Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.09.2015, Az. 3 StR 310/15

3. Strafsenat | REWIS RS 2015, 4688

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[X.]:[X.]:[X.]:2015:290915B3STR310.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3
StR 310/15

vom
29. September
2015
in der Strafsache
gegen

wegen
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge

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Der 3. Strafsenat des [X.] hat auf Antrag des Generalbundes-anwalts und
nach Anhörung des Beschwerdeführers am 29. September
2015
gemäß § 349 Abs. 2 [X.] einstimmig beschlossen:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 4. Dezember 2014 wird verworfen; jedoch wird der Schuldspruch dahin neu gefasst, dass die Worte "gemeinschaft-lichen unerlaubten" entfallen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-gen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen "gemeinschaftlichen uner-laubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge" zu [X.] Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf Verfahrensrügen und sachlich-rechtliche Beanstandungen ge-stützte Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg, da die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat. Sie führt nur zu der Neufassung des Schuldspruchs (vgl. [X.]/[X.], [X.], 58.
Aufl., §
260 Rn.
24).

Näherer Erörterung bedürfen nur die Beanstandungen eines mehrfachen Verstoßes "gegen §§ 243 IV 2, 273 Ia [X.]" wegen Verletzung der "Hinweis-(Transparenz-) und Dokumentationspflichten". Ihnen
liegen folgende [X.] zugrunde:

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3
-
1. Am ersten [X.] regte der Vorsitzende ein Gespräch über den weiteren Verfahrensablauf an. Dieses fand nach Schluss der Sitzung unter Beteiligung der drei Berufsrichter, der Schöffen, des [X.] der Staatsanwaltschaft und aller Verteidiger statt. Dabei gab der Vorsitzende unter anderem bekannt, welche Strafen nach vorläufiger Bewertung durch ihn und den Berichterstatter für die einzelnen Angeklagten in etwa angemessen sein könnten. Über den Gesprächsverlauf fertigte der Vorsitzende einen um-fangreichen Vermerk, den er zwei Tage später, am 18.
September 2014, an die Verteidiger mit einem Doppel für die Mandanten übersandte. Beigefügt war zu-dem ein Beschluss von diesem Tag, in dem die Strafkammer (in der Besetzung mit den drei Berufsrichtern) unter anderem "im Nachgang zu den im [X.] an die Hauptverhandlung im Hinblick auf eine mögliche Verständigung i.S.d. §
257c [X.] erfolgten Erörterungen" darlegte, "derzeit keine verbindlichen Zu-sagen zu Unter-
und Obergrenzen einer möglichen -
i.S.d. §
46 StGB ange-messenen -
Strafe machen" zu können, weil hierfür wesentliche Gesichtspunk-te noch nicht verlässlich beurteilt werden könnten. Vermerk und Beschluss gin-gen dem Verteidiger des Beschwerdeführers eine Woche vor dem nächsten [X.] zu. Im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung machte der Vorsitzende keine Mitteilung über das nach Ende des ersten Verhandlungs-tages geführte Gespräch.

a) Der Vorsitzende hat die Pflicht verletzt, den wesentlichen Inhalt von verständigungsbezogenen Erörterungen in der Hauptverhandlung mitzuteilen, sobald sich zu einer zu Beginn der Hauptverhandlung abgegebenen Mitteilung Änderungen ergeben haben (§
243 Abs.
4 Satz 2 [X.]). Dieser Information über Gespräche außerhalb des [X.] kommt in der Konzeption des [X.] eine zentrale Bedeutung zu. Sie dient dem Grundsatz, dass sich eine Verständigung im Lichte der öffentlichen Hauptverhandlung of-3
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fenbaren muss (vgl. BT-Drucks. 16/12310,
S.
12; [X.], Urteil vom 19.
März 2013 -
2 BvR
2628/10 u.a., [X.]E 133, 168, 222 f.). Diese Pflicht war durch die Dokumentation in Form eines Vermerks und dessen Zusendung an die [X.] nicht erfüllt worden. Sie ist auch nicht deshalb entfallen, weil die [X.] nach Beratung zu dem Ergebnis gekommen war, eine verbindliche Zusage hinsichtlich eines Strafrahmens nicht geben zu können. Der [X.] hätte deshalb zu Beginn des zweiten [X.] in öffentlicher Hauptverhandlung über das Gespräch, das zwischen den Verhandlungstagen geführt worden war, unterrichten müssen.

b) Der [X.] kann indes ausschließen, dass das Urteil
auf dem Rechts-fehler beruht (§
337 Abs.
1 [X.]).

aa) Nach ständiger Rechtsprechung beruht ein Urteil auf einem Rechts-fehler, wenn es ohne diesen möglicherweise anders ausgefallen wäre. An einer solchen Möglichkeit fehlt es, wenn ein ursächlicher Zusammenhang mit Sicher-heit ausgeschlossen werden kann bzw. rein theoretischer Natur ist. [X.] bei Verstößen gegen das Verfahrensrecht hängt die Entscheidung über das Beruhen stark von den Umständen des Einzelfalles ab ([X.], Urteil vom 23.
Juli 2015 -
3 [X.], juris Rn. 17
mwN).

bb) Der Angeklagte hat sich auch am zweiten [X.] nicht zur Sache eingelassen. Es ist auszuschließen, dass dieses [X.] auf der ungenügenden Information beruht. Es liegt bereits sehr nahe, dass der Angeklagte von seinen Verteidigern vor Beginn der [X.] über den Vermerk des Vorsitzenden und den Beschluss der [X.] unterrichtet wurde, die den Verteidigern eine Woche zuvor bereits [X.] worden waren. Zudem hätte der Vorsitzende bei der gebotenen Unter-5
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-
richtung des Angeklagten zugleich darauf hinzuweisen gehabt, dass die [X.] inzwischen nicht mehr bereit war, einen Verständigungsvorschlag zu unterbreiten. Damit war zu keinem Zeitpunkt in der Hauptverhandlung eine Si-tuation gegeben, bei der dem Angeklagten aufgrund unzureichender Informati-on die Chance genommen war, durch sein Einlassungsverhalten auf die Ent-scheidung des Gerichts einzuwirken.

cc)
Ein Beruhen des Urteils ist auch unter dem Gesichtspunkt [X.], dass die Öffentlichkeit durch die gewählte Verfahrensweise nicht über den Inhalt der Erörterungen unterrichtet worden ist. Der [X.] hält an s[X.] Auffassung fest, dass die Rechtsprechung des [X.] der oben dargelegten, bereits vom [X.] begründeten Auslegung des §
337 Abs.
1 [X.] nicht entgegensteht und die maßgebend auf die Kausalität abstellende Beruhensprüfung auch bei Verstößen gegen §
243 Abs.
4 [X.] nicht um normative Gesichtspunkte zu ergänzen ist ([X.], Urteil vom 23.
Juli 2015 -
3 [X.], juris Rn.
21 ff.). Selbst wenn man jedoch den in Kammer-entscheidungen des [X.] (Beschlüsse vom 15.
Januar 2015 -
2 BvR 878/14, [X.], 170; 2 BvR 2055/14, [X.], 172) aufge-stellten Maßstäben zur "normativen Beruhensprüfung" folgen wollte, wäre nach den
dort aufgezeigten Kriterien hier ein Fall gegeben, der die Wertung rechtfer-tigt, dass das Urteil auf dem Verstoß gegen § 243 Abs.
4 Satz 2 [X.] nicht beruht; denn eine Umgehung des Gesetzes durch Anbahnung
einer ungesetzli-chen informellen Verständigung war mit der vom Vorsitzenden gewählten Ver-fahrensweise nicht beabsichtigt.

2.
Am 5.
[X.] bat die Verteidigung um ein Verständi-gungsgespräch. Der Vorsitzende stellte daraufhin anheim, das Gespräch und eine Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft zu suchen, der sich gegebe-8
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nenfalls
die Strafkammer anschließen würde. In einem nachfolgenden [X.] mit den Verteidigern lehnte der [X.] der Staatsanwaltschaft die Mitwirkung an einer Verständigung ab.

Entgegen der Ansicht der Revision musste der Strafkammervorsitzende hierüber in der Hauptverhandlung keine Mitteilung machen. Weder die Anre-gung des Vorsitzenden gegenüber dem Verteidiger noch die Gespräche zwi-schen der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft, an denen das Gericht nicht beteiligt war, fallen in den Regelungsbereich des §
243 Abs.
4 [X.]. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes. Erörterungen zum Verfahrensstand sind, gleich ob sie von der Staatsanwaltschaft (§ 160b [X.]) oder vom Gericht (§§ 202a, 212 [X.]) geführt werden, mit ihrem we-sentlichen Inhalt aktenkundig zu machen. Nur Erörterungen des Gerichts mit den Verfahrensbeteiligten -
und auch diese nur, sofern sie einen [X.] hatten -
müssen in der Hauptverhandlung näher (vgl. zum Umfang [X.], Urteil vom 19.
März 2013 -
2 BvR 2628/10, [X.]E 133, 168, 216 f.) mitgeteilt werden. Für Gespräche zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidi-gung verbleibt es bei der Pflicht zur Dokumentation in der Akte (so auch [X.], [X.], 7.
Aufl., § 243 Rn.
36; eine Mitteilungspflicht eher ablehnend selbst für den Fall, dass das Gericht Kenntnis vom Inhalt der Erörterungen [X.] hat: [X.], Beschluss vom 25.
Februar 2015 -
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StR 258/13, [X.], 232 mwN; ebenso wohl [X.], Beschluss vom 29.
Januar 2014 -
1 StR 523/13, NStZ-RR 2014, 115).

3. Zuletzt regte am 6.
[X.] ein Verteidiger des Ange-klagten an, "ein [X.] über eine geständige, im Wege einer Verstän-digung (zu) erzielende Strafunter-/obergrenze zu führen". Daraufhin wurde die Sitzung zuerst für eine Stunde, später nochmals für eine Viertelstunde unter-10
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brochen. Danach sagte der Angeklagte zur
Sache aus. Seine Einlassung wurde durch zwei weitere Verhandlungspausen unterbrochen. Der Vorsitzende [X.] im [X.] an die Sitzungsunterbrechungen keine Mitteilungen nach §
243 Abs.
4 Satz 2 [X.].

Die [X.] ist insoweit mangels ausreichenden Tatsachenvortrags (§
344 Abs.
2 Satz 2 [X.]) unzulässig.

Die Mitteilungspflicht des Vorsitzenden nach §
243 Abs.
4 [X.] erstreckt sich nur auf solche Erörterungen des Gerichts mit Verfahrensbeteiligten, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c [X.]) gewesen ist. Nur zu Beginn der Hauptverhandlung ist die Auskunft nach §
243 Abs.
4 Satz 1 [X.] gegebenenfalls
auch darüber zu erteilen, dass keine solche Gespräche stattgefunden haben (sog. Negativmitteilung, vgl. [X.], Beschluss vom 26.
August 2014 -
2 BvR 2172/13, [X.], 592). Im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung ist erneut eine Mitteilung zu machen, soweit sich [X.] gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben (§
243 Abs.
4 Satz 2 [X.]). Daraus folgt, dass eine Mitteilung zu machen ist, sobald verständigungsbezogene Gespräche stattgefunden haben.

Um dem Revisionsgericht die Prüfung zu ermöglichen, ob verständi-gungsbezogene -
und damit eine Unterrichtungspflicht auslösende -
Gespräche stattgefunden haben, muss der Revisionsführer Tatsachen zum Inhalt der [X.] vortragen. Es reicht nicht, wenn er lediglich behauptet, es hätten sol-che Gespräche stattgefunden. Erforderlich ist vielmehr die Behauptung von Tatsachen, die eine Überprüfung dahin gestatten, ob dabei ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verständigung im Raum standen, was jedenfalls dann der Fall ist, wenn Fragen des prozessualen Ver-12
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8
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haltens in [X.] zum Verfahrensergebnis gebracht wurden, damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung nahelag und somit die Mittei-lungspflicht ausgelöst wurde ([X.], Urteil vom 19.
März 2013 -
2 BvR 2628/10 u.a., [X.]E 133, 168, 216 f.).

Dieser Pflicht zur Mitteilung des konkreten [X.] ([X.], Be-schlüsse vom 29.
April 2014 -
3 StR 24/14, [X.], 529;
vom 22.
Juli 2014 -
1 [X.], [X.], 48; vom 25.
Juni 2015 -
1 [X.], [X.], 657, 658), die dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglicht, ob ein Rechtsfeh-ler gegeben ist, ist die Revision nicht nachgekommen. Der Vortrag zu der [X.], mit der die Verteidigung eine Sitzungsunterbrechung beantragt hatte, [X.] die Behauptung, es hätten "[X.]"
stattgefunden, sind keine die Rechtsprüfung des [X.] ermöglichenden Tatsachenbe-hauptungen zum Inhalt der tatsächlich geführten Erörterungen.
[X.]Pfister Schäfer

Gericke Spaniol
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Meta

3 StR 310/15

29.09.2015

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.09.2015, Az. 3 StR 310/15 (REWIS RS 2015, 4688)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 4688

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