Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.01.2022, Az. 3 StR 155/21

3. Strafsenat | REWIS RS 2022, 1694

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Gegenstand

Betäubungsmittelhandel: Vorliegen einer nicht geringen Menge der synthetischen Cannabinoide 5F-ADB und AMB-FUBINACA


Leitsatz

Die nicht geringe Menge der synthetischen Cannabinoide 5F-ADB und AMB-FUBINACA beginnt bei einem Gramm Wirkstoffmenge.

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 2. Februar 2021 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen "unerlaubten" Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Einbeziehung der Geldstrafe aus einem Strafbefehl zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und elf Monaten verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

Am 4. Juni 2018 bewahrte der Angeklagte in einem von ihm genutzten Zimmer synthetische Cannabinoide der Arten 5F-ADB und [X.] mit

einer Gesamtwirkstoffmenge von 117,68 Gramm (bezogen auf eine Gesamtmenge von 201,18 Gramm) zum gewinnbringenden Weiterverkauf auf.

4

[X.] hat das Verhalten des Angeklagten als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG gewürdigt. Ihre Feststellungen zur Wirkung der Substanzen 5F-ADB und [X.] und die darauf beruhende Bestimmung der jeweiligen nicht geringen Menge im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG hat sie auf das Gutachten eines Sachverständigen des [X.] gestützt. Dieser hat für die [X.] 5F-ADB und [X.], welche strukturell ähnlich und in den pharmakologisch-toxikologischen Eigenschaften (Wirkungsweisen) vergleichbar seien, einen Grenzwert von einem Gramm Wirkstoffmenge vorgeschlagen.

5

Unter Zugrundelegung der Ausführungen des Sachverständigen ist das [X.] zugunsten des Angeklagten von einer nicht geringen Menge ab zwei Gramm Wirkstoffmenge ausgegangen. Es hat dabei von dem durch den Sachverständigen vorgeschlagenen Wert einen Sicherheitsabschlag von einem Gramm vorgenommen, ohne dies näher zu begründen.

6

2. Die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

7

Allerdings liegt - anders als von der [X.] angenommen - der Grenzwert der nicht geringen Menge für 5F-ADB und [X.] bei einer Wirkstoffmenge von einem Gramm.

8

Für die Bestimmung der nicht geringen Menge eines Betäubungsmittels gilt (s. etwa [X.], Urteile vom 3. Dezember 2008 - 2 StR 86/08, [X.]St 53, 89; vom 14. Januar 2015 - 1 StR 302/13, [X.]St 60, 134 Rn. 35; vom 5. November 2015 - 4 [X.], [X.], 37):

9

Der Grenzwert ist stets in Abhängigkeit von dessen konkreter Wirkungsweise und Intensität festzulegen. Maßgeblich ist zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs (vgl. [X.], Urteil vom 22. Dezember 1987 - 1 [X.], [X.]St 35, 179). Fehlen hierzu gesicherte Erkenntnisse, so errechnet sich der Grenzwert als ein Vielfaches der durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten Konsumenten. Das Vielfache ist nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffes, insbesondere seines Abhängigkeiten auslösenden oder sonstigen gesundheitsschädigenden Potentials zu bemessen (vgl. [X.], Urteil vom 3. Dezember 2008 - 2 StR 86/08, [X.]St 53, 89 Rn. 13). Lassen sich auch zum Konsumverhalten keine ausreichenden Erkenntnisse gewinnen, so entscheidet ein Vergleich mit verwandten Wirkstoffen (vgl. [X.], Urteile vom 24. April 2007 - 1 StR 52/07, [X.]St 51, 318 Rn. 12 ff. und vom 17. November 2011 - 3 [X.], [X.]St 57, 60 Rn. 10).

Die Wirkung und Gefährlichkeit der Betäubungsmittel ergibt sich vorliegend bereits aus dem in den Urteilsgründen umfassend wiedergegebenen, in sich verständlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. D.       , Apotheker für experimentelle Pharmakologie und Toxikologie beim [X.]. Der Hinzuziehung weiterer Erkenntnisquellen - wie etwa dem schriftlichen Gutachten oder allgemein zugänglicher Literatur (vgl. [X.], Urteile vom 24. April 2007 - 1 StR 52/07, [X.]St 51, 318 Rn. 7; vom 9. Oktober 1996 - 3 StR 220/96, [X.]St 42, 255, 262 ff.) - bedarf es daher nicht.

Bei 5F-ADB (Methyl{2-[1-(5-flourpentyl)-1H-indazol-3-carboxamid]-3,3-dimethylbutanoat}) und [X.] ([X.])methyl]-1H-indazol-3-carboxamid}-3-methylbutanoat) handelt es sich um [X.] ([X.]) aus der Stoffgruppe der 3-Carboxyindazole. Die Wirkstoffe werden als sogenannte "Kräutermischungen", in reiner Pulverform und als dotierte [X.] oder E-Liquids gehandelt und konsumiert. Wie auch andere [X.] weisen sie ein sehr ähnliches Wirkungsspektrum wie das delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) auf, haben diesem gegenüber jedoch eine vielfach stärkere Wirkung (vgl. dazu auch [X.]. 147/16 S. 6).

Ausreichend gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse zu der äußerst gefährlichen, gar tödlichen Dosis oder zur durchschnittlichen Konsumeinheit existieren zu 5F-ADB und [X.] - wie auch zu anderen synthetischen Cannabinoiden - bislang nicht (vgl. dazu [X.], Urteile vom 14. Januar 2015 - 1 StR 302/13, [X.]St 60, 134 Rn. 47 ff.; vom 5. November 2015 - 4 [X.], [X.], 37; vom 20. September 2017 - 1 StR 64/17, juris Rn. 40). Aus der Auswertung nichtwissenschaftlicher Erkenntnisquellen über die Erfahrungen von Konsumenten kann lediglich der Schluss gezogen werden, dass die Konsumeinheit der genannten Stoffe deutlich geringer ist als die bezogen auf THC und - wenngleich weniger ausgeprägt - das [X.], für das der [X.] den Grenzwert der nicht geringen Menge auf zwei Gramm festgelegt hat ([X.], Urteil vom 14. Januar 2015 - 1 StR 302/13, [X.]St 60, 134). Ferner ist bekannt, dass weltweit mehr als 100 bzw. 20 Todesfälle nachgewiesen wurden, die monokausal auf 5F-ADB bzw. [X.] zurückzuführen sind (zur Gefährlichkeit von 5F-ADB bzw. [X.] vgl. auch [X.]. 147/16 S. 6).

In Anbetracht der angeführten nicht ausreichend gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse kann zur Bestimmung der nicht geringen Menge nur ein Vergleich mit verwandten Wirkstoffen angestellt werden. Hierzu bieten sich lediglich THC und andere synthetische Cannabinoide an, für die die nicht geringe Menge bereits höchstrichterlich festgestellt worden ist. Ein Vergleich mit anderen Betäubungsmitteln - wie Heroin, Kokain, Amphetamin, Methamphetamin, MDE/MDMA/[X.] oder LSD - kommt hingegen aufgrund ihrer unterschiedlichen chemischen Grundstrukturen, der abweichenden Konsummotivation, vor allem aber des vollkommen verschiedenen Wirkungsmechanismus nicht in Betracht (vgl. [X.], Urteil vom 14. Januar 2015 - 1 StR 302/13, [X.]St 60, 134).

Unter Zugrundelegung der Ausführungen des Sachverständigen gilt hierzu Folgendes:

Nach derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen wird die Wirkung der synthetischen Cannabinoide wie bei dem Wirkstoff der Cannabispflanze über das Endocannabinoid-System vermittelt. Dieses ist nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Wirbeltieren und Fischen vorhanden und an verschiedensten, teilweise sehr komplexen Prozessen beteiligt. Die Wirkstoffe binden an die [X.], der in hoher Dichte im zentralen Nervensystem vorhanden ist, und [X.] an, der sich vorwiegend in Zellen des Immunsystems findet. Aufgrund der lipophilen Eigenschaften der Substanzen können sie die Blut-Hirn-Schranke ungehindert passieren. Durch die Bindung an den Rezeptor wird die Signalübertragung in der zugehörigen Zelle aktiviert. Anhand des Ausmaßes der Aktivierung kann zwischen einem vollen Agonisten und einem partiellen Agonisten unterschieden werden (vgl. auch [X.], Urteil vom 14. Januar 2015 - 1 StR 302/13, [X.]St 60, 134 Rn. 39). Relevant für die psychoaktive Cannabinoidwirkung sind die Bindung und Wirkung der Substanz am [X.], weshalb bei der Bestimmung der nicht geringen Menge vorwiegend diese in den Blick zu nehmen sind.

Wie auch andere [X.] wirken 5F-ADB und [X.] am [X.] - anders als THC - als volle Agonisten. Dies führt dazu, dass sie wesentlich stärkere Effekte, auch solche lebensbedrohlicher Art, erzeugen können. Es tritt - anders als bei THC - keine Sättigung ein, vielmehr werden die Wirkungen, also auch die unerwünschten Nebenwirkungen, durch eine höhere Dosis verstärkt.

Zur konkreten Vergleichbarkeit der Potenz der verschiedenen Substanzen ist nach den Ausführungen des Sachverständigen sowohl deren Bindungsaffinität an den [X.] als auch die mittlere effektive Stoffmengenkonzentration ([X.]) von Relevanz.

Die Bindungsaffinität des Wirkstoffs bemisst dieser - offensichtlich unter der plausiblen Annahme, dass die Bindungen der [X.] dem Massenwirkungsgesetz gehorchen - anhand [X.]. Je größer dabei die Affinität der Substanz zu den [X.] ist, umso mehr Rezeptoren werden bei einer bestimmten Stoffkonzentration besetzt und umso kleiner ist der [X.]. Kleinere [X.]e deuten demzufolge auf eine Bindung an eine größere Anzahl an Rezeptoren und damit eine höhere Potenz des Wirkstoffs hin.

Da der [X.] nur Aussagen über die Bindungsstärke des Wirkstoffs an die Rezeptoren treffen kann, ist er für sich betrachtet für die psychoaktive Effektivität des [X.] nur eingeschränkt aussagekräftig. Um eine Vergleichbarkeit der Potenz verschiedener Betäubungsmittel zu gewährleisten, ist es daher erforderlich, einen weiteren hinsichtlich des objektivierbaren biologischen Effekts aussagekräftigen Parameter heranzuziehen. Insoweit bietet sich der [X.] an, d.h. die mittlere effektive Stoffmengenkonzentration, die erforderlich ist, um bei 50 Prozent der Versuchspopulation eine definierte Wirkung auszulösen. Auch hier gilt: Je kleiner der Wert, desto höher die Wirkung der Substanz.

Nach den Ausführungen des Sachverständigen liegt der innerhalb einer Studie ermittelte [X.] für [X.] bei 0,39 [X.] ([X.]), der [X.] zwischen 0,27 [X.] und 2,0 [X.], für 5F-ADB ist der [X.] nicht bekannt, der [X.] liegt bei 0,59 [X.]. Zum Vergleich dazu weist THC einen [X.] zwischen 10,2 [X.] und 40,7 [X.] sowie einen [X.] zwischen 58 [X.] und 250 [X.] auf. Die synthetischen Cannabinoide [X.] und [X.], für die der [X.] die nicht geringe Menge auf sechs Gramm bzw. zwei Gramm festgelegt hat (vgl. [X.], Urteile vom 14. Januar 2015 - 1 StR 302/13, [X.]St 60, 134), weisen demgegenüber [X.]e von 8,9 [X.] bzw. 1,5 bis 9,5 [X.] und [X.]e von 45,6 [X.] bzw. 10,1 bis 36,6 [X.] auf.

Mit Blick auf die stärkere Bindungsaffinität ([X.]) und die geringeren mittleren effektiven Stoffmengenkonzentrationen gegenüber THC, [X.], aber auch [X.], ist davon auszugehen, dass 5F-ADB und [X.] eine höhere Potenz als die Vergleichssubstanzen haben, weshalb die Schwelle zur nicht geringen Menge entsprechend niedriger zu bemessen und auf ein Gramm Wirkstoffmenge festzusetzen ist. Die besondere Gefährlichkeit der Substanzen wird überdies durch die bekannt gewordenen Todesfälle und die in Internetforen beschriebenen niedrigen Mengen einer Konsumeinheit bestätigt.

Der Angeklagte ist durch die hiervon abweichende Berücksichtigung der nicht geringen Menge durch das [X.] nicht beschwert.

Berg     

      

[X.]     

      

Anstötz

      

Erbguth     

      

Kreicker     

      

Meta

3 StR 155/21

27.01.2022

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Osnabrück, 2. Februar 2021, Az: 25 KLs 3/20

§ 29a Abs 1 Nr 2 BtMG, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.01.2022, Az. 3 StR 155/21 (REWIS RS 2022, 1694)

Papier­fundstellen: NJW 2022, 1473 REWIS RS 2022, 1694

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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