Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.05.2018, Az. VI ZR 370/17

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 8575

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[X.]:[X.]:[X.]:2018:290518BVIZR370.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VI [X.]/17
vom
29. Mai 2018
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

BGB § 280, § 823 Abs.
1 [X.], I; [X.] Art. 103 Abs. 1; ZPO § 531 Abs. 2

a)
Eine Aufklärungspflicht des Arztes besteht nur hinsichtlich solcher Risiken, die im Zeitpunkt der Behandlung bereits bekannt sind.

b)
Der in erster Instanz siegreiche [X.] darf darauf vertrauen, nicht nur rechtzeitig darauf hingewiesen zu werden, dass und aufgrund
welcher Erwägungen das Berufungsgericht der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will, sondern dann auch Gelegenheit zu erhalten, seinen [X.] sachdienlich zu ergänzen oder weiteren Beweis anzutreten.

c)
§ 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO setzt voraus, dass die Rechtsansicht des Gerichts den erstinstanzlichen Sachvortrag der [X.] beeinflusst hat und daher ([X.] dafür geworden ist, dass sich [X.]vorbringen in das Berufungsverfahren verlagert hat. Hiervon ist aber bereits dann [X.], wenn das Gericht des ersten Rechtszugs, hätte es die später vom Berufungsgericht für zutreffend erachtete Rechtsauffassung geteilt, zu einem Hinweis nach § 139 Abs. 2 ZPO verpflichtet gewesen wäre.

[X.], Beschluss vom 29. Mai 2018 -
VI [X.]/17 -
O[X.]

[X.]
-
2
-
Der VI. Zivilsenat des [X.] hat am 29. Mai 2018 durch den Vorsitzenden [X.], [X.], die Richterinnen von
Pentz
und
Müller sowie
den Richter Dr.
Klein

beschlossen:

Auf die
Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Grund-
und Teilurteil des 8.
Zivilsenats des [X.] vom 15.
August 2017
aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert wird auf bis 140.000

Gründe:
I.
Die Kläger nehmen die Beklagten wegen fehlerhafter ärztlicher [X.] und unzureichender Aufklärung über die Risiken einer [X.] auf Er-satz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch.
Der im Jahre 1960 geborene Kläger zu 1 ist bei der Klägerin zu 2 kran-kenversichert. Er litt an einer Erkrankung der Speiseröhre, die u.a. zu einer funktionellen Stenose und zu Schluckbeschwerden führt (Achalasie). Er war deshalb bereits seit dem [X.] in ärztlicher Behandlung. Mindestens zwei-mal war
versucht worden, die Probleme durch eine Ballondilatation zu beheben. 1
2
-
3
-
Da die
Behandlungsmaßnahmen nicht zum
gewünschten Erfolg führten, emp-fahl man dem Kläger die operative Versorgung der Achalasie
durch eine
laparoskopische Ösophagomyotomie verbunden mit einer Hemifundoplicatio im Hause der Beklagten zu 1. In dem am 2.
August 2004 geführten [X.] wurde der Kläger über die Risiken einer Blutung, Nachblutung, Infek-tion, Thrombose, Embolie, Transfusion (HIV, Hepatitis), Schluckstörungen und die Verletzung intraabdomineller Organe (Speiseröhre, Magen, Bauchspeichel-drüse, Milz, Gefäße) aufgeklärt. Auf die Möglichkeit des Auftretens eines [X.] (Flüssigkeitsansammlung zwischen Rippen-
und Bauchfell) und eines [X.]s (Vereiterung) wurde der Kläger nicht hingewiesen. Am 3.
August 2004 wurde der Kläger vom Beklagten zu 2 operiert. Bei einer am 7.
August 2004 durchgeführten Röntgenuntersuchung stellten sich [X.] beidseits heraus. Am 10.
August 2004 wurde der Kläger entlassen. Wenige Tage später traten Schmerzen an der [X.], Fieber bis zu 40,5
Grad und Atemnot auf, weshalb sich der Kläger mehrfach in (not)ärztliche Behandlung begab. Am 25.
August 2004 wurde der Pleuraerguss im St.
V.
Krankenhaus in H.
durch Einlage eines sog. [X.] entlastet. Am 30.
August 2004 ergab eine [X.] des Thorax und des Oberbauchs eine Zunahme des [X.] links und einen Verdacht auf ein [X.]. Da eine dauerhafte Besserung der klinischen Gesamt-situation nicht eintrat,
wurde am 7.
September 2004 in H.
eine explorative
Thorakotomie, Dekortikation und [X.] durchgeführt.
Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Den Beklagten seien im Rahmen der Behandlung des [X.] keine Behandlungsfehler unterlaufen. Der Kläger sei auch nicht unzureichend über die mit der [X.] verbundenen Risiken aufgeklärt worden. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sach-verständigen Prof. Dr. B. sei der Kläger weder auf das Risiko eines [X.] noch auf das Risiko eines [X.]s hinzuweisen gewesen, da 3
-
4
-
es sich bei diesen Erkrankungen nicht um typische Risiken der streitgegen-ständlichen [X.] handle und ein innerer Zusammenhang zu der [X.] nicht bestehe. Auf die Berufung der Kläger hat das [X.] die Kla-geanträge des [X.] Ziff. 1 und 3 und den
Klageantrag der Klägerin Ziff. 1
nach Anhörung des Sachverständigen zum Vorwurf des Behandlungsfehlers
dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Ersatzverpflichtung der [X.] festgestellt. Die Revision hat es nicht zugelassen. Hiergegen wenden sich die Beklagten mit
der Nichtzulassungsbeschwerde.

[X.]
Nach Auffassung des Berufungsgerichts haften die Beklagten den [X.] wegen unzureichender Aufklärung über die mit der [X.] verbunde-nen Risiken
gesamtschuldnerisch auf Schadensersatz. Der Kläger habe vor dem Eingriff über die Gefahr des Eintritts eines [X.]s und seiner Fol-gen aufgeklärt werden müssen. Bei dem
[X.] handle es sich um ein seinerzeit in der Fachwelt bekanntes, spezifisch mit der Therapie verbundenes Risiko, das wegen der damit u.U. verbundenen Folgen (Brustkorberöffnung) für die Lebensführung des Patienten erkennbar Bedeutung für dessen Entschlie-ßung habe haben können. Sowohl der Sachverständige Prof. Dr. B. als auch die Beklagten selbst belegten die damalige Kenntnis vom Risiko des Eintritts eines [X.]s durch Entzündung eines operationsbedingt eingetrete-nen [X.] in den entscheidenden Fachkreisen. Beide zitierten eine 2008 veröffentlichte Studie, wonach bei der operativen Behandlung der Achala-sie das [X.] sogar zu den Hauptkomplikationen gehöre. Bei vier von 353 untersuchten Patienten habe sich postoperativ ein [X.] entwi-ckelt, ohne dass eine Undichtigkeit des Ösophagus habe nachgewiesen werden 4
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-
können. Die Ausführungen von Prof. Dr. B. seien eindeutig so zu verstehen, dass diese Zusammenhänge auch schon zum [X.]szeitpunkt bekannt gewesen seien und nicht erst durch die einige Jahre später erschienene
Studie bekannt geworden seien. Auch die Beklagten hätten eine englischsprachige [X.] aus dem [X.] zitiert, wonach sich generell nach [X.] [X.]en ein Pleuraerguss als potentielle Quelle für ein [X.] erge-ben könnte. Das Risiko des Auftretens eines [X.]s sei auch nicht in einer Weise selten, dass die Annahme einer Aufklärungspflicht zu einem Aus-ufern des ärztlichen [X.] führen würde. Ausweislich der zuvor ge-nannten Studie gehöre das [X.] bei der operativen Behandlung der Acha-lasie zu den Hauptkomplikationen. Die teilweise abweichenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. anlässlich seiner Anhörung vor dem [X.] ständen im klaren Widerspruch zu seinen differenzierten schriftlichen An-gaben. Der Sachverständige habe bei seiner Anhörung erkennbar nicht hinrei-chend zwischen dem an sich harmlosen Pleuraerguss und dem gefährlichen [X.] unterschieden und in der Studie präzise festgestellte
Wahr-scheinlichkeiten verwechselt.
Mit ihrem erstmals im zweiten Rechtszug vorgebrachten Einwand einer hypothetischen Einwilligung
des [X.] in die [X.] könnten die Beklagten gemäß §
531 Abs.
2 ZPO nicht mehr gehört werden. Sie hätten Anlass gehabt, sich schon in der ersten Instanz zumindest hilfsweise auf eine hypothetische Einwilligung zu berufen, nachdem sie die fehlende Aufklärung über den [X.] und das [X.] eingeräumt
hätten.
Den Beklagen habe es [X.], sich bereits im ersten Rechtszug auf das neue [X.] zu berufen, ohne dass es dafür eines Hinweises nach § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO bedurft habe.

5
-
6
-
I[X.]
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt
gemäß §
544
Abs.
7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückver-weisung des Rechtsstreits
an das
Berufungsgericht. Die Beurteilung des [X.], die Beklagten hafteten den Klägern wegen unzureichender Auf-klärung über das
mit dem streitgegenständlichen Eingriff
verbundene
Risiko
der Entwicklung
eines [X.]s, beruht auf einer Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art.
103 Abs.
1 [X.].
1. Unter entscheidungserheblichem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 [X.] ist das Berufungsgericht zu der Annahme gelangt, es sei bereits im Zeitpunkt des streitgegenständlichen Eingriffs am 3.
August 2004 in medizinischen Fach-kreisen bekannt gewesen, dass sich nach Durchführung einer laparoskopischen Ösophagomyotomie ein [X.] entwickeln könne.
a)
Die Bestimmung in Art. 103
Abs. 1 [X.] hat den Zweck, einen ange-messenen Ablauf des Verfahrens zu sichern (vgl. [X.] 119, 292, 296). Der Einzelne soll nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein, sondern vor einer Ent-scheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um Einfluss auf das Ver-fahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl. [X.] 84, 188, 190; 86, h-ren Beteiligten einen Anspruch darauf, sich zu dem in Rede stehenden Sach-verhalt und zur Rechtslage zu äußern (vgl. [X.] 19, 32, 36; 49, 325, 328; 55, 1, 6; 60, 175, 210; 64, 135, 143 f.) sowie Anträge zu stellen und Ausführun-gen zu machen (vgl. [X.] 6, 19, 20; 15, 303, 307; 36, 85, 87). Dem ent-spricht die Pflicht des Gerichts, tatsächliche
und rechtliche Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. [X.] 60, 1, 5; 65, 227, 234; 84, 188, 190; 86, 133, 144 ff.; [X.], Beschluss vom 6
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8
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7
-
1.
August 2017 -
2 BvR 3068/14, [X.], 3218 Rn. 47 mwN). Wenn ein [X.] Vortrag einer [X.] [X.] des [X.]vorbringens darstellt und für den Prozessausgang von entscheidender Bedeutung ist, besteht für das [X.] eine Pflicht, die vorgebrachten Argumente zu erwägen (vgl. [X.] 47, 182, 188 f.; 86, 133, 146; [X.], Beschluss vom 27. Februar 2018 -
2 BvR 2821/14, [X.], 706 Rn. 18). Das Recht auf rechtliches Gehör gebietet auch die Berücksichtigung
erheblicher
Beweisanträge. Die Nichtberücksichti-gung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art.
103 Abs.
1 [X.], wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. [X.], [X.], 3218 Rn.
48 mwN).
b)
Diesen Anforderungen genügt das Berufungsurteil nicht.
Die Nichtzu-lassungsbeschwerde beanstandet
zu Recht, dass das Berufungsgericht den
-
durch Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens unter Beweis gestellten
-
Vortrag der Beklagten in ihrem nachgelassenen Schriftsatz vom 18.
Juli 2017 übergangen hat.
In diesem Schriftsatz hatten die Beklagten darauf hingewiesen, dass es keine Anhaltspunkte für
die Annahme
gebe, es sei
bereits im August 2004 in der medizinischen Wissenschaft bekannt gewesen, dass bei der operativen Behandlung der Achalasie die Gefahr der Entwicklung eines [X.]s und eines [X.] bestehe. Diesen Schluss habe der Sachverständige Prof. Dr. B. auch zu keinem Zeitpunkt gezogen. Die von ihm
im schriftlichen Gutachten angeführte und vom Berufungsgericht [X.], wonach sich bei vier von 353 Patienten, die sich einer laparoskopi-schen Myotomie nach [X.] unterzogen hätten, ein [X.] entwickelt habe, stamme ausweislich der vom Sachverständigen ausdrücklich angegebe-nen Fundstelle erst vom Dezember 2008. Der Sachverständige habe
die einge-tretenen Komplikationen des [X.] und des [X.]s zum maßgeblichen Zeitpunkt der [X.] gerade nicht für aufklärungsbedürftig erachtet, da er die Aufklärung des [X.] an anderer Stelle des
schriftlichen 9
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8
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Gutachtens
ausdrücklich als korrekt und umfassend bezeichnet habe. Wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht geltend macht, stimmen die diesbezügli-chen Angaben des gerichtlichen Sachverständigen mit den Ausführungen des Privatgutachters der Kläger Prof. Dr. T. überein, die sich die Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 20.
Juli 2015 zu Eigen gemacht hatten. Danach sei
die Aufklä-rung des [X.] umfassend und erschöpfend erfolgt; wegen der geringen [X.] und der noch kleineren Quote operativer Behandlungen hätten keine zuverlässigen Angaben über die Rate von Infektionen und [X.]n nach Ösophagomyotomie und Hemifundoplicatio wegen dieser [X.] vorgelegen.
Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt darüber hinaus zu Recht
als ge-hörswidrig, dass das Berufungsgericht den Vortrag der Beklagten auf Seite 8 ihres
Schriftsatzes
vom 4.
Oktober 2010
im Kern verkannt hat. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts lässt sich nach dem Vorbringen der Beklag-ten der von ihnen
zitierten englischsprachigen [X.] aus dem Jahre 1994 nicht entnehmen, dass sich nach einer Ösophagomyotomie ein [X.] entwickeln kann. Hinweise auf die Entwicklung eines [X.]s nach einem solchen Eingriff waren nach dem Vortrag der Beklagten
im unmittelbar [X.] Absatz erst der "wegweisenden Arbeit" von
Ross et al. von
Dezember 2008
zu entnehmen. Hierbei handelt es sich aber um eben die Studie, die auch der gerichtliche Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten erwähnt hat-te
und die erst mehr als
vier Jahre nach dem Eingriff veröffentlicht worden ist.
c) Mit diesen von den Beklagten im Einzelnen aufgezeigten [X.] hätte sich das Berufungsgericht befassen und die Frage, ob das Risiko einer Entstehung eines [X.]s nach Durchführung einer laparoskopi-schen Ösophagomyotomie tatsächlich bereits im August 2004 bekannt war, 10
11
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9
-
durch ein (ergänzendes)
Sachverständigengutachten, ggf. im Wege der [X.] Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. B.,
klären müssen.
d)
Die Gehörsverletzung
ist
auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berück-sichtigung des Vortrags der Beklagten und der dann gebotenen weiteren Auf-klärung des Sachverhalts zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre. Denn wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zu Recht angenommen hat, ist nur über bekannte Risiken
aufzuklären. War ein Risiko im Zeitpunkt der [X.] noch nicht bekannt, besteht insoweit keine Aufklärungspflicht.
War es dem behandelnden Arzt nicht bekannt und musste es ihm auch nicht bekannt sein, etwa weil es nur in anderen Spezialgebieten der medizinischen Wissenschaft aber nicht in seinem Fachgebiet diskutiert wurde, entfällt die Haftung des Arztes mangels schuldhafter Pflichtverletzung (vgl. Senatsurteil vom 19.
Oktober 2010
-
VI
ZR 241/09, [X.], 223 unter [X.] 1.; vom 29.
Januar 1991 -
VI
ZR 206/90, [X.]Z 113, 297, 306 sowie Senatsbeschluss vom 16.
Juni 2015 -
VI
ZR 332/14, [X.] Rn.
13).
2. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art.
103 Abs.
1 [X.] darüber hinaus dadurch verletzt, dass es den von ihnen erstmals in der Berufungsinstanz erhobenen Einwand der hypothetischen Einwilligung gemäß § 531 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen hat.
a) Wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht geltend macht, war das neue Vorbringen der in erster Instanz
siegreichen Beklagten bereits deshalb zuzulassen, weil das Berufungsgericht die Sach-
und Rechtslage anders als das Gericht des ersten [X.] beurteilt hat.
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13
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-
10
-
aa) Nach ständiger Rechtsprechung darf der in erster Instanz siegreiche [X.] darauf vertrauen, nicht nur rechtzeitig darauf hingewiesen zu werden, dass und aufgrund welcher Erwägungen das Berufungsgericht der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will, sondern dann auch Gelegenheit zu erhalten, seinen Tatsachenvortrag sachdienlich zu ergänzen oder weiteren [X.] anzutreten (vgl. [X.], Beschlüsse
vom 12. Juni
2003 -
1 BvR 2285/02, NJW 2003, 2524; vom 7. Oktober 2016 -
2 BvR 1313/16, juris Rn. 11; [X.], Urteil vom 9. Oktober 2009 -
V [X.], [X.], 363,
365
mwN). Das [X.]
muss sachdienlichen Vortrag der [X.] auf einen nach der Prozesslage gebotenen Hinweis nach § 139 ZPO zulassen. Die Hinweispflicht des [X.] und die Berücksichtigung neuen Vorbringens gehören insoweit zusammen, woran auch die Vorschrift des §
531 Abs. 2 Satz 1 ZPO, die die Zulässigkeit neuer Angriffs-
und Verteidigungsmittel in der Berufungsinstanz einschränkt, nichts geändert hat. Die Hinweispflicht auf eine von der ersten In-stanz abweichende Beurteilung liefe leer, wenn ein von dem [X.] darauf vorgebrachtes entscheidungserhebliches Vorbringen bei der Ent-scheidung über das Rechtsmittel unberücksichtigt bliebe. Neues Vorbringen des [X.]n, das auf einen solchen Hinweis des Berufungsgerichts erfolgt und den [X.] wegen einer von der ersten Instanz [X.] rechtlichen oder tatsächlichen Beurteilung durch das Berufungsgericht vermeiden soll, ist zuzulassen, ohne dass es darauf ankommt, ob es schon in erster Instanz hätte vorgebracht werden können ([X.], [X.] vom 7. Oktober 2016 -
2 BvR 1313/16, juris Rn. 11; [X.], Urteil vom 9.
Oktober 2009 -
V [X.], [X.], 363, 365 mwN).
bb) Nach diesen Grundsätzen hätte das Berufungsgericht den von den Beklagten im nachgelassenen Schriftsatz vom 18. Juli 2017 erhobenen [X.] der hypothetischen Einwilligung berücksichtigen müssen.
15
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11
-
b) Unabhängig davon hat das Berufungsgericht die Voraussetzungen für eine Zulassung neuen Vorbringens gemäß § 531 Abs. 2 ZPO in offenkundig fehlerhafter Weise verneint.
aa) Wie bereits ausgeführt verpflichtet Art.
103 Abs.
1 [X.] die Gerichte, Anträge und Ausführungen der Prozessparteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Zwar hindert Art.
103 Abs.
1 [X.] den Gesetzgeber nicht, durch Präklusionsvorschriften auf eine Prozessbeschleunigung hinzuwirken. Diese das rechtliche Gehör beschränkenden Vorschriften haben jedoch wegen der einschneidenden Folgen, die sie für die säumige [X.] nach sich ziehen, strengen Ausnahmecharakter. Art.
103 Abs.
1 [X.] ist jedenfalls dann verletzt, wenn die Anwendung der Präklusionsvorschrift durch das Fachgericht offen-kundig unrichtig ist (vgl. [X.] 69, 145, 149; [X.], Beschlüsse vom 26.
Oktober 1999 -
2 BvR 1292/96, [X.], 945, juris Rn.
12
f.; vom [X.] -
2 BvR 1313/16, juris Rn. 9; Senatsbeschluss vom 3. März 2015
-
VI [X.], [X.], 1313 mwN).
bb) So verhält es sich im Streitfall. Der von den Beklagten erhobene Einwand der hypothetischen Einwilligung hätte gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr.
1 ZPO berücksichtigt werden müssen.
(1) Gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO
sind neue Angriffs-
und Ver-teidigungsmittel zuzulassen, wenn sie einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten [X.] erkennbar übersehen oder für unerheblich ge-halten worden ist. Zwar findet die Vorschrift nur unter der ungeschriebenen Vor-aussetzung Anwendung, dass die Rechtsansicht des Gerichts den erstinstanz-lichen Sachvortrag der [X.] beeinflusst hat und daher, ohne dass deswegen ein Verfahrensfehler gegeben wäre, ([X.] dafür geworden ist, dass sich [X.]vorbringen in das Berufungsverfahren verlagert
hat
(Senatsbeschluss 17
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12
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vom 3. März 2015 -
VI [X.], [X.], 1313
Rn. 10; [X.], Urteil vom 21. Dezember 2011 -
VIII ZR 166/11, NJW-RR 2012, 341 Rn. 19).
Hiervon ist aber bereits dann auszugehen, wenn das Gericht des ersten Rechtszugs, hätte es die später vom Berufungsgericht für zutreffend erachtete Rechtsauffassung geteilt, zu einem Hinweis nach § 139 Abs. 2 ZPO verpflichtet gewesen wäre (vgl. Senatsbeschluss vom 3. März 2015 -
VI [X.], aaO; [X.], Urteil vom 21. Dezember 2011 -
VIII ZR 166/11, aaO Rn. 20; Musielak/Ball, ZPO, 15. Auf-lage, § 531 Rn. 17; [X.], 7. Aufl., § 531 Rn. 7; jeweils mwN).
(2) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Auf die Frage einer hypothetischen Einwilligung kam es auf der Grundlage der Rechtsauffassung des [X.]s nicht an. Denn es hatte die erfolgte Aufklärung für [X.] erachtet. Hätte das [X.] stattdessen erwogen, auf der Grundlage der erhobenen Beweise und ohne weitere Sachaufklärung eine Verpflichtung der Beklagten, den Kläger über das Risiko der Entwicklung eines Pleuraergus-ses und eines [X.]s aufzuklären, zu bejahen, hätte es die Kläger zuvor auf diesen Gesichtspunkt hinweisen müssen.
Der gerichtliche Sachver-ständige hatte die Aufklärung des [X.] in seinem schriftlichen Gutachten
-
im Einklang mit der entsprechenden Beurteilung des Privatsachverständigen der Kläger -
ausdrücklich als korrekt, umfassend und nicht zu beanstanden [X.]. Zwar hatte er die Entwicklung eines [X.]s als eine der Hauptkomplikationen der operativen Behandlung der Achalasie bezeichnet. Er hatte diese Erkenntnis aber -
ohne weiteres erkennbar -
aus einer Studie abge-leitet, die erst mehr
als vier Jahre nach dem streitgegenständlichen Eingriff ver-öffentlicht worden war.
Im Rahmen seiner Anhörung vor dem [X.] hat der Sachverständige ausgeführt, dass weder das Auftreten eines Pleuraergus-ses noch das eines [X.]s typische Risiken der streitgegenständli-chen [X.] seien. Diese Komplikationen seien "weit weg von einer solchen [X.]"; man könne die Situation vergleichen mit dem Auftreten eines [X.]
-
13
-
hirnabszesses nach einer Bauchoperation, worüber auch nicht aufgeklärt [X.].
Bei
dieser Sachlage mussten die Beklagten nicht damit rechnen, den [X.] mit der Begründung zu verlieren, sie hätten den Kläger pflichtwidrig nicht über das Risiko der Entwicklung eines [X.] und eines Pleura-empyems aufgeklärt.
(3) Eine andere Bewertung folgt auch nicht aus der Erwägung des [X.], die Beklagten hätten Anlass gehabt, den Einwand der [X.] Einwilligung bereits im ersten Rechtszug zu erheben, nachdem sie die fehlende Aufklärung über das Auftreten eines [X.] und eines Pleura-empyems eingeräumt hätten. Das Berufungsgericht übersieht insoweit, dass die Nachlässigkeit der [X.] die Zulassung neuen Vorbringens -
anders als im
Falle des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO -
gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr.
1 ZPO nicht ausschließt ([X.], Urteil vom 21. Dezember 2011 -
VIII ZR 166/11, NJW-RR 2012, 341 Rn. 17 f.; Senatsbeschluss vom 3. März 2015 -
VI [X.], aaO Rn. 12).
22
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14
-
c) Auch diese Gehörsverletzungen sind
entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung des Vortrags der Beklagten zu einer anderen Beurteilung ge-langt wäre.
Galke

[X.]

v. Pentz

Müller
Klein
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 20.05.2015 -
2-4 O 475/07
-

O[X.], Entscheidung vom 15.08.2017 -
8 [X.] -

23

Meta

VI ZR 370/17

29.05.2018

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.05.2018, Az. VI ZR 370/17 (REWIS RS 2018, 8575)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 8575

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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