Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.01.2024, Az. X ZR 68/21

10. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 1420

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Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des 4. Senats ([X.]) des [X.] vom 26. Mai 2021 abgeändert.

Das [X.] Patent 2 447 941 wird mit Wirkung für die [X.] für nichtig erklärt.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die [X.] erteilten [X.] Patents 2 447 941 ([X.]), das am 1. Dezember 2006 unter Inanspruchnahme einer [X.] Priorität vom 6. Januar 2006 angemeldet worden ist und eine Spracherkennungsvorrichtung betrifft.

2

Patentanspruch 1, auf den ein weiterer Anspruch zurückbezogen ist, lautet in der [X.]:

[X.] apparatus, comprising

recognition unit (114) for carrying out a speech recognition process of recognizing the speech of the user,

instruction means for receiving speech recognition start instructions from a user, and instructing the recognition unit (114) to start the speech recognition process,

display means (110) for displaying at least one of recognizable speeches of the recognition unit (114), and

a sound processing unit (107),

wherein the speech recognition apparatus further comprises control means (112),

wherein a set-up period of time is necessary from a time when the recognition unit (114) receives instructions of start of the speech recognition process from the instruction means to a time when the recognition unit (114) is ready to carry out the speech recognition process, [X.] started after the set-up operation has been completed, and

wherein the control means (112), is adapted to control the display means (110) to start the display of a prohibition [X.] (3) indicative of prohibition of speech and the display of the at least one of recognizable speeches and the display of a guidance message (4), and to control the sound processing unit (107) to output the same content as the guidance message (4) as sound during the set-up period of time, wherein the prohibition [X.] (3) is erased from the display means (110) after the speech recognition process has started.

3

Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des [X.] sei nicht patentfähig und gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus. Die Beklagte hat das Streitpatent wie erteilt und hilfsweise im Umfang von Patentanspruch 2 verteidigt.

4

Das Patentgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der Berufung, mit der sie weiterhin die vollständige Nichtigerklärung des [X.] begehrt. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe

5

Die Berufung ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

6

I. [X.] betrifft eine Spracherkennungsvorrichtung.

7

1. Nach der Beschreibung des Streitpatents kann eine Spracherkennungsvorrichtung, wie sie etwa in Navigationssystemen verwendet wird, einen Sprachtext analysieren, erkennen und auf dieser Grundlage eine Vielzahl von Prozessen durchführen (Abs. 2). Einige dieser Vorrichtungen wiesen ein Display auf, auf dem eine Liste möglicher [X.] angezeigt werde (Abs. 4). Solche [X.] reagierten teilweise nicht zu jeder Zeit auf eine Spracheingabe, sondern müssten zunächst aktiviert werden (Abs. 5).

8

Zum Teil verstreiche zwischen der Aktivierung der Spracherkennungsvorrichtung, die etwa durch Drücken eines Schalters erfolge, und der Bereitschaft der Vorrichtung, eine Spracheingabe zu erkennen, eine gewisse Zeit. [X.] sei der Nutzer darauf hingewiesen worden, dass die Spracheingabe erst ab einem bestimmten Zeitpunkt erfolgen könne. Diese Information werde dem Nutzer im Stand der Technik etwa durch eine Ansage vermittelt (Abs. 7). Aus der [X.] [X.] sei ferner bekannt, ein sich bewegendes Bild anzuzeigen, das den Nutzer "intuitiv" darüber informiere, wann eine Spracheingabe möglich sei (Abs. 8 und 9).

9

Nachteilig hieran sei, dass insbesondere Nutzer, die mit der Vorrichtung nicht vertraut seien, sich auf die angezeigte Liste möglicher [X.] konzentrierten und dadurch nicht auf ein etwa angezeigtes bewegtes Bild achteten, das sie auf den Zeitpunkt hinweise, ab dem sie einen Sprachbefehl eingeben könnten (Abs. 10).

2. Vor diesem Hintergrund kann das technische Problem dahin beschrieben werden, eine Spracherkennungsvorrichtung bereitzustellen, bei der eine Fehleingabe des Nutzers möglichst unterbleibt und zugleich unnötige Verzögerungen vermieden werden.

3. [X.] schlägt hierzu in Patentanspruch 1 eine Vorrichtung vor, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen (abweichende Gliederung des Patentgerichts in eckigen Klammern):

1       

A speech recognition apparatus, comprising [1]

Spracherkennungsvorrichtung, umfassend

1.1     

recognition unit (114) for carrying out a speech recognition process of recognizing the speech of the user; [1.1]

eine [X.] (114) zum Ausführen eines [X.]es des Erkennens der Sprache des Nutzers

1.2     

instruction means for receiving speech recognition start instructions from a user, and instructing the recognition unit (114) to start the speech recognition process; [1.1.2]

Anweisungsmittel zum Empfangen einer [X.] eines Nutzers und zum Anweisen der [X.] (114), den [X.] zu starten;

1.3     

display means (110) for displaying at least one of recognizable speeches of the recognition unit (114); [1.1.3]

[X.] zum Anzeigen mindestens eines erkennbaren Sprachtextes der [X.] (114);

1.4     

a sound processing unit (107); [1.1.4]

eine [X.] (107);

1.5     

control means (112). [1.2]

[X.] (112).

2.    

A [X.] (114) receives instructions of start of the speech recognition process from the instruction means to a time when the recognition unit (114) is ready to carry out the speech recognition process; [1.3]

[X.] ist erforderlich, der von einem Zeitpunkt, zu dem die [X.] (114) Anweisungen zum Start des [X.]es empfängt, bis zu einem Zeitpunkt reicht, in welchem die [X.] (114) bereit ist, den [X.] auszuführen;

3.    

the speech recognition process is started after the set-up operation has been completed. [1.3.1]

der [X.] wird nach Abschluss des [X.] gestartet.

4.    

[X.] (112) is adapted [1.4]

Das [X.] ist eingerichtet,

4.1     

to control the display means (110) [1.4.1]

das [X.] (110) zu veranlassen,

4.1.1 

to start the display of a prohibition [X.] (3) indicative of prohibition of speech [1.4.1a]

das Anzeigen eines [X.] (3) zu starten, das das Verbot einer Spracheingabe anzeigt

4.1.2 

and the display of the at least one of recognizable speeches [1.4.1b]

und das Anzeigen mindestens eines erkennbaren Sprachtextes

4.1.3 

and the display of a guidance message (4); [1.4.1c]

und das Anzeigen einer [X.] (4)

4.2     

to control the sound processing unit (107) to output the same content as the guidance message (4) as a sound; [1.4.2]

die [X.] (107) zu veranlassen, den gleichen Inhalt wie die [X.] (4) als Ton auszugeben;

4.3     

during the set-up period of time.

während des [X.]s.

5.    

The prohibition [X.] (3) is erased from the display means (110) after the speech recognition process has started. [1.4.3]

Das Verbotszeichen (3) wird vom [X.] gelöscht, nachdem der [X.] gestartet wurde.

4. Einige Merkmale bedürfen der Erläuterung:

a) Ausgangspunkt für die Einleitung des [X.]es ist nach Merkmal 1.2 eine Start-Anweisung des Nutzers. Hierzu verfügt die Vorrichtung über ein Anweisungsmittel zum Empfangen einer solchen Anweisung, etwa vermittelt durch einen vom Nutzer zu betätigenden Sprachknopf.

b) Der Empfang der Start-Anweisung in der [X.] [X.]iert den Beginn des notwendigen [X.]s gemäß Merkmal 2. Es beginnt eine zeitliche Phase, in der eine Spracherkennung technisch bedingt noch nicht möglich ist, obwohl der entsprechende [X.] schon durch den Empfang der [X.] in der [X.] vorliegt. Hier besteht die Gefahr, dass der Nutzer entsprechend seinem Wunsch bereits [X.] tätigt, die aber noch nicht erkannt werden können (Abs. 6). Der [X.] endet demgemäß, wenn die notwendige Einstellzeit abgelaufen ist und die [X.] infolge dessen technisch bereit zur Ausführung des [X.]es ist. Inwieweit und nach Maßgabe welcher weiteren Ablaufvorgaben der [X.] anschließend tatsächlich umgesetzt wird, ist nicht mehr Gegenstand von Merkmal 2.

c) Patentanspruch 1 enthält keine ausdrückliche Angabe zur Dauer des [X.]s. Wie das [X.] in der als Anlage [X.] vorgelegten Entscheidung im Verletzungsrechtsstreit (Urteil vom 8. Dezember 2021, [X.]) zutreffend angenommen hat, legt das Streitpatent zugrunde, dass der [X.] jedenfalls so lange währt, dass die Anzeigen und die Tonausgabe nach [X.] 4 vom Nutzer wahrgenommen werden können.

d) Nach [X.] 4.1 ist das [X.] so eingerichtet, dass es den Start der Anzeige dreier Elemente auf dem [X.] veranlassen kann: Die Anzeige eines [X.] (Merkmal 4.1.1), mindestens eines erkennbaren Sprachtextes (Merkmal 4.1.2) und einer [X.] (Merkmal 4.1.3).

aa) Bei einem Verbotszeichen handelt es sich nicht um einen Text, sondern um ein Zeichen oder ein Symbol, das dem Nutzer vermittelt, dass derzeit eine Spracheingabe noch nicht erfolgen soll.

bb) Bei dem erkennbaren Sprachtext handelt es sich um einen Text, der den Nutzer darüber informiert, welche Spracheingabe in dem dem [X.] nachfolgenden [X.] erkannt werden kann.

cc) Eine [X.] gibt dem Nutzer eine Anleitung zur Nutzung der Vorrichtung (Abs. 23). Aus dem Zusammenhang mit Merkmal 4.2 ergibt sich, dass es sich bei der [X.] um eine schriftlich dargestellte Nachricht handelt.

dd) Das Ausführungsbeispiel nach der nachfolgend wiedergegebenen Figur 1A verdeutlicht, dass der Inhalt der [X.] ("Please make a speech when you hear a beep") mit dem Bedeutungsgehalt des [X.] (Darstellung geöffneter Lippen, die von einem schräg verlaufenden Balken durchgestrichen sind) korrespondieren kann.

Abbildung

Neben dem Verbotszeichen (3), der [X.] (4) und sechs erkennbaren Sprachtexten (1) zeigt das Ausführungsbeispiel eine Verbotsnachricht (prohibition message 2), die inhaltlich dem Verbotszeichen entspricht.

ee) Aus dem Umstand, dass der Anspruch zwischen dem erkennbaren Sprachtext und der [X.] unterscheidet, ergibt sich, dass diese beiden Anzeigen einen unterschiedlichen Inhalt haben müssen. Dies wird durch Merkmal 4.2 bestätigt; denn eine Ausgabe durch die [X.] ist zwar in Bezug auf eine [X.] zweckmäßig, nicht aber in Bezug auf die erkennbaren Sprachtexte.

e) An welcher Stelle oder in welchem Bereich der Anzeige die genannten drei Elemente angezeigt werden, gibt Patentanspruch 1 nicht vor.

Nach Auffassung des [X.] versteht der Fachmann unter einem Verbotszeichen ausschließlich ein Zeichen, Symbol oder Bild, das die anzuzeigende Liste erkennbarer Sprachtexte überlagert (Urteil vom 8. November 2019, 7 O 11/19, S. 17-23, NK11).

Demgegenüber haben das [X.] in dem bereits erwähnten Urteil ([X.], [X.]) und das Patentgericht in der angefochtenen Entscheidung zu Recht angenommen, dass der Anspruch eine teilweise Überlagerung des erkennbaren [X.] nicht zwingend vorgibt.

Zwar zeigt die oben bereits wiedergegebene Figur 1A ein den Sprachtext überlagerndes Verbotszeichen. In der Beschreibung wird zu diesem Ausführungsbeispiel ausgeführt, der Nutzer nehme das Verbotszeichen notwendigerweise wahr, wenn es in dieser Weise angeordnet werde (Abs. 22). Im Anspruch hat dies jedoch keinen Niederschlag gefunden.

Ein weiteres Ausführungsbeispiel nach Figuren [X.] und [X.] lässt erkennen, dass das Verbotszeichen zumindest für eine gewisse Dauer des [X.]s den Sprachtext überlagert, bevor es an eine andere Position verschoben wird, an der es den Sprachtext nicht überlagert.

AbbildungAbbildung

Hierzu führt die Beschreibung aus, dass die erste Position des [X.] dazu führe, dass der Nutzer es wahrnehme. Zur zweiten Position wird erläutert, der Sprachtext könne leicht gelesen werden, während weiterhin erkennbar sei, dass eine Spracheingabe noch nicht erfolgen solle (Abs. 71).

f) Auf die Frage, ob Merkmal 4.1.1 technische Wirkung hat, kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht an.

Zum zeitlichen Ablauf gibt Patentanspruch 1 vor, dass die Anzeige der drei Elemente nach [X.] 4.1 und die Tonausgabe nach Merkmal 4.2 während des [X.]s gestartet wird.

Die Wörter "during the set-up period of time" beziehen sich nicht nur auf die Tonausgabe nach Merkmal 4.2, sondern auch auf die Veranlassung der Anzeige von Verbotszeichen, erkennbaren Sprachtexten und [X.]en nach [X.] 4.1.

Aus der Funktion des [X.] und aus dem Zusammenhang mit Merkmal 5 ergibt sich ferner, dass das Verbotszeichen vor dem Ablauf des [X.]s angezeigt werden muss. Aus dieser Funktion und Merkmal 5 ergibt sich zudem eine zeitliche Begrenzung dahin, dass die Anzeige des [X.] jedenfalls dann endet, wenn der [X.] beendet ist.

Patentanspruch 1 kann dagegen nicht entnommen werden, dass die Anzeigen und die Tonausgabe bereits unmittelbar nach dem Empfang der [X.] gestartet werden. Für die Ausführungsbeispiele ist dies zwar in der Beschreibung so vorgesehen (Abs. 17, 18, 70), doch ist dem Anspruch keine entsprechende Vorgabe zu entnehmen.

Ob die Auffassung des [X.] ([X.], [X.]) zutrifft, der Anspruch lege fest, dass das Verbotszeichen spätestens gleichzeitig mit den erkennbaren Sprachtexten angezeigt wird, kann hier offen bleiben.

Zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass es zumindest eine Phase während des [X.]s geben muss, während der die drei Elemente nach [X.] 4.1 parallel angezeigt werden.

II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung, soweit im Berufungverfahren noch von Interesse, im Wesentlichen wie folgt begründet:

Entscheidend sei, dass die Mensch-Maschine-Schnittstelle durch die [X.] 4 so gestaltet werde, dass Eingabefehler sowie unnötige Eingabeverzögerungen minimiert würden. Ohne die Anzeige von Verbotszeichen, erkennbaren Sprachtexten und [X.] verlängere sich der [X.] und -erkennungsprozess regelmäßig. Durch die Kombination dieser Anzeigen werde die technische Wirkung erzielt, dass der Nutzer mit der Spracheingabe unmittelbar dann beginnen könne, wenn die Vorrichtung zur Spracheingabe bereit sei.

Der [X.] der unzulässigen Erweiterung liege nicht vor. Die Merkmale des erteilten Anspruchs 1 gingen in zulässiger Weise auf die Anmeldeunterlagen der Teilanmeldung ([X.]) und der [X.] ([X.]) zurück. Den ursprünglichen Anmeldeunterlagen sei bereits zu entnehmen, dass die Anzeige des erkennbaren Sprachtextes und des [X.] nach einem ersten Zeitpunkt, nämlich dem Empfang der [X.] und vor einem zweiten Zeitpunkt, zu dem das Erkennungsmittel zur Spracherkennung bereit sei, erfolge. Wie der Vergleich mit den Anmeldeunterlagen der [X.] zeige, seien zwar nicht alle Merkmale des ursprünglichen Anspruchs 1 oder der Ausführungsbeispiele in den erteilten Anspruch aufgenommen worden. Dies gelte etwa für die Anweisung, das Verbotsbild in einer Position anzuzeigen, die mit mindestens einem Teil des erkennbaren Sprachtextes auf dem [X.] überlagert sei. Die darin liegende Verallgemeinerung sei jedoch aufgrund der allgemeinen Lehre in der Beschreibung zulässig.

Der Gegenstand von Patentanspruch 1 sei auch patentfähig. Er sei gegenüber dem [X.] Patent 6 505 159 ([X.]), und den [X.] Patentanmeldungen 5 864 815 ([X.]) und 2003/00952 ([X.]) neu. Ausgehend von [X.] sei dieser Gegenstand auch nicht nahegelegt. Eine Veranlassung, während des [X.]s zusätzlich zur Anzeige des [X.] mit der Anzeige des erkennbaren Sprachtextes zu beginnen, sei nicht ersichtlich. Die entsprechenden Merkmale seien technischer Natur und daher bei der Prüfung der Patentfähigkeit zu berücksichtigen.

III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im [X.] in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Das Patentgericht ist zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangt, dass Merkmal 4.1.1 in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart ist.

1. Da das Streitpatent auf einer Teilanmeldung beruht, kommt es insoweit darauf an, ob sein Gegenstand über den Inhalt der [X.] in der bei der für die Einreichung der Anmeldung zuständigen Behörde ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG).

Da eine [X.] Übersetzung der Anmeldeunterlagen der früheren [X.] PCT/[X.]/324064 nicht vorliegt, wird insoweit auf die beim Eintritt in die [X.] Phase der Anmeldung unter der Nummer 06823543.1 eingereichte englischsprachige Übersetzung ([X.]) zurückgegriffen. Das Patentgericht hat festgestellt, dass Abweichungen, Übersetzungsfehler oder -ungenauigkeiten insoweit nicht geltend gemacht werden. Im [X.] hat sich hieran nichts geändert.

2. Der Inhalt der Anmeldung ist anhand der Gesamtheit der ursprünglich eingereichten Unterlagen zu ermitteln. Entscheidend ist, was der vom Patentgericht zutreffend bestimmte Fachmann diesen Unterlagen unmittelbar und eindeutig als zur Erfindung gehörend entnehmen kann. Nach der Rechtsprechung des [X.] sind bei der Ausschöpfung des [X.] Verallgemeinerungen nicht schlechthin ausgeschlossen. So ist die Verallgemeinerung ursprungsoffenbarter Ausführungsbeispiele zulässig, wenn von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels, die zusammengenommen, aber auch für sich betrachtet dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, nur eines oder nur einzelne in den Anspruch aufgenommen worden sind. Unzulässig ist eine Verallgemeinerung hingegen, wenn den ursprünglich eingereichten Unterlagen zu entnehmen ist, dass einzelne Merkmale in einem untrennbaren Zusammenhang miteinander stehen, der Patentanspruch aber diese Merkmale nicht in ihrer Gesamtheit vorsieht ([X.], Urteil vom 26. September 2023 - [X.], [X.], 42 Rn. 41 f. - Farb- und Helligkeitseinstellung).

3. Gemessen hieran ist Patentanspruch 1 mit der Aufnahme von Merkmal 4.1.1 unzulässig erweitert. Wie die Berufung zu Recht geltend macht, ist der [X.] nicht als zur Erfindung gehörend zu entnehmen, dass das Verbotszeichen an einer beliebigen Position angezeigt wird.

a) Ebenso wie das Streitpatent geht [X.] davon aus, dass es für einen auf die Liste mit möglichen [X.] konzentrierten Nutzer schwierig sein kann, ein gleichzeitig angezeigtes bewegtes Bild wahrzunehmen, das ihn auf den Zeitpunkt hinweisen soll, ab dem eine Spracheingabe möglich ist (Abs. 9).

b) Vor diesem Hintergrund ist in den Ansprüchen und in der Beschreibung der [X.] durchweg vorgesehen, dass das Verbotszeichen zunächst jeweils in einer Position angezeigt wird, in der es zumindest teilweise den erkennbaren Sprachtext überlagert.

Anspruch 1 sieht hierzu vor, dass die [X.] die Anzeige entweder einer Verbotsnachricht auf der gleichen Höhe wie der erkennbare Sprachtext oder eines [X.] in einer Position, die mindestens einen Teil des erkennbaren Sprachtextes überlagert, veranlassen.

Entsprechende Formulierungen finden sich in den nebengeordneten Ansprüchen 6 und 7 zu einer Anzeigemethode und einem Anzeigesteuerungsprogramm. Dem entsprechen die Ausführungen in Absatz 11 bis 13 der Beschreibung.

Auch die Beschreibung des Ausführungsbeispiels, das in Figur 1A der [X.] dargestellt wird (die mit der oben wiedergegebenen Figur 1A des Streitpatents identisch ist), sieht vor, dass das Verbotszeichen den erkennbaren Sprachtext vollständig oder zumindest teilweise überlagert. Dies wird dahin erläutert, eine solche Anordnung stelle sicher, dass der Nutzer, der die Liste der erkennbaren Sprachtexte sieht oder liest, auch das Verbotszeichen wahrnimmt (Abs. 23, ferner Abs. 58).

c) Dass auch eine Vorrichtung zur Erfindung gehören soll, bei der die [X.] eine Anzeige des [X.] während des [X.]s veranlassen, das sogleich neben dem erkennbaren Sprachtext angeordnet ist, ohne diesen zumindest teilweise zu überlagern, ist [X.] nicht zu entnehmen.

aa) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts lässt sich Absatz 16 der [X.] kein weitergehender Offenbarungsgehalt entnehmen.

Im vorletzten Satz dieses Absatzes heißt es zwar, dass während eines Zeitraums, der von der [X.] bis zum Start der Spracherkennung reiche, ein Verbotszeichen auf dem Bildschirm angezeigt werde. Dieser Satz darf jedoch nicht aus seinem Zusammenhang gelöst werden. Wie sich aus den vorangehenden Sätzen und dem unmittelbar nachfolgenden Satz ergibt, ist er Bestandteil eines Absatzes, in dem das Ausführungsbeispiel nach Figur 1 erläutert wird. Er hat lediglich die zeitliche Vorgabe zum Gegenstand, zu welchem Zeitpunkt und während welchen Zeitraums ("[X.], during a period of time …") eine Nachricht und ein Verbotszeichen angezeigt werden. Diesem Satz ist daher keine allgemeine Lehre des Inhalts zu entnehmen, dass die Position des [X.] auf der Anzeige beliebig ist. Aus der Bezugnahme auf die Figur 1A ergibt sich vielmehr, dass auch an dieser Stelle nur eine Vorrichtung offenbart wird, bei der die Verbotsanzeige den erkennbaren Sprachtext zumindest teilweise überlagert. Die Anzeige des [X.] und seine Positionierung stellen demgemäß auch in diesem Zusammenhang aufeinander bezogene [X.] dar, die gemeinsam die Wahrnehmung des [X.] beim Lesen des (teilweise) überlagerten Sprachtextes sicherstellen sollen, und damit in einem nicht trennbaren Zusammenhang stehen.

Entsprechendes gilt für Absatz 75.

bb) Eine andere Beurteilung ergibt sich, anders als die Beklagte meint, auch nicht aus dem letzten Satz des Absatzes 22 der Beschreibung.

Dort wird lediglich erläutert, dass das Verbotszeichen den erkennbaren Sprachtext nicht vollständig überlagern müsse, sondern es genüge, dass es den Sprachtext nur teilweise überlagere, so dass Verbotszeichen und erkennbarer Sprachtext einheitlich wahrgenommen werden. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der mit dem Wort "and" vorgenommenen kumulativen Verknüpfung der fehlenden Notwendigkeit eines vollständigen [X.] und der Möglichkeit eines teilweise [X.] nicht zu entnehmen, dass eine Überlagerung überhaupt nicht notwendig ist.

cc) Der auf Anspruch 1 rückbezogene Anspruch 4 und die entsprechenden Passagen der Beschreibung stehen dieser Deutung nicht entgegen, sondern bestätigen sie.

Anspruch 4 sieht eine Vorrichtung vor, bei der das Anzeigesteuerungsmittel, nachdem das Verbotszeichen zunächst in der in Anspruch 1 beschriebenen Art, also zumindest teilweise den erkennbaren Sprachtext überlagernd, angezeigt wurde, dieses Zeichen in einer Position anzeigt, in der es den Sprachtext nicht überlagert.

Die Beschreibung führt hierzu aus, dass es Vorrichtungen gebe, bei denen die Spracherkennung erst gestartet werde, wenn nach der Eingabe einer [X.] der [X.] [X.] betätigt werde (Abs. 63).

Hierfür schlägt [X.] eine modifizierte Vorgehensweise vor, für die auf Figuren [X.] und [X.] Bezug genommen wird, die wiederum den oben wiedergegebenen Figuren [X.] und [X.] der Streitpatentschrift entsprechen.

Wie die Beschreibung erläutert, erfolgt nach der [X.] zunächst eine Anzeige, die derjenigen der Figur 1A entspricht (Abs. 65), bei der mithin das Verbotszeichen den erkennbaren Sprachtext überlagert. Zugleich wird der Nutzer durch eine Tonausgabe darauf hingewiesen, dass er den [X.] erneut betätigen möge. Erst im [X.] hieran ändert sich die Anzeige dahin, dass das Verbotszeichen in einer Position angezeigt wird, in der es den erkennbaren Sprachtext nicht - auch nicht teilweise - überlagert (siehe Figur [X.]). Die Beschreibung erläutert hierzu, nachdem das Verbotszeichen zunächst in einer überlagernden Position angezeigt werde, erkenne es der Nutzer als Verbotszeichen (Abs. 67). Zugleich werde es dem Nutzer so erleichtert, den erkennbaren Sprachtext zu lesen. Das Verbotszeichen könne dann sogar ein anderes sein als das zunächst angezeigte (Abs. 68).

Die zeitliche Abfolge, nach der das Verbotszeichen zunächst in einer den erkennbaren Sprachtext zumindest teilweise überlagernden Position angezeigt wird, ergibt sich auch aus der Beschreibung zu Figur 5 (Abs. 73 bis 81).

Auch bei dieser abgewandelten Ausführungsform wird mithin das Verbotszeichen stets zunächst in einer Position angezeigt, in der es den erkennbaren Sprachtext mindestens teilweise überlagert.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 [X.] und § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Deichfuß     

      

Hoffmann     

      

Kober-Dehm

      

Rensen     

      

Crummenerl     

      

Meta

X ZR 68/21

11.01.2024

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend BPatG München, 26. Mai 2021, Az: 4 Ni 3/21 (EP), Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.01.2024, Az. X ZR 68/21 (REWIS RS 2024, 1420)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1420


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 4 Ni 3/21 (EP)

Bundespatentgericht, 4 Ni 3/21 (EP), 26.05.2021.


Az. X ZR 68/21

Bundesgerichtshof, X ZR 68/21, 11.01.2024.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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