Bundesgerichtshof, Urteil vom 02.07.2015, Az. 3 StR 157/15

3. Strafsenat | REWIS RS 2015, 8754

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Gegenstand

Verfall von Wertersatz: Bedeutung des Bruttoprinzips


Tenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 22. Dezember 2014 im Ausspruch über den Verfall von Wertersatz aufgehoben, jedoch bleiben die Feststellungen zum Umfang der von dem Angeklagten vereinnahmten Geldbeträge aufrecht erhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat, sowie gegen ihn den Verfall von Wertersatz in Höhe von 2.500 € angeordnet. Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das vom [X.] vertretene Rechtsmittel hat nur den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg, im Übrigen ist es unbegründet.

2

I. Nach den Feststellungen des [X.]s lernte der Angeklagte, der selbst [X.] Herkunft ist und in [X.] Kontakt zu vielen Landsleuten yezidischen Glaubens hat, in [X.] einen "[X.]" kennen, der ein Reisebüro betrieb und von dort aus die Weiterreise unter anderem auch von Flüchtlingen aus [X.] nach [X.] bzw. nach [X.] organisierte. Der Angeklagte kam mit "[X.]" überein, sich an solchen [X.] dergestalt zu beteiligen, dass er Personen vermittelte, die an einer solchen (illegalen) Einreise nach [X.] interessiert waren. Dazu nahm er von Familienangehörigen aus [X.] Aufträge entgegen und vermittelte sie an "[X.]", der dann selbst oder durch Dritte Kontakt zu den einzu[X.] Personen aufnahm und die weiteren Schritte zur Ermöglichung ihrer Einreise veranlasste. Dabei flogen die zu [X.] Personen zunächst von [X.] nach [X.], machten gegebenenfalls noch einen weiteren Flug innerhalb [X.], bevor sie auf dem Luftweg entweder nach [X.] oder [X.] reisten. Von dort wurden sie mit [X.], Taxis oder Bussen nach [X.] gebracht. Der Gruppierung um "[X.]", die sich zur fortgesetzten Begehung von [X.] zusammengetan hatte, gehörten neben "[X.]" und weiteren unbekannt gebliebenen Personen der Angeklagte und dessen in [X.] lebender [X.], der gesondert Verfolgte [X.], an.

3

Der Angeklagte, dem der Reiseweg im Wesentlichen bekannt war, fungierte als Ansprechpartner der Angehörigen in [X.], die er - nach Informationsbeschaffung bei "[X.]" - über den jeweiligen Stand der Reise informierte und denen er für Rückfragen zur Verfügung stand. Außerdem oblag ihm die Vereinnahmung des [X.], den die Auftraggeber nach geglückter Einreise an ihn oder eine von ihm beauftragte Person zu zahlen hatten und den er anschließend an den "[X.]" weiterleitete. Dem Angeklagten ging es nach den Feststellungen des [X.]s in erster Linie darum, den vor dem [X.] [X.] geflohenen Personen zu helfen; er fühlte sich aufgrund seines Ansehens und seiner Stellung in der yezidischen Gemeinde in [X.] verpflichtet, seinen Bekannten und Verwandten zur Seite zu stehen, die sich in großer Sorge um ihre Angehörigen befanden. Ein weiteres Motiv war indes auch, dass sich der Angeklagte von der Beteiligung an den Schleusungen eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang versprach, und dadurch seinen Lebensunterhalt aufbessern wollte. Feststellungen dazu, wie hoch der Anteil des Angeklagten an dem in jedem Fall zu zahlenden [X.] - in der Regel 9.000 - 10.000 € pro Person - war, hat die [X.] -außer im Fall 5, in dem der Angeklagte 500 € erhielt - nicht treffen können. Im Einzelnen kam es in den Monaten März und April 2014 zu den sechs abgeurteilten Schleusungshandlungen, mit denen insgesamt 21 Personen nach [X.] gebracht wurden. Der Angeklagte vereinnahmte dafür insgesamt jedenfalls 94.000 €, die er vollständig oder - gegebenenfalls nach Entnahme seines Anteils - teilweise an den "[X.] weiterleitete.

4

Die [X.] hat in den Fällen 1. - 4. und 6. der Urteilsgründe jeweils einen minder schweren Fall des gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern im Sinne von § 97 Abs. 2, Abs. 3 Alt. 2 [X.] angenommen und dabei wesentlich berücksichtigt, dass der Angeklagte in diesen Fällen Personen geholfen habe, die aus konkreter Gefahr für Leib und Leben vor dem [X.] [X.] geflohen waren. Zur Bestimmung des [X.] hat sie den Anteil des Angeklagten geschätzt und im Übrigen darauf abgestellt, dass er eine "Mitverfügungsgewalt" über den von ihm vereinnahmten [X.] nicht gehabt habe.

5

II. Soweit die Staatsanwaltschaft mit ihrem Rechtsmittel den Strafausspruch angreift, hat sie keinen Erfolg.

6

1. Die Beweiswürdigung, aufgrund derer das [X.] zu der Überzeugung von dem strafmildernd bewerteten Umstand gelangt ist, die [X.] hätten sich in den genannten fünf Fällen auf syrische Bürgerkriegsflüchtlinge bezogen, hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

7

Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ist die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denk- oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn das Tatgericht zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung stellt (st. Rspr.; vgl. zuletzt etwa [X.], Urteil vom 5. März 2015 - 3 [X.], juris Rn. 6). Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder gar naheliegend gewesen wäre.

8

Nach diesen Maßstäben zeigt die Beschwerdeführerin durchgreifende Mängel der Beweiswürdigung nicht auf, diese ist insbesondere nicht deshalb lückenhaft, weil die [X.] nicht erwogen habe, dass die Angaben des Angeklagten und die diese bestätigenden Zeugenaussagen zur Herkunft der eingeschleusten Ausländer auch unwahr gewesen sein könnten. Aus welchen Gründen sich dem [X.], das die durch Zeugenaussagen bestätigte Einlassung des Angeklagten für glaubhaft erachtet hat, die Erörterung dieser Hypothese hätte aufdrängen müssen oder diese Möglichkeit jedenfalls nahe gelegen hätte, erschließt sich nicht. Insbesondere lag es nicht nahe, dass es sich bei den eingeschleusten Personen anstatt um syrische Staatsangehörige um [X.] gehandelt haben könnte, denn in dem Fall wäre der gewählte Weg der Einreise - Flüge nach [X.] und von dort mit gefälschten [X.] nach [X.] - mit Blick auf den Umstand, dass [X.] Staatsangehörige gerichtsbekanntermaßen relativ unproblematisch jedenfalls ein Touristenvisum für die Bundesrepublik [X.] bekommen, ersichtlich zu teuer und umständlich gewesen. Soweit der [X.] Feststellungen zum aktuellen Aufenthaltsstatus der geschleusten Personen, zu Ermittlungen der Ausländerbehörde zu ihrer Herkunft und zu ihrem Aufenthaltsstatus in der [X.] vermisst, ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht, dass das [X.] die Beweiserhebung in der Hauptverhandlung auf entsprechende Beweismittel erstreckt hat; eine zulässige Aufklärungsrüge hat die Staatsanwaltschaft nicht erhoben. Schließlich musste sich das [X.] in der Beweiswürdigung auch nicht mit der Frage befassen, warum der Angeklagte sich nicht um eine legale Einreise der zu [X.] Personen bemühte; denn dies würde im Ergebnis dazu führen, dass sich die Tatbegehung an sich unter Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB in der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten auswirken würde. Das Fehlen einer solchen rechtsfehlerhaften Erwägung vermag keine Lücke in der Beweiswürdigung zu begründen.

9

2. Soweit sich die Beschwerdeführerin im Übrigen gegen die Strafzumessung des [X.]s wendet, zeigt sie Rechtsfehler ebenfalls nicht auf, sondern beschränkt sich im Wesentlichen auf die Vornahme einer eigenen Würdigung der [X.], die das [X.] angestellt hat. Damit kann sie im Revisionsverfahren keinen Erfolg haben. Soweit die [X.] zur Begründung der Annahme eines minder schweren Falles wesentlich darauf abgestellt hat, dass der Angeklagte mit seinen Taten Hilfe leisten wollte, mithin auch aus altruistischen Motiven handelte, ist dies - weil von den Feststellungen und einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung getragen -grundsätzlich nicht zu beanstanden (vgl. [X.], Urteil vom 30. April 2003 - 3 [X.], [X.], 351, 353).

III. Das Urteil kann indes zum Ausspruch über den Wertersatzverfall keinen Bestand haben.

Nach den Feststellungen vereinnahmte der Angeklagte [X.] in Höhe von 94.000 €. Der Umstand, dass er dieses Geld jedenfalls überwiegend an den "[X.]" in [X.] weiterleitete, rechtfertigt nicht die Bewertung, der Angeklagte habe dieses nicht erlangt; vielmehr hat das [X.] insoweit die Bedeutung und die Reichweite des bei der Verfallsentscheidung maßgeblichen Bruttoprinzips verkannt:

"Bruttoprinzip" bedeutet, dass nicht bloß der Gewinn, sondern grundsätzlich alles, was der Täter für die Tat oder aus ihr erhalten hat, für verfallen zu erklären ist. Bei der Berechnung des aus einem strafbaren Geschäft [X.] ist deshalb vom gesamten Erlös ohne Abzug der Kosten für die eigene Leistungserbringung und sonstiger Aufwendungen auszugehen. Die durch die Einführung des Bruttoprinzips angestrebte Folge, dass auch die Aufwendungen nutzlos sind, soll zur Verhinderung gewinnorientierter Straftaten - und insbesondere diese wollte der Gesetzgeber erfassen - beitragen. Würde lediglich der [X.] abgeschöpft, so wäre die Tatbegehung unter finanziellen Gesichtspunkten weitgehend risikolos. Diesen Präventionszweck - der Verfallsbetroffene soll das Risiko strafbaren Handelns tragen - hatte der Gesetzgeber im Auge, als er sich auf den Rechtsgedanken des § 817 Satz 2 BGB bezog und darauf abhob, dass das in ein verbotenes Geschäft Investierte unwiederbringlich verloren sein soll (vgl. [X.], Urteil vom 16. Mai 2006 - 1 StR 46/06, [X.]St 51, 65, 66 f. mwN).

Wirtschaftlich erlangt ist ein Gegenstand oder Wert im Sinne von § 73 Abs. 1 StGB, sobald dieser unmittelbar aus der Tat in die eigene Verfügungsgewalt des [X.] übergegangen ist. Beim [X.] im Sinne von § 73 Abs. 1 StGB handelt es sich um einen tatsächlichen Vorgang; auf zivilrechtliche Besitz- und Eigentumsverhältnissen zwischen mehreren Tatbeteiligten kommt es nicht an. Spätere [X.] können nur im Rahmen der Härtefallklausel des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB berücksichtigt werden ([X.] aaO, [X.] mwN).

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Angeklagte - entgegen der Bewertung durch die [X.] - nicht nur seinen (geschätzten) Gewinnanteil in Höhe von 2.500 €, sondern den gesamten von ihm vereinnahmten [X.] in Höhe von 94.000 € gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB erlangt. Mit der Übergabe des Geldes an ihn durch die Auftraggeber der Schleusungen oder die von ihm beauftragten "Treuhänder" wurde dieses Teil seines Vermögens. Dass er es nach den bandeninternen Vereinbarungen überwiegend nicht behalten durfte, sondern weiterzuleiten hatte, rechtfertigt gerade nicht die Annahme, er habe keine tatsächliche Verfügungsgewalt darüber gehabt.

Die Entscheidung über die Anordnung des Verfalls bedarf danach neuer Verhandlung und Entscheidung, auch zu der Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Weiterleitung des Geldes in die [X.] bei der Ermessensentscheidung nach § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB berücksichtigt werden kann. Die Feststellungen zum Umfang des von dem Angeklagten vereinnahmten [X.] sind von dem Rechtsfehler indes nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben.

Becker                          Pfister                          Mayer

                Gericke                         [X.]

Meta

3 StR 157/15

02.07.2015

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Verden, 22. Dezember 2014, Az: 2 KLs 9/14

§ 73 Abs 1 StGB, § 73a StGB, § 73c Abs 1 S 2 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 02.07.2015, Az. 3 StR 157/15 (REWIS RS 2015, 8754)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 8754

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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