Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.11.2023, Az. 2 StR 131/23

2. Strafsenat | REWIS RS 2023, 8686

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Hilfeleistung zum banden- und gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 24. November 2022, soweit es ihn betrifft, aufgehoben

a) im Schuldspruch im Fall [X.]) der Urteilsgründe,

b) im Strafausspruch

aa) im Fall [X.]) der Urteilsgründe,

[X.]) soweit eine Einzelstraffestsetzung im [X.]) der Urteilsgründe unterblieben ist,

cc) im [X.],

c) im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen, soweit die erweiterte Einziehung eines Betrages von 23.000 € angeordnet worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen banden- und gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in acht Fällen, davon in zwei Fällen im Versuch, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Außerdem hat es „die Einziehung des Wertes des durch die verfahrensgegenständlichen und andere Taten [X.]“ in Höhe von 42.000 € angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel erzielt den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

2

Das [X.] hat – soweit hier von Bedeutung – die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

1. Der Angeklagte war Teil eines in A.    bestehenden Schleusernetzwerks, das [X.] Staatsangehörigen dabei half, von [X.] nach [X.] oder in andere [X.] [X.] zu gelangen. Im Fall [X.]) der Urteilsgründe (Fall 21 der Anklage) beschloss er, der schwangeren                B.    sowie deren Ehemann und den beiden gemeinsamen Kindern zu helfen, nach [X.] auszureisen. Die Familie verfügte über [X.] Aufenthaltspapiere, die touristische Reisen in das [X.] gestatteten. Dem Angeklagten war jedoch bewusst, dass die Familie die [X.]n Reisedokumente zur Asylantragstellung nutzen wollte und einen dauerhaften Aufenthalt in [X.] beabsichtigte. Mit vom Angeklagten gebuchten Tickets traten die vier Personen am 7. Mai 2021 einen Flug nach [X.]    an. Von dort wurden sie durch einen vom Angeklagten beauftragten Fahrer nach [X.] verbracht, wo sie am Folgetag ankamen. Der Angeklagte erhielt als Gegenleistung für seine Hilfe die Pässe der Familie.

4

2. Der Angeklagte erlangte als Entlohnung für die dem Urteil zugrundeliegenden [X.] insgesamt 19.000 €. Hinsichtlich weiterer 23.000 € hat die [X.] die Voraussetzungen der erweiterten Einziehung nach § 73a Abs. 1 StGB angenommen. Hierzu hat sie festgestellt, dass der Angeklagte „Ende Oktober 2021 über Bargeld im Wert von mindestens 42.000 €“ verfügte, „das ebenfalls aus [X.] stammte und das der Mitangeklagte A.         für ihn verwahrte“.

II.

5

1. Die Überprüfung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung der Verurteilung im Fall [X.]) der Urteilsgründe. Die Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen banden- und gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1, § 97 Abs. 2 [X.] nicht. Es fehlt insoweit an einer beihilfefähigen Haupttat. Im Übrigen hat die Überprüfung des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

6

a) Die im Fall [X.]) der Urteilsgründe in das [X.] eingereisten Personen haben den Tatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 3 [X.] nicht verwirklicht. Ein Drittausländer, der über einen von einem (anderen) Mitgliedstaat der [X.] ausgestellten nationalen Aufenthaltstitel verfügt, macht sich nicht nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Nr. 3 [X.] strafbar, wenn er bereits bei der Einreise die Absicht hat, in [X.] einen dauerhaften Aufenthalt zu begründen (vgl. [X.], Urteil vom 26. Januar 2021 – 1 [X.], [X.]St 65, 257, 267 ff.). Für die Frage, ob eine Einreise im strafrechtlichen Sinne unerlaubt ist, ist nicht auf den für den konkreten Aufenthaltszweck im Einzelfall erforderlichen Aufenthaltstitel abzustellen, sondern allein auf das Vorliegen einer formell wirksamen Einreise- und Aufenthaltsgenehmigung (vgl. [X.], Urteile vom 27. April 2005 – 2 [X.], [X.]St 50, 105, 110 ff.; vom 26. Januar 2021 – 1 [X.], [X.]St 65, 257, 271). Über eine solche Einreise- und Aufenthaltsgenehmigung verfügten die in diesem Fall geschleusten Familienmitglieder.

7

b) Dem [X.] war ein Freispruch des Angeklagten in diesem Fall nicht möglich. Ergänzende Feststellungen, die zu einem strafbaren Verhalten des Angeklagten führen, erscheinen aus den vom [X.] in seiner Zuschrift dargestellten Gründen nicht gänzlich ausgeschlossen.

8

2. Der Einzelstrafausspruch unterfällt in dem aus der [X.] ersichtlichen Umfang der Aufhebung. Die [X.] hat für Fall [X.]) der Urteilsgründe (Fall 28 der Anklage) zwei voneinander abweichende Einzelstrafen ausgesprochen. Sie hat zudem versäumt, gegen den Angeklagten wegen der Verurteilung im [X.]) der Urteilsgründe (Fall 22 der Anklage) eine Einzelstrafe festzusetzen. Den – naheliegend auf ein Fassungsversehen zurückzuführenden – Fehler vermag der [X.] nicht selbstständig zu korrigieren. Dies wäre nur möglich, wenn offensichtlich wäre, welche Einzelstrafe dem [X.]) der Urteilsgründe und welche Einzelstrafe dem Fall [X.]) der Urteilsgründe zuzuordnen wäre. Dies gelingt hier jedoch nicht, da die chronologische Ordnung der Einzelstrafen (vgl. [X.]) nicht durchgehalten wird und auch im Übrigen kein eindeutiges Muster erkennbar ist, nach welchem die [X.] die Einzelstrafen zugemessen hat.

9

3. Die Aufhebung des Falles [X.]) der Urteilsgründe und des Strafausspruchs in den [X.]) und [X.]) der Urteilsgründe entzieht dem [X.] die Grundlage.

4. Die Einziehungsentscheidung hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand, soweit gegen den Angeklagten neben der Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 19.000 € die erweiterte Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 23.000 € nach § 73a Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB angeordnet worden ist.

Die [X.] hat nicht bedacht, dass nach der Rechtsprechung des [X.] Voraussetzung für die erweiterte Einziehung gemäß § 73a Abs. 1 StGB ist, dass die einzuziehenden Vermögenswerte bei Begehung der [X.] im Vermögen des Angeklagten gegenständlich vorhanden sind (vgl. [X.], Urteil vom 22. September 2022 – 3 StR 238/21, [X.], 121, 122; Beschlüsse vom 16. Dezember 2021 – 1 [X.], juris Rn. 12; vom 20. Dezember 2022 – 4 [X.], [X.], 209, 210, jew. [X.]). Dies ist nicht festgestellt. Den Urteilsgründen lässt sich lediglich entnehmen, dass der Mitangeklagte A.         im [X.] 2021 den aus [X.] erwirtschafteten Betrag in Höhe von 42.000 € vom Angeklagten erhielt und fortan für diesen verwahrte. Soweit in der Beweiswürdigung darüber hinaus erwähnt wird, dass die 42.000 € „im Sommer 2021“ in die Verfügungsgewalt des Angeklagten gerieten, lässt sich auch dieser Feststellung nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen, dass damit ein Zeitpunkt vor dem 17. August 2021 als Tattag der letzten verfahrensgegenständlichen Tat gemeint ist.

5. Die Feststellungen sind von den [X.] nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen, die den bisherigen nicht widersprechen, sind – wie stets – möglich.

Krehl     

  

Meyberg     

  

Grube

  

Schmidt     

  

Lutz     

  

Meta

2 StR 131/23

08.11.2023

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Köln, 24. November 2022, Az: 101 KLs 12/22

§ 95 Abs 1 Nr 2 AufenthG, § 95 Abs 1 Nr 3 AufenthG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.11.2023, Az. 2 StR 131/23 (REWIS RS 2023, 8686)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 8686

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 StR 106/22 (Bundesgerichtshof)

Strafbares Einschleusen von Ausländern: Konkurrenzverhältnis bei akzessorischer Beihilfe zur unerlaubter Einreise und zum unerlaubtem Aufenthalt


1 StR 497/20 (Bundesgerichtshof)

Versuch des Einschleusens von Ausländern: Erwerb von Sprachzertifikaten durch Teilnahme an einer Sprachprüfung unter falschem …


1 StR 173/21 (Bundesgerichtshof)

Gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen von Ausländern: Erfordernis von Feststellungen zu der Staatsangehörigkeit der geschleusten Personen; …


3 StR 213/21 (Bundesgerichtshof)

Gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen von Ausländern: Unerlaubte Einreise von Ausländern auf dem Luftweg


1 StR 483/21 (Bundesgerichtshof)

Einschleusen von Ausländern: Qualifikationsmerkmal der lebensgefährdenden Behandlung


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

4 StR 221/22

1 StR 312/21

3 StR 238/21

1 StR 289/20

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.