Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.04.2019, Az. 1 StR 91/18

1. Strafsenat | REWIS RS 2019, 8176

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Heilung von Zulässigkeitsmängeln von fristgemäß erhobenen Verfahrensrügen


Tenor

1. Der Antrag des Angeklagten vom 22. Mai 2018 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Heilung der Mängel einer nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Verfahrensrüge wird zurückgewiesen.

2. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 19. Juni 2017 wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in elf Fällen und versuchter Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und elf Monaten verurteilt. Zwei Monate dieser Gesamtstrafe hat es für vollstreckt erklärt. Hiergegen richtet sich der Angeklagte mit seiner auf Verfahrensrügen und die ausgeführte Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Mit Schriftsatz vom 22. Mai 2018 hat er zur Heilung der Mängel einer Verfahrensrüge Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt.

2

1. Das Wiedereinsetzungsgesuch ist unzulässig.

3

a) Der Angeklagte hat mit der Revision fristgerecht die zu Unrecht erfolgte Zurückweisung eines [X.] gerügt. Das von ihm angebrachte [X.] hat er hingegen nicht vollständig vorgetragen, da eine Seite fehlt. Nach Kenntnisnahme der Antragsschrift des [X.], in der auf diesen Mangel hingewiesen worden war, hat er Wiedereinsetzung beantragt und die fehlende Seite nachgereicht.

4

b) Das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung dient nicht der Heilung von [X.] von fristgemäß erhobenen Verfahrensrügen. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Wiederholung einer zunächst von Verteidigern nicht formgerecht vorgetragenen und daher unzulässigen Verfahrensrüge widerspräche im Übrigen der Systematik des Revisionsverfahrens. Könnte ein Angeklagter, dem durch die Antragsschrift des [X.] ein formaler Mangel in der Begründung einer Verfahrensrüge aufgezeigt worden ist, diese unter Hinweis auf ein Verschulden seines Verteidigers nachbessern, würde im Ergebnis die Formvorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.] außer [X.] gesetzt. Da den Angeklagten selbst an dem Mangel regelmäßig keine Schuld trifft, wäre ihm auf einen entsprechenden Antrag hin stets Wiedereinsetzung zu gewähren (vgl. [X.], Beschluss vom 3. September 1987 - 1 [X.], [X.]R [X.] § 44 Verfahrensrüge 1). Dies stünde nicht mit dem öffentlichen Interesse in Einklang, einen geordneten Fortgang des Verfahrens zu sichern und ohne Verzögerung alsbald eine klare Verfahrenslage zu schaffen ([X.], Beschlüsse vom 21. Februar 1951 - 1 StR 5/51, [X.]St 1, 44, 46 und vom 27. März 2008 - 3 StR 6/08 Rn. 5). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung einer Verfahrensrüge kommt daher nur in besonderen [X.] ausnahmsweise in Betracht, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (vgl. [X.], Beschlüsse vom 7. September 1993 - 5 [X.], [X.]R [X.] § 44 Verfahrensrüge 8; vom 15. März 2001 - 3 StR 57/01 Rn. 2; vom 25. September 2007 - 1 StR 432/07, [X.], 18; vom 27. März 2008 - 3 StR 6/08 Rn. 6 und vom 24. Oktober 2018 - 2 StR 578/16, NStZ-RR 2019, 25; [X.]/[X.], [X.], 61. Aufl., § 44 Rn. 7 ff.). Eine solche Ausnahmesituation liegt nicht vor.

5

Es handelt sich zum einen nicht um einen Übersendungsfehler. Die 215 Seiten umfassende Revisionsbegründungsschrift ist durchgehend nummeriert, alle Seiten sind lückenlos fristgerecht eingereicht worden. Es liegt zum anderen auch kein Fall vor, in dem wegen nicht gewährter Akteneinsicht Verfahrensrügen nicht fristgerecht erhoben werden konnten (vgl. [X.], Beschlüsse vom 27. Mai 2008 - 3 [X.], [X.], 282, 283; vom 27. August 2008 - 2 [X.], [X.], 173, 174 und vom 4. Februar 2010 - 3 [X.] Rn. 2). Der Antragsteller trägt hierzu vor, er habe Akteneinsicht in Form einer pdf-Datei erhalten, hieraus den Ablehnungsantrag in die Revisionsbegründung kopiert und nicht bemerkt, dass die betreffende Seite in der Datei gefehlt habe. Dies stellt jedoch keinen Sachverhalt dar, der ihn wegen fehlender Aktenkenntnis an der formgerechten Erhebung gehindert hätte. Dies gilt schon deswegen, weil es sich um einen von ihm selbst gestellten Antrag handelt und zudem auch keine Bemühungen (vgl. hierzu [X.], Beschlüsse vom 16. Februar 1990 - 4 [X.], [X.]R [X.] § 44 Verfahrensrüge 5; vom 8. April 1992 - 2 StR 119/92, [X.]R [X.] § 44 Verfahrensrüge 7; vom 3. Dezember 1997 - 3 [X.], [X.]R [X.] § 44 Verfahrensrüge 12 und vom 15. Februar 2011 - 4 StR 36/11 Rn. 2) um vollständige Akteneinsicht angestellt bzw. dargelegt worden sind. Soweit im Wiedereinsetzungsantrag vorgetragen wird, dass die Erhebung der vollständigen Rüge durch Umstände gehindert worden sei, die der Verteidigung nicht zuzurechnen seien, kann dem aus den aufgezeigten Gründen nicht gefolgt werden. Das Nichtbemerken des Fehlens einer Seite stellt keinen Umstand dar, in dem es zur Wahrung des Anspruchs des Angeklagten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG unerlässlich erscheint, Wiedereinsetzung zur Nachholung von Verfahrensrügen zu gewähren.

6

c) Im Übrigen hätte die erhobene Rüge, selbst wenn sie rechtzeitig formgerecht erhoben worden wäre, keinen Erfolg. Die Behandlung des Ablehnungsgesuchs unter Mitwirkung der abgelehnten Richterin als unzulässig begegnet keinen Bedenken. Die in dem Beschluss dargelegten Umstände wie Verfahrensstand, Zeitpunkt der Anbringung und der Verweis auf die völlige Ungeeignetheit der Begründung rechtfertigen die Behandlung als in [X.] gestellt, § 26a Abs. 1 Nr. 3 [X.] (vgl. [X.], Beschlüsse vom 8. Juli 2009 - 1 [X.], [X.], 446 f.; vom 22. Februar 2013 - 2 [X.] 377/12 und vom 7. Juli 2015 - 3 [X.], [X.], 271, 272). Es ist auch nicht ersichtlich, dass die abgelehnte Richterin ihr eigenes Verhalten beurteilt hätte.

7

2. Die Revision hat aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] keinen Erfolg, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 [X.]).

Jäger     

        

Bellay     

        

Cirener

        

Fischer     

        

Pernice     

        

Meta

1 StR 91/18

11.04.2019

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Augsburg, 19. Juni 2017, Az: 9 KLs 501 Js 102444/14

§ 44 StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.04.2019, Az. 1 StR 91/18 (REWIS RS 2019, 8176)

Papier­fundstellen: NJW 2019, 3170 REWIS RS 2019, 8176

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