Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 22.10.2019, Az. 1 ABR 13/18

1. Senat | REWIS RS 2019, 2402

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Betriebsrat - Zustimmung - Einstellung


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des [X.] vom 13. Februar 2018 - 11 [X.] - aufgehoben.

Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des [X.] vom 7. September 2017 - 4 [X.] - abgeändert.

[X.]er Arbeitgeberin wird aufgegeben, die Einstellung des Arbeitnehmers [X.] im Betrieb der Arbeitgeberin in [X.] aufzuheben, solange die Zustimmung zu seiner Einstellung nicht vom Betriebsrat erteilt oder im Fall der Zustimmungsverweigerung arbeitsgerichtlich ersetzt wurde.

Gründe

1

A. [X.]ie Beteiligten streiten über die Aufhebung einer personellen [X.]aßnahme.

2

[X.]ie Arbeitgeberin, die insgesamt rund 3.750 [X.]itarbeiter beschäftigt, erbringt in ihren drei Betrieben IT-[X.]ienstleistungen für die [X.]. Es ist ein Gesamtbetriebsrat errichtet.

3

Zum 1. April 2017 stellte die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer [X.] als Leiter für den Geschäftsbereich „End-2-End-Services“ im Bereich Produktion [X.] ein. Nach Nr. 1.1 seines Arbeitsvertrags ist der [X.]ienstort von [X.]err [X.] in [X.].

4

[X.]err [X.] hat Personalverantwortung in fachlicher und disziplinarischer [X.]insicht sowohl für in [X.] tätige Arbeitnehmer als auch für zunächst einen, später zwei in [X.] tätige [X.]itarbeiter im Bereich Produktion [X.]. [X.]iesen sind jeweils zehn bis 20 Arbeitnehmer unterstellt. Seine Aufgaben nimmt [X.]err [X.] tageweise in [X.] und in [X.] wahr, wobei er lediglich in [X.] über ein eigenes Büro verfügt.

5

[X.]er für den Betrieb [X.] gebildete Betriebsrat stimmte der Einstellung von [X.]errn [X.] zu. [X.]en für den Betrieb [X.] gebildeten Betriebsrat beteiligte die Arbeitgeberin nicht.

6

[X.]ieser hat geltend gemacht, die Arbeitgeberin hätte auch seine Zustimmung nach § 99 Abs. 1 Satz 1 [X.] einholen müssen. [X.]err [X.] sei durch die Übertragung von Personalverantwortung gegenüber den im Betrieb [X.] beschäftigten Arbeitnehmern auch in diesen eingestellt worden.

7

[X.]er Betriebsrat hat sinngemäß beantragt,

        

der Arbeitgeberin aufzugeben, die Einstellung des Arbeitnehmers [X.] im Betrieb der Arbeitgeberin in [X.] aufzuheben, solange die Zustimmung zu seiner Einstellung nicht vom Betriebsrat erteilt oder im Fall der Zustimmungsverweigerung arbeitsgerichtlich ersetzt wurde.

8

[X.]ie Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, eine Eingliederung von [X.]err [X.] in den Betrieb [X.] liege nicht vor. Zumindest sei bei einer Einstellung von [X.]errn [X.] in zwei Betrieben der Gesamtbetriebsrat für die Wahrnehmung des [X.]itbestimmungsrechts nach § 99 Abs. 1 [X.] zuständig.

9

[X.]as Arbeitsgericht hat den Antrag des Betriebsrats abgewiesen. [X.]as [X.] hat seine Beschwerde zurückgewiesen. [X.]it der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat sein Begehren weiter.

B. [X.]ie Rechtsbeschwerde hat Erfolg. [X.]as [X.] hat die Beschwerde des Betriebsrats zu Unrecht zurückgewiesen. [X.]er [X.] ist begründet.

I. Neben dem antragstellenden Betriebsrat und der Arbeitgeberin sind keine weiteren Personen oder Stellen am Verfahren zu beteiligen. Eine Beteiligung des bei der Arbeitgeberin gebildeten Gesamtbetriebsrats kommt nicht in Betracht. [X.]er Gesamtbetriebsrat ist durch die begehrte Entscheidung nicht unmittelbar in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung betroffen (vgl. zu den Anforderungen an eine Beteiligung etwa [X.] 20. August 2014 - 7 [X.] - Rn. 17 mwN). Entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin kommt er für die Ausübung des Zustimmungsrechts nach § 99 Abs. 1 Satz 1 [X.] bei der Einstellung eines Arbeitnehmers und damit als Inhaber eines Anspruchs auf Aufhebung dieser [X.]aßnahme nach § 101 Satz 1 [X.] materiell-rechtlich nicht ernsthaft in Betracht (vgl. zu diesem Erfordernis zB [X.] 21. Juli 2009 - 1 [X.] - Rn. 9, [X.]E 131, 225). [X.]em Gesamtbetriebsrat kann nach § 50 Abs. 1 Satz 1 [X.] nur die Behandlung solcher Angelegenheiten zugewiesen sein, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen. Eine etwaige Einstellung von [X.]errn [X.] in den Betrieb [X.] betrifft jedoch nicht mehrere Betriebe, sondern nur diesen Betrieb. Für die Ausübung des dadurch ausgelösten Zustimmungsrechts nach § 99 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist der Betriebsrat des aufnehmenden Betriebs zuständig; er hat für die Wahrnehmung der Interessen seiner Belegschaft Sorge zu tragen. Soweit [X.]err [X.] gleichzeitig auch in den Betrieb in [X.] eingestellt wurde, obliegt die Wahrnehmung des dadurch begründeten Zustimmungsrechts dem dortigen Betriebsrat (ausf. dazu [X.] 12. Juni 2019 - 1 ABR 5/18 - Rn. 35). Entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin handelt es sich in diesem Fall - anders als bei einer Kündigung - nicht um eine, sondern um zwei unterschiedliche zustimmungspflichtige [X.]aßnahmen (vgl. schon [X.] 12. Juni 2019 - 1 ABR 5/18 - Rn. 35).

II. [X.]er Antrag des Betriebsrats ist begründet. [X.]ie Arbeitgeberin ist nach § 101 Satz 1 [X.] verpflichtet, die Einstellung des [X.]errn [X.] in den Betrieb [X.] aufzuheben, da sie ohne Zustimmung des antragstellenden Betriebsrats erfolgt ist.

1. Nach § 101 Satz 1 [X.] kann der Betriebsrat beim Arbeitsgericht beantragen, dem Arbeitgeber aufzugeben, eine personelle [X.]aßnahme iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 [X.] aufzuheben, wenn dieser die [X.]aßnahme ohne seine Zustimmung durchführt. [X.]er [X.] dient der Beseitigung eines betriebsverfassungswidrigen Zustands, der dadurch eingetreten ist, dass der Arbeitgeber eine konkrete personelle Einzelmaßnahme ohne die erforderliche Zustimmung des Betriebsrats durchführt oder aufrechterhält. [X.]it der Rechtskraft eines dem Antrag nach § 101 Satz 1 [X.] stattgebenden Beschlusses wird der Arbeitgeber verpflichtet, den betriebsverfassungswidrigen Zustand durch Aufhebung der personellen Einzelmaßnahme mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (vgl. [X.] 25. April 2018 - 7 [X.] - Rn. 21 mwN).

2. [X.]ie Arbeitgeberin hat den Arbeitnehmer [X.] in den Betrieb [X.] eingestellt, ohne dass der dort gebildete Betriebsrat dem nach § 99 Abs. 1 Satz 1 [X.] zugestimmt hat.

a) Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 [X.] hat der Arbeitgeber in Unternehmen mit mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern den Betriebsrat vor jeder Einstellung zu unterrichten und dessen Zustimmung zu beantragen. Eine Einstellung iSd. § 99 Abs. 1 Satz 1 [X.] liegt nach ständiger Rechtsprechung des [X.] vor, wenn eine Person in den Betrieb eingegliedert wird, um zusammen mit den dort schon beschäftigten Arbeitnehmern dessen arbeitstechnischen Zweck durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen. [X.]ie für eine Einstellung erforderliche Eingliederung in die Betriebsorganisation erfordert nicht, dass der Arbeitnehmer seine Arbeiten auf dem Betriebsgelände oder innerhalb der Betriebsräume verrichtet. Entscheidend ist vielmehr, ob der Arbeitgeber mit [X.]ilfe des Arbeitnehmers den arbeitstechnischen Zweck des jeweiligen Betriebs verfolgt ([X.] 12. Juni 2019 - 1 ABR 5/18 - Rn. 16 mwN). Unerheblich für die Annahme einer Eingliederung ist zudem, wie häufig die zur Verwirklichung des [X.] durchgeführten Tätigkeiten erfolgen oder wieviel Zeit sie in Anspruch nehmen ([X.] 12. Juni 2019 - 1 ABR 5/18 - Rn. 23 mwN).

b) Bei der Beurteilung, ob ein Beschäftigter in einen Betrieb eingegliedert ist, steht dem Beschwerdegericht ein Beurteilungsspielraum zu. [X.]essen Würdigung ist in der [X.] nur daraufhin überprüfbar, ob das Gericht den Rechtsbegriff selbst verkannt, gegen [X.]enkgesetze, anerkannte Auslegungs- und Erfahrungssätze verstoßen oder wesentliche Umstände außer [X.] gelassen hat ([X.] 12. Juni 2019 - 1 ABR 5/18 - Rn. 17 mwN).

c) [X.]iesem - eingeschränkten - Prüfungsmaßstab hält die angefochtene Entscheidung nicht stand.

aa) [X.]as [X.] hat - zusammengefasst - angenommen, [X.]err [X.] sei nicht in den Betrieb [X.] eingegliedert. [X.]ie Abwicklung seiner vertraglichen Angelegenheiten erfolge in [X.]. Zudem sei nicht erkennbar, dass er dem Weisungsrecht des Leiters des Betriebs in [X.] in derselben Weise unterliege, wie alle anderen dort tätigen Arbeitnehmer. Auch ein festes Büro oder feste Präsenzzeiten in diesem Betrieb bestünden für [X.]errn [X.] nicht. Bei einer Anwesenheit in einem der beiden Betriebe könne er mit den [X.]itarbeitern des jeweils anderen Betriebs auf elektronischem Weg kommunizieren.

bb) [X.]amit hat das [X.] den Rechtsbegriff der Eingliederung iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 [X.] verkannt. Für diesen kommt es weder darauf an, wo die „vertraglichen Angelegenheiten“ des Arbeitnehmers „abgewickelt“ werden, noch muss der betroffene Arbeitnehmer einer - wie auch immer gearteten - Bindung an Weisungen einer im Betrieb tätigen „Führungskraft“ unterliegen (vgl. zu Letzterem schon [X.] 12. Juni 2019 - 1 ABR 5/18 - Rn. 23). Zudem setzt die für eine Einstellung iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 [X.] notwendige Eingliederung in die Betriebsorganisation nicht voraus, dass der Arbeitnehmer seine Arbeiten zu bestimmten Zeiten im Betrieb verrichten muss oder dort über ein eigenes Büro verfügt.

d) [X.]er Senat kann auf der Grundlage der vom [X.] getroffenen Feststellungen über den geltend gemachten Anspruch nach § 101 Satz 1 [X.] selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Einer Zurückverweisung bedarf es nicht. [X.]urch die Übertragung der Personalverantwortung gegenüber den im Betrieb [X.] tätigen Arbeitnehmern wurde [X.]err [X.] auch in diesen Betrieb eingestellt iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 [X.].

aa) [X.]err [X.] ist aufgrund seiner Funktion eines Leiters für den Geschäftsbereich „End-2-End-Services“ im Bereich Produktion [X.] zwei Arbeitnehmern im Betrieb [X.] fachlich und disziplinarisch weisungsbefugt und kann damit - mittelbar - auch auf die Arbeitsabläufe oder -inhalte der diesen jeweils unterstellten und in [X.] tätigen weiteren Arbeitnehmern dieses Bereichs Einfluss nehmen. [X.]amit ist er in die dort zu erfüllenden Arbeitsprozesse eingebunden. [X.]en ihm obliegenden Aufgaben als Bereichsleiter kann er nur in regelmäßiger Zusammenarbeit mit den beiden Arbeitnehmern in [X.] nachkommen. Bei seiner Tätigkeit ist er aufgrund des mit der Arbeitgeberin geschlossenen Arbeitsvertrags auch weisungsgebunden tätig. Zudem verwirklicht er mit der Wahrnehmung seiner Führungsaufgaben gegenüber den in [X.] tätigen Arbeitnehmern den auf die Erbringung von IT-[X.]ienstleistungen für die [X.] gerichteten arbeitstechnischen Zweck des Betriebs [X.].

bb) [X.]er Umstand, dass [X.]err [X.] (auch) in den Betrieb [X.] eingegliedert ist, steht der Annahme, er werde durch die Wahrnehmung von [X.] in den Betrieb [X.] eingegliedert, nicht entgegen. [X.]em [X.] lässt sich nicht entnehmen, dass eine Einstellung iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 [X.] nicht gleichzeitig in mehreren Betrieben möglich sein kann (vgl. [X.] 12. Juni 2019 - 1 ABR 5/18 - Rn. 24).

cc) Entgegen der Rechtsauffassung der Arbeitgeberin führt das vorliegende Ergebnis auch weder zu einer „Ausweitung“ des [X.]itbestimmungstatbestands nach § 99 Abs. 1 [X.] noch zu einer damit einhergehenden „Einschränkung“ der von Art. 12 GG geschützten unternehmerischen Entscheidungsfreiheit. [X.]as [X.]itbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Einstellung dient vornehmlich den Interessen der schon im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer. [X.]er Betriebsrat soll die [X.]öglichkeit haben, deren Belange nach [X.]aßgabe möglicher Zustimmungsverweigerungsgründe iSv. § 99 Abs. 2 [X.] gegen die beabsichtigte Einstellung geltend zu machen. [X.]iese Interessen können - namentlich in Form des Zustimmungsverweigerungsgrundes nach § 99 Abs. 2 Nr. 6 [X.] - auch bei der Zuweisung von [X.]en an bislang betriebsfremde Arbeitnehmer berührt sein (vgl. schon [X.] 12. Juni 2019 - 1 ABR 5/18 - Rn. 25 mwN). [X.]ie Arbeitgeberin verkennt, dass die Situation, die sich nach einer form- und fristgerecht verweigerten Zustimmung eines der in diesen

Fällen zu beteiligenden Betriebsräte ergibt, der auch ansonsten im Rahmen von §§ 99, 100 [X.] bestehenden Rechtslage entspricht.

        

    Schmidt    

        

    K. Schmidt    

        

    Ahrendt    

        

        

        

    Klebe    

        

    Rose    

                 

Meta

1 ABR 13/18

22.10.2019

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: ABR

vorgehend ArbG Hannover, 7. September 2017, Az: 4 BV 6/17, Beschluss

§ 99 Abs 1 S 1 BetrVG, § 101 S 1 BetrVG, § 50 Abs 1 BetrVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 22.10.2019, Az. 1 ABR 13/18 (REWIS RS 2019, 2402)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 2402

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 ABR 5/18 (Bundesarbeitsgericht)

Zustimmungsersetzung - Einstellung


7 ABR 17/20 (Bundesarbeitsgericht)

Zuständigkeit des Betriebsrats - Betriebszugehörigkeit - Eingliederung - Abgrenzung Betrieb/Betriebsteil


1 ABR 101/12 (Bundesarbeitsgericht)

Beendigung einer vorläufigen personellen Maßnahme


7 ABR 1/09 (Bundesarbeitsgericht)

Mitbestimmung bei Einstellung - Vereinsmitglied - DRK-Schwesternschaft - Personalgestellung


1 ABR 13/21 (Bundesarbeitsgericht)

Betriebsrat - Zustimmungserfordernis - Einstellung - Versetzung


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.