Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 03.09.2010, Az. 6 B 30/10

6. Senat | REWIS RS 2010, 3636

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Gegenstand

Langzeitstudiengebühr; Antrag auf "Hinausschieben"; Anschlussberufung


Gründe

1

Die [X.]eschwerde, die sich auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen [X.]edeutung, der Divergenz und - sinngemäß - des [X.] stützt, ist zulässig. In der Sache hat sie aber nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

2

1. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von [X.]edeutung war, deren Klärung in einem Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Den Darlegungen der [X.]eschwerde lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.

3

Im Hinblick auf die von der beklagten [X.] ab dem Wintersemester 2005/06 bis zum Ende des Studiums durch [X.] festgesetzte Langzeitstudiengebühr will die [X.]eschwerde geklärt wissen: "Konnte die [X.]eklagte die Gebühr wegen Überschreitung der Regelstudienzeit ohne gesonderte gesetzliche oder satzungsrechtliche Grundlage als Dauerverwaltungsakt erlassen?" Damit zeigt sie keine klärungsbedürftige Frage des revisiblen Rechts auf.

4

Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, dass § 112 Abs. 1 des Hochschulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt - [X.] LSA - in der auf den Streitfall anwendbaren Fassung vom 5. Mai 2004 (GV[X.]l LSA S. 256) - zwar nicht ausdrücklich zum Erlass eines Studiengebührenbescheides in der Form eines [X.]es ermächtige, eine solche Ermächtigung dem Gesetz aber unter [X.]erücksichtigung seines Zwecks und seiner Systematik im Wege der Auslegung entnommen werden könne: Der Studiengebührenbescheid sei nach dem einschlägigen Recht wesensmäßig auf Dauer angelegt, wie sich insbesondere aus § 29 [X.] LSA ergebe, der mit der Immatrikulation ein grundsätzlich unbefristetes Rechts- und Pflichtenverhältnis zwischen Student und Hochschule begründe, welches den Hintergrund (auch) für die Gebührenerhebung bilde. Ob diese Auslegung des § 112 Abs. 1 [X.] LSA in der Sache zutrifft oder nicht, ist eine Frage des irrevisiblen Landesrechts, die sich der [X.]eurteilung durch das Revisionsgericht entzieht.

5

Von grundsätzlicher [X.]edeutung ist die vorgenannte Fragestellung auch nicht, soweit sich der [X.]eschwerde sinngemäß entnehmen lässt, dass sie die Auslegung des [X.] im Hinblick auf das bundesverfassungsrechtliche Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie die Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) für fehlerhaft hält. Die Rüge der Nichtbeachtung von [X.]undesrecht bei der Anwendung und Auslegung von Landesrecht vermag die Zulassung der Revision nur dann zu begründen, wenn die Auslegung der - gegenüber dem Landesrecht als korrigierender Maßstab angeführten - bundesrechtlichen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher [X.]edeutung aufwirft. Das Darlegungsgebot des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt, die angeblichen bundesrechtlichen Maßgaben, deren Tragweite und Klärungsbedürftigkeit im Hinblick auf die einschlägigen landesrechtlichen Regelungen sowie die Entscheidungserheblichkeit ihrer Klärung in dem anhängigen Verfahren in der [X.]eschwerdebegründung im Einzelnen aufzuzeigen (stRspr, s. nur [X.]eschluss vom 17. März 2008 - [X.]VerwG 6 [X.] 7.08 - [X.] 451.20 § 12 GewO Nr. 1 Rn. 9 m.w.N.). Daran fehlt es hier. Insbesondere ist offensichtlich und bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren, dass die in dem angefochtenen Urteil erwähnten Regelungen der §§ 48, 49 und 51 VwVfG - namentlich der Wiederaufgreifensanspruch bei Änderung der Sach- und Rechtslage (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) - grundsätzlich geeignet sind, einen ausreichenden Rechtsschutz gegenüber einem Dauerverwaltungsakt zu gewährleisten.

6

2. Demgegenüber hat die [X.]eschwerde Erfolg, soweit sich ihr in [X.]ezug auf die Verwerfung der Anschlussberufung der Klägerin - gerichtet auf die Verpflichtung der [X.]eklagten zum "Hinausschieben" der umstrittenen Studiengebühr - sinngemäß die Rüge eines Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) entnehmen lässt, auf dem das angefochtene Urteil beruht. In der Entscheidung durch Prozessurteil statt durch [X.] liegt ein Verfahrensmangel, wenn ihr eine fehlerhafte Anwendung der prozessualen Vorschriften zugrunde liegt (s. nur [X.]eschlüsse vom 4. Juli 1968 - [X.]VerwG 8 [X.] 110.67 - [X.]VerwGE 30, 111 <113> = [X.] 448.0 § 34 [X.] Nr. 7 S. 6 und vom 24. Oktober 2006 - [X.]VerwG 6 [X.] - [X.] 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 24 Rn. 2, jeweils m.w.N.). Das ist hier in [X.]ezug auf den auf ein "Hinausschieben" gerichteten Antrag der Fall, den das Oberverwaltungsgericht nur für den Zeitraum ab dem Sommersemester 2006 in der Sache beschieden, für das Wintersemester 2005/06 aber als unzulässig angesehen hat.

7

Die [X.]eschwerde wendet sich zu Recht gegen die fehlerhafte Anwendung des § 127 VwGO über die Anschlussberufung. Das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die von der Klägerin rechtzeitig innerhalb der Frist des § 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO eingelegte Anschlussberufung - bezogen auf das Wintersemester 2005/06 - gleichwohl unzulässig sei, da das angefochtene Urteil insoweit mangels Zulassung der [X.]erufung bereits rechtskräftig sei. Dem ist nicht zu folgen. Zwar ist die Anschlussberufung, wie das Oberverwaltungsgericht insoweit zu Recht ausführt, dann unstatthaft, wenn derjenige Teil des Rechtsstreits, den der [X.] im Wege der Anschließung zum Gegenstand des [X.]erufungsverfahrens machen will, vom [X.]erufungsgericht durch Ablehnung eines darauf gerichteten Zulassungsantrages (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO) bereits rechtskräftig abgeschlossen worden ist (vgl. [X.]eschluss vom 14. November 2007 - [X.]VerwG 4 [X.] 30.07 - [X.] 310 § 127 VwGO Nr. 15 Rn. 4). Dem steht aber die hier vorliegende Fallkonstellation, in der der in erster Instanz teilweise unterlegene Kläger keinen Antrag auf Zulassung der [X.]erufung gegen den klageabweisenden Teil des erstinstanzlichen Urteils gestellt hat, entgegen der Auffassung des [X.] nicht gleich.

8

Die Anschließung ermöglicht es dem zuvor "friedfertigen" [X.]erufungsbeklagten, auch dann noch selbst in den Prozess einzugreifen, wenn er auf das Rechtsmittel des Gegners mit einem selbstständigen eigenen Rechtsmittel wegen Ablaufs der Rechtsmittelfrist nicht mehr reagieren kann. Dies ergibt sich aus § 127 Abs. 4 VwGO, wonach die Anschlussberufung keiner Zulassung bedarf, und zusätzlich aus dem Zweck der Norm; dieser verbindet den Gesichtspunkt der Waffengleichheit mit dem der Prozesswirtschaftlichkeit und soll insbesondere vermeiden, dass eine Partei, die sich mit dem erlassenen Urteil zufriedengeben will, nur wegen eines erwarteten Rechtsmittelangriffs des Gegners vorsorglich selbst Rechtsmittel einlegt (vgl. Urteile vom 11. April 2002 - [X.]VerwG 4 [X.] 4.01 - [X.]VerwGE 116, 169 <172 f.> = [X.] 310 § 127 VwGO Nr. 11 S. 5 ff. und vom 19. Januar 2006 - [X.]VerwG 3 [X.] 52.04 - [X.]VerwGE 125, 44 Rn. 15 ff. = [X.] 451.90 Sonstiges Europ. Recht Nr. 206). Daraus folgt, dass der teils obsiegende, teils unterlegene [X.]eteiligte nach Zulassung der (Haupt-)[X.]erufung des anderen [X.]eteiligten den ihn [X.] Teil des Urteils nachträglich zur Überprüfung stellen kann, falls nur zwischen den mehreren, in demselben Prozess verfolgten Ansprüchen - wie hier in [X.]ezug auf zeitabschnittsweise festgesetzte Studiengebühren - ein sachlicher Zusammenhang besteht (s. Urteile vom 11. April 2002 a.a.[X.] bzw. S. 7 f. und vom 19. Januar 2006 a.a.[X.] Rn. 16).

9

Liegt somit in der Entscheidung des [X.] über die Anschlussberufung durch Prozessurteil statt durch [X.] ein Verfahrensmangel, auf dem sie im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO beruht, kommt es nicht mehr darauf an, ob derselbe Mangel außerdem der [X.]eschwerde unter dem Gesichtspunkt der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zum Erfolg verhilft.

3. Der [X.] ist auch nicht deshalb unbeachtlich, weil sich die vom [X.]erufungsgericht getroffene Entscheidung im Ergebnis als richtig erweist. Zwar wirkt der dem § 144 Abs. 4 VwGO zugrunde liegende [X.] bereits auf das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vor, falls die vom [X.]erufungsgericht zu Unrecht als unzulässig behandelte Anschlussberufung auf der Grundlage der im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen als unbegründet zurückgewiesen werden müsste (s. auch [X.]eschluss vom 5. Februar 1998 - [X.]VerwG 2 [X.] 56.97 - juris Rn. 3; insoweit in [X.] 310 § 88 VwGO Nr. 25 nicht abgedruckt). Eine derartige Konstellation liegt hier aber nicht vor.

Das Oberverwaltungsgericht ist ersichtlich davon ausgegangen, dass der von der Klägerin hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf ein "Hinausschieben" der Gebührenpflicht (§ 112 Abs. 4 [X.] LSA) einen im Verhältnis zu dem Anspruch auf Aufhebung des [X.] selbständigen Streitgegen-stand bildet. Es hat weiter angenommen, dass Umstände, die nicht in der Sphäre des Studenten, sondern in der Sphäre der Hochschule liegen, von vornherein nicht unter § 112 Abs. 4 [X.] LSA fallen. Unter dieser Prämisse ist aber zu prüfen, ob ein Antrag auf "Hinausschieben" der Gebührenpflicht sinngemäß als Erlassantrag zu werten ist; nach § 112 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 111 Abs. 8 Satz 4 [X.] LSA kann die Gebühr auf Antrag ganz oder teilweise erlassen werden, wenn ihre Einziehung im Einzelfall zu einer unbilligen Härte führen würde. Abgesehen vom Fehlen insoweit einschlägiger Feststellungen gehört die vorgenannte Härtefallvorschrift, obwohl sie im Grundsatz bundesverfassungsrechtlich geboten ist (s. [X.], [X.]eschlüsse vom 31. März 2006 - 1 [X.]vR 1750/01 und 1 [X.]vR 1771/01 - [X.]K 7, 465 bzw. 477), in ihrer konkreten Ausgestaltung dem irrevisiblen Landesrecht an. Der Senat übt das ihm insoweit in entsprechender Anwendung des § 563 Abs. 4 ZPO i.V.m. § 173 VwGO eingeräumte Ermessen dahin aus, dass er die Auslegung und Anwendung der landesrechtlichen Regelung zunächst dem Oberverwaltungsgericht überlässt.

4. Gemäß § 133 Abs. 6 VwGO macht der der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, die angefochtene Entscheidung teilweise aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung über die Anschlussberufung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Dieser Verfahrensweise steht nicht der Umstand entgegen, dass sich die Klägerin in [X.]ezug auf die vom Oberverwaltungsgericht für unzulässig erachtete Anschlussberufung - über die sinngemäß erhobene Verfahrensrüge hinaus -ausdrücklich auf eine Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) des angefochtenen Urteils von der Rechtsprechung des [X.] beruft. Denn eine neben einer Verfahrensrüge erhobene [X.] steht einer Zurückverweisung nach § 133 Abs. 6 VwGO nicht entgegen, wenn sie sich ausschließlich auf Verfahrensrecht bezieht (vgl. in diesem Sinne: [X.]eschlüsse vom 7. September 1995 - [X.]VerwG 6 [X.] - [X.] 448.6 § 5 [X.], vom 24. September 2003 - [X.]VerwG 6 [X.] - [X.] 448.6 § 14 [X.] und vom 24. November 2004 - [X.]VerwG 6 [X.] 38.04 - juris Rn. 8 f.), zumal wenn sie dieselbe Rechtsfrage betrifft, die mit der Entscheidung über die Verfahrensrüge in der Sache mit bindender Wirkung für die Vorinstanz (§ 144 Abs. 6 VwGO) schon abschließend beantwortet ist.

5. Die Kostenentscheidung folgt, soweit über die Kosten des [X.]eschwerdeverfahrens zu entscheiden war, aus § 154 Abs. 2 VwGO. Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde entsteht eine Gerichtsgebühr nur, soweit die [X.]eschwerde verworfen oder zurückgewiesen wird. Die sonstigen Kosten des [X.]eschwerdeverfahrens, namentlich die außergerichtlichen Kosten, sind verhältnismäßig zu teilen, und zwar in der Weise, dass die Klägerin die Kosten in dem Maße ihres Unterliegens trägt und die Entscheidung über diejenigen Kosten, die dem Anteil der erfolgreichen [X.]eschwerde am gesamten [X.]eschwerdeverfahren entsprechen, der Kostenentscheidung in der Hauptsache folgt (s. [X.]eschluss vom 3. April 2006 - [X.]VerwG 7 [X.] 95.05 - juris Rn. 52). Die Festsetzung des Streitwertes für das [X.]eschwerdeverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG. Dabei bewertet der Senat das Interesse der Klägerin an der Aufhebung des [X.] vom 29. August 2005, soweit im Hinblick auf den nicht angegriffenen Teil des Urteils des [X.] sowie auf den Aufhebungsbescheid der [X.]eklagten vom 11. Februar 2008 noch strittig, mit 1 500 € und das Interesse der Klägerin am "Hinausschieben" bzw. Erlass der Studiengebühr ab dem Wintersemester 2005/06 für mindestens vier Semester mit 2 000 €.

Meta

6 B 30/10

03.09.2010

Bundesverwaltungsgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Sächsisches Oberverwaltungsgericht, 21. Oktober 2009, Az: 3 L 282/07, Urteil

§ 127 Abs 2 S 2 VwGO, § 127 Abs 4 VwGO, § 112 Abs 1 HSchulG ST, § 112 Abs 4 HSchulG ST, § 112 Abs 7 HSchulG ST, § 111 Abs 8 S 4 HSchulG ST, § 29 HSchulG ST

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 03.09.2010, Az. 6 B 30/10 (REWIS RS 2010, 3636)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3636

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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