Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.03.2015, Az. VI ZR 490/13

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 14634

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR
490/13

vom

3. März
2015

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 531
1.
Art. 103 Abs. 1 GG ist dann verletzt, wenn der Tatrichter Angriffs-
oder [X.] einer [X.] in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusions-vorschrift zu Unrecht für ausgeschlossen erachtet.
2.
Die [X.] neuen Vortrags in der Berufungsinstanz nach §
531 Abs.
2 Satz
1 Nr.
1 ZPO setzt voraus, dass die nach Auffassung des [X.] fehlerhafte Rechtsauffassung des erstinstanzlichen Gerichts zumin-dest mitursächlich dafür geworden ist, dass sich [X.] in die [X.] verlagert hat. Dies kommt schon dann in Betracht, wenn das Gericht des ersten Rechtszugs, hätte es die später vom Berufungsgericht für zutreffend erachtete Rechtsauffassung geteilt, zu einem Hinweis nach §
139 Abs.
2 ZPO verpflichtet gewesen wäre.
3.
Der Anwendung des §
531 Abs.
2 Satz
1 Nr.
1 ZPO steht nicht entgegen, dass die
erstinstanzliche Geltendmachung des neuen Angriffs-
oder [X.] auch aus Gründen unterblieben ist, die eine Nachlässigkeit der [X.] im Sinne des §
531 Abs.
2 Satz
1 Nr.
3 ZPO tragen.
[X.], Beschluss vom 3. März 2015 -
VI [X.]/13 -
O[X.]

LG [X.]

-
2
-

Der VI.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am
3. März
2015
durch den
Vorsitzenden [X.], die Richterin [X.], den Richter
Stöhr, den
Richter Offenloch
und die Richterin Dr. Oehler

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des [X.] vom 9. Okto-ber 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das
Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfah-festgesetzt.

Gründe:
I.
Die [X.]en streiten um Ansprüche infolge einer ärztlichen Behandlung.
Die Klägerin, der im Jahr 1999 ein Mammakarzinom entfernt worden war und der nach einem Axillenrezidiv im Jahr 2001 beidseits [X.] implantiert worden waren, stellte sich im Januar 2008 erstmals in der Praxis des Beklagten, einem plastischen Chirurgen, vor. Im Hinblick auf den Verdacht einer Implantatruptur und die Diagnose einer Kapselfibrose
wechselte 1
2
-
3
-

der Beklagte bei der Klägerin am 19. Februar 2008 die Implantate aus und führ-te eine Kapsulektomie durch. Im September 2008 stellte der Beklagte bei der Klägerin eine Verformung der linken Brust und wiederum eine Kapselfibrose fest,
wechselte deshalb
am 18. November 2008 das linke Implantat erneut und führte zugleich eine
nochmalige
Kapsulektomie durch. Aufgrund einer weiteren
Dislokation des linken Implantats kam es am 25. November 2008 wieder zu ei-nem [X.]. Im Februar 2009 suchte die Klägerin mit Schmerzen und starken Bewegungseinschränkungen an der Schulter sowie einer harten, einge-zogenen und extrem schmerzhaften Narbe erneut den Beklagten auf. Auch die-ses Mal ergab sich der Verdacht einer Kapselfibrose.
Die Klägerin nimmt den Beklagten unter Behauptung mehrerer Behand-lungs-
und Aufklärungsfehler auf materiellen und immateriellen Schadensersatz in Anspruch. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht
das erstinstanzliche
Urteil abgeändert, die Ersatzpflicht des Beklagten hinsichtlich der künftigen materiellen und immateri-ellen Folgeschäden fest-gestellt, die ([X.] dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt
und die Sache zur Entscheidung
über die Höhe der materiellen und immateriellen Schäden an das [X.] zurückverwiesen. Es hat die Revision nicht zuge-lassen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Nichtzulassungsbe-schwerde.

II.
1.
Das Berufungsgericht hat mit dem [X.] einen Behandlungsfeh-ler verneint, entgegen der Auffassung des [X.]s
aber einen Aufklä-rungsfehler bejaht. Es hat insoweit im Wesentlichen ausgeführt, der Beklagte 3
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-
4
-

hafte, weil er die Klägerin weder vor der ersten [X.] am 19. Februar 2008 noch vor den nachfolgenden [X.]en am 18. und 25. November 2008 über ein wegen anatomischer Besonderheiten auf Grund der vorangegangenen Krebsoperation deutlich erhöhtes Risiko einer Kapselfibrose aufgeklärt habe. Die vor der zweiten [X.] erfolgte Aufklärung der Klägerin über das erhöhte Risiko einer Kapselfibrose bei einer Revisionsoperation genüge insoweit nicht, weil damit nicht zugleich über die sich aus der vorangegangenen Krebsoperati-on ergebende spezifische Risikoerhöhung aufgeklärt worden sei.
Der vom Beklagten erhobene Einwand der hypothetischen Einwilligung bleibe ohne Erfolg, weil das Vorbringen
in zweiter Instanz
gemäß §
531 Abs.
2 ZPO nicht mehr zu berücksichtigen sei. Es handle sich um ein neues [X.]. Der Beklagte bzw. sein
Prozessbevollmächtigter, dessen [X.] er sich zurechnen lassen müsse, hätte allen Anlass gehabt, den hier naheliegenden Einwand bereits im ersten Rechtszug zu erheben, weil der [X.] aufgrund der vom [X.] erteilten Anordnungen jedenfalls in [X.] habe ziehen müssen, dass eine Verurteilung auf eine unzureichende
oder nicht erfolgte Aufklärung gestützt werde.
2.
Die
Nichtzulassungsbeschwerde
des Beklagten hat
Erfolg
und führt gemäß §
544 Abs.
7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zu-rückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Der Beklagte rügt zu Recht, das Berufungsgericht habe seinen Anspruch aus Art.
103 Abs.
1 GG verletzt, indem es den von ihm erhobenen Einwand der hypothetischen Einwilli-gung zurückgewiesen habe.
a)
In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass Art.
103 Abs.
1 GG dann verletzt ist, wenn der Tatrichter Angriffs-
oder Verteidigungs-mittel einer [X.] in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvor-schrift zu Unrecht für ausgeschlossen erachtet hat ([X.], Beschlüsse vom 5
6
7
-
5
-

1.
Oktober 2014 -
VII
ZR 28/13, NJW-RR 2014, 1431 Rn.
10; vom
21. März 2013 -
VII
ZR 58/12, NJW-RR 2013, 655 Rn.
10; vom 17. Juli 2012 -
VIII
ZR 273/11, [X.], 3787 Rn.
9; jeweils mwN).
Dies ist vorliegend der Fall.
b)
Der vom Beklagten erhobene Einwand der hypothetischen Einwilli-gung hätte gemäß §
531 Abs.
2 Satz 1 Nr.
1 ZPO berücksichtigt werden müs-sen.
aa)
Noch zutreffend -
und von der Nichtzulassungsbeschwerde nicht in Zweifel
gezogen
-
ist
das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass es sich bei
dem vom Beklagten zweitinstanzlich erhobenen Einwand der hypotheti-schen Einwilligung um ein neues Verteidigungsmittel im Sinne des §
531 Abs.
2 ZPO handelt. Damit konnte es im [X.] nur
unter den besonde-ren Voraussetzungen dieser Vorschrift berücksichtigt werden.

bb)
Rechtsfehlerhaft ist hingegen die Annahme des Berufungsgerichts,
auch
die Voraussetzungen des §
531 Abs.
2 Satz 1 Nr.
1 ZPO seien
insoweit nicht erfüllt. Auf die Frage nach einer hypothetischen Einwilligung kam es auf der Grundlage der
Rechtsauffassung des [X.]s, das von ausreichenden Eingriffsaufklärungen ausging, nicht an. Weiter verlangt §
531 Abs.
2 Satz 1 Nr.
1 ZPO, dass die nach Auffassung des Berufungsgerichts fehlerhafte Rechtsauffassung des erstinstanzlichen Gerichts zumindest mitursächlich dafür geworden ist, dass sich [X.] in die Berufungsinstanz verlagert hat
([X.], Urteil vom 21. Dezember 2011 -
VIII
ZR 166/11, NJW-RR 2012, 341 Rn.
19; [X.]/[X.], 30.
Aufl., §
531 Rn.
27; Hk-ZPO/[X.], 6.
Aufl., §
531 Rn.
7; jeweils mwN), was schon dann in Betracht kommt, wenn das [X.] des ersten Rechtszugs, hätte
es die
später vom Berufungsgericht für [X.] erachtete Rechtsauffassung geteilt, zu
einem Hinweis nach §
139 Abs.
2 ZPO verpflichtet gewesen wäre ([X.], Urteil vom 21. Dezember 2011
8
9
10
-
6
-

-
VIII
ZR 166/11, aaO Rn.
20; [X.]/[X.]
aaO; Hk-ZPO/[X.] aaO). Auch diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] wurde das bei der Klägerin erhöhte Risiko einer erneuten Kapselfibrose insoweit an-gesprochen, als der Beklagte im Rahmen seiner persönlichen Anhörung darleg-te, die Klägerin vor der zweiten [X.] über das erhöhte Risiko einer Kapsel-fibrose aufgeklärt zu haben. Die Klägerin räumte ein, es könne schon sein, dass ihr der Beklagte gesagt habe, dass das Risiko einer erneuten Kapselfibrose erhöht sei. Dass die Aufklärung über das in ihrem Fall erhöhte Risiko einer Kapselfibrose trotzdem
unzureichend sei, hat sie dabei nicht eingewandt. Hätte das [X.] erwogen, dass -
wie das Berufungsgericht meint
-
die erfolgte Eingriffsaufklärung unabhängig von der unstreitigen Aufklärung über das bei der Klägerin erhöhte Risiko einer erneuten Kapselfibrose deshalb unzureichend sein könnte, weil damit nur über die revisionsoperationsbedingte Risikoerhö-hung, nicht aber über den nach Auffassung des Berufungsgerichts zusätzlichen Risikofaktor der vorangegangenen Krebsoperation aufgeklärt worden sei, hätte es bei dieser Sachlage gemäß §
139 Abs.
2 ZPO
auf diesen Gesichtspunkt
hinweisen müssen. Denn der Beklagte
hatte ihn
ersichtlich nicht im Blick und damit
aus seiner Sicht keinen Anlass einzuwenden, die Klägerin hätte der [X.] auch
dann
zugestimmt, wenn sie
neben der revisionsoperationsbedingten Risikoerhöhung auch über den zusätzlichen Risikofaktor der vorangegangenen Krebsoperation
aufgeklärt worden wäre.
Eine andere Bewertung folgt auch nicht aus der Überlegung des [X.], der Beklagte bzw. sein Prozessbevollmächtigter, dessen [X.] er sich gemäß §
85 Abs.
2 ZPO zurechnen lassen müsse, hätte allen Anlass gehabt, den naheliegenden Einwand der hypothetischen Einwilligung bereits im ersten Rechtszug zu erheben, weil der Beklagte aufgrund der vom 11
12
-
7
-

[X.] erteilten Anordnungen jedenfalls habe in Betracht ziehen müssen, dass eine Verurteilung auf eine unzureichende oder nicht erfolgte Aufklärung gestützt werde. Das Berufungsgericht verkennt insoweit
bereits, dass
die Nach-lässigkeit der
[X.]
-
anders als im Falle des §
531 Abs.
2 Satz 1 Nr.
3
ZPO
-
die Anwendung des §
531 Abs.
2 Satz 1 Nr.
1
ZPO nicht ausschließt ([X.], Ur-teil vom 21. Dezember 2011 -
VIII ZR 166/11, NJW-RR 2012, 341 Rn. 17 f.).
3. Im Rahmen der erneuten Befassung wird das Berufungsgericht Gele-genheit haben, auch das weitere Vorbringen der [X.]en in der [X.] zu berücksichtigen.
Galke
[X.]
Stöhr

Offenloch
Oehler

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom [X.] -
3 O 54/10 -

O[X.], Entscheidung vom 09.10.2013 -
7 [X.] -

13

Meta

VI ZR 490/13

03.03.2015

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.03.2015, Az. VI ZR 490/13 (REWIS RS 2015, 14634)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 14634

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