Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 26.02.2018, Az. 1 BvQ 6/18

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2018, 13348

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Ablehnung eines auf Aussetzung des von § 23 Abs 4 StVO gerichteten eA-Antrags einer Muslimin: mangelnde Rechtswegerschöpfung, unzureichende Substantiierung sowie fehlende Darlegung eines schweren Nachteils bzgl des Verbots der Gesichtsverhüllung beim Führen eines Kfz


Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

1

Die Antragstellerin wendet sich im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 [X.] gegen die am 19. Oktober 2017 in [X.] getretene Regelung des § 23 Abs. 4 Satz 1 [X.], wonach ein [X.]fahrzeugführer sein Gesicht nicht so verhüllen oder verdecken darf, dass er nicht mehr erkennbar ist.

2

Die Antragstellerin rügt eine Verletzung des Art. 4 GG. Sie trage aufgrund ihres [X.] Glaubens seit sieben Jahren einen Gesichtsschleier (Niqab). Derzeit mache sie ihren Führerschein. Wegen des Verhüllungsverbots sei es ihr nicht mehr möglich, die restlichen Fahrstunden zu nehmen und dann die praktische Fahrprüfung abzulegen. Dies habe für sie schwerwiegende nachteilige Folgen. Als alleinerziehende und auf dem Land lebende Frau sei sie auf ein [X.]fahrzeug angewiesen. Diese Nachteile müssten durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgewendet werden, zumal nicht bekannt sei, dass die Identifizierung verschleierter Frauen bei automatisierten Verkehrskontrollen Probleme bereite.

3

Zu den Zulässigkeitsanforderungen an einen Antrag nach § 32 Abs. 1 [X.] gehört die substantiierte Darlegung der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 8. Dezember 2017 - 1 BvR 1780/17 -, juris, Rn. 4 m.w.[X.]). Dem genügt der Antrag in mehrfacher Hinsicht nicht.

4

1. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nach dem auch im Verfahren nach § 32 Abs. 1 [X.] zu beachtenden Grundsatz der Subsidiarität nur in Betracht, wenn zuvor alle Möglichkeiten ausgeschöpft wurden, fachgerichtlichen Eilrechtsschutz zu erlangen (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 23. Oktober 2013 - 2 BvQ 42/13 -, juris, Rn. 1; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 24. März 2014 - 1 BvQ 9/14 -, juris, Rn. 2). Eine solche Möglichkeit ist den vom Verhüllungsverbot nach § 23 Abs. 4 Satz 1 [X.] betroffenen [X.]fahrzeugführern eröffnet, wenn sie der Auffassung sind, diese unmittelbar geltende verordnungsrechtliche Pflicht verstoße gegen ihre Grundrechte. Sie können vor den Verwaltungsgerichten auf eine entsprechende Feststellung klagen und in diesem Zusammenhang auch um vorläufigen Rechtsschutz ersuchen (vgl. hierzu [X.]E 115, 81 <95 f.>; [X.]K 1, 107 <109>; [X.], in: [X.]/[X.]/Bier, VwGO § 123 Rn. 35). Die Antragstellerin zeigt nicht auf, dass sie diesen Rechtsweg ausgeschöpft hat.

5

2. Zu den Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gehört ferner, dass sich der Antrag in der Hauptsache nicht als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist (vgl. [X.]E 89, 38 <44>; 118, 111 <122>; 130, 367 <369>; stRspr). Deswegen bedarf es auch insoweit entsprechender Darlegungen (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 20. August 2015 - 1 BvQ 28/15 -, juris, Rn. 2; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 27. November 2015 - 2 BvQ 43/15 -, juris, Rn. 2; Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2017 - 2 BvQ 86/17 -, juris).

6

Dem Antrag ist nicht zu entnehmen, dass eine Verfassungsbeschwerde den Begründungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] genügte (vgl. dazu [X.]K 20, 327 <329>). Insbesondere setzt sich die Antragstellerin nicht ansatzweise mit der Frage auseinander, inwieweit das für [X.]fahrzeugführer gemäß § 23 Abs. 4 Satz 1 [X.] geltende Verhüllungsverbot ihre Glaubensfreiheit auch mit Rücksicht auf etwaige widerstreitende Grundrechte Dritter oder Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang verletzen könnte (vgl. [X.]E 93, 1 <21>; 108, 282 <297>; 138, 296 <333 Rn. 98> jeweils m.w.[X.]). Hierzu hätte es einer Auseinandersetzung mit dem Ziel dieses Verbotes bedurft, die Feststellbarkeit der Identität von [X.]fahrzeugführern bei automatisierten Verkehrskontrollen zu sichern, um diese bei Rechtsverstößen heranziehen zu können (vgl. [X.] 556/17, [X.], 14). Dies gilt umso mehr, als eine effektive Verkehrsüberwachung wie auch die Gewährleistung der ungehinderten Rundumsicht von [X.]fahrzeugführern dem Schutz anderer Verkehrsteilnehmer dient. Die Antragstellerin beschränkt sich hingegen auf die weder von ihr belegte noch überhaupt nachvollziehbare Behauptung, auch Frauen mit einem Gesichtsschleier könnten bei automatisierten Verkehrskontrollen identifiziert werden.

7

3. Die Antragstellerin hat es schließlich versäumt, zumindest im Sinne einer Plausibilitätskontrolle nachprüfbar und individualisiert (vgl. [X.]E 106, 351 <357>; [X.]K 7, 188 <192>) darzulegen, dass ihr durch die Pflicht nach § 23 Abs. 4 Satz 1 [X.] ein schwerer Nachteil im Sinne des § 32 Abs. 1 [X.] entsteht. Dabei ist zu beachten, dass die insofern gestellten Anforderungen für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 [X.] nochmals strenger sind, wenn der Vollzug einer Rechtsnorm ausgesetzt werden soll (vgl. [X.]E 6, 1 <4>; 64, 67 <69>; 81, 53 <54>).

8

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvQ 6/18

26.02.2018

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Ablehnung einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvQ

Art 4 Abs 1 GG, Art 4 Abs 2 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 23 Abs 4 S 1 StVO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 26.02.2018, Az. 1 BvQ 6/18 (REWIS RS 2018, 13348)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 13348

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