Bundesfinanzhof, Beschluss vom 03.05.2023, Az. IX S 17/21

9. Senat | REWIS RS 2023, 2889

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Gegenstand

Anhörungsrüge - Verletzung des rechtlichen Gehörs


Leitsatz

1. NV: Art. 103 Abs. 1 GG und § 96 Abs. 2 FGO sind erst dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat.

2. NV: Die Rüge der Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist im Rahmen einer Anhörungsrüge nach § 133a FGO nicht statthaft.

Tenor

Die Anhörungsrüge der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 07.09.2021 - [X.] wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Gründe

1

Die von der Klägerin, Revisionsklägerin und Rügeführerin (Klägerin) erhobene Anhörungsrüge ist unbegründet und daher durch Beschluss zurückzuweisen (§ 133a Abs. 4 Sätze 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

2

1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör i.S. von Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und § 96 Abs. 2 [X.]O verpflichtet das Gericht u.a., die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und sich mit [X.] des Vorbringens auseinanderzusetzen. Dabei ist das Gericht naturgemäß nicht verpflichtet, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (vgl. Beschluss des [X.] vom 11.06.2008 - 2 BvR 2062/07, [X.], 1056). Art. 103 Abs. 1 GG und § 96 Abs. 2 [X.]O sind erst dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. Senatsbeschlüsse vom 10.09.2014 - IX S 10/14, [X.], 47, Rz 2; vom 28.08.2019 - IX S 18/19, [X.], 25, Rz 2).

3

2. Das ist vorliegend nicht der Fall. Der erkennende Senat hat den Vortrag der Klägerin aus ihrer Revisionsbegründung ersichtlich zur Kenntnis und dazu in der angefochtenen Entscheidung auch Stellung genommen.

4

a) Mit der Anhörungsrüge macht die Klägerin geltend, der [X.] ([X.]) habe seiner Entscheidung eine unzutreffende Annahme zur Dauer der [X.] in der [X.] zugrunde gelegt. Zudem sei die Anzahl der Kunden mit hohen Wetteinsätzen ("High Roller") nicht entsprechend ihrem Vortrag und den Feststellungen des Finanzgerichts ([X.]) zugrunde gelegt worden. Es sei zu Unrecht unterstellt worden, dass die "High Roller" besonders für Suchtgefahren und damit verbundene Begleiterscheinungen anfällig seien. [X.] sei von einer fehlenden Erdrosselungswirkung der Sportwettenbesteuerung sowie fehlenden Anpassungsmöglichkeiten des [X.] ausgegangen worden. Der Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz sei unvollständig und unzutreffend geprüft worden. Es sei ausschließlich auf Betreiber einer Wettbörse, nicht aber auch auf andere Anbieter von Sportwetten abgestellt worden. Zudem sei nicht erkennbar gewesen, dass die Frage einer Doppelbelastung mit ausländischen Sportwettenabgaben eine Rolle spiele. Das Vorliegen eines strukturellen Vollzugsdefizits sei unvollständig und unzutreffend geprüft worden. Es seien lediglich [X.] als Steuerpflichtige, nicht aber sämtliche der Sportwettenbesteuerung unterfallende Anbieter betrachtet worden. Der Quotenwettbewerb im Sportwettenmarkt werde nicht beachtet. Ohne tatsächliche Grundlage sei die Auffassung vertreten worden, der Markt für Sportwetten sei reguliert und auf wenige Anbieter beschränkt, so dass Gewinne relativ risikolos erzielt werden könnten. Der [X.] habe weiter zu Unrecht angenommen, im Wortprotokoll der 82. Sitzung des Finanzausschusses des [X.] vom 21.03.2012 (Protokoll Nr. 17/82) sei die Einbeziehung von [X.] in den [X.] des Rennwett- und Lotteriegesetzes Gegenstand gewesen. Der [X.] gehe zudem nicht auf die von ihr skizzierten alternativen Besteuerungsvarianten für ihr Geschäftsmodell ein. Schließlich seien ihr rechtliches Gehör und das Recht auf [X.] dadurch verletzt worden, dass eine Vorlage an den [X.] ([X.]) noch nicht einmal erwogen worden sei. Mit Blick auf eine mittelbare Diskriminierung durch die Sportwettenbesteuerung und die Richtlinie 98/34 [X.] und des [X.] über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft ([X.] vom 21.07.1998, S. 37), geändert durch die [X.][X.] und des [X.] ([X.] vom 05.08.1998, S. 18) und die Richtlinie 2006/96/[X.] ([X.] 363 vom 20.12.2006, [X.]) hätte eine Vorlage an den [X.] erwogen werden müssen.

5

b) Aus dem Vorbringen der Klägerin ergibt sich keine Gehörsverletzung. Das Vorbringen ist im Revisionsverfahren vom Senat vollständig gewürdigt und sämtliche Gesichtspunkte des klägerischen Vortrags sind in der Entscheidung berücksichtigt worden.

6

Zunächst verkennt die Klägerin, dass der [X.] als Revisionsgericht nach § 118 Abs. 2 [X.]O an die Tatsachenfeststellungen des [X.] gebunden ist. Soweit die Klägerin daher in Bezug auf die Dauer ihrer Markttätigkeit im Inland abweichende Tatsachen vorbringt, können diese im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden. Gleiches gilt für die Frage, ob Anpassungsmöglichkeiten hinsichtlich des von der Klägerin praktizierten Geschäftsmodells bestehen. In der fehlenden Berücksichtigung ihres Vorbringens liegt daher keine Gehörsverletzung.

7

Soweit die Klägerin vorbringt, der Senat habe in seinem Urteil die Anzahl der "High Roller" unzutreffend mit "weniger als 1 % der Nutzer" zugrunde gelegt und damit ihr rechtliches Gehör verletzt, liegt eine Gehörsverletzung nicht vor. Den Feststellungen des [X.] lässt sich nur ein ungefährer Wert entnehmen ("Ca. 1 bis 2 % der Kunden"). Zudem führt die Klägerin in ihrer Revisionsbegründung vom [X.] unter Rz 98 aus, dass "ca. 1% der Spieler für ca. 64% der Wetteinsätze verantwortlich" waren und zu den "High Rollern" die "Top 1 % Kunden" gehörten.

8

Das Vorbringen der Klägerin, es sei fehlerhaft zugrunde gelegt worden, dass im Wortprotokoll der 82. Sitzung des Finanzausschusses des [X.] vom 21.03.2012 (Protokoll Nr. 17/82) auch die Behandlung von [X.] angesprochen worden sei, legt keine Gehörsverletzung dar. Die rechtliche Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. Eilers vom 16.03.2012, die Gegenstand der Diskussion im Finanzausschuss war, war dem Protokoll der Sitzung als Anlage beigefügt.

9

Mit ihrem Vorbringen, der [X.] habe unzutreffend eine fehlende Erdrosselungswirkung der Sportwettenbesteuerung angenommen, wendet sich die Klägerin gegen die rechtliche Würdigung und damit die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des erkennenden Senats über die Revision. Gleiches gilt für die von ihr aufgeworfene Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes, die unzutreffende Gewichtung der Suchtgefährdung von Spielern, die Frage der Annahme eines strukturellen Vollzugsdefizits, die Konkurrenzsituation oder das Vorhandensein alternativer Besteuerungsmodelle für Sportwetten und [X.]. Damit wird eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch den [X.] indes nicht dargelegt.

Soweit die Klägerin schließlich die fehlende Erwägung einer Vorlage an den [X.] anspricht, liegt darin allenfalls eine Verletzung ihres Rechts auf [X.] (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Die Rüge der Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist im Rahmen einer Anhörungsrüge nach § 133a [X.]O aber nicht statthaft (vgl. [X.]-Beschluss vom 01.06.2016 - V S 24/16, [X.]/NV 2017, 49, Rz 5). Im Übrigen sind die europarechtlichen Einwände der Klägerin sämtlich in der Entscheidung berücksichtigt und damit in die [X.] einbezogen worden.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133a Abs. 4 Satz 4 [X.]O).

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 1 [X.]O. Für die Entscheidung über die Anhörungsrüge wird eine Gebühr in Höhe von 60 € erhoben (Nr. 6400 des [X.], Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes; [X.]-Beschluss vom 16.02.2022 - [X.], [X.] (PKH), [X.] (PKH), [X.]/NV 2022, 423).

Meta

IX S 17/21

03.05.2023

Bundesfinanzhof 9. Senat

Beschluss

vorgehend BFH, 7. September 2021, Az: IX R 5/19, Urteil

§ 96 Abs 2 FGO, § 133a FGO, Art 101 Abs 1 S 2 GG, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 03.05.2023, Az. IX S 17/21 (REWIS RS 2023, 2889)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2889


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. IX R 5/19

Bundesfinanzhof, IX R 5/19, 07.09.2021.


Az. IX S 17/21

Bundesfinanzhof, IX S 17/21, 03.05.2023.

Bundesfinanzhof, IX S 17/21, 03.05.2023.


Az. IX K 2/21

Bundesfinanzhof, IX K 2/21, 14.11.2023.

Bundesfinanzhof, IX K 2/21, 16.05.2023.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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