Bundespatentgericht, Beschluss vom 13.06.2019, Az. 25 W (pat) 11/18

25. Senat | REWIS RS 2019, 6345

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Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2015 228 111

hat der 25. Senat ([X.]) des [X.] am 13. Juni 2019 unter Mitwirkung des Vorsitzenden [X.], der Richterin [X.] und des Richters Dr. Nielsen

beschlossen:

Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 5 des [X.] vom 20. Dezember 2017 in der Hauptsache aufgehoben. Wegen des Widerspruchs aus der Unionsmarke 008 199 523 [X.] wird im Umfang des erhobenen Widerspruchs die teilweise Löschung der Marke 30 2015 228 111 angeordnet, nämlich in Bezug auf die Waren der Klasse 5 „Abdruckmassen aus [X.] für zahnärztliche Zwecke; Abdruckmassen für zahnärztliche Zwecke; Abdruckmassen für zahnärztliche Zwecke zur Herstellung von Zahnformen; Abdruckmaterial für zahnärztliche Zwecke; Amalgam für zahnärztliche Zwecke; [X.] für zahnärztliche Zwecke; Antibiotika für zahnärztliche Zwecke; Antimikrobielle Mundwässer; Arzneimittel für zahnärztliche Zwecke; Beizmaterialien für zahnärztliche Zwecke; Dentalanästhetika; Dentalgips; Dentalharze; Dentalkeramik; Dentalmaterialien für Zahnfüllungen; Dentalmaterialien zum Füllen der Zähne; Dentalmaterialien zur Herstellung von Zahnmodellen; Dentalmaterialien zur Vervielfältigung von Zahnmodellen; [X.], [X.]; Desinfektionsmittel für zahnärztliche Apparate und Instrumente; Dichtungsmasse für zahnärztliche Zwecke; Edelmetalllegierungen für zahnärztliche Zwecke; Einbettungsmaterial für zahnärztliche Zwecke; Farbreagenzien zum Erkennen von Zahnbelag“.

Gründe

I.

1

Die am 8. Dezember 2015 angemeldete Bezeichnung

Abbildung

2

ist am 26. Januar 2016 unter der Nummer 30 2015 228 111 als Wort-/Bildmarke für zahlreiche Waren der Klassen 3, 5 und 25 und unter anderem für die nachfolgenden angegriffenen Waren in der [X.]

3

„Abdruckmassen aus [X.] für zahnärztliche Zwecke; Abdruckmassen für zahnärztliche Zwecke; Abdruckmassen für zahnärztliche Zwecke zur Herstellung von Zahnformen; Abdruckmaterial für zahnärztliche Zwecke; Amalgam für zahnärztliche Zwecke; [X.] für zahnärztliche Zwecke; Antibiotika für zahnärztliche Zwecke; Antimikrobielle Mundwässer; Arzneimittel für zahnärztliche Zwecke; Beizmaterialien für zahnärztliche Zwecke; Dentalanästhetika; Dentalgips; Dentalharze; Dentalkeramik; Dentalmaterialien für Zahnfüllungen; Dentalmaterialien zum Füllen der Zähne; Dentalmaterialien zur Herstellung von Zahnmodellen; Dentalmaterialien zur Vervielfältigung von Zahnmodellen; [X.], [X.]; Desinfektionsmittel für zahnärztliche Apparate und Instrumente; Dichtungsmasse für zahnärztliche Zwecke; Edelmetalllegierungen für zahnärztliche Zwecke; Einbettungsmaterial für zahnärztliche Zwecke; Farbreagenzien zum Erkennen von Zahnbelag“

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in das beim [X.] geführte Markenregister eingetragen worden.

5

Gegen die Eintragung der am 26. Februar 2016 veröffentlichten Marke hat die Inhaberin der seit dem 10. April 2012 unter der Registernummer 008 199 523 für mit der [X.] zusammenhängende Waren der Klassen 2, 3, 9, 10, 11, 16, 17, 20 und 21, und insbesondere für Waren der [X.], nämlich

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„Mit der [X.] zusammenhängende Waren, nämlich: Chemische Erzeugnisse für zahnärztliche Zwecke, chemische Erzeugnisse und Lotmittel für zahntechnische Zwecke, Dentalkeramik zur Herstellung von Zahnersatz, Glaspulver zur Herstellung von Zahnersatz, Desinfektionsmittel für zahnärztliche Zwecke und zur Reinigung von ärztlichen Instrumenten; Zahnfüllmittel, insbesondere keramische und metallische Zahnfüllmittel und Zahnfüllmittel aus Kunstharz sowie provisorische Zahnfüllungsmaterialien, [X.], Abdruckmassen für zahnärztliche und zahntechnische Zwecke, insbesondere Abdruckgips, [X.] und [X.]; Kunstharze für zahnärztliche und zahntechnische Zwecke, Firnisse und Lacke für zahnärztliche und zahntechnische Zwecke, insbesondere Zahnlacke; Wachs für zahnärztliche und zahntechnische Zwecke; [X.] und [X.] für zahntechnische Zwecke, Zement und Gips für zahnärztliche und zahntechnische Zwecke; zahnprothetische Materialien insbesondere Metallkeramik, Vollkeramik“

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eingetragenen Unionsmarke

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[X.]

9

Widerspruch erhoben. Der Widerspruch richtet sich gezielt nur gegen die im [X.] wiedergegebenen Waren der [X.] der angegriffenen Marke.

Die Markenstelle für [X.] des [X.]s hat mit Beschluss einer Beamtin des höheren Dienstes vom 20. Dezember 2017 den Widerspruch aus der Unionsmarke 008 199 523 [X.] zurückgewiesen. Aus Sicht der Markenstelle besteht trotz identischer bzw. hochgradig ähnlicher Waren mangels ausreichender Ähnlichkeit der [X.] keine Gefahr von Verwechslungen, auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Sonderschutzes einer bekannten Marke nach § 9 Abs. 1 [X.] [X.].

Mangels anderweitiger Anhaltspunkte sei von einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke auszugehen. Aber auch bei Annahme der von Seiten der Widersprechenden geltend gemachten gesteigerten Kennzeichnungskraft sei eine Verwechslungsgefahr nicht gegeben. Zwischen den [X.] sei teilweise Identität bzw. eine hochgradige Ähnlichkeit anzunehmen. Die jeweiligen Produkte richteten sich an die Fachkreise aus dem zahnmedizinischen Bereich, wobei es sich um sehr spezielle Produkte handle, die mit einer gewissen Sorgfalt oder nach Beratung und eingehender Information und nicht spontan erworben werden würden. Ausgehend davon sei ein deutlicher Abstand der [X.] zu fordern, der von der angegriffenen Marke aber noch eingehalten werde. Die angegriffene Marke würde mit ihren Wortbestandteilen als der einfachsten und kürzesten Bezeichnungsform wiedergegeben werden. Daher stünden sich die Bezeichnungen [X.] und [X.] gegenüber, die sich schon durch ihre Wortlänge und die sich daraus ergebende unterschiedliche Silbenzahl, die unterschiedliche Vokalfolge und daraus resultierendem anderen Sprech- und Betonungsrhythmus deutlich unterscheiden würden. Die angegriffene jüngere Bezeichnung [X.] werde als ein zusammengehöriger Begriff aufgefasst, d.h. es sei nicht etwa einer der beiden Wortbestandteile der Bezeichnung für die Gesamtmarke prägend, nachdem die jeweiligen Wörter „vita“ und „[X.]“ gleichermaßen kennzeichnungsschwach seien. Auch eine schriftbildliche Verwechslungsgefahr sei angesichts der unterschiedlichen Wortlänge sowie der typischen Umrisscharakteristik des Bestandteils „+[X.]“ der angegriffenen Marke auszuschließen. Für andere Arten der Verwechslungsgefahr sei nichts ersichtlich. Die angegriffene Marke sei unter anderem bereits durch ihre grafische Gestaltung schon anders gebildet als die weiteren [X.]-Marken der Widersprechenden, sodass die angesprochenen [X.]e keinerlei Veranlassung hätten, die angegriffene Marke der Widersprechenden zuzuordnen. Zudem verwendeten auch zahlreiche andere Firmen den Markenbestandteil „[X.]“. Es könne dahingestellt bleiben, ob der eher beschreibende Begriff „[X.]“ (auch Zähne mit ihren Wurzeln und Nerven seien lebendig) überhaupt als Stammbestandteil geeignet sei. Von einer selbständig kennzeichnenden Stellung eines mit dem Widerspruchszeichen übereinstimmenden Bestandteils in einem mehrgliedrigen Zeichen sei ebenso wenig auszugehen, weil „[X.]“ sich nicht als Unternehmensschlagwort bzw. Hinweis auf das Unternehmen eigne. Die beiden Wortbestandteile „vita“ und „[X.]“ seien miteinander zu einer gesamtbegrifflichen Aussage verbunden, was einer selbständig kennzeichnenden Stellung des Wortteils „[X.]“ in der jüngeren Marke entgegenstehe.

Für den geltend gemachten Löschungsgrund des Sonderschutzes einer bekannten Marke seien keine Anhaltspunkte gegeben. Es sei weder eine Beeinträchtigung der Wertschätzung noch eine Verwässerung des älteren Zeichens [X.] ersichtlich, nachdem die Bezeichnung „[X.]“ nicht unverändert in das jüngere Zeichen übernommen worden sei und Wortzusammensetzungen mit „[X.]“ nicht zwingend nur als Hinweis auf die Widersprechende anzusehen seien.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Sie meint, dass eine Verwechslungsgefahr zwischen den sich gegenüberstehenden Marken zu bejahen sei. Die Markenstelle habe zum einem rechtsfehlerhaft die enorme Bekanntheit des Zeichens „[X.]“ als Marke für [X.]e und die entsprechend erhöhte Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke nicht berücksichtigt. Dieser sei aufgrund einer jahrzehntelangen intensiven Benutzung im angesprochenen [X.] der Zahnärzte und Zahntechniker sowie der Handelsunternehmen für [X.]e eine deutlich überdurchschnittliche Kennzeichnungskraft zuzubilligen. Auf der anderen Seite habe die Markenstelle ebenso fehlerhaft und widersprüchlich festgestellt, dass die Bestandteile „vita“ und „[X.]“ der angegriffenen jüngeren Marke eher kennzeichnungsschwach seien. Richtig sei vielmehr, dass die hohe Bekanntheit von „[X.]“ als Marke für [X.]e die Kennzeichnungskraft des entsprechenden Bestandteils der angegriffenen Marke erhöhe, wohingegen der weitere zweite Wortbestandteil der angegriffenen Marke „[X.]“ demgegenüber eher kennzeichnungsschwach bzw. ohne jede Kennzeichnungskraft sei. Die angegriffene Marke werde geprägt von dem durchschnittlich kennzeichnungskräftigen [X.]“, so dass eine unmittelbare Verwechslungsgefahr der [X.] bestehe. Auch sei eine Verwechslungsgefahr unter dem Gesichtspunkt einer selbständig kennzeichnenden Stellung gegeben. Denn das bekannte Firmenschlagwort und die Dach- und Serienmarke der Widersprechenden „[X.]“ sei in die angegriffene Marke übernommen worden. Dem ganz überwiegenden Teil der angesprochenen [X.]e sei „[X.]“ in der Dentalbranche als Kennzeichen der Widersprechenden bekannt. Dies belegten insbesondere die Verkehrsbefragungen. Ferner sei den angesprochenen Fachkreisen auch der Einsatz von „[X.]“ als Serienzeichen und damit auch die Verwendung in unterschiedlichen Variationen bekannt. Dazu hatte die Widersprechende mit der Widerspruchsbegründung vom 7. Juli 2017 zahlreiche weitere (eingetragene) Marken mit dem Bestandteil „[X.]“ aufgelistet, die von ihr auch benutzt würden [[X.]coll ([X.] 906), [X.]fol ([X.] 749 147), [X.]pan ([X.] 844 201), [X.]blocs ([X.] 1 127 447), [X.]VM ([X.] 303 06 741), [X.]PM ([X.] 304 28 841), [X.]SIL ([X.] 30 2010 020 062) sowie [X.] Vacumat ([X.] 395 25 198), [X.] Lumin ([X.] 513 945), [X.] In-Ceram ([X.] 1 144 339), [X.] Zeta ([X.] 2 061 132), [X.] Akzent ([X.] 397 35 846), [X.] Omega-Metallkeramik ([X.] 2 010 827), [X.] YZ ([X.] 300 40 055; [X.]), [X.] System 3D-Master ([X.] 301 64 913), [X.] Easyshade ([X.] 303 15 965), [X.] Zyrcomat ([X.] 303 05 379), [X.] BLP ([X.] 305 36 618), [X.] CAD-Temp ([X.] 306 46 744), [X.] [X.]L ([X.] 30 2008 005 387), [X.] MFT ([X.] 30 2008 039 376), [X.] Lingoform ([X.] 306 45 709), [X.] Shade Assist ([X.] 30 2009 034 801), [X.] ENAMIC ([X.] 30 2010 005, 552)], was aus den entsprechenden vorgelegten Produktkatalogen hervorgehe. Wenn ein [X.] dann unter der Bezeichnung „[X.]“ vermarktet werde, bestünde zumindest die Gefahr, dass die angesprochenen [X.]e das so gekennzeichnete Produkt der Widersprechenden zuordneten.

Die Widersprechende hatte im Widerspruchsverfahren vor dem Patentamt u.a. ein demoskopisches Gutachten über die „Bekanntheit und Kennzeichnungskraft der Bezeichnung [X.] bei Fachkreisen in [X.]“ vom Juni 2017 eingereicht, bei dem insgesamt 300 niedergelassene Zahnärzte, 200 Zahntechniker und 10 Händler für [X.]e befragt worden sind und aus dem sich eine Bekanntheit der Widerspruchsbezeichnung in den Fachkreisen von 99,2 %, ein Kennzeichnungsgrad, also die Bekanntheit für nur ein Unternehmen, von 96,3 % (unter Berücksichtigung von Fehlzuordnungen) und ein Zuordnungsgrad von 93,7 % ergeben. Sie hatte zudem weitere Unterlagen, unter anderem Berichte zum [X.] und [X.] [X.] mit Angaben zum Marktvolumen, zahlreiche Werbe- und Informationsmaterialien (Werbeflyer, Produktbroschuren, Kataloge), eidesstattliche Versicherungen mit der Angabe von Umsatzzahlen im Zeitraum 2006 bis 2015 sowie Veröffentlichungen in Fachzeitschriften für die Dentalbranche vorgelegt. Die Widersprechende ist der Auffassung, daraus sei zu entnehmen, dass es sich bei der Widerspruchsmarke um eine sehr bekannte und auch als Serienmarke eingesetzte Marke für [X.]e handelt.

Die Widersprechende beantragt sinngemäß,

den Beschluss der Markenstelle für [X.] des [X.]s vom 20. Dezember 2017 aufzuheben und wegen des Widerspruchs aus der Unionsmarke 008 199 523 [X.] die Löschung der angegriffenen Wort-/Bildmarke 30 2015 228 111 im Umfang des erhobenen Widerspruchs anzuordnen.

Die Markeninhaberinnen haben sich im Beschwerdeverfahren, wie auch bereits zuvor im Widerspruchsverfahren vor dem [X.] nicht geäußert und auch keine Anträge gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss der Markenstelle für [X.] sowie auf die Schriftsätze der Widersprechenden und den weiteren Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr für das Publikum ist nach ständiger Rechtsprechung sowohl des [X.] als auch des [X.] unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. hierzu z. [X.] [X.], 933 Rn. 32 - [X.]; [X.], 1098 Rn. 44 - [X.]/[X.]; [X.], 64 Rn. 9 - Maalox/[X.]; [X.], 1040 Rn. 25 - [X.]/pure; [X.], 833 Rn. 30 - Culinaria/[X.]; [X.], 382 Rn. 19 – [X.]; GRUR 2018, 79 Rn. 9 – [X.]/[X.] Club). Von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit insbesondere die Identität oder Ähnlichkeit der relevanten Vergleichsprodukte (Waren und/oder Dienstleistungen), die Identität oder Ähnlichkeit der Marken sowie die Kennzeichnungskraft und der daraus folgende Schutzumfang der Widerspruchsmarke. Diese einzelnen Faktoren sind zwar für sich gesehen voneinander unabhängig, bestimmen aber in ihrer Wechselwirkung den Rechtsbegriff der Verwechslungsgefahr (vgl. dazu [X.], 343 Rn. 48 - [X.]/[X.]; [X.], 64 Rn. 9 - Maalox/[X.]; [X.], 1040 Rn. 25 - [X.]/pure; siehe auch [X.]/Hacker/Thiering, [X.], 12. Aufl., § 9 Rn. 41 ff. m. w. N.). Darüber hinaus können sich für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr weitere Faktoren entscheidungserheblich auswirken, wie u. a. etwa die Art der Ware, die im Einzelfall angesprochenen [X.]e und daraus folgend die zu erwartende Aufmerksamkeit und das zu erwartende Differenzierungsvermögen dieser [X.]e bei der Wahrnehmung der Kennzeichen.

1. Die gezielt von der Widersprechenden angegriffenen Waren der [X.] „Abdruckmassen aus [X.] für zahnärztliche Zwecke; Abdruckmassen für zahnärztliche Zwecke; Abdruckmassen für zahnärztliche Zwecke zur Herstellung von Zahnformen; Abdruckmaterial für zahnärztliche Zwecke; Amalgam für zahnärztliche Zwecke; [X.] für zahnärztliche Zwecke; Antibiotika für zahnärztliche Zwecke; Antimikrobielle Mundwässer; Arzneimittel für zahnärztliche Zwecke; Beizmaterialien für zahnärztliche Zwecke; Dentalanästhetika; Dentalgips; Dentalharze; Dentalkeramik; Dentalmaterialien für Zahnfüllungen; Dentalmaterialien zum Füllen der Zähne; Dentalmaterialien zur Herstellung von Zahnmodellen; Dentalmaterialien zur Vervielfältigung von Zahnmodellen; [X.], [X.]; Desinfektionsmittel für zahnärztliche Apparate und Instrumente; Dichtungsmasse für zahnärztliche Zwecke; Edelmetalllegierungen für zahnärztliche Zwecke; Einbettungsmaterial für zahnärztliche Zwecke; Farbreagenzien zum Erkennen von Zahnbelag“ der jüngeren Marke sind mit den Widerspruchswaren der [X.] teilweise identisch und im Übrigen hochgradig ähnlich.

2. Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ist von Haus aus als durchschnittlich anzusehen. Die originäre Kennzeichnungskraft wird durch die Eignung einer Marke bestimmt, sich unabhängig von der jeweiligen Benutzungslage als Unterscheidungsmittel für die Waren und Dienstleistungen eines Unternehmens bei den beteiligten [X.]en einzuprägen und die Waren und Dienstleistungen damit von denjenigen anderer zu unterscheiden (vgl. z.B. [X.], [X.], 382 Rn. 31 - [X.]). Nachdem ein beschreibender Gehalt der Bezeichnung [X.], als ursprünglich aus dem [X.] stammendes Wort für Leben und eine Verwendung in der [X.] Sprache für eine literarische Lebensbeschreibung (vgl. DU[X.]N, [X.], 27. Aufl. 2017) für die einschlägigen Widerspruchswaren im Bereich der [X.] oder sonstige Gründe, die für eine Schwächung der Kennzeichnungskraft sprechen könnten, nicht gegeben sind, kann von einer mindestens durchschnittlichen originären Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ausgegangen werden. Aufgrund der von der Widersprechenden zahlreich vorgelegten Unterlagen – Dokumente zu dem von der Marke gehaltenen Marktanteil, Informationen zu der Dauer der Benutzung, ein demoskopisches Gutachten zu der Bekanntheit der Marke – ist jedenfalls von einer überdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke für die von ihr im Dentalbereich bzw. im Bereich von Zahnersatz und Zahnprothetik beanspruchten Waren auszugehen.

3. Den bei dieser Ausgangslage – identische bzw. hochgradig ähnliche Waren und jedenfalls überdurchschnittliche Kennzeichnungskraft – zu fordernden strengen bzw. sehr strengen Anforderungen an den [X.] wird die jüngere Marke nicht gerecht. Es ist davon auszugehen, dass ein beachtlicher Teil der angesprochenen Fachkreise im Bereich der [X.]e die angegriffene Wort-/Bildmarke aufgrund der Übereinstimmung in dem Wort „[X.]/[X.]“, das nicht nur die Widerspruchsmarke, sondern auch die Unternehmensbezeichnung und den Stammbestandteil einer entsprechenden Markenserie der Widersprechenden darstellt, mit dieser im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 2 [X.] gedanklich in Verbindung bringt.

a. Zwar ist eine unmittelbare Verwechslungsgefahr zwischen den sich gegenüberstehenden Marken nicht zu bejahen. Soweit sie in ihrer Gesamtheit miteinander verglichen werden, ergibt sich unter keinem Gesichtspunkt eine Gefahr von Verwechslungen. Insoweit unterscheiden sich die beiden Marken klanglich im Hinblick auf die markant unterschiedliche Wortlänge wie auch schriftbildlich durch die unterschiedliche Wortlänge sowie die zusätzlichen bildlichen Bestandteile (Darstellung zweier Blätter, + Symbol) in der jüngeren Marke deutlich voneinander, auch wenn sie in den ersten beiden Silben bzw. in der Wiedergabe [X.] nahezu identisch übereinstimmen.

Auch der Umstand, dass die Zeichen in dem Wort „vita“ übereinstimmen, führt vorliegend für sich genommen noch nicht zu einem verwechslungsfähigen Gesamteindruck der [X.]. Denn insoweit kann nicht davon ausgegangen werden, dass die angegriffene Marke durch ihren Wortanfang „[X.]“ allein kollisionsbegründend geprägt wird. Denn grundsätzlich nimmt der angesprochene Verkehr eine Marke so wahr, wie sie ihm entgegentritt, ohne sie in einzelne Bestandteile zu zerlegen. Ebenso kann eine Prägung durch einen Bestandteil eines zusammengesetzten Zeichens nur angenommen werden, wenn davon auszugehen ist, dass die übrigen Markenteile in einer Weise zurücktreten, dass sie für den Gesamteindruck vernachlässigt werden können. Dabei dürfen beschreibende oder kennzeichnungsschwache Markenteile nicht von vorneherein unberücksichtigt bleiben (vgl. auch [X.]/Hacker/Thiering, [X.], 12. Aufl., § 9 Rn. 387 ff mwN). Insoweit kann, anders als die Widersprechende meint, nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass ein entscheidungserheblicher Teil der angesprochenen [X.]e den zweiten Wortbestandteil „[X.]“ bei der angegriffenen Marke nicht (sei es klanglich oder schriftbildlich) mit wiedergeben wird, zumal die konkrete Gestaltung der Marke dafür keinen Anhalt gibt, was etwa bei einer entsprechenden optischen Ausgestaltung durch die Größe und Wiedergabe der Bestandteile der Fall sein kann (größerer und kleinerer Bestandteil oder ein klar im Vordergrund befindlicher Bestandteil). Auch begrifflich wirken die Wörter „vita“ im Sinn von „Leben“ und „+[X.]“ als eine aufeinander bezogenen Einheit.

b. Es besteht aber eine Verwechslungsgefahr unter dem Gesichtspunkt des gedanklich miteinander in Verbindung Bringens unter dem Aspekt eines Serienzeichens. Dies ist dann der Fall, wenn die Zeichen in einem Bestandteil übereinstimmen bzw. einen wesensgleichen Stamm aufweisen, den der Verkehr als Stammbestandteil mehrerer Zeichen eines Unternehmens ansieht und deshalb die nachfolgenden Bezeichnungen, die einen identischen oder zumindest wesensgleichen Stamm aufweisen, demselben Inhaber zuordnet, § 9 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz [X.] (vgl. [X.] GRUR 2009, 484 Rn. 38 – [X.]; GRUR 2009, 673 Rn. 39 – [X.]). Das Vorliegen einer Zeichenserie setzt die Benutzung mehrerer Marken mit einem gemeinsamen Stammbestandteil voraus, so dass die angesprochenen [X.]e das gemeinsame Element kennen und mit der Zeichenserie in Verbindung bringen (vgl. [X.], 343 Rn. 64 – [X.]/[X.] [[X.]]; [X.] [X.], 840 Rn. 23 – [X.] II).

Die Widersprechende hat mit dem von ihr vorgelegten umfangreichen Material belegt, dass die Bezeichnung „[X.]“ ein sehr bekanntes Firmenschlagwort, eine Dachmarke und der Stammbestandteil einer Markenfamilie der Widersprechenden ist. Die als Anlagen zu der Beschwerdebegründung vom 7. Juli 2017 eingereichten Unterlagen zeigen, dass die Widersprechende seit dem Jahr 1924 Produkte im Bereich der Zahntechnik, insbesondere künstliche Zähne, herstellt und dabei mit dem Firmenschlagwort [X.] auf dem [X.] tätig ist. Insbesondere mit der seit dem [X.] als [X.]PAN classical bezeichneten Farbskala für künstliche Zähne hat die Widersprechende einen Marktanteil von in den Jahren 2001 bis 2010 in Höhe von jeweils zwischen 72 % und 93 % nach den Umsatzzahlen erreicht (vgl. Anlage 7 zum Schriftsatz der Widersprechenden vom 7. Juli 2017). Zur tatsächlichen Verwendung der mit dem vorangestellten Bestandteil verbundenen bzw. den Bestandteil „[X.]“ enthaltenden Kennzeichen hat die Widersprechende zahlreiche Unterlagen eingereicht, unter anderem die sogenannten [X.] Kompendien mit der Produktpalette der Widersprechenden aus den Jahren 2006 und 2013 (Anlage 18 zum Schriftsatz vom 7. Juli 2017). Aus diesen Unterlagen geht hervor, dass die Widersprechende unter anderem die Bezeichnungen [X.] Toothguide 3D-Master für [X.], [X.] Easyshade zur Bestimmung von [X.], [X.]COLL für einen Haftvermittler zwischen Kunststoffzähnen und Basismaterialien, [X.]PAN für Kunststoffzähne, [X.] PHYSIO[X.]NS für Front- und Seitenzahnlager, [X.]VM bzw. [X.] VM für Verblendkeramik, [X.] In-Ceram für Blöcke zur Herstellung von Vollkeramik Kronengerüste, [X.] VACUMAT für ein Keramikbrenngerät, [X.] Linearguide 3D-Master zur [X.]bestimmung, [X.] LINGOFORM für Kunststoffzähne, [X.]FOL für ein Silikon-Isoliermaterial, [X.] ENAMIC für eine dentale Hybridkeramik vor dem maßgeblichen Prioritätszeitpunkt der jüngeren Marke (so [X.] GRUR 2009, 484 Rn. 40 - [X.]) am 8. Dezember 2015 verwendet. Bei den so gekennzeichneten Waren handelt es sich um chemische Erzeugnisse in Form von Verblendmaterialien für zahnärztliche Zwecke oder [X.], Haftvermittler oder Kunststoffzähne und damit um mit den angegriffenen Waren der jüngeren Marke identische oder jedenfalls hochgradig ähnliche Waren. Nach dem Vortrag der Widersprechenden und den dazu eingereichten Unterlagen ist daher davon auszugehen, dass die Widersprechende im Verkehr bereits vor dem Anmeldetag der angegriffenen jüngeren Marke mit einer Zeichenserie mit der Firmenkennzeichnung und dem Stammbestandteil [X.] auf dem [X.] umfangreich aufgetreten ist.

Daher ist die angegriffene Wort-/Bildmarke im Umfang des erhobenen Widerspruchs zu löschen, sodass der angefochtene Beschluss der Markenstelle insoweit aufzuheben war.

4. Zur Auferlegung der Kosten aus Gründen der Billigkeit gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 [X.] besteht bei der vorliegenden Sachlage keine Veranlassung.

5. Über die Beschwerde konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden. Eine solche war nur von der obsiegenden Widersprechenden hilfsweise beantragt worden, nicht aber von den insoweit unterlegenen Markeninhaberinnen. Eine mündliche Verhandlung war auch nicht aus Gründen der Sachdienlichkeit veranlasst, § 69 Nr. 1 und [X.] [X.].

Meta

25 W (pat) 11/18

13.06.2019

Bundespatentgericht 25. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 13.06.2019, Az. 25 W (pat) 11/18 (REWIS RS 2019, 6345)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 6345

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30 W (pat) 547/18

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