Bundespatentgericht, Beschluss vom 30.04.2019, Az. 25 W (pat) 4/16

25. Senat | REWIS RS 2019, 7750

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Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2013 035 617

hat der 25. Senat ([X.]) des [X.] am 30. April 2019 unter Mitwirkung des Vorsitzenden [X.], der Richterin [X.] und des Richters Dr. Nielsen

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Widersprechenden werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 5 des [X.] vom 15. Dezember 2014 und vom 10. September 2015 aufgehoben, soweit der Widerspruch aus der Marke [X.] zurückgewiesen worden ist. Wegen des Widerspruchs aus der Marke [X.] wird die teilweise Löschung der Marke 30 2013 035 617 Vitalitasia angeordnet, nämlich in Bezug auf die Waren „Abdruckmassen für zahnärztliche Zwecke; Amalgam für zahnärztliche Zwecke; Dentalzement; [X.] für zahnärztliche Zwecke; Goldamalgame für zahnärztliche Zwecke; Kautschuk für zahnärztliche Zwecke; Knochenzement für chirurgische und orthopädische Zwecke; Modellierwachs für zahnärztliche Zwecke; Porzellan für Zahnprothesen; Zahnfüllmittel; [X.]; [X.]“ der Klasse 5.

Gründe

I.

1

Die am 4. Juni 2013 angemeldete Bezeichnung

2

[X.]litasia

3

ist am 18. September 2013 unter der Nummer 30 2013 035 617 als Wortmarke für zahlreiche Waren der Klassen 3, 5 und 30 und unter anderem für die nachfolgenden angegriffenen Waren in der Klasse 5

4

Abdruckmassen für zahnärztliche Zwecke; Amalgam für zahnärztliche Zwecke; Dentalzement; [X.] für zahnärztliche Zwecke; Goldamalgame für zahnärztliche Zwecke; Kautschuk für zahnärztliche Zwecke; Knochenzement für chirurgische und orthopädische Zwecke; Modellierwachs für zahnärztliche Zwecke; Porzellan für Zahnprothesen; Zahnfüllmittel; [X.]; [X.]

5

in das beim [X.] geführte Markenregister eingetragen worden.

6

Gegen die Eintragung der am 18. Oktober 2013 veröffentlichten Marke hat unter anderem die Inhaberin der seit dem 6. April 1954 unter der Registernummer 655 995 für Waren der Klassen 1, 3, 5, 7, 9, 10, 20 und 21, nämlich

7

„mit der [X.] zusammenhängende Waren, nämlich: chemische Erzeugnisse für zahnärztliche Zwecke, Desinfektionsmittel für zahnärztliche Zwecke und zur Reinigung von ärztlichen Instrumenten; chemische Erzeugnisse und Lötmittel für zahntechnische Zwecke, Zahnfüllmittel, insbesondere keramische und metallische Zahnfüllmittel und Zahnfüllmittel aus Kunstharz sowie provisorische Zahnfüllungsmaterialien, Dentalzement, Abdruckmassen für zahnärztliche und zahntechnische Zwecke, insbesondere Abdruckgips, [X.] und [X.]; Farben und Farbstoffe für zahnärztliche und zahntechnische Zwecke, Kunstharze für zahnärztliche und zahntechnische Zwecke, Firnisse und Lacke für zahnärztliche und zahntechnische Zwecke, insbesondere [X.]; Wachs für zahnärztliche und zahntechnische Zwecke; Kronenandrücker und sonstige Waren aus Kunststoff für zahnärztliche Zwecke, Kunststoff-Folien für zahnärztliche Zwecke; künstliche Zähne, Zahnprothesen und deren Einzelteile, Zahnbrücken; physikalische, chemische, optische und elektrotechnische Geräte für die Zahntechnik; Schränke für die zahnärztliche Praxis; aus Glas oder Porzellan bestehende Instrumentenschalen, [X.], Spatel, Flaschen, Gläser, Tablettenröhrchen und sonstige Waren für zahnärztliche und zahntechnische Zwecke; [X.] und [X.] für zahntechnische Zwecke, Lehrmittel für zahnmedizinische und zahntechnische Zwecke; Wasch- und Reinigungsmittel für Zahnprothesen, Poliermittel für zahnärztliche und zahntechnische Zwecke; Zement und Gips für zahnärztliche und zahntechnische Zwecke“

8

eingetragenen Marke

9

[X.]

Widerspruch erhoben. Der Widerspruch richtet sich gezielt gegen einen Teil der Waren der Klasse 5 der angegriffenen Marke, nämlich gegen „Abdruckmassen für zahnärztliche Zwecke; Amalgam für zahnärztliche Zwecke; Dentalzement; [X.] für zahnärztliche Zwecke; Goldamalgame für zahnärztliche Zwecke; Kautschuk für zahnärztliche Zwecke; Knochenzement für chirurgische und orthopädische Zwecke; Modellierwachs für zahnärztliche Zwecke; Porzellan für Zahnprothesen; Zahnfüllmittel; [X.]; [X.]“.

Die Markenstelle für Klasse 5 des [X.]s hat mit zwei Beschlüssen vom 15. Dezember 2014 und vom 10. September 2015, wobei letzterer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, neben zwei weiteren gegen die jüngere Marke gerichteten Widersprüchen auch den Widerspruch aus der Marke 655 995 [X.] zurückgewiesen. Aus Sicht der Markenstelle sind auch bei identischen Waren jedenfalls die zu vergleichenden Marken sowohl in schriftbildlicher als auch in klanglicher Hinsicht ausreichend unterschiedlich. Denn sie würden sich durch die unterschiedliche Silbenzahl (sechs gegenüber zwei Silben) und entsprechend unterschiedliche Wortlängen, eine abweichende Vokalfolge bei unterschiedlicher Betonung auf unterschiedlichen Vokalen (jüngere Marke  [X.]litasia  auf der vierten Silbe mit offenem dunkel klingenden Vokal und die ältere Widerspruchsmarke [X.] auf der ersten Silbe mit dem hell klingenden Vokal) ausreichend unterscheiden. Auch in begrifflicher Hinsicht wirke das Phantasiewort  [X.]litasia  eher wie eine Anlehnung an die Wörter [X.]lisierung oder vitalisierend als an den Begriff [X.]. Zwar sei den vorgelegten Unterlagen der Widersprechenden, insbesondere der demoskopischen Befragung, zu entnehmen, dass es sich bei der Widerspruchsmarke um ein Unternehmenskennzeichen mit gesteigerter Bekanntheit in der Branche handele. Doch sei von einer Prägung der angegriffenen Marke  [X.]litasia  durch die Silben „[X.]-“ nicht auszugehen, da der angesprochene Verkehr nicht zu einer zergliedernden Betrachtungsweise neige und die jüngere Marke als einheitliches Phantasiewort wahrnehme.

Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sei als durchschnittlich einzustufen. Die von Seiten der Widersprechenden geltend gemachte gesteigerte Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke könne für den Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen jüngeren Marke sowie für den der Entscheidung über den Widerspruch nicht mit der erforderlichen Sicherheit bejaht werden. Zwar sei die Widerspruchsmarke bereits seit langem eingetragen, die eingereichten Unterlagen, unter anderem auch die demoskopischen Gutachten aus den Jahren 1991 und 2002, seien aber zu alt, um daraus Rückschlüsse für den Anmeldezeitpunkt der jüngeren Marke am 4. Juni 2013 zu ziehen.

Eine Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne unter dem Gesichtspunkt einer Serienmarke komme nicht in Betracht. Das angegriffene jüngere Zeichen [X.]litasia  weise als geschlossener Gesamtbegriff bereits keinen als Stammbestandteil erkennbaren Markenteil auf und reihe sich auch nicht in die von der Widersprechenden aufgezeigte Markenserie ein, bei der der Bezeichnung „[X.]“ nur eine weitere Silbe bzw. eine Buchstabenkombination angefügt werde.

Auch sei die angegriffene Marke nicht wegen Ausbeutung der Unterscheidungskraft und Wertschätzung der Widerspruchsmarke gemäß § 9 Abs. 1 [X.] [X.] zu löschen, denn insoweit könne den eingereichten Unterlagen der Widersprechenden nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnommen werden, dass es sich bei der Widerspruchsmarke um ein bekanntes Zeichen handele. Konkrete Angaben zu Marktanteilen, Umsatzzahlen und [X.] fehlten.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Sie meint, dass eine Verwechslungsgefahr zwischen den sich gegenüberstehenden Marken zu bejahen sei. Der Widerspruchsmarke komme aufgrund einer jahrzehntelangen intensiven Benutzung bei den angesprochenen Fachkreisen der Zahnärzte und Zahntechniker sowie der Handelsunternehmen für Dentalprodukte eine deutlich überdurchschnittliche Kennzeichnungskraft zu. Auch handele es sich bei der Widerspruchsmarke „[X.]“ um einen Serienzeichenbestandteil der Widersprechenden, der konsequent für alle Marken der Widersprechenden und über mehrere dentale Produktsegmente hinweg verwendet werde. [X.] sei das seit Jahrzehnten überragend bekannte Firmenschlagwort und eine Dachmarke der Widersprechenden, die zur Kennzeichnung aller Produkte der Widersprechenden eingesetzt werde und zugleich Stammbestandteil einer [X.] sei, zu der die benutzten Marken [X.]coll ([X.] 906), [X.]fol ([X.] 749 147), [X.]pan ([X.] 844 201), [X.]blocs ([X.] 1 127 447), [X.]VM ([X.] 303 06 741), [X.]PM ([X.] 304 28 841), [X.]SIL ([X.] 30 2010 020 062) sowie [X.] Vacumat ([X.] 395 25 198), [X.] Lumin ([X.] 513 945), [X.] In-Ceram ([X.] 1 144 339), [X.] Zeta ([X.] 2 061 132), [X.] Akzent ([X.] 397 35 846), [X.] Omega-Metallkeramik ([X.] 2 010 827), [X.] YZ ([X.] 300 40 055; [X.]), [X.] System 3D-Master ([X.] 301 64 913), [X.] Easyshade ([X.] 303 15 965), [X.] Zyrcomat ([X.] 303 05 379), [X.] BLP ([X.] 305 36 618), [X.] CAD-Temp ([X.] 306 46 744), [X.] [X.]L ([X.] 30 2008 005 387), [X.] MFT ([X.] 30 2008 039 376), [X.] Lingoform ([X.] 306 45 709), [X.] Shade Assist ([X.] 30 2009 034 801), [X.] ENAMIC ([X.] 30 2010 005 552) gehörten.

Die im Juli 1924 unter dem Namen „[X.] Aktiengesellschaft“ gegründete und seit den frühen 1930iger Jahren unter dem heutigen Unternehmensnamen „[X.]“ agierende Widersprechende zähle in [X.] zu den größten Herstellern von Zahnersatz und von Produkten im Zusammenhang mit der Herstellung von festsitzendem Zahnersatz. Besonders berühmt sei die Marke „[X.]“, die bereits am 18. April 1928 für „künstliche Zähne“ eingetragen war, für die [X.] A-D bzw. [X.] A1 – [X.] Farbskala für [X.] und den sogenannten [X.]. Im Marktsegment der Bestimmung von [X.] von Patienten und der damit einhergehenden farblichen Charakterisierung von Dentalmaterialien käme die Widersprechende im Zeitraum von 2001 bis 2010 auf Marktanteile zwischen … % und … % nach Umsatz und zwischen 66 % und 87 % nach Menge (nach dem Marktforschungsinstitut [X.]; vgl. Anlagen 18 und 19 zum Schriftsatz vom 23. Februar 2017). Der A-D [X.] der Widersprechenden habe den Rang eines Standards für die Farbenbestimmung in der Dentalindustrie, daher habe es im Jahr 2007 Bestrebungen gegeben, in einer gemeinsamen Kooperation der fünf wichtigsten Dentalunternehmen einen offenen Standard für einen allgemein geltenden Farbschlüssel zu schaffen um das faktische Monopol der Widersprechenden insoweit abzuschwächen (vgl. Anlagen 21 bis 25 zum Schriftsatz vom 23. Februar 2017 bezüglich weiterer Verkehrsbefragungen). In zwei gerichtlichen Entscheidungen – bereits 1948 durch das [X.] und im Mai 2000 durch das Urteil des [X.] – sei die deutlich überdurchschnittliche Kennzeichnungskraft von [X.] als Firmenbestandteil der Widersprechenden bereits festgestellt worden.

Die Widersprechende hat hierzu u. a. weitere Verkehrsbefragungen aus den Jahren 1991, 2002, 2007, 2012, zu den Marktanteilen Unterlagen der [X.], des [X.], Werbematerialien (Werbeflyer, Produktbroschüren, Kataloge, Messeunterlagen), eidesstattliche Versicherungen mit der Angabe von Umsatzzahlen im Zeitraum 2006 bis 2015 sowie Veröffentlichungen in Fachzeitschriften für die Dentalbranche vorgelegt. Zudem hat die Widersprechende ein demoskopisches Gutachten über die „Bekanntheit und Kennzeichnungskraft der Bezeichnung [X.] bei Fachkreisen in [X.]“ vom Juni 2017 eingereicht, bei der insgesamt 300 niedergelassene Zahnärzte, 200 Zahntechniker und 10 Händler für Dentalprodukte befragt worden sind und aus dem sich eine Bekanntheit der Widerspruchsbezeichnung in den Fachkreisen von 99,2 %, ein Kennzeichnungsgrad, also die Bekanntheit für nur ein Unternehmen, von 96,3 % (unter Berücksichtigung von Fehlzuordnungen) und ein Zuordnungsgrad von 93,7 % ergeben. Die Widersprechende ist der Auffassung, daraus sei zu entnehmen, dass es sich bei der Widerspruchsmarke nicht nur um eine bekannte, sondern sogar um eine berühmte Marke für Dentalprodukte für den gewerblichen Bedarf handele, insbesondere für künstliche Zähne, [X.]e und Materialien zur Herstellung von Zahnersatz.

Eine Verwechslungsgefahr der [X.] sei unter dem Gesichtspunkt der selbständig kennzeichnenden Stellung gegeben. Denn der [X.] „[X.]“ nehme in der angegriffenen Marke [X.]litasia durch die Bedeutung im Sinn von „Leben“ und weil es sich um das bekannte Firmenschlagwort sowie die Dach- und Serienmarke der Widersprechenden handele, eine selbständig kennzeichnende Stellung ein. Nachdem die Bezeichnung [X.] aufgrund ihrer Benutzung eine gewisse Bekanntheit und damit eine gesteigerte Kennzeichnungskraft erlangt habe, spräche auch der Umstand, dass „[X.]“ ein Bestandteil innerhalb einer Einwortmarke sei, nicht gegen ein Wiedererkennen der Marke der Widersprechenden durch die angesprochenen Fachkreise in der am stärker beachteten Anfang der angegriffenen Bezeichnung befindlichen jüngeren Marke. Eine Verwechslungsgefahr sei darüber hinaus unter dem Gesichtspunkt des [X.] gegeben. Die angegriffene Marke [X.]litasia würde sich in ihrer Struktur den zu der [X.] der Widersprechenden gehörenden Marken [X.]coll, [X.]pan, [X.]blocs und [X.]life durchaus annähern. Insoweit sei die Auffassung der Markenstelle lebensfremd, nämlich vom Gegenteil nur deswegen auszugehen, weil [X.]litasia noch eine weitere dritte Silbe aufweise.

Die Widersprechende beantragt sinngemäß,

die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 5 des [X.]s vom 15. Dezember 2014 und vom 10. September 2015 insoweit aufzuheben, als der Widerspruch aus der Marke 655 995 [X.] zurückgewiesen worden ist und wegen des Widerspruchs aus der Marke 655 995 [X.] die Löschung der angegriffenen Marke 30 2013 035 617 [X.]litasia im Umfang des erhobenen Widerspruchs anzuordnen.

Die Markeninhaber haben sich im Beschwerdeverfahren (wie schon bereits zuvor im Widerspruchsverfahren vor dem [X.]) nicht geäußert und auch keine Anträge gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 5, auf den rechtlichen Hinweis des Senats vom 20. Juni 2017 zum voraussichtlichen Erfolg der Beschwerde sowie auf die Schriftsätze der Widersprechenden nebst Anlagen und den weiteren Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die nach § 66 Abs. 1 Satz 1 [X.] statthafte und im Übrigen zulässige Beschwerde der Widersprechenden hat auch in der Sache Erfolg. Auf den nach § 42 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 [X.] in zulässiger Weise erhobenen Widerspruch aus der Marke [X.] war unter Aufhebung des diesen Widerspruch betreffenden Teils der zurückweisenden Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 5 des [X.]s gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 [X.] die Löschung der mit dem Widerspruch angegriffenen Wortmarke [X.]litasia im Umfang der Tenorierung anzuordnen, weil zwischen den Kollisionsmarken insoweit Verwechslungsgefahr i. S. d. § 9 Abs. 1 Nr. 2, 2. Halbsatz [X.] besteht.

Das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr für das Publikum ist nach ständiger Rechtsprechung sowohl des [X.] als auch des [X.] unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. hierzu z. [X.] [X.], 933 Rn. 32 – [X.]; [X.], 1098 Rn. 44 – [X.]/[X.]; [X.], 64 Rn. 9– Maalox/[X.]; [X.], 1040 Rn. 25 – [X.]/pure; [X.], 833 Rn. 30 – Culinaria/[X.]; [X.], 382 Rn. 19 – [X.]; GRUR 2018, 79 Rn. 9 – [X.]/[X.] Club). Von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit insbesondere die Identität oder Ähnlichkeit der relevanten Vergleichsprodukte (Waren und/oder Dienstleistungen), die Identität oder Ähnlichkeit der Marken sowie die Kennzeichnungskraft und der daraus folgende Schutzumfang der Widerspruchsmarke. Diese einzelnen Faktoren sind zwar für sich gesehen voneinander unabhängig, bestimmen aber in ihrer Wechselwirkung den Rechtsbegriff der Verwechslungsgefahr (vgl. dazu [X.], 343 Rn. 48 – [X.]/[X.]; [X.], 64 Rn. 9 – Maalox/[X.]; [X.], 1040 Rn. 25 – [X.]/pure; siehe auch [X.]/Hacker/Thiering, [X.], 12. Aufl., § 9 Rn. 41 ff. m. w. N.). Darüber hinaus können sich für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr weitere Faktoren entscheidungserheblich auswirken, wie u. a. etwa die Art der Ware, die im Einzelfall angesprochenen Verkehrskreise und daraus folgend die zu erwartende Aufmerksamkeit und das zu erwartende Differenzierungsvermögen dieser Verkehrskreise bei der Wahrnehmung der Kennzeichen.

Nach diesen Grundsätzen besteht zwischen der angegriffenen Wortmarke [X.]litasia und der älteren Widerspruchsmarke [X.] eine Verwechslungsgefahr gemäß §§ 9 Abs. 1 Nr. 2, 2. Halbsatz, 42 Abs. 2 Nr. 1 [X.].

1. Die gezielt von der Widersprechenden angegriffenen Waren der Klasse 5 „Abdruckmassen für zahnärztliche Zwecke; Amalgam für zahnärztliche Zwecke; Dentalzement; [X.] für zahnärztliche Zwecke; Goldamalgame für zahnärztliche Zwecke; Kautschuk für zahnärztliche Zwecke; Knochenzement für chirurgische und orthopädische Zwecke; Modellierwachs für zahnärztliche Zwecke; Porzellan für Zahnprothesen; Zahnfüllmittel; [X.]; [X.]“ der jüngeren Marke sind mit den Widerspruchswaren teilweise identisch und im Übrigen hochgradig ähnlich.

2. Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ist von Haus aus als durchschnittlich anzusehen. Die originäre Kennzeichnungskraft wird durch die Eignung einer Marke bestimmt, sich unabhängig von der jeweiligen Benutzungslage als Unterscheidungsmittel für die Waren und Dienstleistungen eines Unternehmens bei den beteiligten Verkehrskreisen einzuprägen und die Waren und Dienstleistungen damit von denjenigen anderer zu unterscheiden (vgl. z. B. BGH [X.], 382 Rn. 31 – [X.]). Nachdem ein beschreibender Gehalt der Bezeichnung [X.], als ursprünglich aus dem [X.] stammendes Wort für Leben und einer Verwendung in der [X.] für eine literarische Lebensbeschreibung (vgl. DU[X.]N, [X.], 27. Aufl. 2017) für die einschlägigen Widerspruchswaren im Bereich der [X.] oder sonstige Gründe, die für eine Schwächung der Kennzeichnungskraft sprechen könnten, nicht gegeben sind, kann von einer mindestens durchschnittlichen originären Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ausgegangen werden. Aufgrund der von der Widersprechenden zahlreich vorgelegten Unterlagen – Dokumente zu dem von der Marke gehaltenen Marktanteil, Informationen zu der Dauer der Benutzung, demoskopische Gutachten zu der Bekanntheit der Marke – ist jedenfalls von einer überdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke auszugehen.

3. Den bei dieser Ausgangslage – identische bzw. hochgradig ähnliche Waren und jedenfalls überdurchschnittliche Kennzeichnungskraft – zu fordernden strengen bzw. sehr strengen Anforderungen an den [X.] wird die jüngere Marke nicht gerecht. Es ist davon auszugehen, dass ein beachtlicher Teil der angesprochenen Fachkreise im Bereich der Dentalprodukte die angegriffene Marke [X.]litasia aufgrund der Übereinstimmung in dem Wort „[X.]“, das nicht nur die Widerspruchsmarke, sondern auch die Unternehmensbezeichnung und den Stammbestandteil einer entsprechenden Markenserie der Widersprechenden darstellt, mit dieser im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 2 [X.] gedanklich in Verbindung bringt.

a. Zwar ist eine unmittelbare Verwechslungsgefahr zwischen den sich gegenüberstehenden Marken nicht zu bejahen. Soweit sie in ihrer Gesamtheit miteinander verglichen werden, ergibt sich unter keinem Gesichtspunkt eine Gefahr von Verwechslungen. Insoweit unterscheiden sich die beiden Wortmarken sowohl klanglich als auch schriftbildlich im Hinblick auf die markant unterschiedliche Wortlänge deutlich voneinander, auch wenn sie in den ersten beiden Silben bzw. in der Wiedergabe [X.] identisch übereinstimmen.

Auch der Umstand, dass die Widerspruchsmarke [X.] den Wortanfang der angegriffenen Marke bildet, führt vorliegend für sich genommen noch nicht zu einem verwechslungsfähigen Gesamteindruck der [X.]. Denn insoweit kann nicht davon ausgegangen werden, dass die angegriffene Marke durch ihren Wortanfang „[X.]“ allein kollisionsbegründend geprägt wird.

b. Es besteht aber eine Verwechslungsgefahr unter dem Gesichtspunkt des gedanklich miteinander in Verbindung Bringens unter dem Aspekt eines [X.]. Dies ist dann der Fall, wenn die Zeichen in einem Bestandteil übereinstimmen bzw. angenähert sind, den der Verkehr als Stammbestandteil mehrerer Zeichen eines Unternehmens ansieht und deshalb die nachfolgenden Bezeichnungen, die einen identischen oder zumindest wesensgleichen Stamm aufweisen, demselben Inhaber zuordnet, § 9 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz [X.] (vgl. [X.], 484 Rn. 38 – [X.]). Das Vorliegen einer Zeichenserie setzt die Benutzung mehrerer Marken mit einem gemeinsamen Stammbestandteil voraus, so dass die angesprochenen Verkehrskreise das gemeinsame Element kennen und mit der Zeichenserie in Verbindung bringen (vgl. [X.], 343 Rn. 64 – [X.]/[X.] [[X.]]; BGH [X.], 840 Rn. 23 – [X.] II).

Die Widersprechende hat mit den vorgelegten umfangreichen Unterlagen belegt, dass die Bezeichnung [X.] ein sehr bekanntes Firmenschlagwort, eine Dachmarke und der Stammbestandteil einer [X.] der Widersprechenden ist. Die vorgelegten Unterlagen, so u. a. die Unterlagen zum 90 jährigen Bestehen der Widersprechenden (z. B. Anlagen 13, 16, 17, 20, 28 zum Schriftsatz der Widersprechenden vom 23. Februar 2017) zeigen, dass die Widersprechende seit dem Jahr 1924 Produkte im Bereich der Zahntechnik, insbesondere künstliche Zähne, herstellt und dabei mit dem Firmenschlagwort [X.] auf dem [X.] tätig ist. Insbesondere mit der seit dem [X.] als [X.]PAN classical bezeichneten Farbskala für künstliche Zähne hat die Widersprechende einen Marktanteil von in den Jahren 2001 bis 2010 in Höhe von jeweils zwischen … % und … % nach den Umsatzzahlen erreicht (vgl. Anlage 18 zum Schriftsatz der Widersprechenden vom 23. Februar 2017). Zur tatsächlichen Verwendung der mit dem vorangestellten Bestandteil verbundenen bzw. den Bestandteil „[X.]“ enthaltenden Kennzeichen hat die Widersprechende zahlreiche Unterlagen eingereicht, unter anderem die sogenannten [X.] Kompendien mit der Produktpalette der Widersprechenden aus den Jahren 2006 und 2013 (Anlage 29 zum Schriftsatz vom 23. Februar 2017), 2014 (Anlage 1 zum Schriftsatz der Widersprechenden vom 20. Januar 2015) sowie Preislisten aus den Jahren 2004 und 2016. Aus diesen Unterlagen geht hervor, dass die Widersprechende unter anderem die Bezeichnungen [X.]COLL für einen Haftvermittler zwischen Kunststoffzähnen und Basismaterialien, [X.]PAN für Kunststoffzähne, [X.] PHYSIO[X.]NS für Front- und Seitenzahnlager, [X.]VM bzw. [X.] VM für Verblendkeramik, [X.] In-Ceram für Blöcke zur Herstellung von Vollkeramik Kronengerüste, [X.] LINGOFORM für Kunststoffzähne, [X.]FOL für ein Silikon-Isoliermaterial, [X.] ENAMIC für eine dentale Hybridkeramik vor dem maßgeblichen Prioritätszeitpunkt der jüngeren Marke (so [X.], 484 Rn. 40 – [X.]) am 4. Juni 2013 verwendet. Bei den so gekennzeichneten Waren handelt es sich um chemische Erzeugnisse in Form von Verblendmaterialien für zahnärztliche Zwecke, Haftvermittler oder Kunststoffzähne und damit um mit den angegriffenen Waren der jüngeren Marke identische bzw. hochgradig ähnliche Waren. Nach dem Vortrag der Widersprechenden und den dazu eingereichten Unterlagen ist daher davon auszugehen, dass die Widersprechende im Verkehr bereits vor dem Anmeldetag der angegriffenen jüngeren Marke mit einer Zeichenserie mit der Firmenkennzeichnung und dem Stammbestandteil [X.]/[X.] auf dem [X.] aufgetreten ist.

Der Bestandteil [X.] ist in der angegriffenen Marke [X.]litasia identisch enthalten. Zwar ist der Bestandteil [X.] in den Gesamtbegriff [X.]litasia eingebunden, was von der Vorstellung wegführen kann, es handle sich um eine Serienmarke. Doch ist es andererseits nicht erforderlich, dass der Wortstamm [X.] isoliert hervortreten muss (vgl. [X.], 886 – [X.]/[X.]). Die Widersprechende ist mit den Bezeichnungen [X.]PAN, [X.]VM, [X.]FOL und damit mit zusammengesetzten Bezeichnungen bei denen [X.] immer vorangestellt ist, bereits seit langem auf dem Markt und führt die [X.] mit ganz unterschiedlichen und zum Teil ebenso direkt an [X.] angefügten weiteren Bestandteilen ([X.]BLOCS, [X.]SONIC etc.) laufend weiter. Diese Umstände sowie die Tatsache, dass es sich bei der übereinstimmenden Bezeichnung um die auf dem überschaubaren [X.] seit langem gut eingeführte Firmenkennzeichnung der Widersprechenden handelt, rechtfertigen die Annahme, dass die beteiligten [X.] bei einer Benutzung der Marken für identische Waren einer Fehlzuordnung der angegriffenen Marke und der damit gekennzeichneten Waren zu dem Unternehmen der Widersprechenden unterliegen werden.

Vor dem Hintergrund identischer Vergleichswaren und einer mindestens überdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke besteht angesichts der Übereinstimmung in dem Serienbestandteil und Unternehmenskennzeichen der Widersprechenden [X.] die Gefahr, dass die Bezeichnungen [X.] und [X.]litasia gedanklich miteinander in Verbindung gebracht werden, so dass von einer Verwechslungsgefahr unter dem Aspekt des [X.] auszugehen ist.

Daher ist die angegriffene Marke [X.]litasia im Umfang des erhobenen Widerspruchs zu löschen, so dass die angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle insoweit aufzuheben waren.

4. Zur Auferlegung der Kosten aus Gründen der Billigkeit gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 [X.] besteht bei der vorliegenden Sachlage keine Veranlassung.

5. Über die Beschwerde konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden. Eine solche war nur von der obsiegenden Widersprechenden hilfsweise beantragt worden, nicht aber von den insoweit unterlegenen Markeninhabern. Eine mündliche Verhandlung war auch nicht aus Gründen der Sachdienlichkeit veranlasst, § 69 Nr. 1 und [X.] [X.].

Meta

25 W (pat) 4/16

30.04.2019

Bundespatentgericht 25. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 30.04.2019, Az. 25 W (pat) 4/16 (REWIS RS 2019, 7750)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 7750

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