Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.07.2016, Az. StB 21/16

3. Strafsenat | REWIS RS 2016, 8191

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:140716BSTB21.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS

StB 21/16
vom
14. Juli 2016
in dem Strafverfahren
gegen

wegen
Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung

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2
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Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] sowie des Angeklagten und seiner Verteidiger am 14.
Juli 2016 gemäß §
304 Abs. 1, Abs.
4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr.
1 StPO beschlossen:
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftbefehl des [X.] vom 8.
Juli 2015 (6 -
2 StE 8/15) in Gestalt des [X.] vom 17.
Mai 2016 (3 -
2 StE
8/15) wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:
I.
Der Angeklagte wurde am 18.
Oktober 2014 festgenommen und befindet sich seitdem im vorliegenden Strafverfahren ununterbrochen in Untersu-chungshaft, zunächst auf Grund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.] vom 19.
Oktober 2014 (2 [X.] 474/14) und seit dem 8.
Juli 2015 auf Grund des Beschlusses des [X.], mit dem dieses den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des [X.] aufge-hoben und durch den angefochtenen Haftbefehl ersetzt hat. Zuvor hatte der Senat bereits mit Beschlüssen vom 19.
Mai 2015 ([X.], [X.], 242) und vom 19.
September 2015 ([X.]) die Fortdauer der Unter-suchungshaft angeordnet.
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Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe in zwei Fällen eine Vereinigung im außereuropäischen Ausland unterstützt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§
211 StGB) oder [X.] (§ 212 StGB) zu begehen (strafbar gemäß § 129a Abs. 5 Satz
1, §
129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB), indem er bei einer Reise nach [X.] im April/Mai 2013 fünf gebrauchte Krankenwagen an die "[X.]" überbracht und ab Dezember 2013 von [X.] aus die Lieferung von Stiefeln, [X.] an die "[X.]" organisiert habe.
Am 16.
Juni 2015 hat der [X.] -
unter anderem -
we-gen der im Haftbefehl genannten Vorwürfe gegen den Angeklagten und drei Mitangeklagte Anklage vor dem [X.] erhoben. Der 3.
Strafsenat dieses Gerichts hat mit Beschluss vom 25.
September 2015 die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Die Hauptverhandlung
hat am 8.
Dezember 2015 begonnen und ist -
an in der Regel zwei wöchentli-chen Hauptverhandlungstagen -
bisher an 27 Tagen durchgeführt worden. [X.] Termine sind bestimmt. Derzeit kann indes wegen der Erkrankung des Vorsitzenden des 3. Strafsenats des [X.] nicht verhandelt wer-den; dieser Senat hat deshalb mit Beschluss vom 23. Juni 2016 gemäß §
229 Abs.
3 Satz
2 StPO festgestellt, dass der Lauf der [X.] seit dem 20.
Juni 2016 gehemmt ist.
Mit Schriftsatz seiner Verteidiger vom 6.
Juni 2016 hat der Angeklagte Beschwerde gegen den Haftbefehl eingelegt und beantragt, diesen in Gestalt der [X.]entscheidung des Senats vom 17.
Mai 2016 aufzuheben.
Der [X.] hat beantragt, die Beschwerde als unbegrün-det zu verwerfen.
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II.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Gegen den Angeklagten besteht weiterhin der in dem angefochtenen Haftbefehl angenommene dringende Tatverdacht der Unterstützung einer terro-ristischen Vereinigung in zwei Fällen. Sein Beschwerdevorbringen ist nicht [X.], ein anderes Ergebnis zu rechtfertigen. Insofern gilt:
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats unterliegt die Beur-teilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während lau-fender Hauptverhandlung vornimmt, im [X.] nur in einge-schränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht (vgl. [X.] vom 5.
Februar 2015 -
StB 1/15, [X.]R StPO §
304 Abs.
4 Haftbe-fehl
3; vom 22.
Oktober 2012 -
StB 12/12, NJW 2013, 247, 248; jeweils [X.]).
Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen [X.] auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht oder ob dies nicht der Fall ist. Demgegenüber verfügt das Beschwerdegericht über keine eigenen, unmittelba-ren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme. Es muss allerdings in die Lage versetzt werden, seine Entscheidung über das Rechtsmittel des [X.] auf einer hinreichend tragfähigen tatsächlichen Grundlage zu treffen, um den erhöhten Anforderungen, die nach ständiger Rechtsprechung des Bun-desverfassungsgerichts an die Begründungstiefe von [X.]entschei-dungen zu stellen sind, ausreichend Rechnung tragen zu können. Daraus kann indes nicht gefolgert werden, das Tatgericht müsse alle bislang erhobenen [X.] in der von ihm zu treffenden Entscheidung einer umfassenden [X.] und Würdigung unterziehen. Seine abschließende
Bewertung der Beweise 6
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und ihre entsprechende Darlegung bleibt den Urteilsgründen vorbehalten. Das [X.] führt insoweit nicht zu einem über die Nachprüfung des dringenden Tatverdachts hinausgehenden Zwischenverfahren, in dem sich das [X.] zu Inhalt und Ergebnis aller Beweiserhebungen erklären müsste (vgl. zuletzt [X.], Beschluss vom 21.
April 2016 -
StB 5/16, [X.], 217 [X.]).
b) Gemessen an diesen Maßstäben ist die durch den [X.] vom 17.
Mai 2016 und durch den Nichtabhilfebeschluss vom 10.
Juni 2016 näher begründete Bewertung des [X.], dass der [X.] Tatverdacht der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereini-gung in zwei Fällen gegen den Angeklagten weiterhin besteht, nicht zu [X.]. Auf die Ausführungen in den Gründen dieser Entscheidungen wird Bezug genommen. Wie sich daraus im Einzelnen ergibt, stellen die Ergebnisse der bisherigen Beweisaufnahme das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts nach vorläufiger Bewertung nicht in Frage, haben es vielmehr bestätigt. Auch unter Berücksichtigung des [X.], das sich ohnehin nur mit einem der Fälle befasst und insoweit auf der Grundlage einer eigenen Würdi-gung der Beweismittel zu einer anderen Bewertung des vorläufigen Beweiser-gebnisses gelangt, ergeben sich für den erkennenden Senat keine greifbaren Anhaltspunkte, die es rechtfertigen könnten, von der -
keine Unplausibilitäten enthaltenden -
Bewertung des bisher erzielten Kenntnisstandes sowie der noch nicht
erhobenen Beweise durch das [X.] abzuweichen und in eigener Einschätzung der Beweislage den dringenden Tatverdacht zu vernei-nen.
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2. Zutreffend ist auch die Bewertung des [X.], gegen den Angeklagten bestehe -
neben dem Haftgrund der [X.] gemäß §
112 Abs.
3 StPO -
weiterhin der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß §
112 Abs.
2 Nr.
2 StPO. Der auch unter Berücksichtigung der Anrechnung der voll-zogenen Untersuchungshaft auf die eventuelle Strafe (§
51 Abs.
1 Satz
1 StGB)
gegebene erhebliche Fluchtanreiz wird nicht durch fluchthindernde Gründe von Gewicht kompensiert: Der Angeklagte hat als [X.] Staats-angehöriger verwandtschaftliche Beziehungen in sein Heimatland, in dem seine Eltern und mehrere Geschwister wohnen, und unterhält vielfache Kontakte ins Ausland, unter anderem zu Personen, die seine radikal-islamistischen Ansich-ten teilen und im Umfeld jihadistischer Gruppierungen in [X.] agieren. Im Fall einer Flucht aus [X.] könnte der Angeklagte mit der Unterstützung die-ser Personen rechnen.
Die genannten Gründe wiegen so schwer, dass weniger einschneidende Maßnahmen nach § 116 Abs. 1 StPO die Erwartung nicht zu begründen [X.], der Zweck der Untersuchungshaft könne auch ohne ihren Vollzug er-reicht werden. Eine Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls kommt deshalb nicht in Betracht.
3. Die Untersuchungshaft hat mit Blick auf das Spannungsverhältnis zwi-schen dem Freiheitsanspruch des Angeklagten und dem Interesse der Allge-meinheit an einer effektiven Strafverfolgung bei Berücksichtigung und Abwä-gung der gegebenen Besonderheiten des vorliegenden Verfahrens -
auch an-gesichts der bereits ein Jahr und neun Monate währenden Untersuchungshaft und der zu erwartenden Gesamtdauer des Verfahrens -
fortzudauern. Ihr weite-rer Vollzug steht auch nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§
120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
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a) Hierbei ist das Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit, das in Art. 2 Abs.
2 Satz 2 GG gewährleistet wird, in besonderer Weise zu beachten. Wegen der Unschuldsvermutung, die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs.
3
GG hat und auch in Art. 6 Abs.
2 [X.] ausdrücklich hervorge-hoben ist, kann der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen nur ausnahmsweise zulässig sein. Der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten muss den vom Standpunkt der Strafver-folgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden [X.] als Korrektiv gegenübergestellt werden; dabei kommt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zu.
Dieser ist nicht nur für die Anordnung, sondern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung und verlangt, dass diese nicht außer [X.] zu der zu erwartenden Strafe steht; er setzt ihr auch unabhängig von der Straferwartung Grenzen. Gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Straf-verfolgung vergrößert sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs regelmäßig mit zunehmender Länge der Untersuchungshaft. Daraus folgt, dass die [X.] an die [X.] in einer Haftsache mit der Dauer der Unter-suchungshaft steigen. Zudem nehmen auch die Anforderungen an den die [X.] rechtfertigenden Grund zu.
Das verfassungsrechtlich verankerte Beschleunigungsgebot in Haftsa-chen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle mögli-chen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen sowie eine gerichtliche Ent-scheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und einer Sicherstellung der etwaigen späteren Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft deshalb nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch ver-13
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meidbare Verfahrensverzögerungen verursacht ist. Bei absehbar umfangrei-cheren Verfahren ist daher stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträu-me umgreifende Planung und Durchführung der Hauptverhandlung mit im Grundsatz durchschnittlich mehr als einem Hauptverhandlungstag pro Woche notwendig. Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerecht-fertigte und vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen stehen regel-mäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen. Bei der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch und dem [X.] kommt es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte An-gemessenheit der Verfahrensdauer an, die etwa von der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung abhängig sein kann. Dies macht eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des [X.] erforderlich. Zu würdigen sind auch die voraus-sichtliche Gesamtdauer
des Verfahrens und die für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehende Straferwartung (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], [X.] vom 17. Januar 2013 -
2 BvR 2098/12, juris Rn. 39 ff. [X.]; [X.], [X.] vom 21. April 2016 -
StB 5/16, [X.], 217).
b) Daran gemessen ist der Haftbefehl gegen den Angeklagten aufrecht-zuerhalten und die Untersuchungshaft weiter zu vollziehen. Der Generalbun-desanwalt hat nach der Festnahme des Angeklagten am 18.
Oktober 2014 die Ermittlungen mit der in Haftsachen
gebotenen Beschleunigung abgeschlossen. Er hat unter dem 10.
Juni 2015 Anklage gegen den Angeklagten und drei Mit-angeklagte vor dem [X.] erhoben. Die Durchführung des Zwischenverfahrens und der bisherige Verlauf der Hauptverhandlung
las-sen erhebliche vermeidbare Verzögerungen (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 13.
Mai 2009 -
2 BvR 388/09, [X.]K 15, 474, 480 f.) ebenfalls nicht er-kennen. Aus dem [X.]beschluss vom 17.
Mai 2016 und der [X.]
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feentscheidung vom 10.
Juni 2016 ist insbesondere hinreichend ersichtlich, dass das [X.] seine Hauptverhandlung in
der in Haftsachen ge-botenen zügigen Verfahrensweise durchgeführt, insbesondere eine Vielzahl von Beweisen -
teils auch im Wege der Durchführung von Selbstleseverfahren -
erhoben und damit das von ihm als erforderlich angesehene Beweisprogramm abgeschlossen hat. Auf die Ausführungen des [X.] hierzu wird Bezug genommen. Anhaltspunkte dafür, dass diese den Verlauf der [X.] nicht zutreffend wiedergeben, bestehen nicht. Bedeutsame [X.] oder Versäumnisse, die die Fortdauer der Untersuchungshaft mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hindern würden, sind damit nicht ersichtlich.
Becker

Schäfer Gericke

Meta

StB 21/16

14.07.2016

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.07.2016, Az. StB 21/16 (REWIS RS 2016, 8191)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 8191

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 BvR 2098/12

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