Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11.09.2013, Az. I S 14, 15/13, I S 14/13, I S 15/13

1. Senat | REWIS RS 2013, 2905

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Gegenvorstellung und Anhörungsrüge


Leitsatz

1. NV: Neben der Anhörungsrüge ist eine Gegenvorstellung gegen änderbare Gerichtsentscheidungen statthaft. Dies gilt insbesondere für ablehnende Entscheidungen über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

2. NV: Eine zulässige Gegenvorstellung erfordert eine substantiierte Begründung, dass die angegriffene Entscheidung auf einer gravierenden Verletzung von Verfahrensgrundrechten beruht oder jeglicher gesetzlicher Grundlage entbehrt.

3. NV: Für das Fehlen jeglicher gesetzlichen Grundlage ist nicht allein die Darstellung der Rechtswidrigkeit einer Entscheidung ausreichend; notwendig ist die substantiierte Erläuterung, dass die Entscheidung in einer mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbarenden Weise objektiv willkürlich ist.

Tatbestand

1

I. Zu entscheiden ist über eine Anhörungsrüge und eine Gegenvorstellung gegen einen ablehnenden Beschluss über die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH).

2

Der Antragsteller und Rügeführer (Antragsteller) beantragte PKH für seine unter dem Aktenzeichen I B 179/12 geführte Beschwerde gegen den Beschluss des [X.] ([X.]) vom 9. November 2012  3 K 931/12.

3

Diesen Antrag lehnte der Senat durch Beschluss vom 4. Juni 2013 I S 17/12 (PKH) ab, weil die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bot. Die Beschwerde war nach Auffassung des Senats unstatthaft, soweit der Antragsteller beantragt hat, eine Verpflichtung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --[X.]--), des [X.] sowie des [X.] auszusprechen, sich über den Zustand der Steuerakten zu erklären und die Vollständigkeit an Eides statt zu versichern. Insoweit lag keine Entscheidung des [X.] vor, die mit der Beschwerde angegriffen werden konnte. Im Übrigen fehlte es dem Antragsteller am Rechtsschutzbedürfnis. Denn er hatte sein Rechtsschutzziel durch die an zwei Terminen erfolgte Akteneinsicht bereits erreicht.

4

Gegen den Senatsbeschluss hat der Antragsteller eine Anhörungsrüge und eine Gegenvorstellung erhoben. Er beantragt,
1. den Senatsbeschluss aufzuheben und ihm antragsgemäß PKH für die von ihm beabsichtigte Rechtsverfolgung zu bewilligen und weiterhin
2. dem [X.] aufzugeben, dem [X.] ([X.]) die mit Schreiben des [X.] vom 21. August 2012 vorgelegten Steuerakten zu übersenden und den Prozessbevollmächtigten Akteneinsicht in die dem [X.] mit Schreiben vom 21. August 2012 übersandten Akten zu gewähren und die Akten zum Zwecke der Einsichtnahme an das [X.] zu übersenden.

Entscheidungsgründe

5

II. 1. Die Verfahren über die Anhörungsrüge (I S 14/13) und über die Gegenvorstellung (I S 15/13) waren gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zur gemeinsamen Entscheidung zu verbinden.

6

2. Die Anhörungsrüge ist gemäß § 133a Abs. 4 Satz 1 [X.]O als unzulässig zu verwerfen. Sie ist zwar statthaft (vgl. [X.] vom 17. Juni 2005 VI S 3/05, [X.], 419, [X.], 614; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 133a [X.]O Rz 7; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 133a Rz 6; Rüsken in [X.], [X.]O § 133a Rz 21), aber nicht in der gesetzlich gebotenen Form erhoben worden.

7

a) Gemäß § 133a Abs. 2 Satz 5 [X.]O muss die Rüge die angegriffene Entscheidung und das Vorliegen der in § 133a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.]O genannten Voraussetzungen darlegen. Dies erfordert einen schlüssigen und substantiierten Vortrag, zu welchen Sach- oder Rechtsfragen sich der [X.] in dem rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren nicht habe äußern können, welches entscheidungserhebliche Vorbringen das Gericht unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht zur Kenntnis genommen oder in Erwägung gezogen habe und woraus der [X.] dies im Einzelnen folgert ([X.] vom 14. Oktober 2010 XI S 24/10, [X.], 63; vom 22. April 2013 IX S 8/13, [X.], 1244). Nicht ausreichend ist es darzulegen, der Senat habe in der Sache fehlerhaft entschieden. Denn die Anhörungsrüge dient nicht dazu, die angegriffene Entscheidung in vollem Umfang zu überprüfen ([X.] vom 30. September 2005 V S 12, 13/05, [X.], 6, [X.], 75; vom 14. Oktober 2005 V S 20/05, [X.], 563; vom 11. März 2009 VI S 2/09, [X.], 1131).

8

b) Diesen [X.] genügt die Begründung des Antragstellers nicht.

9

aa) Soweit der Antragsteller vorträgt, der Senat sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass er von seinem Recht zur Akteneinsicht (zunächst) keinen Gebrauch gemacht habe, legt er nicht dar, warum hierdurch in entscheidungserheblicher Weise sein Recht auf rechtliches Gehör verletzt worden sein sollte. Der Antragsteller hat insbesondere nicht erläutert, inwiefern der Senat einen entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht zur Kenntnis genommen hat, zumal der Senat die unterlassene Akteneinsicht lediglich im Tatbestand erwähnt, ihr bei der rechtlichen Würdigung aber keinerlei Bedeutung beigemessen hat.

bb) Der Vortrag, die dem [X.] vorgelegten Akten seien unvollständig und der Antragsteller habe deshalb nicht umfassend in die Steuerakten Einsicht nehmen können, genügt den [X.] an eine Anhörungsrüge schon deshalb nicht, weil der Antragsteller nicht behauptet, der Senat habe diesen Vortrag bei seiner Entscheidung über den [X.] übersehen. Er ist lediglich der Auffassung, der Senat habe insoweit fehlerhaft entschieden, was zur Begründung einer Anhörungsrüge nicht ausreichend ist.

cc) Entsprechendes gilt, soweit der Antragsteller rügt, der Senat sei zu Unrecht von einer Unstatthaftigkeit der Beschwerde ausgegangen, soweit das [X.], das [X.] sowie das [X.] verpflichtet werden sollten, sich über den Zustand der Steuerakten zu erklären und die Vollständigkeit an Eides statt zu versichern. Auch insoweit trägt der Antragsteller keine Gehörsverletzung, sondern lediglich eine aus seiner Sicht unrichtige Rechtsanwendung durch den Senat vor.

3. Auch die von dem Antragsteller erhobene Gegenvorstellung ist unzulässig. Diese ist zwar statthaft, aber nicht in der gebotenen Weise begründet worden.

a) Auch nach Einfügung des § 133a [X.]O in die Finanzgerichtsordnung ist die Gegenvorstellung nach der neueren Rechtsprechung des [X.] (Beschluss vom 25. November 2008  1 BvR 848/07, [X.] 122, 190) und des [X.] ([X.] vom 1. Juli 2009 V S 10/07, [X.]E 225, 310, BStBl II 2009, 824; vom 19. November 2009 III S 43/09, [X.]/NV 2010, 453; vom 6. Dezember 2011 IX S 19/11, [X.]/NV 2012, 438) gegen abänderbare Entscheidungen des Gerichts statthaft, insbesondere bei --wie hier-- ablehnenden Entscheidungen über die Bewilligung von PKH ([X.] in [X.]/NV 2010, 453; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Vor § 115 [X.]O Rz 43).

b) Die Begründung des Antragstellers genügt indessen nicht den Anforderungen an eine zulässige Gegenvorstellung.

aa) Als außerordentlicher Rechtsbehelf kann sie nur darauf gestützt werden, dass die angegriffene Entscheidung auf einer gravierenden Verletzung von Verfahrensgrundrechten beruht oder jeglicher gesetzlicher Grundlage entbehrt ([X.] vom 21. April 1997 V R 22, 23/93, [X.]/NV 1998, 32; vom 13. April 2000 V S 3/00, [X.]/NV 2000, 1132; vom 14. November 2006 IX S 14/06, [X.]/NV 2007, 474; vom 19. Mai 2009 IX S 10/09, juris; vom 28. Oktober 2009 V S 20/08, [X.]/NV 2010, 226). Dies muss substantiiert gerügt werden ([X.] in [X.]/NV 1998, 32; vom 9. Januar 2013 III S 26/12, [X.], 578).

bb) An einer substantiierten Darlegung derartiger Rechtsfehler fehlt es im Streitfall.

aaa) Dass der Senat bei seiner Entscheidung selbst gegen Verfahrensgrundrechte verstoßen hat, hat der Antragsteller nicht in der gebotenen Weise erläutert. Er hat lediglich vorgetragen, dass die rechtliche Würdigung des Senats unzutreffend gewesen sei.

bbb) Der Antragsteller hat nicht in der gebotenen Weise begründet, warum es an jedweder gesetzlichen Grundlage fehlt, soweit der Senat in seinem Beschluss vom 4. Juni 2013 I S 17/12 (PKH) von einer Unstatthaftigkeit der Beschwerde ausgegangen ist. Dies hätte insbesondere deshalb näher erläutert werden müssen, weil der Senat in den Gründen seines Beschlusses ausgeführt hat, dass ausgehend vom Wortlaut des § 128 Abs. 1 [X.]O eine anfechtbare Entscheidung des [X.] Voraussetzung für eine statthafte Beschwerde ist.

ccc) Ebenso wenig hat der Antragsteller substantiiert dazu vorgetragen, warum es dem Beschluss deshalb an jeglicher Rechtsgrundlage fehlen soll, weil der Senat von einem Wegfall des [X.] durch die im Beschwerdeverfahren erfolgte Akteneinsicht ausgegangen ist. Ausreichend ist nicht die Darstellung der Rechtswidrigkeit der Entscheidung, sondern erst die substantiierte Erläuterung, dass die Entscheidung in einer mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbarenden Weise objektiv willkürlich ist (Rüsken in [X.], [X.]O § 133a Rz 84.2). Dies ist im Streitfall nicht geschehen. Denn der Antragsteller nimmt lediglich eine prozessrechtlich andere Würdigung als der Senat vor, ohne zugleich eine objektive Willkür der Senatsentscheidung zu begründen.

4. Über den Antrag zu 2. musste der Senat in den Verfahren über die Anhörungsrüge und die Gegenvorstellung nicht entscheiden. Er legt das Begehren des Antragstellers auf Aktenvorlage durch das [X.] und nachfolgende Akteneinsicht als Präzisierung des bisherigen Akteneinsichtsgesuchs in der Hauptsache (I B 179/12) aus, für dessen Durchführung der Antragsteller PKH beantragt hat. Für die Selbstüberprüfung des Senats in den Verfahren über die Anhörungsrüge und die Gegenvorstellung kommt den vom Antragsteller bezeichneten Akten keine Bedeutung zu. Eine solche Bedeutung wird von dem Antragsteller auch in seiner Begründung nicht vorgetragen.

5. Für die Entscheidung über die Anhörungsrüge wird eine Gebühr in Höhe von 50 € erhoben (Nr. 6400 des [X.], Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes). Die Gegenvorstellung ergeht hingegen gerichtsgebührenfrei, da für das Verfahren betreffend eine Gegenvorstellung kein Gebührentatbestand vorgesehen ist ([X.] vom 29. November 2005 II S 15/05, [X.], 593; vom 27. April 2006 V S 19/05 (PKH), [X.], 1673).

Meta

I S 14, 15/13, I S 14/13, I S 15/13

11.09.2013

Bundesfinanzhof 1. Senat

Beschluss

vorgehend BFH, 4. Juni 2013, Az: I S 17/12 (PKH), Beschluss

§ 73 Abs 1 S 1 FGO, § 133a Abs 1 S 1 Nr 2 FGO, § 133a Abs 2 S 5 FGO, § 133a Abs 4 S 1 FGO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11.09.2013, Az. I S 14, 15/13, I S 14/13, I S 15/13 (REWIS RS 2013, 2905)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2905

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

X S 16/21, X S 17/21 (PKH), X S 20/21 (PKH), X S 16/21, X S 17/21 (PKH), X S 20/21 (PKH) (Bundesfinanzhof)

Gebührenhöhe für nach dem 31.12.2020 eingegangene Anhörungsrügen


V S 24/19 (Bundesfinanzhof)

Rügefrist, Bekanntgabefiktion, tatsächliche Zugangsvermutung, gesetzlicher Richter


V S 15/14 (Bundesfinanzhof)

(Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Beschluss vom 03.07.2014 V S 13/14 - Beurteilung der Prozessfähigkeit eines …


XI S 7/15 (Bundesfinanzhof)

Keine Akteneinsicht bei fehlendem Rechtsschutzbedürfnis - Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Verfahren der …


II S 31/10 (Bundesfinanzhof)

Begründungsintensität von PKH-Beschlüssen - Kein Vertretungszwang bei Antrag auf Bewilligung von PKH - Zulässigkeit einer …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.