer gewesen wäre als der zwischen den Vertragsparteien vereinbarte [X.], macht der Kläger nicht geltend und ist auch sonst nicht ersichtlich.

cc) Der vom Berufungsgericht herangezogene Wertverlust des Fahrzeugs während der Leasingzeit ist nicht zur Bemessung des [X.] geeignet. Der Wertverlust stellt keinen Vorteil dar, den der Leasingnehmer erlangt. Er entspricht nach dem Gesagten auch nicht dem Wert der leasingmäßigen Fahrzeugnutzung.

Ob eine Gleichsetzung des [X.] mit dem Wertverlust rechtsfehlerfrei wäre, wenn es nicht um das Leasing, sondern um den Kauf eines Fahrzeugs ginge, kann dahinstehen. Entsprechende Überlegungen zum Kauf beruhen auf der Prämisse, dass der arglistig getäuschte Käufer ohne die Täuschung ein anderes Fahrzeug erworben, für dieselbe Zeitspanne in derselben Weise genutzt und einen mit der Abnutzung verbundenen Wertverlust erlitten hätte (vgl. [X.], Urteil vom 2. Juli 1962 - [X.], NJW 1962, 1909, juris Rn. 7; Urteil vom 31. März 2006 - [X.] Rn. 13 a.E., [X.]Z 167, 108; vgl. auch [X.], Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 Rn. 82, [X.]Z 225, 316). Überträgt man diese Überlegung auf das Leasing, dann entspricht der Nutzungsvorteil nicht dem [X.], sondern den ersparten Aufwendungen für das hypothetische Leasing eines anderen, gleichwertigen Fahrzeugs. Da mangels entgegenstehender Anhaltspunkte davon auszugehen ist, dass diese Aufwendungen den tatsächlichen [X.] entsprochen hätten, ergibt sich auch insoweit ein Nutzungsvorteil in Höhe der Zahlungen.

dd) Ob eine abweichende, dem Fahrzeugkauf entsprechende Bemessung des [X.] dann angezeigt ist, wenn aufgrund der Vertragsgestaltung von vornherein feststeht, dass der Leasingnehmer das Fahrzeug nach Ablauf der Leasingzeit übernimmt (vgl. [X.], Urteil vom 16. September 2021 - [X.] Rn. 41, 42 a.E., NJW 2022, 321), kann dahinstehen, da eine solche Vertragsgestaltung im Streitfall ausgeschlossen war.

2. In Ermangelung eines auf die Erstattung der [X.] gerichteten Schadensersatzanspruchs kann der Kläger auch nicht Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangen, die durch die Geltendmachung des vermeintlichen Anspruchs entstanden sind.

III.

Der Senat kann gemäß § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden, weil die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

[X.]    

        

Sacher    

        

Borris

        

Brenneisen    

        

[X.]    

        

Meta

VII ZR 285/21

21.04.2022

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Köln, 25. Februar 2021, Az: I-18 U 138/20, Urteil

§ 31 BGB, § 242 BGB, § 826 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.04.2022, Az. VII ZR 285/21 (REWIS RS 2022, 2571)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 2571 MDR 2022, 956-957 REWIS RS 2022, 2571 WM 2022, 1607 REWIS RS 2022, 2571


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 18 U 138/20

Oberlandesgericht Köln, 18 U 138/20, 25.02.2021.


Az. VII ZR 285/21

Bundesgerichtshof, VII ZR 285/21, 21.04.2022.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VII ZR 783/21 (Bundesgerichtshof)

Haftung des Automobilherstellers in einem sog. Dieselfall: Deliktische Vorteilsausgleichung bei einem geleasten Fahrzeug


VII ZR 247/21 (Bundesgerichtshof)

Deliktischer Schadensersatzanspruch bei Leasing eines vom Dieselabgasskandals betroffenen Neuwagens: Berechnung und Vorteilsausgleichung


VI ZR 131/20 (Bundesgerichtshof)

Haftung eines Kfz-Herstellers im Dieselabgasskandal gegenüber Leasingnehmer und späterem Käufer des Fahrzeugs


VI ZR 466/19 (Bundesgerichtshof)

Diesel-Abgasskandal: Deliktische Vorteilsausgleichung bei einem geleasten Mercedes-Benz E 350 T CDI mit einem Dieselmotor Typ …


VII ZR 192/20 (Bundesgerichtshof)

Schadensersatzanspruch des Leasingnehmers in einem sog. Dieselfall: Vorteilsausgleichung bei vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung; Wert der während …


Referenzen
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.